Die Jungen suchen nach dem Alten

Foto: MuseumPasseier.

Ein Erfahrungsbericht über die Arbeit an Chronik.Passeier

Von David Hofer


Vorneweg, ich zähle mich selber natürlich nicht mehr zu den jungen Leuten. Doch bei der Arbeit rund um die entstehende digitale Chronik ist es auffällig, wie viel Einsatz und Begeisterung von den Mitarbeitenden eingebracht wird. Seien es Mittelschüler*innen im Sommerpraktikum beim Einscannen der Sterbebildchen oder Oberschüler*innen und Student*innen beim Transkribieren der Taufbücher.

Aber am besten fangen wir von vorne an. Chronik.Passeier (hier gehts zur dazugehörigen Website) ist ein Projekt, welches sich schon länger in der Ausarbeitung befindet. Die Gemeinde St. Martin entschied sich gegen ein handelsübliches Dorfbuch, sondern wollte einen moderneren Ansatz und vor allem die Möglichkeit der Partizipation für alle bieten. Mein erster Beitrag hierfür war Bildbearbeitung von digitalisierten Sterbebildchen. Das Museum scannt nun schon länger Dokumente ein, damit diese in hoher Qualität erhalten bleiben und nicht irgendwann einfach verschwinden.

So saß ich also am Empfangsbereich des Museums: Ich richtete im Programm die Bilder aus, nahm Zuschnitt und Korrekturen vor und exportierte sie. Öfters vermutlich auch denselben Schritt mehrmals, da Besucher*innen meine Aufmerksamkeit benötigten und ich – zurück am Computer – nicht mehr wusste, bei welchem Schritt ich gerade stehengeblieben war. Daher zur Sicherheit lieber nochmal von vorne beginnen.

Mit dem Näherrücken der Sommerferien kam eine weitere Aufgabe hinzu: Das Transkribieren der historischen Taufbücher. Von A3-Kopien der Kirchenbücher wurden Nummern, Personennamen und Geburtsdaten in eine Google-Tabelle übertragen. Die sogenannte Kurrentschrift stellte uns oft vor Herausforderungen. Man hatte zwar irgendwann die Handschriften der meisten Pfarrer entschlüsselt, aber kamen schlampig gescannte Stellen, eine seltsame Formatierung oder einfach ein ungewohnter Name stockte es wieder.

Ausschnitt von 1862 aus dem Taufbuch der Jahre 1834 bis 1888 von St. Leonhard in Passeier (Screenshot aus: Kirchenbücher Südtirol online des Südtiroler Landesarchiv).

Doch ehrlich gesagt waren diese Herausforderungen oft der schöne Teil der Arbeit. Zumindest wenn irgendwann der Heureka-Moment kam und man mit Zuversicht den Namen eintippen konnte. Hin und wieder war es zugegeben auch frustrierend. Irgendwann konnte man schließlich die Buchstaben n, e, u und r voneinander unterscheiden, welche zu Beginn noch identisch ausgesehen hatten.

Zudem lernten wir neue Begriffe. Vorher wusste zumindest ich nicht, was ein Reduplikationsstrich ist. Da das Wort aber recht lang ist, blieb es beim Ansagen der Schreibweise An̅a trotz des erworbenen Fachwissens einfach bei „Anna mit Strich“.

Beim Transkribieren arbeitete man zu zweit in Teams. Eine Person entzifferte, die zweite Person tippte in die Tabelle. Häufig aber grübelte man gemeinsam über die Einträge. Woos soll denn dës do hoaßn?, Na, der Pfårrer håt do gimaatscht – und schon war man gemeinsam über einen Eintrag gebeugt und versuchte detektivisch zu ermitteln, wer dieser Mensch aus der Vergangenheit war, damit er oder sie den korrekten Eintrag in unserer Chronik bekommen würde.

Bezüglich der Namen gab es damals wie heute Trends. Eine Zeitlang war Franz Joseph der Renner, Maria und Anna sind selbstverständlich stark vertreten, Sebastians und Ursulas in Schweinsteg sehr beliebt. Andere Namen – Vornamen wie Hyacinth, Hypolitt und Hieronymus bzw. Nachnamen wie Klotzbücher und Krautschneider oder Sutara und Masnövo – sind heute mehr oder weniger im Tal ausgestorben.

Interessant sind dabei Schreibweisen, die sich oft verändern. Schifer/Schiefer, Öttl/Oettl/Öettl, Lahnthaler/Lanthaler, Spiss/Spieß, Oberprantacher/Oberprandacher und dergleichen mehr. Und in Bezug auf Schreibweisen muss ich den Namen Krescenzia erwähnen. Oder sollte ich Crescentia sagen? Womöglich auch Creszencia. C, k, z und t sind in diversen Kombinationen zu finden.

Wer findet Krescenz mit K, c, z? Oder eine “Anna mit Strich”? Schau links bei den fortlaufenden Nummer, geh bis zur Nummer 33, in der dritten Spalte findest du (unterstrichen) Haller Krescenz An̅a. Ausschnitt von 1882 aus dem Taufbuch der Jahre 1860 bis 1922 von St. Martin in Passeier (Screenshot aus: Kirchenbücher Südtirol online des Südtiroler Landesarchiv).

Hin und wieder nahmen wir die künstliche Intelligenz zur Hilfe. Mit Google Lense wurde am Smartphone der Name eingescannt und dann mit Spannung erwartet, ob die AI eine Hilfe war. Meistens maximal, indem sie einzelne Buchstaben entzifferte. Unsere typischen Passeirer Namen waren für die AI dann in den meisten Fällen doch zu exotisch.

Um nicht nur vom Entziffern zu erzählen, möchte ich zwei Beispiele einfügen. Es sind Situationen, bei denen ich selber Schwierigkeiten hatte. Die folgenden Namen (farbig eingekreist) hatte ich öfters verwechselt, wie ich später beim nochmaligen Kontrolllesen erfuhr.

 
 
 
 

Für jene, die sie nicht selber entziffern konnten: einer davon ist Paul, der andere Carl. Aber nicht in der Reihenfolge wie ich sie hier gerade geschrieben habe, sondern anders herum. Also der erste Name ist Carl und der zweite Paul.

Fast schon zum Running Gag wurde der nächste Name.

 
 

Schon eine Idee? Meine erste Lösung war damals Hanna. Komplett falsch. Der Name hier ist Theres. Ich hatte bereits vor dem Auftauchen dieses Namens Probleme, den Namen Theresia zu erkennen. Häufig gab ich beim Transkribieren zu, dass ich bei einem Eintrag nicht wirklich weiterkam und ein schneller Blick des Teammitglieds, gefolgt von einem kleinen Schmunzeln, brachte die Lösung: Dës isch wiider Theresia. Kaum hatte ich das Gefühl, den Namen Theresia endlich geknackt zu haben, wurde ich mit Theres erneut in die Schranken gewiesen.

Es waren aber nicht nur die Namen, die oft herausfordernd waren. So kam es, dass einige Pfarrer beim Monat plötzlich etwa „8er“, „9er“ und „10er“ nutzten. Das sind nicht August, September oder Oktober. Stattdessen beziehen sie sich auf die lateinischen Namen und bedeuten damit Oktober (8er), November (9er) und Dezember (10er).

Wenn man nicht zu sehr über Einträge rätseln musste, gab es ständig Verlockungen, sich ablenken zu lassen. Neben der selbstverständlichen Ausschau nach möglichen eigenen Vorfahr*innen, wurde es immer spannend, wenn man sich dem eigenen Geburtstag näherte. Ob wohl jemand im Tal aus der Vergangenheit den Tag mit mir teilt? Und dann amüsante Situationen, z.B. als die beiden heute ungewohnten, aber durch Harry Potter berühmt gewordenen Namen Hermine und Hedwig mit wenig Abstand hintereinander auftauchten.

Oft war es am Ende gut, dass das Lesen der Schrift nicht zu einfach war. Ansonsten hätte man sich wohl in den Details verloren. Besonders bei ungewohnten Namen war dies der Fall, oftmals Kinder von k. u. k. Beamten im Tale. Bei Findelkindern oder sogar Adeligen wurde man besonders neugierig und schweifte eher zu den übrigen Anmerkungen ab. Wer waren die Eltern? Was war deren Beruf? Wo wohnten sie? Diese Details werden der Chronik in einem späteren Schritt hinzugefügt, zuerst galt es einen Grundstock an Daten zu erstellen.

Für manche Härtefälle gab es schlussendlich nur eine Lösung: Ein Team von uns musste ins Pfarrarchiv und betrachtete nochmal das Original. Trotzdem bleiben Rätsel offen. So etwa die sogenannten Matrikelakten Nr. 8, auch Extrabuch genannt. Es wird mehrmals darauf verwiesen, aber bisher konnten wir es nicht finden und auch nicht wirklich erfahren, um was es sich dabei genau handelt. Es steht jedenfalls in Verbindung mit später nachgetragenen Kindern, welche irgendwo zwischen den anderen Einträgen noch „reingequetscht“ wurden.

Apropos später hinzufügen – das oben erwähnte Einscannen der Sterbebilder hat den Zweck, dass dadurch möglichst viele der Namen ein Gesicht bekommen. Die Bilder werden mit den jeweiligen Personeneinträgen verknüpft werden. Die digitale Chronik.Passeier soll den Anreiz geben, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen sowie die Familien- und Talgeschichte zu erfahren und weiter zu erforschen. Aus diesem Grund möchte diese Chronik interaktiv sein und die Beteiligung der Talbevölkerung fördern. Ähnlich wie bei einem Wiki sollen die Menschen selbst Einträge anlegen oder Informationen ergänzen können. Noch wird es jedoch ein wenig dauern, bis es soweit ist.

Von den Zukunftsplänen zurück zum Transkribieren. Im Moment werden die erarbeiteten und kontrollgelesenen Daten von den Programmierern implementiert. Nun gilt es zu sehen, ob es so klappen wird, wie wir es uns wünschen. Unsere bisherige Arbeit umfasst die Taufbücher von St. Martin (ab 1842), St. Leonhard teilweise inklusive Walten und Stuls (ab 1851) und Schweinsteg (ab 1860) bis 1923. Sobald wir diesen Schritt weiter sind, wird wieder gegrübelt, getippt und geschmunzelt werden. Ein erst kürzlich stattgefundenes Treffen hat jedenfalls gezeigt, die jungen Mitarbeiter*innen sind motiviert und begeistert.

 
 

Du magst mitmachen?

Melde dich unter chronik@passeier.it oder bei Magdalena (349 6506352) oder bei Dominik (347 7631041).

 
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