Der verschollene Fotograf

Franz Ploner: Ein mysteriöser großer Mann, den man wahrscheinlich längst vergessen hat und doch ist er mit seinen Fotografien präsent. Ausschnitt aus einem Studiofoto mit Franz Ploner. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

Ein mysteriöser Passeirer namens Franz Ploner.

Text und Fotokolorierung: Tobias Egger-Karlegger

Wie es der Zufall so will. Im Sommer letzten Jahres geriet ich an das Bilderarchiv der Familie Ploner, welches ich von einem Familienmitglied im Vertrauen erhielt, um die Fotos ein wenig zu sortieren und zu digitalisieren. Da es sich um zahlreiche Fotos und Postkarten handelte, zog sich die Arbeit über das Jahr hin und eigentlich wollte ich die Fotos schon wieder zurückgeben. Doch immer wieder fiel mir ein markantes Gesicht auf. Als ich die Fotos etwas sortierte, fand ich plötzlich den Namen heraus: Franz Ploner: Obst, Gemüse, Südfrüchte, Landesprodukte u. Kurzwaren steht auf einem Schild. Direkt darunter zu sehen ist wieder dieser große Mann wie auf dem Präsentierteller – unverkennbar.

 

Das wahrscheinlich zufällig aufgenommene Foto vom Geschäft beim Gasthof zum Strobl in St. Leonhard in Passeier um 1920 (vgl. Ansichtskarte von 1918), zeigt Franz, wie er das Geschehen vor seinem Laden beobachtet. Ein LKW (Modell Mannesmann-Mulag) mitten im Dorf war sicher eine Seltenheit zu dieser Zeit. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 

Seine Fotos in Chronik- und Geschichtsbüchern aus unserem Tal. Versteckt in den Bildverzeichnissen fand ich in verschiedenen Büchern seinen Namen, vor allem bei Bildern aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Ich stellte mir immer wieder die Frage: Wer war dieser Franz? Warum ist er auf so vielen Fotos zu sehen und warum gibt es nur Bilder von ihm in jungen Jahren?

Laut Fotos und Postkarten war Franz schon zu Kriegsbeginn 1914 beim 2. Regiment der Tiroler Kaiserjäger. Er muss damals also zumindest 18 Jahre alt gewesen sein. Der letzte Brief an die Eltern ist von 1918. Daher ist davon auszugehen, dass er bis Kriegsende im Wehrdienst war und somit fast vier Jahre im Krieg.

 

In der Mitte Franz Ploner im Jahr 1914, die beiden anderen Männer sind unbekannt. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

Eine Postkarte an die Eltern vom 28. Februar 1918 zeigt Franz Ploner (links) auf dem zugefrorenen Ossiacher See in Kärnten. Er schreibt im Brief beste Genesungswünsche an den Vater und bittet um Rückantwort, damit er einen Fronturlaub antreten kann, um den kranken Vater zu besuchen. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 

Das Fotoarchiv der Familie Ploner ist erstaunlich vollständig. Es gibt von fast jedem Familienmitglied Fotos von Kindes- bis ins hohe Alter bzw. auch Sterbebilder. Auf Nachfrage bei den Nachkommen habe ich die Information bekommen, dass der Franz Fotograf gewesen sei, jedoch den Verbleib wisse man nicht genau. Er soll auch mit Schmugglerware hantiert haben.

 

Das Hochzeitsfoto der Eltern von 1891 in Rabenstein. Der Vater Thomas war 15 Jahre älter als die Mutter Theresia. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

Vier Schneeberger Knappen um 1900, ganz rechts der Vater Thomas. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 

Wurzeln in Rabenstein. Da mir bekannt war, dass sein Vater Thomas Ploner ein Bergknappe bzw. Grubenaufseher am Schneeberg war, habe ich die Taufbücher der damals noch eigenständigen Gemeinde Rabenstein durchgenommen. Und siehe da, gefunden! Franz Thomas Ploner geboren am 26. Mai 1894 in Rabenstein, Sohn des Thomas Ploner (geboren am 2. Dezember 1853 in Villanders, gestorben am 15. September 1919 in St. Leonhard) und der Theresia Pfitscher (geboren am 23. Oktober 1868 in Rabenstein und gestorben am 21. Juni 1950 in St. Leonhard).

Der Eintrag zur Taufe von Franz Thomas Ploner im Taufbuch von Rabenstein.

Das Todesdatum von Franz Ploner fehlt im Taufbuch. Auch notierte der Pfarrer nachträglich folgenden Passus: hat die verlorene italienische Staatsbürgerschaft auf Grund des Art. 11 Gesetzesdekret Nr. 23 vom 2.2.1948, wie aus der diesbezüglichen Mitteilung der Präfektur von Bozen Optionen-Revisionsamt hervorgeht, wiedererlangt. Das bedeutet, dass er die Staatszugehörigkeit zu Italien durch die „Option“ im Zweiten Weltkrieg verloren hat und sie durch den entsprechenden Antrag wieder zurückerlangte. Also hat Franz das Land verlassen und ist nach dem Krieg wieder zurückgekehrt.

Familientragödie. Aufgrund mehrerer Familienfotos, reizte es mich, etwas über die Geschwister herauszufinden, um so vielleicht eine Verbindung zu Franz herstellen zu können. Besonders tragisch dabei ist der Tod der ältesten Schwester Maria, die im Hungerjahr 1918 im Alter von 20 Jahren an einer Lungenentzündung (wahrscheinlich der Spanischen Grippe) starb. Zuvor waren bereits ein Bruder (Alois 1892–1893) und eine Schwester (Barbara 1908–1909) im Kleinkindalter nach nur wenigen Monaten verstorben. Laut Sterbebild trat der Vater im Jahre 1909 seine Rente an und kaufte laut Grundbuch im Jahr 1913 das Windeggerhaus in St. Leonhard. Die Familie lebte also von da an nicht mehr in Rabenstein.

 

Das Familienfoto wurde wahrscheinlich 1917 beim Windeggerhaus in St. Leonhard aufgenommen. Der Vater ist allem Anschein noch gesund und die älteste Tochter Maria lebt noch. Stehend v.l.n.r: Franz (geboren 1894, Todesdatum unbekannt), Anna (1902–1936), Maria (1898–1918), Sepp (1904–1969), Balbina (1906–1996). Sitzend v.l.n.r.: Thomas (1853–1919) und Theresia (1868–1950). Auf dem Foto fehlt der um zwei Jahre jüngere Bruder von Franz, Alois, später bekannt als Förster (1896–1973), der sich wahrscheinlich gerade im Krieg an der Front befindet. Foto: Familie Egger-Karlegger, nachträglich koloriert.

 
 

Das wohl „skurrilste“ Foto aus der Sammlung der Familie Ploner. Ob der Bub schläft? Der Katze ist es jedenfalls egal. Fotograf: Ploner Franz, Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 

Rückkehr aus dem Krieg. Nach vier Jahren Kriegszeit kamen Franz und sein Bruder Alois zurück in die Heimat. Es wird für sie sicher nicht einfach gewesen sein, wieder ein geregeltes Leben zu führen und in der Gesellschaft in St. Leonhard Fuß zu fassen. Hinzu kamen der plötzliche Tod der Schwester Maria im selben Jahr und nicht mal ein Jahr später auch noch der Tod des Vaters Thomas nach langer Krankheit, der vermutlich an einer Staublunge erkrankt war.

 

Das Foto zeigt die Familie Ploner zusammen mit der Familie der Mutter Theresia Pfitscher „Locher“ aus Rabenstein, vermutlich nach der Beerdigung des Vaters Thomas Ploner beim Tirolerhof im September 1919. Alle tragen schwarze Schürzen bzw. schwarze Kleidung, nur Franz präsentiert sich ganz elegant im weißen Anzug. Vorne in der Mitte sitzend die Großmutter Anna Pöhl Wwe. Pfitscher (1839–1922) zwischen ihren Töchtern. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 

Aktives Gesellschaftsleben bei den Umgestülpten. Es scheint, als hätte sich Franz doch ganz gut in der Dorfgemeinschaft von St. Leonhard zurechtgefunden. Zu sehen ist er allerdings nicht nur auf den Mannschaftsfotos der Feuerwehr, sondern sein Gesicht findet sich auch bei einem etwas schräg klingenden Verein namens Die Umgestülpten – Vince Luna wieder. Laut der Zeitung Volksbote vom 17.05.1923 wurde dieser Verein am Auffahrtstage 1898 vom Arzt Dr. Eduard Neurauter, genannt „Zeus“, gegründet. Es ist die ’Vince Luna’ oder Gesellschaft der ’Umgestülpten’, ein Verein, der fröhliche Geselligkeit mit Gesang und Gemütlichkeit pflegt, so liest man im Artikel. Die Mitglieder dieses Vereins waren allesamt im Dorf angesehene Bürger und Beamte mit Rang und Namen. Welche Aufnahmebedingungen dieser Verein hatte, geht nirgends hervor.

Dass der Franz Teil dieser Gruppe war, wundert nicht, denn die „Plonerer“ sind allgemein sehr gesellige Menschen, so sagt man. Jedenfalls steht fest, dass in der Stammtischgesellschaft gerne Ausflüge und gesellige Abende verbracht wurden, so beschreibt es auch Bergrevierinspektor Hans Wallnöfer (1881–1949) in seinen Erzählungen. Im Jahr 1928 wurde der Verein der Umgestülpten aufgelöst. Grund dafür könnten Unstimmigkeiten mit den italienischen Behörden gewesen sein. 

 

Der Vince Luna Verein bei der 15 jährigen Gründungsfeier 1913. Da sich das Bild in der Sammlung der Familie Ploner befindet, ist anzunehmen, dass dieses Foto von Franz gemacht wurde. Zu sehen sind Persönlichkeiten des Tals, welche bereits vor dem Krieg im Militär aktiv sind. Die meisten von ihnen sollten sich ein Jahr später an der Front wiedersehen. Stehend v.l.n.r.: Pixner Luis – Teißwirt (1871–1941), Pfitscher Michael – Locher Much, Metzger (1877–1944), Hptm. Haller Leonhard – Egger, Prantach (1886–1948), Kofler Leonhard – Unterzögg (1880–1953), Delucca Eduard (1888–1953). Sitzend v.l.n.r.: Pixner Josef – Langer Neuner (1871–1957), Tschöll Vinzenz – Garber, Saltauserwirt (geboren 1876), Mader Vinzenz – Elektrotechniker (1868–1933) und Gstrein Vinzenz – Oberschramach (1855–1930). Fotograf vermutlich Franz Ploner, Fotobesitz Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 
 

Der Vince Luna Verein Mitte der 20er Jahre. Stehend hinten rechts Franz Ploner. Sitzend v.l.n.r.: Pirpamer Josef – Mader Peppi, Pixner Josef – Langer Neuner, Delucca Eduard und Kofler Leonhard. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 
 

Bei den „Steigern“ der Feuerwehr von St. Leonhard sieht man Franz hinten in der Mitte, als scheinbar größten Mann. Das Foto wurde 1921 vor dem Gasthof zum Strobl aufgenommen. Foto: Familie Egger-Karlegger, nachträglich koloriert.

 

Die letzten Fotos von und mit Franz. Im Bilderarchiv befinden sich nach dieser Zeit immer weniger Fotos, die auf den Fotografen Franz Ploner hindeuten. Eigentlich sollte er mit knapp 30 Jahren die Blütezeit seines Lebens erreicht haben, doch ich vermute, dass er nicht so gerne einer Arbeit nachgegangen ist, sondern sich lieber unter die Menschen mischte. Vielleicht hat er sich an kriminellen Machenschaften beteiligt, wie Schmuggel oder ähnlichem, was zu dieser Zeit durchaus üblich war, und musste deshalb untertauchen? Vielleicht hat er in seinem Laden nicht nur Südfrüchte und Kurzwaren verkauft, sondern auch Schmugglerware? Der letzte Hinweis, dass es sein Geschäft beim Strobl gab, ist ein Artikel im Volksbote vom 4. März 1920, in dem berichtet wird, dass in seinem Laden gewaltsam eingebrochen wurde und mehr als 500 Lire gestohlen wurden. Auch existiert eine Gewerbeliste von 1921, in der das Geschäft als Landesproduktenhandlung angeführt wird.

 

Auf dem Bild von Franz Ploner sind vier Samer, im Volksmund Kraxntrooger oder Schmuggler, zu sehen. War Franz vielleicht mit ihnen unterwegs? Fast sicher, sonst hätte er das Foto ja nicht machen können. Fotograf: Franz Ploner, Talarchiv Passeier, nachträglich koloriert.

 
 

Das Foto zeigt Franz Mitte der 1920er Jahre auf einer Kutsche talauswärts bei der Gerlosbrücke vor dem Reinstadlhof, den seine Schwägerin Theresia Egger 1925 erbt. Das Plonerhaus, wie es auch genannt wird, brennt 1956 vollkommen nieder. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

Zwei Alpini-Soldaten mit Skiern in den Gåntëlln, die zwei anderen hinten müssen es wohl noch lernen – dem Hund gefällt es. Fotograf: Franz Ploner, Besitz Familie Ploner, nachträglich koloriert.

Drei unbekannte Frauen beim Kaseregg und im Hintergrund ein Teil des Dorfes St. Leonhard Mitte der 1920er Jahre. Fotograf: Franz Ploner, Besitz Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 

Die Spuren verlieren sich. Neben ein paar Familienfotos Ende der 20er Jahre und Fotos mit einem Stempel mit dem Namen von Franz auf der Rückseite gibt es keine Spur mehr zu seinem Verbleib von ihm im Passeiertal. Im Jahr 1936 stirbt die Schwester Anna. Im selben Jahr wird der Name Ploner im Zuge der Italienisierung in Pioneri geändert, so geht es aus dem Eintrag des Bruders Alois im Taufbuch hervor. Dessen Sohn Albert (Neffe von Franz) wurde 1939 Mitglied der Faschistischen Jugend und erst 1944 wird der Name wieder in Ploner zurück geändert.

 

Vorne sitzend Franz Ploner mit einer unbekannten Gruppe von Personen, vermutlich Ende der 20er Jahre. Der Mann mit der Gitarre gehört zum italienischen Militär. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

Das Foto zeigt Franz mit einem Mädchen. Es könnte sein Patenkind gewesen sein. Informationen dazu gibt es leider keine. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 

In der Zwischenzeit muss sich Franz für die „Option“ ins Deutsche Reich auszuwandern entschieden haben. Wohin der Weg ihn geführt hat, ist nicht bekannt, ebenso wenig ob Franz wieder in die Heimat zurückgekehrt ist. Verwandte wissen zu berichten, dass Franz nach dem Zweiten Weltkrieg in der Umgebung von Innsbruck gelebt haben soll. 1950 stirbt die Mutter. Fotos von der Beerdigung gibt es leider nicht. Mit dem Brand beim Reinstadlhof vulgo Plonerhaus sind wohl auch einige Fotos und Erinnerungen in Flammen aufgegangen.

 
 
 

Der letzte datierte Befund, dass sich Franz im Passeiertal aufhält, ist ein Schreiben des Inhabers des Gasthauses Leiteben (heute verlassen und verfallen) unterhalb der Jaufenalm von 1927, in dem es um eine Fotobestellung geht: Guter Freund! habe heute im meinem Schreibsachen alte Fotografien gefunden bräuchte des halb die bestellten nicht zu machen die Aufnahmen werde ich wergieten Mit Grus Plangger Cass. Leiteben. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 
 

Das vielleicht letzte Foto von Franz Ploner (links) vor dem Denkmal in St. Martin am Schneeberg. Jahr und Fotograf unbekannt. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.

 

Von Franz Ploner bleibt die Erinnerung an einen mysteriösen großen Mann, der mit seinen Fotografien doch nicht so einfach aus unserer Talgeschichte vergessen werden kann.

 

Die Geschichte sollte hier eigentlich noch nicht zu Ende sein.
Wer Hinweise zu Franz Ploner und seiner Familie hat, mag sie uns bitte weitergeben.

 

UPDATES:
7. Juni 2023: Franz Ploner ist in Innsbruck im Ostfriedhof im Stadtteil Pradl begraben. Als Todesdatum ist der 24. Jänner 1970 angegeben, sein Grab Nr. 66 befand sich in Grabfeld 61, es ist nicht mehr erhalten. In den Adressbüchern von Innsbruck findet sich 1964 und 1970 ein Franz Ploner als Pensionist mit Wohnsitz in der Dorfgasse 7.

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