Tausend Sterbebilder
Man hält so manche Totenzettel in der Hand und merkt, wie viele Unterschiede es zwischen einem Sterbebild von 1845 oder von 2023 gibt. Ich finde es stets interessant, mir alle Informationen auf den Sterbebildern durchzulesen und sie mir auch etwas genauer anzusehen. Alle Fotos: MuseumPasseier.
Über Silberfuchszüchter, schlafende Priester und Naturkatastrophen
Von Jana Haller
1.000 Sterbebilder. Ja, richtig gelesen! Das MuseumPasseier hat seine ersten 1.000 Sterbebilder gescannt und dokumentiert, genau genommen sind es sogar schon mehr. Jede Woche kommen neue Sammlungen von Privatpersonen hinzu und wenn man so viel Zeit und Mühe in das Digitalisieren von Sterbebildern steckt, ist dies ein schöner Erfolg. Deshalb ist dieser Artikel meiner Arbeit als Praktikantin zu den Sterbebildchen gewidmet, die bald Teil der Chronik.Passeier werden.
Wie sieht die Vorgehensweise aus, wenn man alte Sterbebilder vor sich hat? Der allererste Schritt ist stets das Aussortieren der Sterbebilder, nachdem das MuseumPasseier sie zur Leihe – und manchmal auch geschenkt – bekommen hat. Die Sterbebilder, die bereits gescannt sind, werden aussortiert, sowie alle in der Sammlung zu findenden Duplikate. Eine aufwändige Arbeit, da jedes Sterbebild zur Überprüfung in den Computer eingegeben werden muss. Mir persönlich hilft es immer, wenn wir im Team arbeiten: Jemand liest vor, der andere tippt ein.
Anschließend werden sie gezählt. Und ja, manchmal kann es ziemlich einschüchternd sein, wenn über 100 Sterbebilder ausgebreitet auf dem Tisch liegen, dabei verliert man schnell einmal den Überblick. Glücklicherweise ist man auch hier nie allein, auch die SoJuPPa-Praktikant*innen helfen fleißig mit.
Nun kommt es zum Scannen: Die Vorder- sowie auch die Rückseite des Totenbildes werden hochauflösend im TIF-Format gescannt, zugeschnitten und gespeichert. Dabei muss man aufpassen, dass die Sterbebilder exakt gerade liegen, keine Staubfusel auf der Glasplatte sind und dass kein Sterbebild im Scanner vergessen wird. Eine Geduldsarbeit, denn manchmal kommt das Gefühl auf, der Stapel Sterbebilder werde einfach nicht kleiner.
Dann folgt der Eintrag in die Tabelle. Die auf den Sterbebilder vorhandenen Informationen werden eingegeben, dabei ist es oft gar nicht so leicht, die alte Schrift zu lesen. Auch unterscheiden sich viele Schreibweisen von den heutigen. Zwei Beispiele dafür wären Oberprandacher oder Schifer. Die häufigsten Vornamen auf den Sterbebildern sind stets Alois, Johann und Josef bei den Männern und Anna, Maria und Theresia bei den Frauen.
Welches ist den nun das tausendste Sterbebild? Leider lässt sich das nicht mehr so genau sagen, da gleichzeitig gescannt und eingetragen wird und die Sterbebilder aus vielen verschiedenen Sammlungen kommen. Für das “offizielle” tausendste Sterbebildchen habe ich das des Johann Hofer aus St. Martin ausgewählt. Es ist so besonders aufgrund der Notiz unter seinem Namen: Silberfuchszüchter.
Hätte man beim Passeirer Johann Hofer nicht extra seinen außergewöhnlichen Beruf auf dem Sterbebild erwähnt, hätte ich mich wohl kaum für Silberfüchse zu interessieren begonnen.
Lange habe ich über diesen Beruf gerätselt. Als erstes vermutete ich, Silberfuchs sei die Bezeichnung für Pferde mit hell-fuchsfarbenem Fell. Doch es stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um Füchse handelt. Silberfüchse gehören wie alle Füchse zur Familie der Hunde und kommen ursprünglich aus Nordamerika und Nordost-Sibirien. Früher wurden sie in Europa wegen des Pelzes gezüchtet, sie galten als „Könige der Pelztiere“. Heute werden sie noch in Sibirien als Haustiere gehalten, in freier Wildbahn findet man die schwarzen Füchse mit den silber-glänzenden Fellspitzen nur noch selten.
Wer war nun dieser Johann Hofer? Er stammte vom Lanthaler, Gemeinde St. Martin, wo er am 24. August 1908 geboren ist, und lebte später auf Haseneben in der Kellerlahn. 1936 begannen er und der Dorfbauer Johann Schwarz gemeinsam mit Michael Tschöll (1904–1981, “Pëltin”) Silberfüchse auf dessen "Farm" im Fartleistal zu züchten.
Tierpelzfarmen waren anfangs in Deutschland sehr verbreitet. Aber auch wenn laut Zeitungsbericht die Preise für Silberfuchspelze 1931 um 20 Prozent gesunken waren, eroberten Silberfuchsfarmen in eben diesen frühen 1930er Jahren auch Südtirol, wie sich aus den damaligen Zeitungen herauslesen lässt. So beispielsweise scheinen ab 1932 Silberfuchszüchter in Pflersch auf, später auch in Klobenstein. In Nordtirol gab es bereits ab 1925 eine Farm im Lechtal.
Kaninchen, afrikanische Ziegen und Nerze sind das eine. Aber dass Silberfüchse, Waschbären und Moschusratten in Südtirol gezüchtet wurden, klingt doch unglaublich! Jedenfalls ist dies aus dem Bericht der 1. Reichstierpelzausstellung im November 1932 in Bozen nachzulesen. Ausgestellt waren damals immerhin schon 33 Silberfüchse. Gut möglich, dass Johann Hofer und seine Kollegen bei dieser Ausstellung zugegen waren und so auf die Idee gekommen sind.
Was findet sich sonst zur Passeirer Silberzuchtfarm? Auch unsere Fartleiser Farm in “Hinteråsche” bzw. “pin Pëltin Michl” kommt in Zeitungsartikeln zur Sprache: 1944 – nach Johann Hofers Tod am 3. Mai 1943 – war ein Silberfuchsrüde aus der Farm entkommen. Der Finder erhalte 2.000 Lire (damals ca. 100 Euro) Belohnung und solle sich beim Dorfbauer und Fleischhauer Hans Schwarz melden. Da die Tiere mit Fleischabfällen zu füttern und nach der Schlachtung aufzuarbeiten waren, lag eine Zusammenarbeit mit einem Metzger natürlich nahe.
Die Pelze wurden in Meran verkauft. Das sogenannte “Pelzen” der Felle war eine Kunst für sich, denn das Winterfell war nur einen kurzen Zeitraum im November/Dezember am Schönsten. Im Winter 1945 nahm die Silberzuchtfarm dann ein jähes Ende, als bei einem Einbruch über ein Dutzend Tiere gestohlen wurden.
Sterbebilder sind spannender als man denkt. Abschließend kann ich sagen, dass ich beim Sterbebilder-Scannen viel Neues kennenlerne, beispielsweise unbekannte Passeirer Berufe wie Silberfuchszüchter. Und es erfüllt uns alle, die wir einen Teil beigetragen, mit Freude, zu wissen, dass 1.000 Sterbebilder bereits digitalisiert sind und wir so dem Ziel, alle Sterbebilder des Passeier zu dokumentieren, schon etwas näher sind.
Besonders berühren mich die Geschichten von Kindern und Jugendlichen, die schon in jungen Jahren verstorben sind oder sehr früh in den Krieg ziehen mussten. Das Ablassgebet war früher oft auf Sterbebildern zu finden, heute kaum noch. Ein Ablass, oder auch Indulgenz genannt, wird für die Verstorbenen nach ihrem Tod gebetet. Es soll ihnen den Weg durch das Fegefeuer, welcher aufgrund der irdischen Schuld zu verrichten ist, verkürzen, somit werden die Sündenstrafen erleichtert. Auf den meisten Sterbebildern ist „300 Tage Ablass“ zu finden, also wird für 300 Tage jeden Tag das Ablassgebet gesprochen.
Bruno Winkler sticht besonders ins Auge, und das im doppelten Sinn. Das Foto auf seinem Sterbebild sieht fast danach aus, als wäre es erst nach dessen Tod entstanden, aufgrund der geschlossenen Augen und der liegenden Position. Doch das bleibt Interpretationssache. Geboren war Bruno Winkler in St. Martin am 26. August 1826. Nachdem er zum Priester geweiht worden war, verbrachte er den größten Teil seines Lebens als Seelsorger in Passeier, erst in Platt dann in St. Martin, wo er schließlich auch als Pfarrer tätig war. Er starb am 18. Juni 1897 an einer Krankheit.
Bei der Arbeit mit den Sterbebildern fiel mir auf, wie viele Menschen bei Naturkatastrophen wie Lawinen- oder Murenabgängen früher ums Leben gekommen sind. So auch Rosamunde Auer und deren Eltern. Alle drei starben bei einem Lawinenabgang am 21. Jänner 1951 in Untergurgl, die Tochter Rosamunde war erst acht Jahre alt. Das Ablassgebet sollte 7 Jahre und 7 Quadragenen (Ein Quadragena = 40 Tage) jeden Tag gesprochen werden. In Untergurgl kam es jedes Jahr zu mehreren Lawinenabgängen, die pro Winter im Durchschnitt sieben Menschen das Leben kosteten. Auch im Winter 1951 hielt der Landesbischof Dr. Rusch in Innsbruck einen Trauergottesdienst für die Lawinenopfer ab.