Hand in Hand

Alle Fotos: Thomas Gronegger.

Studierende der New Design University St. Pölten und der Transilvanian University Brasov erprobten:
Was spielt sich bei handwerklicher Arbeit im Team ab?

Von Thomas Gronegger, Hansjörg Alber und Alin Olarescu

 

Handwerkliches “Allroundkönnen” spielt in traditionellen landwirtschaftlichen Orten eine große Rolle. Verbunden damit sind besonderes angeeignetes Wissen und Erfahrung und das sich gegenseitig Helfen und Aushelfen. Daraus inspiriert wurde eine einwöchige Formenwerkstatt mit Studierenden entwickelt, die einfache konstruktive und bauliche Strukturen in realer Größe in Passeier umsetzt.

Dreizehn Studierende der New Design University St. Pölten und der Transilvanian University Brasov fragten nach Qualitäten und Werten gemeinschaftlicher handwerklicher Arbeitsprozesse. Sie stellen sich deshalb vom 8. bis 12. Mai 2023 im MuseumPasseier und in einem Permakultur-Garten in St. Martin dem Skizzieren, Gärtnern, Mauern und Zimmern. Im Freilichtbereich des MuseumPasseier wurde der Wert zeichnerischer Analyse von Vorbildern betrachtet, in St. Martin gab es Einführungen und Impulse durch die Fachkräfte Gerhard Kofler, Alin Olarescu und Friedrich Lanthaler für den handwerklichen Umgang mit Stein, Holz und Schindel, schließlich wurden in gemeinschaftlicher Arbeit eine Trockensteinmauer und eine gezimmerte Holzstruktur errichtet.

Hier einige Auszüge aus den analysierten und beschriebenen Qualitäten verschiedener handwerklicher Phasen des Zusammenarbeitens:

Zu Beginn ging es um die Rolle des gemeinsamen Anschauens von Vorbildern, bevor eine Gruppe eine gemeinschaftliche handwerkliche Arbeit angeht.

Und im Genaueren ging es darum, welche Methoden eine Gruppe anwenden kann, um das Angeschaute zu erfassen, zu analysieren, zu dokumentieren und letztlich zu verinnerlichen, um dann im späteren handwerklichen Gestaltungs- und Arbeitsprozess auf gemeinsame Erkenntnisse und Einsichten zurückgreifen zu können.

Das Zeichnen stellte sich als einfaches Mittel dar, den Blick auf konstruktive, proportionale, materielle, haptische, atmosphärische Qualitäten zu lenken.

Maß nehmen am Objekt und seinen konstruktiven Elementen schaffte sofort eine Ahnung, wie etwas dimensioniert werden kann und welche Wirkung es hat.

Die Referenzgebäude im MuseumPasseier waren zwar (von den Forschenden) ausgesucht, drängen aber als Objekte ihr Wesen nicht auf. Sie wurden zu einer Art still lehrenden Instanz.

Noch bevor das eigentliche Arbeiten startete, erlebte man also das Sehen und Wahrnehmen der Anderen auf den analytischen Skizzenblättern mit – schlüpfte sozusagen in deren Art des Denkens mit hinein.

Man lernte nicht nur von den Anderen, sondern entwickelte auch ein Gespür für die Vielfalt der Talente und Fähigkeiten der Anderen. Daraus kristallisierten sich besondere Naheverhältnisse oder komplementär ergänzende Herangehensweisen heraus.

Durch Gespräche mit Personen großer Erfahrung vor Ort betteten sich die Dinge greifbar und verständlicher in Geschichte, Geschichten, Kultur und Umfeld ein.

Es wurde auch bewusst, wie schwierig teils das von Fachleuten Vorgemachte nachzuahmen ist, obwohl es beim Zuschauen so leicht aussieht. Paradox klingt, dass die vorgeführte Arbeit für einige Studierende „leicht“ aussah, zugleich von einigen Studierenden als anstrengend und schwierig empfunden wurde.

Welche Perspektive nimmt man beim Betrachten des Vormachens einer Handlung ein? Betrachtet man das Vorführen von Arbeitsschritten passiv zuschauend, aus ästhetisch-rhythmischer Perspektive, die der Geschicklichkeit und dem Schauspiel des handwerklichen Gelingens Respekt und Freude abgewinnt, so bewundert man vermutlich die (scheinbare) Leichtigkeit, die aus jahrelanger Erfahrung und Routine resultiert.

Betrachtet man hingegen das Vorführen aus der Perspektive des praktischen nachfolgenden „Nachmachen-Wollens“, so versucht man sich jede Bewegung, jeden Griff, jede Haltung in Bezug auf Werkzeug, Material und dessen Bearbeitung, einzuprägen. Und das ist anstrengend!

Man lernt als Körper und mit dem Körper, und das ist ein anderes Lernen, als nur passiv verstehendes Nachvollziehen. Beim eigenen tätigen Einsatz merkt man, dass man es zwar theoretisch verstanden hat, aber physisch-körperlich-motorisch noch nicht zustande bringt.

Das theoretische Verstehen ist also nicht komplett und bedarf des körperlichen Verstehens. Dieses wiederum bedarf aber des Erprobens, des Lernens des richtigen Greifens, der richtigen Bewegung, der richtigen Koordination und des richtigen Rhythmus. „Richtig“ meint hier insbesondere auf den eigenen Körper, die eigene Kraft angepasst und abgestimmt.  

Und dann fehlt immer noch die oft notwendige jahrelange Routine, nicht allein der körperlichen Balance und Geschicklichkeit, sondern gerade auch des abschätzenden oder auswählenden Blickes gegenüber dem Material (welcher Stein eignet sich für die Lücke, wie drehe ich das Holz und setze zum Spalten an, etc.?). Diese ungeheuerliche Form von Intelligenz, die so eng mit dem Körper verschmilzt, wird nur denen bewusst, die sich auf diese Arbeit einlassen.

Bewusstsein hingegen, der erforderlichen Geschicklichkeit, der Schwere der Arbeit und auch der Verletzungsgefahr trägt zu dieser Ernsthaftigkeit des Entgegenbringens von Interesse gegenüber den zeigenden Fachleuten bei. Zugleich wird es wohl auch das Bewusstsein sein, dass es nur noch wenige Handwerker gibt, die diese rare Erfahrung weitertragen und vermitteln können.

Es ging in der einwöchigen Formenwerkstatt also auch um die Geduld, die das körperliche Lernen erfordert und auf seine Weise mindestens so komplex ist, wie das rein mentale Lernen. Geistiges Verstehen ist anders als geistig-körperliches Verstehen. Eine Neubewertung handwerklicher Intelligenz steht an.

Von Handwerkern und Handwerkerinnen die sich der Bewahrung und Weiterentwicklung solcher Themen widmen, strahlt meistens eine Begeisterung, innere Tiefe und Verbundenheit aus, die sich oft auch in geerdet philosophischen Betrachtungen äußert. Es geht ihnen um mehr als um den Lebenserwerb. Sie verstehen sich als innigen Teil der Kultur und Landschaft.

Es handelte sich bei den Arbeiten anlässlich der Formenwerkstatt in Passeier nicht um „Als ob”-Handlungen, sondern um bleibende Umsetzung sinnvoller Strukturen für den Ort. Die Materialien wurden von den Mitwirkenden teils selbst aus der Gegend gewonnen (Steine aus dem Bach, Holz und Stecken vor Ort im Gebüsch geschnitten, Balken von abgerissenen Dachstühlen). Alles das trug zum Bewusstsein der Sinnhaftigkeit und Ernsthaftigkeit des eigenen Tuns für den Ort bei.

Abgesehen davon wurde eine Verbindung zu dem Ort allein dadurch aufgebaut, dass man täglich viel Zeit dort verbrachte und „Spuren“ hinterließ. Der Ort ist nicht mehr fremd, weil man für diesen etwas beigetragen hat. Ein Student beschrieb es so: „Man steckt etwas von der eigenen Seele hinein“. Handwerkliches Arbeiten für einen Ort, das sichtbar Bleibendes produziert, wird offenbar als ein Wirken empfunden, das über sich selbst hinausweist.

Es stellte sich aber nicht nur ein Bezug zum Ort, sondern auch zu den Menschen her, die das Geschaffene weiterpflegen und verwenden werden.

Der gemeinsamen Arbeit ging das Bewusstsein einher, gemeinsam etwas zu schaffen, zu dem man kein Vorwissen hat:
„It is amazing what people can achieve without previous knowledge …”

In der Gruppe bildete sich eine motivierende Kraft, ohne die man schnell dazu neigen würde, aufzugeben: „Ich kann das nicht!“ Können es aber viele noch nicht und probieren es trotzdem, bildet sich im Dabeistehen und Zuschauen schnell der Wunsch, „es auch zu probieren“ – so entstand ein Sog.

Weiters ging es darum, Wege zu finden, alle nach ihren Fähigkeiten und Talenten einzubinden bzw. die Einbindung auch für diejenigen leicht machen, die es schwerer haben. Das verlangte weder Vereinheitlichung, noch „einen kleinsten gemeinsamen Nenner“. Im Gegenteil: Es erlaubte und verlangte Vielschichtigkeit in der Schwierigkeit und Leichtigkeit der Herausforderung durch die Aufgabenstellungen.

Auch wenn manche geschickter waren, fanden trotzdem alle eine sinnvolle Rolle im Spektrum der hilfreichen Tätigkeiten und konnten wichtiger Teil des schaffenden Gruppenkörpers werden – selbst wer nicht im hauptausführenden Zentrum stand. Zuarbeiten, Vorbereiten, Handlangen sind keine minderwertigen Tätigkeiten!

Interessant ist, dass sich zwar ausführende und assistierende Arbeit von der Wertigkeit her differenzieren lassen, andererseits wiederum das gute Gelingen der hochwertigeren Arbeit ohne der assistierenden Arbeit nicht zustande kommen kann. Dabei kann es vorkommen, dass die assistierende Arbeit und ausführende Arbeit so einfühlend aufeinander eingespielt ist, dass sie nicht ersetzbar ist. Diese Art von Team wird hinsichtlich der Qualität zu einer nahezu untrennbaren Einheit.

Jeder Arbeitsschritt hat seinen eigenen Charakter, seine eigene Denkweise, seine eigene Mühe, seine eigene Poesie, seine eigene Lockerheit oder seine eigene Spannung.

Weil sich beispielsweise Steine nicht “nach Rezept” verlegen lassen oder so groß sind, dass sie kaum alleine zu heben oder zu versetzen sind, waren mehrere Personen an den Entscheidungen beteiligt. Diese zeigten sich dann sichtbar und bleibend in der Qualität der gebauten Mauer – ein Gedächtnis getroffener Entscheidungen!

Die Gruppe wurde zu einem Körper, der mit wenigen Gesten, Blicken, Worten untereinander kommunizierte und diese Spannung im besten Fall bis zum Gelingen des herausfordernden Arbeitsabschnittes hielt.

Jeder und jede hatte zu tun, Antworten und Ideen hatten Zeit.
Es entwickelte sich eine ganz besondere Form des miteinander Sprechens.

Ein weitere Beobachtung betraf die Weitsicht und das vorausschauende Arbeiten. Bezogen auf enges körperliches Zusammenarbeiten kann dies das Beiseite-Räumen von Hindernissen, das griffbereite Vorbereiten von wichtigem Werkzeug oder Hilfsmitteln usw. bedeuten, das meist vor dem eigentlichen Akt des engen körperlichen Zusammenarbeitens stattfindet. Auch das hat oft mit der Sicherheit, mit dem Limit an Kräften oder der Bewältigung entscheidender Momente zu tun.

Es entwickelte sich ein vorausschauendes Mitdenken für den Anderen, etwa beim Tragen eines Baumstammes, um in eine geschmeidige Bewegung zu kommen. Es war notwendig, bei Wegehindernissen, die einen selbst noch nicht betreffen (der Baumstamm ist lang), auf die andere Person zu achten, deren Bedürfnisse zu erkennen, etwa die Geschwindigkeit zu verringern oder stehenzubleiben.

Ähnliches war bei der Menschenkette zu beobachten, die schwere Steine aus dem Bach klaubte und bis zum befestigten Weg weiterreichte. Die Steine waren unterschiedlicher Schwere, Größe und Form und die Personen waren ebenso unterschiedlicher Größe, Stärke und Geschicklichkeit. So war jede Übergabe eines Steines an den Andern und jedes Übernehmen eines Steines von dem Anderen unterschiedlich. Man musste beim Übergeben sehr genau darauf achten, dass die andere Person den Stein richtig zu fassen bekommt.

Teils waren die Steine so schwer, dass sich eine kräftige Person entschied, aus der Reihe auszubrechen und den gefassten Stein selbst hinaufzutragen, weil das Weitergeben zu unsicher war. Dabei schloss sich die Kette ausgleichend und es wurde unbehindert weitergearbeitet, bis die ausscherende Person wieder in ihre Position zurückkehrte. Die Menschenkette bildete also nicht ein starres automatisches System, sondern ein mitdenkend ausgleichendes System, das besondere Anforderungen nahezu ohne mündliche Abstimmung einfach ausglich.

Es kam mehr als einmal vor, dass großes Vertrauen bei Arbeiten wie etwa das Einschlagen von Pfosten gefragt war, wo eine Person halten musste und die andere Person mit schwerem Hammer auf den Pfostenkopf schlug. Selbst wenn das Halten weit unten angesetzt wurde und man mit dem Körper aus der Schwungrichtung ging, bedurfte es doch eines tiefen Vertrauens der Haltenden und große Vorsicht der Schlagenden.

Zudem stellte sich streckenweise ein unangenehmer Dauerregen ein, dem wir trotz provisorischen Behelfen wie Zeltplanen spürbar ausgesetzt waren. Das „dem Wetter trotzen“ ist kein unwichtiger Aspekt. Es ist auch motivierend und macht stolz, dass man trotz schwierigem Wetter durchgehalten und etwas geschafft und nicht aufgegeben hat.

Dass die gemeinsame Arbeit „das Eis“ bricht, wurde auch angesprochen. Ebenso die Tatsache, dass die Gespräche von einfachen Gegebenheiten ausgehen konnten, die gerade passierten. Das vielfach angedeutete „Ungezwungene“ liegt also offensichtlich im „reden können, aber nicht müssen“.

Ein besonders wichtiger Moment schien der Abschluss der Arbeit gewesen zu sein, bzw. beim Abschluss die Rückschau, wie der Ort vor Beginn der Arbeiten ausgeschaut hat. Das weist in zwei Richtungen. Einerseits scheint das Zelebrieren des Abschlusses, also das gemeinsame Begehen und Anschauen der Arbeitsstätte mit den fertigen Werken und deren Würdigung wichtig. Ein weiterer besonderer Akt der Würdigung stellte sich mit einer Ansprache zur „Gleichenfeier“ durch Alin Olarescu ein.  

Im Nachhinein wurde noch klarer: Das Besondere der gemeinschaftlichen Arbeit ist, dass sie zugänglich, sinnstiftend und befriedigend auch für Leute sein kann, die komplexe oder anstrengende handwerkliche Arbeit nicht schaffen oder sich nicht zutrauen. Es bildete sich eine Schnittstelle der Zugänglichkeit, die allen die Möglichkeit bot, am Gesamterfolg teilzunehmen. Und natürlich ist da auch die Essenszubereitung oder die abschließende Feier mitzurechnen. Diejenigen, die für das Besorgen der Lebensmittel, die Zubereitung des Essens, das Anrichten der Tische, das Wegräumen und Abwaschen etc. sorgten, nahmen auf ihre Weise auch ganz wichtigen Anteil am Ganzen. Es entstand ein Verzahnungsraum für “Mittun”, "Beitragen und “Dabeisein”.

Der tragende Geist. Die Ergebnisse und Beobachtungen des vorliegenden Projektes bestärkten uns, dass es bei diesem Zusammenarbeiten eben gerade nicht um das schnelle effiziente Umsetzen geplanter Vorhaben geht, sondern dass es darauf ankommen kann, welche Arbeitsprozesse wie durchgeführt werden, um das Zusammenkommen, sich Kennenlernen, die Identifikation mit dem Ort und den gebauten Objekten besonders intensiv wirken zu lassen, was zugleich verbindet und die gemeinschaftliche Identität stärkt. Der Wert der Arbeitsprozesse wird also nicht allein an der Effizienz gemessen, sondern am Reichtum gemeinschaftlicher Erfahrungen, Erlebnisse, gemeinschaftlichen Austauschs und Erinnerung – letztlich an der gemeinschaftsbildenden Kraft und am individuellen Anteil daran.

 
 

Du interessierst dich für die Details bzw. weitere Facetten der Arbeit und Überlegungen?
Hier findest du den 89 Seiten starken Abschlussbericht zur einwöchigen Formenwerkstatt in Passeier:

 >>> Zum PDF

 

Die praktischen und theoretischen Erkenntnisse fließen in die Arbeit “Gärten und Höfe”, die Teil des Forschungsprojektes Surplus* – Dorf und Landstadt unter der Leitung von Hansjörg Alber Msc. und Thomas Gronegger Univ.-Doz. Dr. ist.

Surplus* – Dorf und Landstadt ist ein vierjähriges Forschungsprojekt, gefördert durch die Landesregierung Niederösterreich und die New Design University St. Pölten. Träger ist das ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich.

 


Die Beteiligten:

Student*innen der New Design University St. Pölten und der Transilvanian University Brasov                      

Fabian Herda, Carina Sponseiler, Christoph Pölzl, Janko Petrovic, Marija Milosavljevic, Ruben Bargetze, Dorothea Vohla, Florian Zirlik, Lorenz Dullinger, Laurenz Gensthaler, Adrian Ghintuiala, Teodora Panait, Brigitta Timar 

Forscher
Hansjörg Alber Msc., Universität für Weiterbildung, Krems
Alin Olarescu Prof. Dr., Transilvania University of Brasov, Faculy of Wood Engeneering
Thomas Gronegger Univ.-Doz. Dr., New Design University, St. Pölten

Handwerker
Gerhard Kofler, Maurer und Handwerker aus Riffian
Friedrich Lanthaler, Schindelmacher aus Rabenstein in Moos in Passeier

Permakulturgärtnerin
Christine Alber, Bewirtschafterin eines Permakulturgartens in St. Martin in Passeier

Projektpartner
MuseumPasseier

Zurück
Zurück

Die Jungen suchen nach dem Alten

Weiter
Weiter

Vergangenes Glück