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Der Mafiajäger und das Meer
30 Jahre nach dem Mord an Giovanni Falcone bekommen wir persönliche Objekte des berühmten Mafiajägers.
30 Jahre nach dem Mord am bekanntesten Mafiajäger der italienischen Geschichte bekommt das MuseumPasseier persönliche Objekte von Giovanni Falcone. Zur Verfügung gestellt hat sie die Falcone-Stiftung in Palermo.
Von Josef Rohrer
Giovanni Falcone war 1957 als 18-Jähriger in die Marineakademie von Livorno eingetreten. Er hätte in der italienischen Marine Karriere machen können. Aber er verließ die Akademie nach kurzer Zeit, studierte Jura und wurde Untersuchungsrichter in Trapani und später Mitglied einer Sondereinheit der Justiz gegen die Mafia in Palermo. In den frühen 1980ern legte er über die Auswertung von Banküberweisungen enge Verbindungen zwischen der Cosa Nostra in Sizilien und der Mafia in den USA offen.
Er erhielt häufig Drohungen. Politiker und auch Teile des Justizapparates versuchten, ihn in seiner Arbeit zu behindern. Dennoch gelang dem sogenannten Pool Antimafia, dem neben Falcone unter anderem auch Paolo Borsellino angehörte, mit einem großen Prozess eine Schwächung der Mafia. Sie rächte sich auf ihre Weise: Im Mai 1992 explodierte auf der Autobahn bei Palermo eine Bombe. Falcone, seine Frau und drei Leibwächter starben. Zwei Monate später ermordete die Mafia mitten in Palermo auch Borsellino und fünf seiner Begleiter.
Falcones Schwester Maria gründete eine Stiftung. Die Erinnerung an Falcones mutigen Kampf gegen die Mafia sollte wachgehalten werden. Auf Anfrage des MuseumPasseier stellte die Stiftung für die Ausstellung „Helden & Wir“ jetzt die weiße Kappe mit der Aufschrift „Accademia navale“ zur Verfügung, die Falcone in Livorno getragen hatte, sowie seine Kennkarte: Persönliche Objekte aus einer Zeit „der Träume“, wie Alessandro de Lisi von der Stiftung schreibt, als Falcone seinem Leben noch eine andere Richtung hätte geben können.
Die Ausstellung „Helden & Wir“ handelt davon, wie Held*innen, Stars und Vorbilder heute gesehen werden.
Helden & Hasenfüße
“Wie viele Helden braucht ein Land?” fragt Selma Mahlknecht in der F.A.Z.
Selma Mahlknecht schreibt in der F.A.Z über Andreas Hofer, Benito Mussolini, neue Covid-19-Helden und Elena De Salvo.
Ein Himmel für Helden
Das Museum widmet sich einem für ein Talmuseum überraschenden Thema.
Wie wird aus der Saga eines angestaubten Volkshelden des 19. Jahrhunderts ein Museum für das 21. Jahrhundert?
Von Josef Rohrer
Der Sandhof ist für Tiroler Patrioten ein ehrwürdiger Ort. Hier kam Andreas Hofer zur Welt. Hier zwang das Schicksal ihn in die Rolle des David, der dem Goliath Napoleon die Stirn bieten musste. Hier in der Nähe, von Gott, Kaiser und Vaterland verlassen, nahmen französische Soldaten ihn nach der gescheiterten Rebellion von 1809 gefangen. In der Folge entwickelte sich der Sandhof zur Pilgerstätte. In einem kleinen Gedenkraum waren einige Hofer-Objekte zu sehen. An seinem Todestag halten Schützen vor einer Hofer-Kapelle traditionsgemäß Gedenkfeiern ab.
Das museale Potenzial dieses Ortes blieb aber überraschend lange ungenützt.
Erst 1995 entstand ein Verein mit dem Ziel, am Sandhof ein Talmuseum einzurichten. Nebenan auf einer Wiese wurden historische Gebäude, anderswo vom Abriss bedroht, zu einem für Passeier typischen Haufenhof vereint. In der Scheune des Sandhofs fand 2001 eine Sammlung volkskundlicher Objekte ihren Platz, und im ehemaligen Stall eröffnete ein kleines Hofer-Museum, bestehend aus reich bestückten Vitrinen.
Ein erstes Zugeständnis an die sich ändernden Sehgewohnheiten: Ein Film von knapp 20 Minuten erzählt mit feiner Ironie und teils schräger Animationstechnik Hofers Leben. (Stramme Patrioten kritisierten den Film umgehend als Frechheit.) Zwei Außenstellen – ein kleines Almmuseum in einem Seitental und eine Ausstellung über die Talgeschichte in der oberhalb von St. Leonhard stehenden Jaufenburg – unterstrichen die auf das Tal konzentrierte Ausrichtung des Museums.
Dann kam 2009.
Tirol gedachte ein ganzes Jahr lang mit viel Tamtam der Rebellion 200 Jahren zuvor. Eine gute Gelegenheit, Politik und Wirtschaft außertourlich um Geld anzugehen. Der Museumsverein erreichte für seine Hofer-Sektion einen unterirdischen Zubau mit rund 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Darauf sollte laut Grobkonzept „frei von übertriebenem Patriotismus und auch aus der Sicht der ehemaligen Feinde“ aufgezeigt werden, wie es zu den Aufständen gekommen war. Die Basis lieferten Historiker*innen aus mehreren Ländern, die den neuesten Stand der Geschichtsforschung zusammenfassten. Für die Umsetzung ließ Albin Pixner, der überaus rührige Präsident des Museumsvereins, mutig einem kleinen Team freie Hand (dem Passeirer Grafiker Albert Pinggera, der Schweizerin Marina Morard und dem früheren Journalisten Josef Rohrer). Dieses nutzte den Freiraum und ging weit über das ursprüngliche Konzept einer Darstellung der geschichtlichen Ereignisse hinaus.
„Für Helden gilt die umgekehrte Perspektive: sie werden immer kleiner, je näher man ihnen kommt.“
Zitate wie dieses lassen bereits am Eingang erahnen, dass auf diesem Museumsparcours keine Huldigung an den bärtigen Volkshelden zu erwarten ist, sondern eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Heldenkult im Allgemeinen. Dass Andreas Hofer zwar im Zentrum steht, letztlich aber nur ein Beispiel ist (daher der Titel „Helden & Hofer“), zeigt am Eingang auch ein Videoclip mit Posen heutiger Helden, unterlegt mit einem Hit von David Bowie. „We can be heroes just for one day“, lautet eine Textzeile.
Der bereits erwähnte, mit einem neuen Schluss versehene Hofer-Film ist nun fester Bestandteil des Parcours und führt in die Vita Hofers ein. Wenn nach dem letzten Schuss des Exekutionskommandos zu Mantua die Projektionsfläche zur Seite rollt und den Weg freimacht für die folgenden Räume, fragt jetzt die Erzählstimme, was aus Hofer wohl geworden wäre, hätte Napoleon ihn damals begnadigt. Mit Sicherheit kein Held. Denn einer wie er musste dramatisch sterben, damit er als Held weiterleben konnte. Eine Relativierung seiner Rolle und Vorgriff auf den letzten Teil des Rundganges, der die posthume Herrichtung Hofers zum Heroen zeigt.
Die Besucher erleben erst einmal lebendig aufbereitete Geschichte. Auf einer interaktiven Karte können sie beobachten, wie sich als Folge der Napoleonischen Kriege die Grenzen verschoben, wie Tirol von Österreich abgetrennt und zu dem mit Napoleon verbündeten Bayern geschlagen wurde. Zwei Welten stießen in der Folge aneinander: Hier das bäuerliche, verschlossene, von Aberglauben durchzogene Tirol, dort das aufgeklärte Bayern, dessen König nach französischem Vorbild einen modernen Staat formen wollte. In einer Trennwand – helle, weiche Farben im Stil des Empire auf der einen Seite, dumpfes Halbdunkel einer Bauernstube auf der anderen – sind kleine Texttafeln integriert. Um ihre Achse drehbar, enthalten sie auf der einen Seite die Begründung für die bayerischen Reformen, auf der anderen Seite die Wirkung dieser Reformen auf die Tiroler. Das gegenseitige Unverständnis ist greifbar.
Die näselnde Stimme von Robert Palfrader (Wir sind Kaiser) lässt den Erzherzog Johann lebendig werden. Johann hatte leichtes Spiel, die wütenden Tiroler zur Rebellion gegen Napoleon und seine bayerischen Vasallen zu überreden. Die österreichische Armee, so versprach er in einem historisch belegten Aufruf, würde ihnen zu Hilfe kommen. Die gleiche Stimme ist später noch einmal zu hören: In einem inneren Monolog des Erzherzogs, als er den Tirolern schreiben muss, der Kaiser habe allen Beteuerungen zum Trotz mit Napoleon Frieden schließen und auf Tirol verzichten müssen. Trotz des schwierigen Umgangs mit gleich vier Sprachen nutzt das Museum intensiv das Audio. So kommen in Hörstationen entlang des Parcours vier zentrale Frauentypen zu Wort. Sie bringen eine weibliche Sichtweise in die fast nur maskuline Rezeption von Anno 1809 ein.
Eines der bekannteren Gemälde von Albin Egger-Lienz zeigt den voran stürmenden Pater Haspinger, ein Kreuz wie eine Gefechtsfahne emporgestreckt, Tiroler Bauern mit Beilen und Dreschflegeln hinterdrein. Für das Museum wurde es als raumfüllendes Holzrelief ausgearbeitet. Mit ihrer Guerrilla-Taktik, gestärkt von blindem Gottvertrauen, haben die Tiroler den ortsunkundigen Truppen Napoleons einige Zeit das Fürchten gelehrt. Den von Andreas Hofer kommandierten Rebellen gelangen einige spektakuläre Siege. Zuletzt am Bergisel. Hofer zog als Landeshauptmann in Innsbruck sein. Seine bizarre Regentschaft dauerte gerade mal zwei Monate.
Die Besucher finden sich in einem Labyrinth wieder und erleben, wie es Hofer zuletzt wohl ergangen sein muss.
Von Wien lange im Unklaren gelassen über den bereits vereinbarten Frieden, daher Opfer von sich widersprechenden Gerüchten, wusste er bald nicht mehr ein noch aus. Die einen versuchten, ihn zum Aufgeben zu überreden, andere zwangen ihn, den aussichtslosen Kampf weiterzuführen. Hofer, ein Zerrissener, ein Zweifler.
Trotz des Scheiterns wurde seine Rebellion später zur Heldengeschichte umgedeutet.
Das wachsende Nationalgefühl des 19. Jahrhunderts brauchte Symbole, und die Tiroler, aber auch deutsche und englische Romantiker, fanden sie in dem bärtigen einfachen Mann, der sich für seine Überzeugung mit einer Großmacht anlegte. Den Mechanismen der Heldenproduktion ist das letzte Drittel des Parcours gewidmet. Mit Hilfe der Medien, bei Hofer vor allem Literatur, Malerei, Musik und Bildhauerei, entstand eine heroische Figur, die sich für vielerlei gebrauchen ließ: als Werbung für Kriegsanleihen im Ersten Weltkrieg, als Testimonial für antiitalienische Kampagnen, als Logo für Schnaps und Speck. Helden werden übernatürliche Kräfte zugesprochen. Gegen ihre Vereinnahmung aber sind sie machtlos.
Andreas Hofer ist wenigstens eines erspart geblieben: Viele der Figuren aus der ständigen Heldenproduktion fallen, kaum auf dem Sockel angelangt, schon wieder in Vergessenheit. Hofer dagegen ist auch nach 200 Jahren noch erstaunlich präsent. Im letzten Raum des Museums, einem modernen Pantheon, steht er im Kreis mit Superman, Juri Gagarin, Nelson Mandela und anderen und versucht eine Antwort zu geben, warum jede Zeit und jede Region sich ihre Helden macht.
„Einfach fantastisch, wie aus einem abgedroschenen Thema etwas absolut Neues und Spektakuläres entsteht.“
Solche Kommentare stehen häufig im Gästebuch. Die Jury des European Museum Forum, für dessen Preis das MuseumPasseier 2012 nominiert war, lobte den interessanten Bogen von Hofer zu den Helden heutiger Zeit – „für die Besucher eine angenehme Überraschung am Ende eines abgelegenen Alpentales“.
Von den Reaktionen ermutigt, ging der Museumsverein 2013 noch einen großen Schritt weiter. Die Abteilung für Volkskunde wurde aus der Scheune des Sandhofs ausgelagert, um Platz zu schaffen für „Helden & Wir“, eine logische Ergänzung zu „Helden & Hofer“. Wir, das ist das Publikum im Allgemeinen in seiner Bewunderung für Helden, Stars und Vorbildern, die heute in scheinbar immer schnellerem Tempo von der Medienmaschinerie hervorgebracht werden. Wieder gab es außerordentlich viel Freiheit für das Gestalterteam (den grafischen Part bei diesem Projekt spielte Gruppe Gut, Bozen). Es nutzte die große Raumhöhe der ehemaligen Scheune und hängte sechs große Konusse in den Giebel – Symbol für die Lichtkegel, in denen Helden und Stars für gewöhnlich stehen. Ihre Position im Giebel zwingt zum Aufschauen.
Jeder Lichtkegel handelt von einer Facette des komplexen Themas der Heldenverehrung: Was unterscheidet Helden von Stars, und wer ist auch ein Vorbild? Woher rührt Courage? Und wofür stehen eigentlich diese Figuren, zu denen wir aufschauen? Philosophische Fragen, auf die „Helden & Wir“ keine Antworten präsentiert. Die wenigen Texte in der Ausstellung versuchen vielmehr, die Besucher zur Reflexion über ihre eigenen Helden- und Vorbilder anzuregen. Das Wesentliche soll im Kopf passieren. Passend dazu hat das Museum spezielle Materialien für Schulen aufgelegt, die das Hinterfragen von Vorbildern in den Unterricht einbauen.
Als Ausgleich zur Kopflastigkeit sammelt das Museum persönliche Objekte heutiger Stars und Helden.
Von Hermann Maier zum Beispiel ist bis auf Weiteres ein Ski zu sehen, den er bei seinem legendären Sturz in der Kombi-Abfahrt von Nagano getragen hat, vom Dalai Lama eine kleine Gebetsmühle und von dem in Südtirol als Sporthelden gefeierten Geher Alex Schwazer ein Paar Turnschuhe, in denen er in Peking olympisches Gold über 50 Kilometer gewann. Dass Schwazer dann vor den Spielen in London wegen Doping gesperrt wurde, zeigt die Brüchigkeit vieler Heldenbilder.
Als nächstes steht am Sandhof ein neues Konzept für die Volkskunde an. Damit dem Tal in diesem Talmuseum von all den Helden nicht ganz die Show gestohlen wird.
Der Artikel ist erschienen in:
Neues Museum 14-1, Graz: S. 14-18, Ein Himmel für Helden