Unser Blog
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Schwerpunkte, denen wir uns ausführlich widmen: Ziegen, Helden, Dialekt, Kunstraub… Und hin und wieder Andreas Hofer. Weiter zur Kategorie themenkonzentriert.
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Wer ist die Frau auf dem Porträt und was steht in der alten Urkunde? Alles, was uns keine Ruhe lässt. Oder wir für euch finden sollen. Diese Artikel gehören zur Kategorie nachgeforscht.
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Über neue Objekte, die ins Museum finden und alt sind. Und über alte Objekte, die schon lang im Museum lagern, und neu entdeckt werden. Die gesammelten Artikel der Kategorie aufgesammelt.
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Was grad im Museum passiert, was die Presse notiert, wer das Museum zitiert. Das sind die Artikel der Kategorie zwischenbemerkt.
Ach, du Langer Neuner!
Eine Fotostrecke mit Suchspiel
Eine Fotostrecke mit Suchspiel
Von Tobias Egger-Karlegger
Sein markanter Bart und seine lange Statur sind unverkennbar. Die Rede ist von Josef Pixner, vulgo der Långe Nainer, geboren am 17. Juni 1871 in Pill auf dem Unterzaglhof oder besser bekannt als Nainer. Als Bergführer, Feuerwehrkommandant, Jäger, Schütze, Musikant, Tischler, Gastwirt und Gemeindevorsteher von St. Leonhard taucht er immer wieder auf alten Fotos auf und fasziniert mit seinem dominanten Auftreten.
Wer erkennt ihn auf folgender Fotostrecke? Die Auflösungen (Josef Pixner in Grün markiert) finden sich jeweils im Folgefoto (Pfeil nach rechts).
Josef Pixner und der Verein „Vince Luna“. Der Verein der „Umgestülpten“, wie er auch genannt wurde, war ein Verein für Geselligkeit, Ausflüge, Musik und Gesang. Die Mitglieder waren allesamt angesehene Personen aus Passeier (vgl. Blogartikel zu Fotograf Franz Ploner). Vermutlich hat sich der Verein aus einer Studentenverbindung des ehemaligen Gemeindearztes von St. Leonhard, Dr. Eduard Neurauter, abgesandt. Foto: Um 1923/24. Fotobesitz: Familie Ploner.
Das nächste Bild ist schon eine Spur schwieriger. Dieselben neun Gefährten, aber ohne Hut. Der Pfeil nach rechts führt zur Auflösung.
Josef Pixner bei der 15-jährigen Gründungsfeier der „Umgestülpten“ 1913. Der Verein wurde 1928 aufgelöst, nachdem Josef Pixner vor den Faschistischen Behörden ausgewandert war. Siehe auch Blog zum verschollenen Fotografen Franz Ploner. Fotobesitz Familie Ploner.
Immer noch einfach. Auf dem einzigen Gruppenbild, in dem ausnahmsweise mal die Frauen überwiegen, ist Josef Pixner schnell gefunden.
Frauenrunde aus St. Leonhard um 1925, mit Josef Pixner als Vorsteher. Foto: Karl Gögele. Fotobesitz: Pfarrarchiv St. Leonhard.
12 Personen sind auch noch überschaubar. Im nächsten Foto ist er deshalb gut auszumachen. Zum markierten “Grünen Neuner” gelangt man über den Pfeil rechts im Bild.
Josef Pixner und die Geistlichkeit. 1926 fand das Priesterjubiläum von P. Florian Salutt in Platt statt. Fotobesitz: Talarchiv Passeier.
Was findet Google zu “Langer Neuner”? So nennt man lange und 9 Pfund schwere Marine-Kanonen. Auf dem folgenden Foto aus Kriegstagen gibt es keine Kanonen, sehr wohl aber einen (jungen) Långin Nainer. Wer ihn nicht findet, klickt auf den rechten Pfeil.
Josef Pixner im Krieg. Während des Ersten Weltkrieges war der Långe Nainer Hauptmann im Batallion Passeier. Fotobesitz: Familie Egger-Karlegger.
Und weiter zum nächsten Gruppenfoto. Am 30. November 1926 werden mehrere Fotos mit Josef Pixner geschossen, mit weiteren Promis vor festlich geschmücktem Kirchlein.
Die Kapelle beim Puëcher in der Kellerlahn steht an ihrem Einweihungstag am 30.11.1926 im Rampenlicht. Fotobesitz: Heimatpflegeverein Passeier.
Das nächste Bild. 22 fröhliche Gesichter – und ausgerechnet der Långe Nainer macht ein langes Gesicht.
Josef Pixner mit Musikanten oder Schützen beim Wirt in Walten, direkt neben der Kirche. Fotobesitz: Familie Egger-Karlegger.
Nun sind wir schon bei 25 Personen. Diesmal sind es lauter neunmalkluge Köpfe – da darf der “Neuner” nicht fehlen.
Josef Pixner als Gemeindevorsteher. Der Långe Nainer vermutlich bei einer Lehrerkonferenz vor dem Gasthaus Edelweiß in St. Leonhard. Foto: Um 1925. Fotobesitz Familie Egger-Karlegger.
Wieder 25 Menschen auf dem Foto – samt sechs Instrumente. Und der Långe Nainer spielt natürlich nicht das kürzeste.
Josef Pixner als Musikant. Foto vom Gasthaus am Schneeberg, vermutlich um die Jahrhundertwende. Wahrscheinlich war es ein Ausflug vom Verein “Vince Luna“, denn es sind noch weitere bekannte Gesichter von Mitgliedern zu sehen, vgl. das erste Foto dieser Fotostrecke. Fotobesitz: Familie Ploner.
Josef und die 40 Feuerwehrmänner. Zuerst den Långin Nainer in Uniform und mit Helm suchen, dann über den Pfeil rechts im Bild zur Auflösung.
Josef Pixner als Kommandant. Gruppenfoto der Freiwilligen Feuerwehr St. Leonhard im Jahre 1921. Fotobesitz: Familie Ploner.
Was beim Kegeln gilt, gilt auch hier: Am besten alle Neune! Wer den Långin Nainer findet, ist schon weit gekommen.
Josef Pixner 1924 beim Priesterjubiläum von P. Vigil Kofler vor dem Gasthaus Platterwirt. Rechts neben Josef Pixner steht der damalige Gemeindearzt, Dr. Romedius Ebner, der im sogenannten Doktorhaus in St. Leonhard wohnte. Fotobesitz: Daniel Hofer.
Ach du grüne Neune! Wo inmitten des Grünzeugs und 43 Musikanten und Schützen steckt der “Lange Neuner”?
Gruppenfoto der Musikkapelle und einiger Schützen von St. Leonhard und St. Martin, möglicherweise entstand es bei einem Traubenumzug in Meran. Fotobesitz: Familie Egger-Karlegger.
Auch hier knifflig. Weniger die Suche nach Josef Pixner inmitten der 47 Personen – sondern das Rätsel, um welche Feierlichkeit mit Mädchen und Frauen es sich hier handelt.
Josef Pixner bei der Musikkapelle. Das Foto mit der Musikkapelle Andreas Hofer ist nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, vermutlich bei einer Erstkommunion oder Firmung Anfang der 20er Jahre. Der Långe Nainer als Stabführer, die drei Männer im Anzug vorne sind v.l. Johann Delucca, Leonhard Kofler – Unterzëgg und der Lehrer Stefan Wurzer. Foto: Alois Oczlon. Fotobesitz: Familie Egger-Karlegger.
Das fünfzehnte Foto, eine Hochzeit. Das Brautpaar lässt sich mit 45 Verwandten und Bekannten verewigen.
Eine Hochzeitsgesellschaft inklusive Streichmusik posiert im Schnee vor dem Platterwirt. Fotobesitz: Talarchiv Passeier.
Finale! Viel Spaß mit dem sechzehnten und letzten Bild: Dieses Gruppenfoto mit dem “Langen Neuner” inmitten von 120 Männern, zwei Frauen sowie zu Füßen des Andreas Hofer ist wohl nicht zu toppen.
Andreas-Hofer-Feier 1909 am Bergisel bei Innsbruck. Fotobesitz: MuseumPasseier.
Wir freuen uns, wenn weitere Långe-Nainer-Fotos auftauchen, die wir hier veröffentlichen können.
Lebensdaten zu Josef Pixner
1871
Josef Pixner wird am 17. Juni 1871 in Pill auf dem Unterzaglhof – besser bekannt als Nainer – geboren.
Jahrhundertwende
Der Tourismuspionier war nicht nur Fremdenführer, sondern auch beim Bau vieler Wanderwege und Schutzhütten wie der Stettiner und Zwickauer Hütte, wo er zeitweilig auch Hüttenwirt war, als Unternehmer tätig. Um die Jahrhundertwenden soll er zeitweise bis zu hundert Arbeiter beim Wegebau beschäftigt haben. So ist heute das Biwak am Rauhjoch auf 2707m nach ihm zu Ehren benannt.
1903
Am 24. Februar 1903 heiratete er in Untermais Maria Ennemoser vom Zornhof in St. Martin – Kinder hatten sie keine.
1914
Im ersten Weltkrieg war Josef Pixner Hauptmann beim Standschützenbataillon Passeier.
1920
Im September 1920 wurde er Wirt beim Gasthof Edelweiss (später Gebäude des Gemeindeamt und heutiges Postamt) in der Kohlstatt von St. Leonhard.
1922
Im Jahr 1922 wurde er zum Gemeindevorsteher (Bürgermeister) von St. Leonhard gewählt. Zuvor war er schon Obmann der Ortsgruppe der Tiroler Volkspartei. Zu dieser Zeit war er auch Feuerwehrkommandant von St. Leonhard.
1926
Durch die Auflösung aller Ämter durch die Faschisten musste der “Lange Neuner” im Mai 1926 den italienischen Beamten und Kommissionären weichen.
1928
Laut Zeitungsartikel in “Der Südtiroler” musste Josef Pixner aufgrund von Unstimmigkeiten mit den italienischen Behörden im April 1928 auswandern. Er soll vor der drohenden Internierung und Verbannung geflohen sein, nachdem er von den Faschisten beschuldigt worden war, italienfeindliche Propaganda betrieben zu haben. Am 26. April wurde er von einem Freund gewarnt und beschloss daraufhin, in der Nacht vom 27. auf 28. April eine „abenteuerliche und gefahrvolle Flucht über die Berge“ zu unternehmen. Seine Frau begleitete ihn auf der Flucht. Ihr Eigentum mussten sie zurücklassen. Es wird erzählt, dass er von der Zwickauer Hütte über den Seelenkogel nach Tumpen im Ötztal geflohen sei, wo er zum Teil dann auch gelebt hat.
1929
Auch in der neuen Heimat blieb er kein unbekannter Mann. Da er ein ausgezeichneter Redner war, wurde er auch als Gastredner eingeladen wie z.B. im Juli 1928 bei der Kundgebung der Tiroler Nationalräte zur „Antwort Tirols an Italien“ am Berg Isel mit mehr als 10.000 anwesenden Zuhörern. Oder beim Südtirolerabend in Kitzbühl im Februar 1929 und im März 1929 bei der Gründungsfeier des Andreas-Hofer-Bundes Reutte bzw. im September 1929 in Seefeld.
1931
1931 zog er sich als Gastwirt in Brixlegg zurück und betrieb dort den Gasthof „Hygna“. Danach verliert sich seine Spur nach und nach.
1957
Gestorben ist der “Lange Neuner” am 16. Dezember 1957 in Rattenberg.
Ans Licht geholt
Guter Hoffnung auf Hebammengeschichten.
Couragierte Frauen mit Verantwortung, die oft die Hosen anhatten: Helft uns Geschichten und Daten zu den historischen Hebammen von Passeier zu sammeln! Das Foto zeigt keine Hebamme, sondern drei Töchter der als “Klouzmuëter” bekannten Hebamme Maria Pixner (1867–1938): Maria (1905–1973), Theresia (1907–1969) und Notburga (1910–1994) Zipperle. Fotobesitz: Martina Caneva.
Guter Hoffnung auf Hebammengeschichten
Von MuseumPasseier
Aus einer schweren Geburt kommen die schönsten Kinder. Dass das auch für einen Blogartikel zu den Hebammen in Passeier gilt, hoffen wir sehr. Alexa Pöhl und Annelies Gufler haben bei ihrer Arbeit an den Taufbüchern von St. Martin, St. Leonhard und Schweinsteg für die chronik.passeier immer wieder die Namen der Hebammen gelesen. Seitdem gehen sie schwanger mit der Idee, mehr über die bislang unerforschten historischen Passeirer Hebammen herauszufinden.
Was gestartet ist mit der Hoffnung auf vielleicht ein Dutzend Hebammen, ist nun eine Liste mit 82 Namen. Alle in den obigen Taufbüchern von 1860 bis 1923 in der Spalte „Hebamme“ genannten Frauen sind gesammelt. Bei der Recherche zu weiteren Daten stecken wir nun aber fest: Das Museum hofft auf Informationen und Hinweise vieler, dass aus der Hebammensammlung ein Blogartikel mit Lebensläufen und Geschichten geboren werden kann.
Wer weiß, dass es in seiner Familie eine Hebamme gegeben hat?
Wer kennt Geschichten über eine Hebamme, die in Passeier praktiziert hat?
Wer hat Unterlagen oder Fotos, auf denen eine Hebamme erwähnt oder abgebildet ist?
Wir freuen uns auf Zuschriften oder einen Anruf!
HEBAMMEN
1860–1923 St. Martin, St. Leonhard, Schweinsteg
Die Namen sind geordnet nach Jahr, in dem die Hebamme das erste Mal in einem der Taufbücher von St. Martin, Schweinsteg oder St. Leonhard auftaucht. Auch Frauen, die sich selbst vermutlich nicht als Hebammen bezeichnet haben, aber laut Taufbücher „aushilfsweise“ oder „in Notfällen“ Geburtshilfe geleistet haben, sind in dieser Liste erfasst. Der Text unter Anführungszeichen bezieht sich auf weitere Angaben, die sich in den Taufbüchern oder anderen Quellen finden. Einige Hebammen, die manchmal mit ledigem und manchmal mit dem Namen ihrer Ehemänner aufscheinen, konnten wir zusammenführen: In diesen Fällen ist der verheiratete Name in Klammer gesetzt. Wir nehmen an, dass einige Hebammen „doppelt“ aufscheinen und es sich (beispielsweise bei den im selben Zeitraum im selben Dorf praktizierenden Hebammen Huber Maria und Ennemoser Maria) um ein und dieselbe Person handeln könnte.
Oberprantacher Gertraud
“von Ried” “geprüft”
1860 (Schweinsteg) 1860 (St. Martin)
Wilhelm Ursula
1860 (St. Martin)
Platter Anna
“von St. Martin” “geprüft”
1860 (Schweinsteg) 1860 (St. Martin)
Kuprian Agnes
1860 (St. Leonhard)
Buchschwenter Anna
“v. Moos”
1860 (St. Martin)
Karlegger Maria
“geprüft”
1860 (St. Martin), 1861 (St. Leonhard)
Platter (Gögele) Maria
1861 (Schweinsteg)
Ebner Anna
1862 (St. Martin)
Halbeisen Maria
1862 (St. Martin) 1883 (St. Leonhard)
Maister Anna
“Torggler” “Torgglerin” “Beistand”
1863 (Schweinsteg) 1890 (St. Leonhard)
Sinner Margareth
“von Riffian”
1863 (St. Martin)
Pamer Anna
1863 (St. Martin)
Götsch Ursula 1842–1913
1863 (St. Martin) 1865 (Schweinsteg) 1883 (St. Leonhard)
Kofler (Öttl) Maria
“Schweinsteg” “Gasserin”
1864 (Schweinsteg) 1913 (St. Martin)
Aigner Maria
“von Untertall”
1865 (Schweinsteg)
Ennemoser Anna
“von Platt”
1866 (St. Martin)
Leitner Anna
1867 (St. Martin)
Wachter Maria
1868 (St. Martin)
Gufler Maria
1869 (St. Martin)
Gritsch Maria
1869 (Schweinsteg)
Wallnöfer Franziska
1870 (St. Martin)
Klotz Angela
1871 (Schweinsteg)
Mair Maria
„Untermaierin“
1871 (Schweinsteg)
Tschöll Anna
1877 (St. Martin)
Raffl Ursula
“Praxmairin”
1878 (Schweinsteg)
Oberprantacher (Lanthaler) Ursula
“Mörre” “St. Leonhard”
1879 (Schweinsteg) 1879 (St. Martin) 1883 (St. Leonhard)
Larch Ursula
1879 (St. Martin) 1879 (Schweinsteg)
Rainer Antonia
1879 (St. Martin)
Oberrauch Afra
1879 (St. Martin)
Walther/Walter Anna
1879 (St. Martin)
Klotz (Gufler) Ursula
1880 (St. Martin) 1883 (St. Leonhard)
Gufler Anna
“von Schenna”
1881 (Schweinsteg) 1891 (St. Martin)
Noggler Aloisia 1828–1913
1882 (St. Martin)
Gögele Elisabeth 1862–1891
1885 (St. Martin)
Schöpf Anna
“von Riffian”
1885 (St. Martin)
Chinatti Leopolda/Leopoldine
“landschaftliche Hebamme”
1885 (St. Martin)
Prünster Maria
“Beistand”
1885 (Schweinsteg)
Lamprecht Kreszenz
1886 (St. Martin)
Kofler Filomena
1886 (St. Martin) 1887 (Schweinsteg)
Carli?
1887 (St. Martin)
Nock Maria
“Weireggerin”
1887 (Schweinsteg)
Pichler (Fiegl) Maria
“von Riffian”
1887 (St. Martin) 1901 (Schweinsteg)
Pixner (Hofer) Theresia/Theres 1853–1937
“von Platt”
1887 (St. Martin) 1916 (St. Leonhard)
Obalo Olimpia v. Ronchi
1887 (St. Martin)
Margreiter Maria
1888 (St. Martin)
Erb Maria
1890 (St. Leonhard)
Verdorfer (Markadella/Marcatella/Marcadella) Maria
“von Obermais” “von Mais”
1890 (Schweinsteg)
Frei Anna
1891 (St. Martin)
Schwarz Rosa 1861–1945
1891 (St. Leonhard) 1891 (St. Martin)
Karlegger Ursula
1894 (Schweinsteg)
Klotz Theres
1895 (St. Martin)
Mair/Maier (Kofler) Elisabeth
“von Untertall” “U.Mairin”
1896 (Schweinsteg)
Walter N.
1897 (St. Martin)
Pixner Anna
„Bäurin aus Vernur“ „aushilfweise“
1897 (St. Martin)
Alber Creszens
“v. Tirol”
1897 (St. Martin) 1920 (Schweinsteg)
Fürthner (Zöttl) Josefa/Josefine
1898 (Schweinsteg)
Raich Ursula
1899 (Schweinsteg)
Laimer Kreszens
„im Notfalle“
1900 (St. Martin)
Kuen Rosa
“in Schenna”
1901 (Schweinsteg)
Pflug/Pflueg Maria
“Außergstera”
1901 (St. Martin) 1908 (Schweinsteg)
Pixner (Schwarz) (Zipperle) Maria 1867–1938
“von Moos” “Klotzbäuerin in Moso”
1901 (St. Leonhard) 1906 (St. Martin)
Pircher Maria
1902 (St. Martin)
Pixner Maria
“von Magfeld”
1903 (St. Martin)
Ilmer (Raffl) Anna
“von St. Martin”
1903 (St. Martin) 1906 (Schweinsteg)
Pfitscher (Gufler) Maria
“v. Schöna” “Nothebamme” “v. Verdorf” “Wirthin”
1905 (Schweinsteg) 1905 (St. Leonhard)
Öttl Notburga/Burgi 1859–1940
“Hebamme in Merano”
1906 (St. Martin)
Schiestl Regina
1908 (St. Martin)
Auer Filomena
“in Schenna” “Finele”
1910 (Schweinsteg)
Oberhofer Maria
“von Riffian”
1911 (St. Leonhard) 1911 (Schweinsteg)
Huber Maria
1911 (St. Martin)
Ennemoser Maria
1911 (St. Martin)
Hofer Theres
“v. Platt”
1911 (St. Martin) 1912 (St. Leonhard)
Gufler Anna
“Walten”
1912 (St. Leonhard)
Lorenz (Tschöll) (Spinell) Rosina/Rosa 1883–1941
1912 (St. Martin) 1914 (Schweinsteg)
Kofler (Garber) Maria 1888–1972
1912 (St. Leonhard) 1914 (Schweinsteg)
Ilmer Pichler Anna
“von St. Martin”
1914 (St. Leonhard) 1916 (Schweinsteg)
Hofer Agatha
1914 (St. Leonhard)
Volgger Maria
“von Obermais”
1917 (Schweinsteg)
Veil Elisa(beth)
1917 (St. Martin)
Jäger Filomena
“Finele” “von Riffian” “von Tirol”
1918 (Schweinsteg) 1919 (St. Martin)
Alber Maria
1922 (Schweinsteg)
Plank Theresia
“von Riffian”
1923 (Schweinsteg)
Ab 1924 sind die Taufbücher nicht digitalisiert, aber wir haben weitere Hebammen in anderen Quellen gefunden oder erfragt und hier (ohne den berühmten Anspruch auf Vollständigkeit) gelistet.
Rainer (Lanthaler) Rosa 1905–1990
„Boudner Rouse“ „Kuntnermuater“
Laimgruber Maria
“v. Schöna”
Baldesari Itala
„Gemeinde-Hebamme von St. Leonhard“
Schenk Aloisia
„Stricker Luise“
Badstuber Anna
„Sterzing“
Fesele (Nagele) Rosa
„von Riffian“
Schöpf (Ungerer) Maria 1888–1962
„von Meran“
Pixner Hildegard 1917–2009
“Garber Hilde”
Gufler Anna
“Pisn Anne”
Orsetto Emma
”St. Leonhard”
Gasser (Lanthaler) Anna 1922–2011
”Moos”
Marth Anna
„Peterjörgele“ “Beistand”
Oczlon, wer?
Eine Kiste, ein Fotograf und viele Glasplatten.
Eine Kiste, ein Fotograf und viele Glasplatten.
Text: Judith Schwarz
Recherchen: Martin Bitschnau, Hermann Wenter, Manuel Thoma, Tobias Egger-Karlegger
Digitalisierung der Negative: Albert Pinggera
Einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zog ein Fotograf namens Alois Oczlon nach Passeier. Spuren im Tal finden sich in den Passeirer Kirchenbüchern und in einer einfachen Holzkiste mit seinem Namen als Absender.
„Inhalt: Platten!” steht als handschriftliche Notiz auf der Kiste. Und tatsächlich lagern in ihr 38 Glasplatten-Negative in Mittel- und Großformat, aber auch 13 Film-Negative und fünf Abzüge auf Karton. Eine bunt gemischte analoge Fotosammlung, allerdings in schwarz-weiß.
In dieser Holzkiste reisten vor Jahrzehnten zerbrechliche Glasplatten bzw. Fotonegative von St. Leonhard in Passeier an Herrn Josef Kaserer, Schmittmer in Tabland im Vinschgau. Zeitweise überließ die Besitzerin die Fotokiste dem Heimatpflegeverein Naturns-Plaus und anschließend dem MuseumPasseier zur Digitalisierung und Recherche. Die Schachtel mit den Glasnegativen in Großformat trägt den Namen Alois Oczlon Photograph St. Leonhardt Paseier und ist der einzige Hinweis auf den Fotografen. Von späterer Hand kam in schwarzer Tinte die Aufschrift Platten der Eltern hinzu. Eine weitere Verbindung zwischen Kaserer und Oczlon haben wir noch nicht gefunden. Fotos: MuseumPasseier.
Sind es die Aufnahmen von Alois Oczlon? Zumindest für die Glasplatten dürfen wir es annehmen. Auf deren Karton steht Herrn Alois Oczlon Photograph St. Leonhardt Paseier und sie sind passend nach der Jahrhundertwende entstanden. Ab 1910/11 war Alois Oczlon nämlich mit seiner Familie in Passeier ansässig. Das bezeugen die Kirchenbucheintragungen der Pfarre St. Leonhard bezüglich seiner Kinder.
Seltene Nachnamen sind für Recherchen ein Segen. So haben wir die Oczlon-Kinder schnell und eindeutig gefunden: Im Jänner 1911 wird der Sohn Heinrich Alois im alten Schießstand geboren, 1912 der Sohn Gottfried Angelus in einem gewissen Jagdenhaus, 1916 stirbt der zweijährige Sohn Innocenz an Masern im Bräuhaus.
Drei verschiedene Adressen in St. Leonhard? Und wo war das Labor (vielleicht auch Atelier) von Alois Oczlon untergebracht? Eine Aufnahme aus dem Besitz der Musikkapelle von St. Martin will es uns verraten: A. Oczlon, Fotograf ist auf dem Transparent am Balkon des Hauses zu lesen, um das sich Musikanten gruppiert haben. Monika Mader hat es aufgrund des Mauerrücksprungs und des auffallend nah dazu gebauten Holzgebäudes als den alten Schießstand in der Kohlstatt erkannt.
Alois Oczlon selbst stammt aus Znaim, damals Teil von Österreich-Ungarn, heute Tschechien. Martin Bitschnau hat ihn im Taufbuch der Stadtpfarre sv. Mikuláš (St. Nikolaus) entdeckt. Er ist am 02.06.1882 als Sohn eines niederösterreichischen Handschuhmachermeisters und einer Wiener Buchdruckertochter geboren. Im Jänner 1911, als er zum ersten Mal gemeinsam mit seiner Ehefrau in den Passeirer Kirchenbüchern als Optiker und Fotograf auftaucht, ist er somit 28 Jahre jung. Seine Ehefrau, Notburga Raich (geboren am 10.01.1873), knapp 10 Jahre älter.
Notburga Raich, das klingt nach Passeirerin. Das wäre zumindest ein Grund, warum Oczlon nach Passeier gezogen sein könnte, so hofften wir. Mit dem angegebenen Geburtsdatum ist Notburga in den Passeirer Taufbüchern jedoch nicht zu finden. Wenigstens aber scheinen dort die Namen ihrer Eltern auf (Angelus Raich und Maria Schaffenrath), sowie dass ihre Trauung mit Alois Oczlon im Herbst 1907 stattgefunden hat, und zwar im fernen Zürich.
Stammte Oczlons Frau von dort? Manuel Thoma, der sich Oczlons Schwiegereltern vorknöpfte, fand ein Edikt im Boten von Tirol: Als Notburga sechs Jahre alt war, wurde über ihre Mutter die Kuratel (Vormundschaft) verhängt, sie stammte aus Oberperfuss nahe Innsbruck. In Folge fand Manuel auch Notburgas Geburt im Oberperfusser Taufbuch. Wie und wo Notburga Raich, die Tochter eines Hirten, dann den Optiker Alois Oczlon kennengelernt hat, wissen wir nicht.
Was gibt es in Zürich zu Oczlon? Esther Stofner vom dortigen Stadtarchiv hat im Bestand der Einwohner- und Fremdenkontrolle gefunden: Alois Oczlon wohnte in Lausanne, meldet sich dann am 26.03.1907 in Zürich an, auf den Tag genau sechs Monate später heiratet er Notburga Raich, gleichzeitig wird das am 19.07.1907 in Innsbruck vorehelich geborene Kind Rafael legitimiert. Ein Jahr später, am 30.03.1908, zieht die Familie nach Meran um, zumindest laut Einwohnerakten von Zürich. Es muss ein turbulentes Jahr gewesen sein.
Dabei kommen die Reisen als Wanderfotograf erst später. Alois Oczlon scheint in all den Zürcher Dokumenten “nur” als Optiker auf, im Gegensatz zu Passeier, wo man “nur” Fotograf liest und nichts von Optiker. Für das Adressbuch des Jahres 1908 hatte er sich in Zürich noch mit Oczlon-Raich, Alois, Optiker, V, Schneckenmannstr. 4 eintragen lassen – das klingt, als hätte er sich zum Umzug nach Meran im Frühling 1908 erst kurzfristig entschlossen.
In Meran dann ein merkwürdiger Eintrag. Im Adressverzeichnis der Kurstadt taucht er 1909 als Bäckergehilfe, wohnhaft in der Langen Gasse 307, auf (Villa Santele, heute Dante-Alighieri-Straße am Brunnenplatz in Obermais). Dass es ein Namensvetter ist, ist unwahrscheinlich. Eher, dass Oczlon als Optiker in Meran – neben dem optischen Institut Ludwig Graf – nicht Fuß fassen konnte. Und er möglicherweise zu dem Zeitpunkt auf Fotograf umgeschult hat.
Auch als Fotograf wird er Konkurrenz gespürt haben. Zu der Zeit beherrschen die Meraner Ateliers Bernhard, Ratschiller, Perckhammer usw. das Geschäft mit der Fotografie. Vielleicht zieht es ihn deshalb nach St. Leonhard in Passeier. Eine seiner ersten Fotografien im Burggrafenamt, die eine Auftragsarbeit gewesen sein muss, zeigt eine Schulklasse und wurde im Schuljahr 1909/1910 in Schenna aufgenommen. Auch eine Aufnahme von ihm von Saltaus aus dieser Zeit ist bekannt.
Wie lange bleiben die Oczlons in Passeier? Im Jänner 1911 lesen wir in den Passeirer Kirchenbüchern zum ersten Mal den auffälligen Nachnamen Oczlon, im Oktober 1922 bei Gottfried Oczlons Firmung in St. Leonhard zum letzten Mal. Ein Jahrzehnt Fotografentätigkeit ergab damals hunderte Aufnahmen. Wo mögen die restlichen wohl sein, die Alois Oczlon im Laufe von über zehn Jahren in Passeier gemacht hat? Wenn nicht die empfindlichen und zerbrechlichen Glasplatten-Negative, dann wenigstens die Abzüge auf Karton und Papier?
Was wir nicht vergessen dürfen: Oczlons Aufenthalt im Tal fällt in die Zeit des Ersten Weltkriegs, in den auch er einzurücken hatte. Ein Sohn von Heinrich Oczlon (1911–1993) gab uns die Information, dass sein Großvater von 1915 bis 1918 als Kriegsberichterstatter an der Südfront gewesen sein soll. Und er scheint in den Verzeichnissen der Militärakten als Heimkehrer auf: Oczlon Alois, Fotograf, Standschützenbataillon Passeier.
Dann half uns Pinterest weiter. Es existiert eine Tochter, Martha Oczlon, 1909 in Innsbruck geboren – so jedenfalls zu lesen in einem Pin von @amelia sunderbug, einer Nachfahrin von Martha, die nach Minnesota ausgewandert ist. Auf ihrer Pinwand “Portraits. Family and friends from the past” finden sich Familienfotos, zum Großteil der Jahre in Passeier.
Mein Louis! steht auf einer Porträtaufnahme eines jungen Mannes. Wir nehmen an, es ist Alois Oczlon. Die Fotos der Kinder zeigen sie in Reih und Glied vor einer Mauer, vor der Apostelkapelle in Hinteregg, mit der jungen Mutter Notburga Raich, die kleine Martha barfuß auf dem Boden sitzend beim Kartoffelschälen und dann wieder herausgeputzt im Pelz oder auch als Jugendliche in Festtagstracht am Ufer eines Baches.
Nach einem Jahrzehnt in Passeier zieht es Oczlon weiter. So taucht er 1922 in Brixen auf, später in St. Martin in Piccolein, St. Vigil in Enneberg und St. Johann im Pongau. Alois Oczlon stirbt am 10.11.1961 in Bruneck. Seine Frau, Notburga Raich, war bereits 1956 verstorben.
Noch mehr Rätsel als Oczlon selbst geben seine Fotografien auf. Wir vermuten, dass die Fotos insgesamt nicht miteinander zusammen hängen. Und mehr noch: Dass sie möglicherweise nicht alle von Alois Oczlon selbst stammen. Nichtsdestotrotz zeigen wir in diesem Blogartikel alle Aufnahmen aus der besagten Kiste:
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Es sind durchwegs Studioaufnahmen von bürgerlich gekleideten Menschen vor Leinwandkulisse, entstanden sind sie vermutlich vor dem Ersten Weltkrieg. Es ist schwer vorzustellen, dass sie in Passeier aufgenommen worden sind. Vielleicht sind sie in Meran oder Innsbruck entstanden, vielleicht fotografierte Oczlon auch schon vor seiner Zeit in Südtirol und sie stammen aus Zürich oder Lausanne. Die jeweiligen Stadtarchive haben allerdings keine der abgebildeten Personen erkannt.
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Diese sind unterwegs entstanden. Oczlon muss als Wanderfotograf das Burggrafenamt samt Vinschgau bereist haben. Die Aufnahmen zeigen Einzel- und Gruppenfotos sowie Schnappschüsse, die im Freien und hauptsächlich in dörflich-bäuerlicher Umgebung aufgenommen worden sind. Zeitlich passen sie sehr gut in die 1910er und 1920er Jahre, als Oczlon in Passeier ansässig war.
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Sie stammen aus späterer Zeit, vermutlich aus den 1940er Jahren. Der Großteil der Fotos lässt sich im Vinschgau – Umgebung Tabland – lokalisieren. Es ist denkbar, dass diese Aufnahmen später in die Holzkiste gelangt sind – nämlich als diese beim Schmittmerhof in Tabland aufbewahrt worden ist – und auch nicht von Oczlon stammen. Dasselbe gilt für die fünf Fotopositive auf Karton, die teilweise sogar Fotografen- bzw. Verlagsangaben aufweisen.
Gespannt waren wir natürlich auf die Fotos mit Passeirer Bezug. Hierzu haben wir nur einige wenige Fotos gefunden. Darunter auch eines vor dem Gasthaus Sandwirt.
Einige Fotos wurden offensichtlich in Kompatsch, in der Gemeinde Naturns aufgenommen.
Weitere Orte und Menschen konnten wir mit Hilfe einiger Gewährspersonen identifizieren oder zumindest Vermutungen anstellen.
Noch nicht lokalisiert und identifiziert sind die folgenden Abbildungen:
Zu den bürgerlichen Porträts im Atelier haben wir noch keine Ergebnisse, weder was den Aufnahmeort bzw. die Kulissen, noch die abgebildeten Personen betrifft.
In der vorliegenden Sammlung finden sich zuletzt fünf Abzüge auf Karton, darunter auch dieses Porträt von Alois Blaas, mit Angabe O. KLOSE PHOTOGR. INNICHEN. Auf der Rückseite die handschriftliche Notiz: Gehört Anna Griner Naturns.
Wir freuen uns auf Fotodetektive,
die mit uns weiter über die Bilder und den Fotografen Alois Oczlon rätseln.
UPDATE 10.11.2023:
Walter Innerhofer aus Schenna hat uns die Rückseite einer Aufnahme von Alois Oczlon geschickt, wobei dessen Nachname hier ohne “c” gedruckt ist. Die auf der Vorderseite abgebildete Schulklasse ist im Dorfbuch von Schenna auf das Schuljahr 1909/10 datiert, demzufolge hatte unser Fotograf zu der Zeit wohl in Schenna sein Labor, bevor er nach St. Leonhard in Passeier gegangen ist.
UPDATE 22.11.2023:
Roland Unterweger vom Tiroler Landesarchiv in Innsbruck hat gefunden, dass Notburga Raich laut Meldeschein vor 1908 als Dienstmädchen in Innsbruck beschäftigt war.
Weiters: Im Exhibitenprotokoll, dem Geburtenbuch (S. 84, Nr. 981) und dem Verpflegtenbuch der Landesgebäranstalt Wilten von 1909 ist die Geburt von Martha Maria Oczlon bzw. Ozlon am 06.10.1909 (Nr. 991) eingetragen. Alois Oczlon ist hier als “Optiker bei St. Georgen b. Schönna” angegeben. Weitere Informationen aus diesen Büchern: Martha wird gefirmt in St. Leonhard in Passeier am 29.10.1922 und heiratet am 07.06.1941 in St. Johann in Pongau Erwin Josef Mutschlechner.
UPDATE 08.02.2024:
Univ.-Prof. Gertraud Fenk-Oczlon, eine Enkelin von Notburga Raich und Alois Oczlon, hat sich gemeldet und gab uns folgende Informationen und Fotos:
Mein Großvater, Alois Oczlon, ist in Znaim geboren und in Olmütz in Mähren mit sechs Brüdern und einer Schwester aufgewachsen. Sein Vater besaß dort eine Handschuh- und Bandagen Erzeugung. Nach abgeschlossener Optikerlehre arbeitete er – wie damals üblich – als Wandergeselle bei Optikern in Klausenburg, Brünn, Linz (Optik Geier 1902–1903), Meran (Optik Graf 1904–1906 und 1908–1910?), Lausanne (Optik Gautschy 1906/07), und Zürich (Optik Goldschmidt 1907/08). Diese Angaben habe ich von zahlreichen Ansichtskarten und Briefen, die an die Adressen in Klausenburg, Linz, Meran, Lausanne und Zürich adressiert waren.
Mein Großvater war ein begeisterter Bergsteiger, wie die Aufzeichnungen in seinem „Merk-Buch für Bergsport“ ab 1902 zeigen. Seiten aus dem Jahr 1904/05 verraten, dass er zu jener Zeit, als er im optischen Institut Graf in Meran gearbeitet hat, zahlreiche Bergtouren im und rund um das Passeiertal gemacht hat (Mutspitze, Hohenwilde, Rötelspitze, Roteck, Hirzerspitze etc.). Es dürfte ihm im Passeiertal so gut gefallen haben, dass er dort dann später (1910) einen Fotografenbetrieb gegründet hat. Während des Krieges war er unter anderem bei der k.k. Wach & Ersatzabteilung für Standschützen in Trient, bei der K u k Bergführerkompanie II sowie als Kriegsfotograf im Einsatz.
Meine Großmutter, Notburga Raich, geboren in Oberperfuss, ist in Leins im Pitztal aufgewachsen und war als „Herrschaftsköchin“ unter anderem in Bristol, England (1896?–1903), Innsbruck (1904–1905) und Riva am Gardasee (1906) tätig. Ihr Vater Angelus Raich war zeitweise „Meisterjodler“ in England. Meinen Großvater hat sie angeblich in Innsbruck (Anfang 1905) in einer Gaststätte kennengelernt, in die er nach einer Bergtour eingekehrt war. Es war, so wird berichtet, Liebe auf den ersten Blick zwischen dem 22-Jährigen und der 32-Jährigen. Sie haben von da an viele gemeinsame Bergtouren und Ausflüge gemacht (z.B. auf die Hirzer Spitze, Spronser Seen) und auch am Gardasee, wo meine Großmutter ab 1906 in der Villa Miralago in Riva als Köchin gearbeitet hat. Meine Großmutter konnte gut Englisch, in ihrem Nachlass befinden sich viele englische Bücher mit handschriftlichen Anmerkungen und sie hat auch Ansichtskarten und Briefe an meinen Großvater in englischer Sprache geschrieben. Notburga Raich hat ihren Mann auch tatkräftig im Fotobetrieb unterstützt, Bestellungen und Korrespondenzen erledigt und retuschiert.
Ich habe mir einige der ca. 200 "Feldpostkorrespondenzkarten", die sich meine Großeltern in der Zeit während mein Großvater im Krieg war geschrieben haben, genauer angeschaut: Es zeigt sich, dass meine Großmutter neben Kindern und Haushalt tatsächlich den Fotobetrieb alleine weitergeführt hat, Bestellungen und Lieferungen für meinen Großvater im Rahmen seiner Arbeit als Kriegsfotograf erledigt hat – aber auch selbst Aufnahmen gemacht, entwickelt, vergrößert etc. hat.
Einige Auszüge von fünf Karten:
23.10.1916: Habe soeben Kasetten, Fachblatt u. Chemikalien zur Post gebracht. Hoffe das alles in gutem Zustand ankommt. Gläser und Blechdosen bewahre gut auf – von Cottbus ist nichts mehr gekommen, ich hab' nur wenige Karten mehr, Pater Christoph möchte auch welche. […]
11.10.1917: Während ich mit Dir in Meran war versäumte und vergaß ich hier 2 Aufnahmen zu entwickeln und hab' dadurch 3 Auf verdorben, weiss nicht ob sich's noch gut machen läst, das heisst: wenn mir die Leute ein 2tes mal kommen, schon. Das Objektivbrettl hat Pöhl fertiggemacht, nur ausschneiden kann er es nicht. [...]
04.01.1917: Habe fest im Sinn Kinder nach Leins zu geben anfgs. Mai. Bilder sind alle verliefert, war eine große Arbeit. [...]
18.01.1917: Habe viel Arbeit, was am meisten aufhält sind die Reproduktionen. Die vielen Misserfolge, glaube sind der Entwickler schuld. Werde diesmal noch Platten und Chemikalien von N.G.G. bestellen. [...]
21.02.1917: Heute kommt Näherin, – Holz ist keines zu bekommen, mit Apparat bin ich und manche Leute nicht zufrieden Bilder sind so klein. [...]
Auf einer weiteren Karte habe ich folgende Nachricht an meinen Großvater bezüglich der Wohnung in St. Leonhard gefunden:
24.10.1915: Im alten Schiessstand machen sie die Wohnung nicht leer u. ich will auf keinen Fall in den Schmutz anderer Leute hineinziehen; – diese Woche kann die Hausfrau jeden Tag kommen und kein Mann ist zu bekommen die schweren Sachen hinunter zu bringen, hab gestern den „Rotschild" gefragt, vielleicht! […]
Der Michiler
Eine Hommage an einen Alleskönner.
Eine Hommage an einen Alleskönner.
Von Hans Schwarz
Meine erste Begegnung mit einem Doktor, an die ich mich erinnern kann, war eine Visite beim Michiler in St. Martin. Dieser Michiler, mit richtigem Namen Alois Pichler, auch Michile Luis genannt, war einer der bekanntesten Passeirer seinerzeit und gleichsam als Arzt ohne Studium und Titel weitum geschätzt. Mein Vater kannte den Luis sehr gut und hatte großes Vertrauen zu ihm und seiner Heilkunst. So begleitete er mich als Kind 1950 wegen eines Hautproblems nicht etwa zum Gemeindearzt Dr. Wallnöfer, sondern eben zum Michiler. Dieser wohnte im Außerdorf oberhalb der Dorfstraße im alten Festlhaus (heute Dorfstraße 19).
Ich erinnere mich noch, wie sich dieser alte freundliche Herr in seiner Stube meinen entzündeten Unterarm ansah. Er nahm eine Salbe aus einem Taatl (Schublade) und sagte zum Vater: A Woche lång jeedn Toog uënmåll schmirbm (einreiben). Dann unterhielten sich beide noch längere Zeit, bis der Vater ein paar Lire auf den Tisch legte und mit mir nach Hause ging.
Bei einem Gespräch im MuseumPasseier ging es vor einiger Zeit um Passeirer Persönlichkeiten, die kaum bekannt sind. Da fiel mir spontan der Michiler ein. Aber wo und wie könnte ich etwas über ihn erfahren? Er war ja schon 1954, also vor bald 70 Jahren, verstorben.
Ich hatte Glück. Die zwei Zeitzeugen Max Karlegger (Plåtzer Max, Sohn von Michilers Tochter Anna) und Oswald Egger-Karlegger (Schaiber Oswald, Ehemann von Michilers Enkelin Maria), beide Jahrgang 1929 und zur erweiterten Michile-Familie gehörend, konnten mir einiges über den Luis erzählen. Michilers Enkelin Rosa Pichler (Tochter seines Sohnes Luis) stellte mir wertvolle private und amtliche Dokumente und Fotos zur Verfügung. Tobias Egger-Karlegger, Jungbauer auf Brantleit, versorgte mich mit historischen Zeitungsartikeln und Fotos. Judith Schwarz stöberte in den Tauf-, Heirats- und Sterbebüchern und fand weiters musikalische Zeitzeugnisse und Aufnahmen. Von Harald Haller bekam ich wertvolle mündliche und schriftliche Infos und Hinweise zu den Michilern, u.a. Rezepte.
Der Michiler ist das letzte Glied einer Passeirer Bauerndoktor-Dynastie. Diese beginnt mit dem Ururgroßvater Matthias (Matthäus) Pichler, geboren am 01.09.1710. Er lebte in der Mörre und war mit Maria Mangger aus Gomion verheiratet. Matthias, auch als Mërrer Hiës erwähnt, war ein geschätzter Bauerndoktor, viele suchten bei ihm Hilfe für Vieh und Mensch. Laut Überlieferung soll er 1739 von einem unbekannten jungen Mann ein Marienbild gekauft haben. Wegen seiner Heilkunst und des Gnadenbildes kamen immer mehr Leute auf die Mörre, so dass der Hias 1750 eine kleine Marienkapelle baute, die zweimal erweitert wurde. Das heutige Kirchlein wurde 1848 errichtet.
Die Kunst des Heilens gab der Mërrer Hiës an seinen Sohn weiter. Benedikt Pichler, geboren 1752 und verheiratet mit Maria Heel, wiederum gab sie seinem Sohn Michael weiter. Dieser Michael Pichler, geboren 1782 auf der Mörre, war dreimal verheiratet. Über die zweite Frau Anna Oberprantacher wurde er Inhaber der Krämerei im Kurzerhäusl in St. Martin, also Krämer von Beruf. Im Meisterbrief vom 15. Juni 1818 wird vom Landgericht Passeier bestätigt, dass Michael die Schlosser- und Büchsenmacherkunst erlernt und zur Zufriedenheit des Publikums ausgeübt hat.
Mit Michael Pichler begann wohl die Familienbezeichnung Michiler. Bekannt ist die Michilepixe, ein Perkussionsgewehr, mit der Aufschrift „Hindurch in Jesu Namen ist der beste Anfang Amen“. Am Metallknauf der Mörrer Kirchentür sieht man heute noch die Initialen „18MP48“. Auf Gadenacker, einem vom Schildhof Buchenegg abgetrennten Hof, wurde Michael um 1835 Vormund des minderjährigen Erben Johann Hafner und erwarb das halbe Fischereirecht des Hofes. Er muss ein handwerklich geschickter Mensch, ein geschätzter Bauerndoktor und umgänglicher Zeitgenosse gewesen sein. Er starb 1850.
Auf Michael Pichler folgt Alois Pichler (1833–1908). Dieser scheint laut Kaufurkunde vom 12.10.1886 als Käufer des Schmiedhäusl zu Eis, das spätere Michile-Häusl, neben dem Eiserer Hof auf. In einem Schreiben der Gemeinden Schenna, Algund, Marling und St. Leonhard vom 04.04.1885 wird in einer für damals typischen Amtssprache bestätigt, dass Alois den Beruf des Büchsenmachers ausübt und als Bauerndoktor, dank seiner von Natur angeborenen und von seinem Vater und Großvater ererbten Kenntnisse in der ärztlichen Heilkunde, mehrere Personen von äußerlichen und innerlichen chronischen Leiden durch gute Ratschläge und mitunter Anwendung von “unschuldigen Hausmitteln” geheilt hat. Es wird betont, dass er für die körperlich leidende Menschheit nicht aus Eigennutz oder Gewinnsucht, sondern aus Mitleid wohltätig gewirkt hat. Auch die Zeitung „Der Burggräfler“ berichtet in der Ausgabe vom 14.03.1908 vom Todesfall des weit und breit bekannten Bauerndoktors Alois Pichler, vulgo Michile Luis.
Dessen gleichnamiger Sohn, unser Michiler, kam am 2. März 1870 zur Welt. Die Kindheit verbrachte er bei den Eltern Alois und Agatha Raffl im Michile-Häusl beim Eishof. Es ist anzunehmen, dass er sich schon in der Jugendzeit besonders für Tiere interessierte. Im Jahre 1900 erwarb er nach dreijähriger Lehrzeit beim Fleischhauer Johann Götsch in St. Martin das Lehrzeugnis „vorschriftsmäßig durch Fleiß und Arbeitsamkeit“. Oswald Egger-Karlegger weiß, dass er ein Jahr lang mit einem Tierarzt im Sarntal unterwegs gewesen sein soll. Auf einem Heimatschein von 1901 wird bestätigt, dass Alois Pichler, Thier-Arzt, in St. Martin das Heimatrecht besitzt. Auch in einem Protokoll des k.k. Gemeindeschießstandes von 1906 scheint er als gewählter Oberschützenmeister unter dem Namen Alois Pichler, Tierarzt auf. Luis muss demnach Ansehen und Ruf eines Tierarztes gehabt haben.
Eine große Passion hatte der Luis für das Schützenwesen. Der gerade erwähnte Gemeindeschießstand von St. Martin lag ihm besonders am Herzen. Als Oberschützenmeister organisierte er mit seinem Ausschuss größere Fest- und Freischießen. Erwähnenswert ist jenes im Herbst 1910 zu Ehren der Fürstin Metternich-Sandor, der Enkelin des ehemaligen Staatskanzlers; ein historisches Foto zeigt die Martiner Schießstandsvorstehung mit den von der Fürstin gestifteten Bestgaben.
Michile Luis war auch einer der Gründungsväter der 1924 neu gegründeten Schützengesellschaft für Passeier. Aus den Schützengesellschaften St. Leonhard, St. Martin, Platt, Moos und Rabenstein wurde per königlichem Dekret die „Società consorziale di Tiro a Segno Nazionale“ mit Sitz in St. Leonhard. Mit 30 Jahren heiratete er Christine Pfitscher aus Rabenstein. Acht Kinder entstammten dieser Ehe: die Söhne Luis, Sepp und Franz und die Töchter Anna, Rosa, Christine, Maria und Theresia.
Der Michiler als Familienvater.
Foto 1: In der vorderen Reihe die Töchter Anna, Rosa, Maria, Christine und Theresia sowie die Ehefrau Christine Pfitscher. In der hinteren Reihe stehend von links die Söhne Alois, Josef und Franz. Fotosammlung: Tobias Egger-Karlegger.
Foto 2: Die Familie Pichler am Brantleithof in St. Leonhard, um 1915. In der hinteren Reihe von links: Franz, Theresia, die Magd Maria Ploner (1898–1918, die Nichte von Christine Pfitscher, der Ehefrau vom Michiler), Anna und Alois Pichler. In der vorderen Reihe Christine, die Großmutter Anna Pöhl Wwe. Pfitscher (Schwiegermutter vom Michiler, 1839–1922), Rosa, Christine Pfitscher und Maria. Fotosammlung: Helga Holzknecht.
Foto 3: Der Michiler mit (vorne links) den Töchtern Rosa und Maria, sowie der Ehefrau Christine. In der hinteren Reihe von links die Kinder Anna, Alois, Franz, Christine und Josef (?). Das Foto stammt aus der Zeit um 1920. Fotosammlung: Helga Holzknecht.
Ein zentraler Punkt in Michilers erster Lebenshälfte war die Jagd. Sie muss eine echte Leidenschaft von ihm gewesen sein. Im Jagdpachtvertrag vom 19.11.1903 mit der k.k. Forst- und Domänen-Direktion in Innsbruck erwarb er für 13 Jahre das Recht der Ausübung der hohen und niederen Jagd auf dem hochalpinen Gebiet zwischen Wanserjoch und Hochalpspitz, insgesamt fast 300 ha Jagdgebiet. Spätestens jetzt kann man davon ausgehen, dass der Luis beim Umgang mit Behörden kein Problem hatte.
Mit dem Jagen war es vor Weihnachten 1912 dann plötzlich vorbei. Er und sein Begleiter hätten bei einem schrecklichen Jagdunfall in Pfistrad beinahe ihr Leben verloren. Der „Tiroler Volksbote“ vom 20.12.1912 berichtete: Der weitbekannte Tierarzt und Pächter zu Brantleit Alois Pichler ist in Vistrat auf der Gemsenjagd verunglückt. Während er saß und mit dem Fernrohr auf die Höhen schaute, rutschte ihm das Gewehr über die Füße hinab, entlud sich und der Schuß ging ihm mitten durch den obersten Teil des Oberschenkels. Hirten trugen den Schwerstverletzten nach Hause. Wenigstens das Blut konnte Luis selbst stillen.
Dës iberlepp er nit, sollen seine Angehörigen gesagt und seine Wunde mit Këssl foll Gramillntee gewaschen haben, weiß Oswald Egger-Karlegger zu erzählen. Der Gemeindearzt Diem verarztete den Michiler bestmöglich. Luis überlebte ohne Krankenhausaufenthalt und das ganze Tal freute sich darüber, stand im „Volksboten“. Sein rechtes Bein blieb allerdings 4 cm kürzer als das linke. Mit der Jagd im Hochgebirge war es natürlich vorbei, doch Hasen, Füchse, Rehe, Hühner und anderes Kleinwild mussten sich weiterhin vor ihm in Acht nehmen. Er isch a krumper iberåll hinkemmin unt nit lengsummer giweesn“, meint Oswald, der ihn später öfters begleitete.
Luis muss um die Jahrhundertwende geschäftlich recht umtriebig gewesen sein. So scheint er beispielsweise 1904 auf einer Rechnung mit eigenem Logo als Holzhändler auf. Er verkaufte einem Mailänder Händler Holz für 737 Kronen. Außergewöhnlich und manchmal riskant war seine Tätigkeit als Käufer, Verkäufer oder Ersteigerer von Höfen, Liegenschaften, Parzellen, Nutzungsrechten. Diese begann mit dem Kaufvertrag vom 5. März 1898, laut dem er von seinem Vater das Schmiedhäusl zu Eis gegenüber von St. Martin nebst Stadel, Stall und Garten um 1.000 Gulden kaufte. Ab 1915 erwarb er Liegenschaften in Fartleis, unter anderem Hühnerspiel, im Ausmaß von 388 ha. Diesen Besitz wird er später seinem Sohn Luis übergeben. 1916 kaufte er nach ein paar Jahren Pacht den Brantleithof in St. Leonhard.
Das nötige Kapital für seine Geschäfte verschaffte er sich durch Kredite und Holzschlägerungen im Brantleiter Wald. 1.000m³ sollen es einmal laut Oswald Egger-Karlegger gewesen sein. Es war ein riesiges Unterfangen, diese Menge Baumstämme mit allen weitum zur Verfügung stehenden Pferden zur Straße zu transportieren. Zudem sei – so die Erinnerungen von Oswald Egger-Karlegger – bis Josefitag kein Schnee gefallen, sodass die Baumstämme erst ab März auf die Straße gezogen werden konnten.
In diese Zeit fällt auch der tragische Tod seines Sohnes Sepp, für den Vater ein schwerer Schicksalsschlag. Durch Unvorsichtigkeit seitens einiger Ziegenhirten entwickelte sich im Brantleit- und Widumwald aus einem Lagerfeuer ein Waldbrand. Sepp, vorher schon gesundheitlich angeschlagen, starb 1921 20-jährig an Rauchvergiftung. Der Brand wurde übrigens erst nach zwölf Monaten endgültig gelöscht. 1937 verkaufte der Michiler den Hof seinem Schwiegersohn Martin Karlegger (Stiirschnaider Martl). 1928 hatte er den Schildhof Steinhaus ersteigert, 1936 aber wieder an das Ente di Rinascita per le Tre Venezie verkauft. Dann zog es ihn geschäftsmäßig ins Dorf St. Martin, er kaufte das Gasthaus Lamm und war mehrere Jahre lang “Mitterwirt”, bis er seine beiden Töchter Maria und Christine dort als Erbinnen einsetzte.
Der Michiler auf verschiedenen Porträtfotos. Fotosammlungen von: Helga Holzknecht (Foto 1, 3, 5), Rosa Pichler (2), Tobias Egger-Karlegger (4), Referat Volksmusik in der Landesdirektion Deutsche und ladinische Musikschule Bozen (6).
Das Militär spielte beim Michiler nur eine So-nebenbei-Rolle. 12 Jahre, von 1900 bis 1912, diente Luis beim Landesschützenregiment Bozen II „treu und ehrenhaft“ und beendete den Wehrdienst (eine Art Dienst auf Abruf im Kriegsfall) als Unterjäger. Seine Beinverletzung verhinderte die Einberufung im 1. Weltkrieg.
Handwerklich blieb der Luis in der Spur seiner Vorfahren: fleißig und geschickt. Das Büchsenmachen war bei den Michilern ja Tradition. Er spezialisierte sich auch auf das Herstellen von kunstvollen Messern (sogenannte Michile-Messer), Büchsenschäften und Messergriffen aus Reh- und Hirschgeweih. Wenn man ihn charakterisieren will, darf man seine Geselligkeit und Liebe zur Musik nicht vergessen. Er lernte das Geigenspiel beim Tallner Jörgl und bei Anton Raffl auf Tall und spielte in der alten Tallner Musikkapelle die Viola.
Der Michiler als Musikant. Im ersten Foto sitzend mit Basstuba (Fotoarchiv: Tobias Egger-Karlegger). Im zweiten Foto als Gründer, Namensgeber und Mitglied der Michile Muusig mit zwei Hahnfedern am Hut. Von links: Alois Schiefer, Alois Pichler, Leonhard Haller, Martin Schiefer, Josef Pichler, Ignaz Pfitscher (Fotoaufnahme anlässlich der Tonbandaufnahmen durch Alfred Quellmalz im Winter 1941/42 in St. Martin in Passeier, Quelle: Referat Volksmusik in der Landesdirektion Deutsche und ladinische Musikschule, Bozen).
Er komponierte sogar selber und gründete die Martiner Kapelle, auch als Michile-Muusig bekannt. Diese bestand aus dem Vorgeiger (Alois Pichler, Michile Luis), dem Violer (Alois Schiefer, Aiserer Luis), dem Sekundgeiger (Martin Schiefer, Aiserer Martl), zwei Begleitgeigern (Josef Pichler, Eggnstuëner und Leonhard Haller, Egger Liërnt) und dem Bassgeiger (Ignaz Pfitscher). Toll muss es geklungen und die Zuhörer*innen auf den Tanzboden getrieben haben, wenn diese Bauern Landler, Polka oder Boarische spielten, wie den Michile Walzer, den Fulfeser Landler, die Weihregger Polka, den Stuenriegler oder den Tallner Tramplan.
Wiedergabe mit freundlicher Erlaubnis des Referates Volksmusik in der Landesdirektion deutsche und ladinische Musikschule, Bozen.
Noch als 80-Jähriger schwang er mit ungebrochener Frische und seltener Geläufigkeit den Geigenbogen. So schrieb der „Volksbote“ vom 09.03.1950 anlässlich der großen Geburtstagsfeier zum 80sten. Luis war auch aktives Mitglied der Mårtiner Plechmuusig, er spielte das Helikon (Basstuba). Politisches Interesse war bei so viel Umgang mit Leuten in schweren Zeiten wie dem 1. Weltkrieg, dem Faschismus, dem 2. Weltkrieg und der Nachkriegszeit sicher reichlich vorhanden. Er war Mitglied des Gemeinderates von St. Leonhard, bis dieser 1926 von den Faschisten aufgelöst und durch einen Podestà ersetzt wurde. 1941 optierte der Michile Luis für das Deutsche Reich.
Wenn es ums Helfen ging, unterschied Luis nicht zwischen Freund und Feind, Optanten und Dableibern. Sogar Deserteure, die bei den Einheimischen Partisanen genannt wurden und einen schlechten Ruf hatten, konnten mit seiner uneigennützigen Hilfe rechnen, wie zum Beispiel der verletzte Deserteur Rudolf Schweigl (Sackler, geb.1925), der sich im Dezember 1944 in den Felswänden oberhalb des Steinwandterhofes im Kalmtal versteckt hielt.
Damit wären wir an dem Punkt, der den Michele Luis weitum so bekannt machte und auszeichnete: der Bauerndoktor mit seinem Wissen um die Krankheiten oder Verletzungen bei Tieren wie bei Menschen und deren Behandlung bzw. Heilung. Er kannte die Heilpflanzen und wusste, was in Natur und Apotheke zu beziehen und wofür heilsam war. Er beherrschte das Blutstillen und hatte Salben, Tinkturen, Extrakte, Pflaster und Pulver für die Behandlung von Brüchen, äußerlichen Wunden, Hautkrankheiten und Scherzen (Flechten), Wundbrand, Muskelschwund, Rheuma, Ischias, Magenleiden, Koliken, Kopfweh und anderen Leiden.
Am bekanntesten und vielfach anwendbar war seine gelbe und schwarze Michile-Salbe. Miër håt der Michiler a amåll wëign di Nerfn kholfn, verriet mir kürzlich die Holzer Anne (Anna Pichler, Jg. 1928) zufällig am Familiengrab der Michiler auf dem Martiner Friedhof. Was verlangte der Luis für seine Behandlungen? Gipschimer hålt eppis oder Sell isch nit asou hoaggl waren seine Antworten auf die Frage: Woos kriëggsche? Er war sehr sozial eingestellt, nahm, was ihm die Leute freiwillig gaben, die einen mehr, die anderen weniger; meistens war er mit den Selbstkosten zufrieden.
Gerne verband er eine Behandlung mit einem Raatscherle. Dabei fielen manche philosophisch klingende und seine Zeit überdauernde Sprüche wie
In Psaier tråggs lai drai gschaide Lait und auhåltn tiënse si moaschtns unter di Ëisl.
Wenns hintn wea tuët, muësche four ummer auhearn!
Leider endete mit dem Michiler die Familientradition der Bauerndoktoren. Sein Sohn Franz wäre als Nachfolger vorgesehen gewesen, doch diesem fehlten wohl Talent oder Interesse.
Woher hatte der Michiler das Wissen um Krankheiten und deren Behandlung? Da hatte er sicher viel Schriftliches wie Rezepte und Mündliches von seinem Vater Alois und seinem Großvater Michael übernommen, beide waren ja angesehene Bauerndoktoren. Er war auch stets in Kontakt mit Gemeindeärzten und Meraner Apothekern. Außerdem interessierten ihn medizinische Bücher. In der Gaststube beim Mitterwirt hatte er gånze Stëiln foll Sålbm und Piëcher, erinnert sich Oswald. Er unterhielt sich besonders gern mit Pater Cölestin Kusstatscher (1916–1999), dem Kooperator von St. Martin und einem exzellenten Kenner von Heilpflanzen. Ebenso unterwegs war er mit dem Medizinstudenten Alois Pichler (Unterwirts Luis), der 1952 leider bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam.
Zu den Gemeindeärzten hatte er ein gutes Verhältnis. Dr. Ebner, Dr. Mair-Egg und Dr. Wallnöfer sahen in ihm keinen Konkurrenten, sondern einen Heilpraktiker, der sie entlasten konnte. Besonders der Martiner Gemeindearzt Dr. Alois Wallnöfer (1885–1964) hielt viel vom Luis. Bei dessen Geburtstagsfeier zum 80sten pries er laut „Volksbote“ in umfassender und vielsagender Rede das Verdienst und die Wirksamkeit des Passeirers.
Der Luis isch a fainer Mentsch giweesn und nit ungschickt, so beschreibt ihn sein Enkel Max; „Nicht ungeschickt“ bedeutet für Passeirer ein großes Kompliment. Die Leute hatten zum Michiler großes Vertrauen, seine einfache, freundliche und hilfsbereite Art kam bei allen gut an. Sogar aus dem Meraner Raum, aus Ulten, dem Untervinschgau, Sarntal und Sterzing kamen vor allem Bauern, um sich Rat und Hilfe zu holen.
Fotoserie zum Begräbnis des Alois Pichler am 23. November 1954 in St. Martin in Passeier, aus den Fotosammlungen von Tobias Egger-Karlegger, Rosa Pichler und Helga Holzknecht.
Am 23. November 1954 starb der Michile Luis im Alter von 84 Jahren. Seine Frau Christine war ihm sechs Jahre im Tode vorausgegangen. Wie bekannt und angesehen Luis im Tal und darüber hinaus war, zeigte sich bei seinem Begräbnis in St. Martin. Sämtliche Verbände und Vereine und eine unübersehbare Menge von Trauergästen aus ganz Passeier und den Nachbartälern nahmen Abschied von dem damals wohl bekanntesten Passeirer, zuerst in der Kirche und auf dem Friedhof, nach der Beisetzung beim Totenmahl beim Oberwirt, Mitterwirt, Unterwirt und im Schießstand. Treffend steht auf seinem Sterbebild, dass er reich an ärztlicher Kenntnis und Erfahrung, wohltuend und hilfsbereit gegen alle war.
Der auffällige Grabstein der Familie Pichler, ehemals Mitterwirt, am Friedhof von St. Martin in Passeier, Anfang der 1950er Jahre (noch ohne Geburtsdatum von Christine Pfitscher verehelichte Pichler. Foto: Vedovelli, St. Leonhard in Passeier, Sammlung Helga Holzknecht) und 2023 (Foto: Judith Schwarz).
Wer hat noch eine Michile-Salbe daheim? Oder kennt Geschichten zum legendären Bauerndoktor?
Wir freuen uns auf einen Kommentar oder eine Nachricht!
Vergangenes Glück
Mein Opa und seine erste Frau.
Mein Opa und seine erste Frau.
Von Tobias Egger-Karlegger
Wenn dieses Bild in Deine Hände weilt, sols Dich an vergangenes Glück erinnern. So schrieb Maria – oder Moidl, wie sie auch genannt wurde – auf die Rückseite eines Fotos, als Andenken für ihren geliebten Oswald, ihren späteren Ehemann.
Es ist die tragische Geschichte der jungen Maria Karlegger. Ihr Leben war so traumhaft und unbeschwert, jedoch mit nur 25 Jahren endete es viel zu früh. Die Erzählungen meines inzwischen 94-jährigen Großvaters Oswald über seine einst geliebte Ehefrau faszinierten mich stets. Heuer, am 20. Juli 2023, jährt sich das Unglück zum 71. Mal. Anhand der Zeitungsberichte der damaligen Zeit, die nun nach der 70-jährigen Verjährungsfrist digital zugänglich sind, kann ich heute das Geschehen am Unglückstag nachvollziehen und die Erzählungen meines Großvaters belegen. Am Sonntag, den 20. Juli, gegen 8 Uhr früh, ereignete sich auf der Passeirer Staatsstraße bei Kilometer 19.631 ein schweres Verkehrsunglück…, so schrieb die Tageszeitung Dolomiten am 22. Juli 1952. Und genau am Tag dieser Berichterstattung verstarb Maria Karlegger.
Maria ist am 11. Dezember 1927 auf dem Brantleithof in St. Leonhard in Passeier geboren. Sie war die Tochter des Martin Karlegger – Stierschneidersohn aus Stuls und Metzgereibesitzer beim Frickhof in St. Leonhard – und der Theresia Pichler – Tochter des Bauerndoktors Alois Pichler auf Brantleit, besser bekannt als Michile Luis. Maria und ihre Eltern lebten zunächst als Pächter auf Brantleit, bis schließlich im Jahre 1936 Marias Vater den Hof seinem Schwiegervater zu guten Konditionen abkaufte. Zugleich verkaufte er die Metzgerei beim Frick, welche er zusammen mit seinem Bruder Luis besaß.
Die Moidl war sehr begehrt und für die damalige Zeit äußerst modern. Als einziges Kind am Hof, und somit Alleinerbin, rannten ihr die Verehrer nur so nach. Laut Erzählungen kam es sogar vor, dass die Idee zum Fensterln mehreren Burschen gleichzeitig in den Sinn kam und so eine Rauferei entstand, die glimpflich endete. Auch erregte Maria gerne viel Aufsehen, da sie immer schöne Kleider trug und sogar beim Kirchgang in weißen Schuhen zu sehen war, was zur damaligen Zeit nicht üblich war.
Sie wickelte ihren Vater Martl halt stets um den Finger. Und so erhielt sie von ihm immer Geld, um sich etwas Neues zu kaufen. Die Mutter meines Großvaters war an den Rollstuhl gefesselt und so rief sie ihn eines Tages zu sich, um ihm zu raten, er solle nicht mehr zu Moidl gehen: Di Moidl passt nit zi dir, si isch fiil zi modern fi dir. Darauf erwiderte mein Großvater: Ober sëll gfållt miër!
Erinnerung ist die schönste Gabe, die uns begleitet bis zum Grabe, schrieb Moidl auf eines ihrer Fotos. Ende der 40er Jahre lernte sie den um zwei Jahre jüngeren Scheibersohn, Ranggler und Schuhplattler Oswald Egger kennen. Sie begegneten sich das erste Mal im Sommer bei der Heumahd beim Wasserholen im sogenannten Sandwald oberhalb vom Sandhof.
Eine schöne, aber leider nur kurze Zeit verbrachten Moidl und Oswald zusammen. Schließlich heirateten sie am 10. Januar 1952 in St. Martin und feierten gemeinsam beim Scheiberhof. Zur frohen Feier am Heimathof des Bräutigams stellte sich auch die Streichmusik ein, deren Mitglied der Bräutigam ist, und der 82jährige Michele Luis führte zur Hochzeit seines Enkelkindes voll jugendlicher Freude den Geigenbogen, so schrieb die Dolomiten dazu.
Mein Großvater erzählte immer, dass es eine schöne Hochzeit gewesen ist. Über 40 Leute, der Chor und eine Stubenmusik, bei der er Mitglied war, waren gekommen. Am Ende der Hochzeit dankte der alte Dorfbauer Hans Schwarz dem Brautvater Martin für die schöne Feier. Dieser erwiderte, er habe nichts bezahlt. Kuëne Liire håt er gizoolt, so mein Opa.
Das große Unglück passierte knappe sechs Monate nach der Hochzeit. Der Schicksalstag im Juli desselben Jahres war ein gewöhnlicher Sonntag. Nach dem Kirchgang war es üblich, dass man nicht wie heute über den Pichl geht, sondern hinunter zur Hauptstraße, um von dort über Rennwies zum Brantleithof zu gelangen.
An diesem 20. Juli um 7.35 Uhr morgens fuhr die Kolonne der Alpini Gebirgsartilleriegruppe „Susa“ vom Jaufenpass in Richtung Meran. Laut Zeitungsbericht kam der 22-jährige Soldat Tullio Tongi mit seinem Militärlastwagen beim “Brüh-Grübl” von der Straße ab, genau an der Stelle, an der eine Gruppe Kirchgänger*innen unterwegs war. Dabei hat er die schwangere Moidl und ihre Mutter Theresia überrollt. Oswald, der gerade beim Bewässern der Wiesen war, wurde von der Ganderbäuerin vom Nachbarhof alarmiert. Die beiden schwer verletzten Frauen brachte man nach Obermais in die Klinik Dr. Kneringer. Die Mutter erlitt einen Beckenbruch, kam aber mit dem Leben davon. Anders Maria. Sie war nur schwach bei Bewusstsein und hat ihren Ehemann nicht mehr erkannt.
Da ihr Zustand hoffnungslos schien, wurde sie, um in der Heimat sterben zu können, nach St. Leonhard gebracht, so die offizielle Version der Tageszeitung Dolomiten drei Tage nach dem Unglück. Laut den Aussagen meines Opas verstarb Maria jedoch bereits im Krankenhaus an schweren inneren Verletzungen. Um Kosten für Leichentransport und Kirchenabgaben zu vermeiden, konnte die leblose Moidl noch mit einem Krankentransport bis zum Klotz beim Sandwirt gebracht werden. Oswald trug seine Frau gemeinsam mit seinem Bruder Sepp (Schaiber Sepp) und dem Knecht Anton Pixner (Stuëner Toonig) über das Feld bis zum Brantleithof. Auch das ungeborene Kind hat das Unglück nicht überlebt.
Fotos von der Beerdigung von Maria Karlegger am 24. Juli 1952 um 6.30 Uhr bei der Theiskapelle in St. Leonhard. Auch eine Abordnung der Alpini war anwesend. Fotograf: J. Vedovelli, St. Leonhard in Passeier.
Schwere Zeiten standen Oswald bevor. Er war nun mit gerade einmal 23 Jahren Witwer. Der Gerichtsprozess rund um das Verkehrsunglück dauerte fünf lange Jahre. Inzwischen gingen im Dorf Gerüchte um die Nachfolge des Brantleithofes um: Mit den Schaiber wermr schun foorn af Pråntlait, so machte sich der Neid bei den Burschen im Dorf bemerkbar, wie Oswald heute noch erzählt. Einmal musste er sich sogar mit einem Stock gegen einige Männern wehren, die ihm auf dem Nachhauseweg auflauerten. Im Jahr 1954 entschloss sich der Brantleitbauer Martin schließlich, Oswald als Adoptivsohn aufzunehmen, damit er einmal dessen Nachfolge antreten konnte. Dadurch erhielt Oswald den Doppelnamen Egger-Karlegger, den seine Familie bis heute trägt.
1956 heiratete Oswald meine Oma Karolina Hofer. Von den Adoptiveltern wurde die neue Ehefrau nicht gerade herzlich empfangen, weshalb sie für einige Jahre in eine Mietwohnung beim Kolberhäusl und später in eine Wohnung beim Faunerhof einzogen. Lotterin [Bettlerin] kimp af Pråntlait kuëne, so sagte einst der Adoptivvater Martin über meine Oma, worauf mein Opa erwiderte: Når gea i hålt! Natürlich wollte Martl meinen Opa nicht gehen lassen, denn er hatte sonst niemanden, der ihm auf dem Hof half.
Schließlich errichtete Oswald ein Eigenheim für die inzwischen fünfköpfige Familie. Mit dem Schmerzensgeld aus dem Gerichtsprozess und etwas Erspartem kaufte er 1962 ein Grundstück vom Nachbar ab, denn der Adoptivvater Martin überließ ihm keinen Baugrund. 20 Jahre später konnte Oswald den Brantleithof endgültig mit Schenkungsvertrag und einigen Auflagen übernehmen. Martin Karlegger verstarb am 7. Februar 1983 im Alter von 84 Jahren, die Adoptivmutter Theresia war bereits 1974 gestorben. Im Jahr 2004 starb auch die zweite Ehefrau Karolina Hofer nach dreijährigem Wachkoma in Folge eines Asthmaanfalls.
Bis heute lebt Oswald Egger-Karlegger in seinem Haus neben dem Brantleithof. Und erzählt gerne über das vergangene Glück und Unglück mit seiner ersten Frau Maria, von der ihm die Hälfte seines Nachnamens, einige Fotos und die Erinnerungen geblieben sind.
UPDATE 11.10.2023:
Ein interessantes Detail: Moidl und ihre Mutter wollten nach dem Kirchgang noch beim Dürrerhof vorbeischauen, denn zwei Tage vorher, am 18. Juli 1952, ist dort der Sohn von Moidls Freundin Maria Gufler geboren. So erzählte es die Tochter einer weiteren Freundin, Barbara Gögele (geb. 1922).
Wer findet Emmy?
Eine Frauenverein-Obmännin im frühen 20. Jahrhundert.
Eine Frauenverein-Obmännin am Anfang des 20. Jahrhunderts.
Von Judith Schwarz
Emmy hat uns am 26. November 2022 gefunden. Es war ein Samstagnachmittag und ein paar Leutchen hatten sich zum Workshop “Gemeinsam in alten Fotos lesen" getroffen. Von den Postkarten, die die Teilnehmer*innen mitgebracht hatten, fielen viele auf und gingen wieder unter. Dann: Eine Ansichtskarte von St. Leonhard, 1914 verschickt an eine Madame Louise Lahodny in Paris. Eine Madame in Paris... das schien interessant! Aber da sich bei der Eingabe des Namens auf Google nichts rührte, verflog diese meine erste Spannung ziemlich bald.
Trotzdem blieb die Postkarte etwas länger in meinen Händen. Warum genau diese, und nicht eine andere, ist schwer zu erklären. Vielleicht wegen der speziellen Kombination Paris und St. Leonhard. Vielleicht wegen des Rätsels im Kartentext: Wer war dieser verstorbene Spielgefährte Hansi, ein Familienmitglied oder ein Kanarienvogel? Ganz sicher aber reizte mich in keiner Weise der Personennamen, mit dem die Karte unterzeichnet war: Von einer oder einem gewissen E. Meyer Ludolph, wohnhaft in Meran.
E. steht für Emmy. Und Emmy für Emilia. Das spuckte das online Zeitungsportal der Landesbibliothek Teßmann im Zusammenhang mit Meyer Ludolph aus. Und dazu noch diese kurze Notiz von Juni 1912: Die Beilage zum “Berliner Lokalanzeiger” zeigt die Vergrößerung der in S. Pötzelbergers Kunsthandlung ausgestellten Aufnahme der Frau Meyer-Ludolph von der Jaufenkapelle mit den Festgästen davor, während des kirchlichen Weiheaktes [der Straße]. Nicht schlecht, eine Frau hat bei der Eröffnung der Jaufenstraße fotografiert! Und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass mich die Reaktionen der damals anwesenden Passeirer*innen mehr interessierten, als die beschriebene Fotografie von Emmy Ludolph.
Von Fragen zu Paris und Kanarienvögeln war ich nun zwar weit entfernt. Aber mein Interesse für diese Frau war geweckt. Ohne ein Indiz dafür zu haben, gehe ich davon aus, dass Emmy Ludolph nicht nur dieses eine Mal diese eine Fotografie gemacht hat. Da es für Südtirol keine Gesamtdarstellung von Fotografinnen gibt, fehlt auch das Wissen über fotografierende Frauen speziell vor dem Ersten Weltkrieg. Emmy Ludolph muss jedenfalls eine der wenigen gewesen sein, die es damals gegeben hat. Und eine der allerwenigen, die es geschafft haben, dass nicht nur ihre Fotografie, sondern auch ihr Name abgedruckt wird.
Wie sucht man diese Emmy, die Passeirer Motive nach Berlin und Paris sandte? Sie ist – typisch für die Zeit – weniger mit ihrem Nachnamen Ludolph, als unter dem Nachnamen und Titel ihres Ehemannes auffindbar: Als Frau Professor Meyer. Ihr Gatte Max Wilhelm Meyer (1853–1910) war Astronom und Schriftsteller, aber hauptsächlich war er der “Urania-Meyer”: Einer der drei Gründerväter der ersten Urania 1888 in Berlin. Es wird nicht viele geben, denen sein Name ganz fremd ist, schrieb einst das Berliner Tageblatt – ich gebe zu, sein Name war mir nicht geläufig. Auch nicht, dass Meyers Grab im Evangelischen Friedhof in Meran zu finden ist. Aber zu einer Zeit, als es unter Akademikern verpönt war, naturkundliches Wissen an die Gesellschaft weiterzugeben, war der “Popularisator der Wissenschaft” und ”Erfinder des wissenschaftlichen Theaters” wohl bekannt wie ein bunter Hund.
Wann die Hochzeit der beiden gewesen ist, müsste man noch rausfinden. Max Wilhelm Meyer hatte nämlich vor Emmy eine Wienerin geheiratet, eine bekannte Schönheit, deren Namen ebenfalls noch fehlt. Den Sommer 1901 verbrachte er – behufs Ausruhens seiner Nerven und Fertigstellung eines wissenschaftlichen Werkes – mit seiner Gemahlin in Meran. Ob die damalige Gemahlin nun die “Wiener Schönheit” war oder bereits unsere Emmy, wissen wir nicht.
Jedenfalls wurde das Ehepaar in Meran überfallen. Es sollen zwei Burschen gewesen sein, die sie auf dem Heimweg gegen Mitternacht mit Knüppeln auflauerten. Meyers Filzhut verhinderte angeblich eine gefährliche Kopfverletzung, berichtete die Dresdner Zeitung. Wenig später erschien in der Berliner Börsenzeitung die Meldung, dass Meyers Unternehmen in Konkurs gegangen sei. Meyer war, in Folge eines Streits, aus der Berliner Urania ausgestiegen und hatte seine eigene “Internationale Urania” gegründet. Möglich, dass angesichts dieser zwei Ereignisse das mit dem Ausruhen seiner Nerven nicht so ganz geklappt hat in Meran.
Später entdeckte ich noch zwei weitere Ehemänner bzw. Nachnamen von Emmy. Ja, richtig gelesen: Eine Frau, die dreimal verheiratet war, hatte im Laufe ihres Lebens vier verschiedene Namen, Varianten mit Doppelnamen nicht eingerechnet. Dementsprechend schwieriger ist es, eine Frau in den Quellen zu finden, als einen Mann, dessen Name sich im Normalfall nicht änderte.
Sie nannte sich Emmy Rogge, bevor sie den “Urania-Meyer” heiratete. Und Emmy Gurlitt, nachdem Professor Meyer 1910 in Meran verstorben war. Als sie das Foto am Jaufen aufnahm (1912) bzw. die Postkarte der Dorfansicht von St. Leonhard verschickte (1914) war ihr zweiter Ehemann Meyer also bereits verstorben. Und nur zu ihm fand ich bislang einen Hinweis auf fotografische Tätigkeiten: Seine Privatliebhaberei war die Fotografie, für die er eine große Meisterschaft als kunstverständiger Amateur entwickelte, schreibt die Meraner Zeitung in Meyers Nachruf. Es könnte also sein, dass die Witwe die Privatliebhaberei ihres Mannes samt dessen Fotoapparat übernommen hat – entweder freiwillig oder aus finanziellen Gründen.
Dann stieß ich endlich auf Emmys Geburts- und Sterbejahr: 1863 bis 1929. Als Emmy Gurlitt veröffentlichte sie drei Jahre vor ihrem Tod einen Aufsatz über ihren dritten Ehemann, den Reformpädagogen und Karl-May-Forscher Ludwig Gurlitt (1855–1931). Und die Karl-May-Gesellschaft ergänzte nachträglich dankenswerter ihre Lebensdaten. Ludwig Gurlitt war übrigens der Onkel jenes berühmt-berüchtigten Kunstsammlers, dessen versteckten Gemälde vor einigen Jahren auftauchten. Emmy verbrachte mit dem 23 Jahre älteren Ludwig Gurlitt ihre letzten Lebensjahre auf Capri, wo sie auch schon mit ihrem zweiten Ehemann zeitweise gelebt und 1906 ihre gemeinsame Tochter Mercedes Meyer zur Welt gebracht hatte. Doch woher Emmy eigentlich stammte, wer ihr erster Ehemann Rogge war und ob sie mit ihm Kinder hatte, dazu schweigen meine Quellen bislang.
Meran war also nur eine Zwischenstation. 1909 weilte Max Wilhelm Meyer (mit oder ohne Emmy) in Messina und dokumentierte gemeinsam mit Maxim Gorki die Folgen des verheerenden Erdbebens in Südkalabrien. Dann, im September 1910, schrieb die Bozner Zeitung, Meyer sei aus dem Meraner Krankenhaus entlassen und in die Villa Alpenheim, Majastraße 2 (heute 7), gezogen. Drei Monate später starb er, Emmy war 47, ihre Tochter Mercedes vier Jahre alt. Als alleinerziehende Witwe scheint Emmy dann bis in die ersten Kriegsjahre hinein im Postgebäude in Obermais gewohnt zu haben, im Adressbuch ist sie als Schriftstellerin eingetragen. Im Jänner 1916 soll sie bereits nach Deutschland gezogen sein, ihre dritte Heirat mit Ludwig Gurlitt muss schließlich nach 1917, dem Tod von dessen ersten Frau, stattgefunden haben. Capri, Meran und Deutschland – das alles klingt nach turbulentem Leben.
Aber das Beste ist noch nicht erzählt: Meran war nämlich doch mehr als eine Zwischenstation. Im März 1913 berichtete die Meraner Zeitung über eine öffentliche Frauenversammlung und die Gründung des Verein der Erwerbenden Frauen Meran, einer Zweigorganisation des gleichnamigen Hauptvereins in Wien. Und die frisch gebackene Präsidentin ist unsere Emmy Ludolph! Man stelle sich das vor: Wir haben eine Zeit, in der gemäß Eherecht die Frau den Nachnamen des Ehemannes anzunehmen, ihm als “Haupt der Familie” zu seinem Wohnsitz zu folgen und seine Maßregeln zu befolgen hat. Für bestimmte Frauenberufe wie Lehrerinnen galt ein Heiratsverbot, Frauen durften im Normalfall auch nicht wählen und laut Vereinsgesetz weder politischen Vereinen beitreten, geschweige denn sie gründen.
Emmy erfuhr als Obfrau wohl einigen Gegenwind. Ausdrücklich hatte sich der Verein als Bildungs- und Berufsverein von politischen Aktivitäten zu distanzieren, dementsprechend wurde auch die Anfrage eines “Sozialistenführers” beantwortet, nämlich dass der Kampf um die höchsten Rechte der Frau den Kolleginnen draußen im Reich und in Wien überlassen wird. Was man “draußen im Reich” bzw. die Deutsche Volkszeitung wiederum umgehend zum Anlass für spöttische Bemerkungen nahm: Es mag ja sein, dass die Mitglieder dieses Vereins es nicht so nötig haben, sich um soziale und politische Fragen zu kümmern, aber in den sozialdemokratischen Frauenorganisationen, wo wirklich [sic!] arbeitende Frauen und Mädchen sich zusammenfinden, denkt man über solche Fragen anders. Dass die Deutsche Volkszeitung – im selben Artikel – die erste gewählte Obfrau ohne Namen, sondern lediglich als Gattin des verstorbenen Doktor Mayer vorstellt, spricht dann wieder weniger für die “höchsten Rechte der Frau”.
Schließlich dann nochmal eine Randnotiz zu Passeier. Vier Monate nach der Vereinsgründung schrieb Emmy einen Leserbrief an die Meraner Zeitung – und signierte mit Emmy Meyer-Ludolph, Waldheim bei St. Leonhard. Gemeint ist das ehemalige Gasthaus Waldheim, etwas außerhalb von St. Leonhard bei Hinteregg, auf dem Weg nach Platt gelegen. Im Grunde musste Emmy mit Zuschriften als Reaktion auf den Leserbrief rechnen – wenn sie also Waldheim als Adresse angab, war sie wohl länger dort, vielleicht den ganzen Sommer über.
Emmy fand unterstützende Worte für die angefeindeten, aber tapfersten Frauenrechtlerinnen. Man hatte sie als Vereinsobfrau wohl um eine Stellungnahme zu den Suffragettes gebeten, jenen Frauen in England, die teilweise auch mit Hungerstreiks und Widerstand für das Frauenwahlrecht kämpften. Sie hätten gerne ein paar verurteilende Zeilen, schreibt sie gleich in ihrer Einleitung an die Redaktion gerichtet, diesem Wunsche kann ich nicht nachkommen, […] da ich […] deren Ausfälle mit anderen Augen anschaue. Ob sie im Gasthaus Waldheim mit anderen Gästen oder auch Passeirer*innen offen über ihre Meinung zum Frauenwahlrecht gesprochen hat, wäre zu schön zu wissen.
Zurück zum Verein. Der öffentliche Frauenabend im März 1913 schien ein Erfolg gewesen zu sein, man gewann prompt 52 Mitglieder, die jeweils einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 3 Kronen und 40 Heller beisteuerten. Wie sich der Verein weiters finanzierte, lässt sich aus der Presse nur bedingt herauslesen, es hat wohl auch Förderungen der Gemeinde Untermais gegeben. Bei der ersten Generalversammlung im Jänner 1914 werden dann die Gönner*innen (die Geld oder mal eben 230 Bücher für die Vereinsbibliothek spendierten) namentlich erwähnt.
Bald wurden die ersten kostenlosen Abendkurse angeboten: Französisch, Englisch, Italienisch, Stenographie, Kleider- und Weißnähen, Schreibmaschine ecc. Später kam auch ein Modistenkurs dazu (Modistinnen waren das Pendent der männlichen Hutmacher, sie fertigten Damenhüte und überarbeiteten Kleider nach der neuesten Mode). Angesprochen waren nicht nur berufstätige Frauen, sondern auch Mädchen ab 14 Jahren. Für junge Frauen – ausgenommen für “höhere Töchter” mit bezahltem Privatunterricht – gab es nach der Pflichtschule wohl nur sehr wenige erschwingliche Bildungsangebote in Meran.
Dann kam der Krieg. Während die Vorträge an den vierzehntägig abgehaltenen Vereinsabenden anfangs Titel trugen wie “Aus dem Leben einer arbeitenden Frau”, “Unser Körper und seine Pflege” oder “Wohnungsfürsorge”, gab es nun im Vereinslokal in der Gemeindeschule in Untermais Diskussionen über die Kriegslage und sogar Li Fischer-Eckert (1882–1942), eine Pionierin der Sozialarbeit und des Frauenrechts, sprach in einem Vereinsvortrag über “Die Frauen und der Krieg”.
Nun stand Kriegshilfe im Mittelpunkt der Vereinstätigkeit. Im Sommer 1914 – die Gründung war gerade mal ein gutes Jahr her – besorgte der Verein die Einrichtung und Leitung des Kindergartens in Untermais, der als Kriegs-Kinderfürsorgestelle bald aufblühte. Im Herbst 1914 führten die “arbeitenden Frauen” die Volksküche für den Kurbezirk Meran, lasen den Verwundeten in den Spitälern Briefe vor und halfen beim Briefeschreiben, organisierten Kleider- und Liebesgabensammlungen für Flüchtlinge und schufen eine Notnähschule im Kriege, eine Strick- und Nähschule für zirka 30 arbeitslose Frauen.
Der Verein hat also in jeder Hinsicht das den Frauen offene Feld bebaut, berichtete die Südtiroler Landeszeitung 1921. Wobei Emmy Ludolph zu diesem Zeitpunkt bereit aus Meran fortgezogen ist und diese Zeilen einen Rückblick darstellen: Unter der ersten Obmännin Frau E. Meyer entfaltete [der Verein] eine rege Tätigkeit [und gründete] in richtiger Einsicht von einem diesbezüglichen Mangel das alkoholfreie Speisehaus, das bei Rauchverbot vegetabilische Kost zu mäßigen Preisen vielen Gästen eine willkommene Stätte bot. Abgesehen vom Wort Obmännin klingt das alles sehr modern.
In Meran ist Emmy Ludolph heute eine Unbekannte. Doch auch im weltweiten Netz ist sie nicht wirklich aufspürbar. Obwohl es zu zwei ihrer Ehemänner lange Artikel auf Wikipedia gibt, hat sie dort nicht mal eine Nennung als namenlose Ehefrau. Was sich, wenn Wikipedia will, natürlich schnell ändern lässt. Kniffliger sind die Antworten auf Fragen wie: Wenn sie Schriftstellerin war, wo sind ihre Werke? Wo ihre Fotografien? Wie sah sie aus und was erinnert in Meran oder Passeier noch an sie?
Das Erinnern gehört zum weltweiten Frauentag. Klassischerweise haben, jährlich am 8. März, historische und aktuelle Frauenrechtlerinnen ins Licht gerückt zu werden. Und manchmal werden hierfür auch die Artikel vom Vorjahr – vollständig unverändert – wiederverwendet. So wie ich an dieser Stelle nochmal das Titelbild dieses Blogartikels abbilde, verbunden mit dem Aufruf:
Helft uns, Emmy zu finden!
Auf dass unter diesem Symbolbild irgendwann Fotos und Texte von Emmy Ludolph zu sehen sein werden.
Auf dass dieser Artikel nicht unverändert bleibt…
UPDATES:
11.04.2023: Emmys veröffentlichtes Foto von der Eröffnung der Jaufenstraße haben wir gefunden! Allerdings ist sie nicht – wie im Blogartikel beschrieben – mit ihrem Namen als Fotografin genannt. Danke an Larissa Peters von der Staatsbibliothek Berlin bzw. Matthias Klemm von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, die uns die Artikel geschickt haben: "Nationale Sommerfahrten in Südtirol" von Alfred Geiser aus der „Daheim“, 48. Jahrgang, Heft Nr. 41, 1912 vom 13. Juli, Seite 4ff. (Bild links) bzw. die Beilage „Bilder vom Tage“ aus dem "Berliner Lokalanzeiger", Heft Nr. 315, 1912 vom 22. Juni (Bild rechts).
18.04.2023: Endlich ein Foto von Emmy! Giuseppe Aprea vom Centro Documentale dell’Isola di Capri hat uns Kopien der Zeitschrift “Il Gabbiano” geschickt, in denen Emmy Meyer erwähnt bzw. abgebildet ist.
Aus den verschiedenen Artikeln der Zeitschrift geht hervor, dass Emmy bereits mit ihrem ersten Ehemann einen Sohn hatte, Georg Rogge, zirka um 1900 geboren. Mit Max Meyer, mit dem sie im November 1905 nach Capri gezogen ist, hatte Emmy neben Mercedes (geboren am 1. August 1906) noch eine weitere Tochter, Hildegard (geboren am 5. April 1909), die jedoch 1916 verstirbt. 1913, als sie den Meraner Frauenverein gründete, hatte sie also drei Kinder, der Tod von Hildegard ist in den Meraner Sterbebüchern nicht verzeichnet, sie war zu dem Zeitpunkt wohl schon von Meran fortgezogen. Mercedes wiederum hatte zwei Töchter, Ingeborg (geboren am 17. Februar 1925 auf Capri) und Barbara.
Emmy heiratete ihren dritten Ehemann Ludwig Gurlitt im September 1922, zog mit ihm im Februar 1924 wieder nach Capri, wo sie – ganz im Sinne ihres Meraner Frauenvereins – eine „Kulturschule für junge Mädchen“ errichteten und bis 1926 führten. In der Zeitschrift „Il Gabbiano“ ist nur von Ludwig Gurlitt als Gründer die Rede, was aufgrund seiner Vorgeschichte als Lehrer, Reformpädagoge und Herausgeber von Schulbüchern ja naheliegt. Tatsächlich wird auch Emmy ihrerseits als Gründerin des Meraner Frauenvereins einiges von ihren Erfahrungen und Ideen eingebracht haben. Laut Zeitschrift „Il Gabbiano“ stirbt Emmy 1929 in München, Ludwig Gurlitt 1931 in Freudenstadt.
21.04.2023: Lügt der Grabstein von Mercedes Meyer? Emmys Tochter Mercedes Meyer, verehlichte (später geschiedene) Gurlitt, ist laut Grabstein im Evangelischen Friedhof von Meran am 22. August 2007 mit 101 Jahren in Überlingen gestorben.
Warum sie, die ja Kinder hatte, in Meran beigesetzt worden ist, wissen wir nicht. Auch der Sterbeort Überlingen, der auf dem Meraner Grabstein angegeben ist, ist fraglich. Zumindest hat das Stadtarchiv Überlingen (Bodenseekreis, PLZ 88662) weder in den Sterbebüchern noch in den alten Ausgaben der Stadtzeitung einen Sterbeeintrag oder eine Sterbeanzeige gefunden. Auch von Überlingen am Ried in der Gemeinde Singen (Landkreis Konstanz, PLZ 78224) kam die Antwort, dass weder in den Kirchenbüchern, noch im Melderegister oder den Archivkarteien ein Sterbefall mit dem Namen Mercedes Meyer oder Gurlitt eingetragen sei. Eine weitere Ortschaft oder Gemeinde mit dem Namen Überlingen konnten wir nicht finden.
07.10.2023: Emmy ist auf Wikipedia!
Endlich haben wir mehr Material beisammen und einen Wikipedia-Artikel zu Emmy, sowie einen zum Verein der erwerbenden Frauen Meran verfasst. Zu unserer Freude sind sie gesichtet und für relevant befunden worden. Also eine weibliche Biografie mehr in der deutschsprachigen Wikipedia, deren Frauenanteil bislang erst bei 17% liegt. >>> Emmy auf Wikipedia
Der verschollene Fotograf
Ein mysteriöser Passeirer namens Franz Ploner.
Ein mysteriöser Passeirer namens Franz Ploner.
Text und Fotokolorierung: Tobias Egger-Karlegger
Wie es der Zufall so will. Im Sommer letzten Jahres geriet ich an das Bilderarchiv der Familie Ploner, welches ich von einem Familienmitglied im Vertrauen erhielt, um die Fotos ein wenig zu sortieren und zu digitalisieren. Da es sich um zahlreiche Fotos und Postkarten handelte, zog sich die Arbeit über das Jahr hin und eigentlich wollte ich die Fotos schon wieder zurückgeben. Doch immer wieder fiel mir ein markantes Gesicht auf. Als ich die Fotos etwas sortierte, fand ich plötzlich den Namen heraus: Franz Ploner: Obst, Gemüse, Südfrüchte, Landesprodukte u. Kurzwaren steht auf einem Schild. Direkt darunter zu sehen ist wieder dieser große Mann wie auf dem Präsentierteller – unverkennbar.
Seine Fotos in Chronik- und Geschichtsbüchern aus unserem Tal. Versteckt in den Bildverzeichnissen fand ich in verschiedenen Büchern seinen Namen, vor allem bei Bildern aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Ich stellte mir immer wieder die Frage: Wer war dieser Franz? Warum ist er auf so vielen Fotos zu sehen und warum gibt es nur Bilder von ihm in jungen Jahren?
Laut Fotos und Postkarten war Franz schon zu Kriegsbeginn 1914 beim 2. Regiment der Tiroler Kaiserjäger. Er muss damals also zumindest 18 Jahre alt gewesen sein. Der letzte Brief an die Eltern ist von 1918. Daher ist davon auszugehen, dass er bis Kriegsende im Wehrdienst war und somit fast vier Jahre im Krieg.
Das Fotoarchiv der Familie Ploner ist erstaunlich vollständig. Es gibt von fast jedem Familienmitglied Fotos von Kindes- bis ins hohe Alter bzw. auch Sterbebilder. Auf Nachfrage bei den Nachkommen habe ich die Information bekommen, dass der Franz Fotograf gewesen sei, jedoch den Verbleib wisse man nicht genau. Er soll auch mit Schmugglerware hantiert haben.
Wurzeln in Rabenstein. Da mir bekannt war, dass sein Vater Thomas Ploner ein Bergknappe bzw. Grubenaufseher am Schneeberg war, habe ich die Taufbücher der damals noch eigenständigen Gemeinde Rabenstein durchgenommen. Und siehe da, gefunden! Franz Thomas Ploner geboren am 26. Mai 1894 in Rabenstein, Sohn des Thomas Ploner (geboren am 2. Dezember 1853 in Villanders, gestorben am 15. September 1919 in St. Leonhard) und der Theresia Pfitscher (geboren am 23. Oktober 1868 in Rabenstein und gestorben am 21. Juni 1950 in St. Leonhard).
Das Todesdatum von Franz Ploner fehlt im Taufbuch. Auch notierte der Pfarrer nachträglich folgenden Passus: hat die verlorene italienische Staatsbürgerschaft auf Grund des Art. 11 Gesetzesdekret Nr. 23 vom 2.2.1948, wie aus der diesbezüglichen Mitteilung der Präfektur von Bozen Optionen-Revisionsamt hervorgeht, wiedererlangt. Das bedeutet, dass er die Staatszugehörigkeit zu Italien durch die „Option“ im Zweiten Weltkrieg verloren hat und sie durch den entsprechenden Antrag wieder zurückerlangte. Also hat Franz das Land verlassen und ist nach dem Krieg wieder zurückgekehrt.
Familientragödie. Aufgrund mehrerer Familienfotos, reizte es mich, etwas über die Geschwister herauszufinden, um so vielleicht eine Verbindung zu Franz herstellen zu können. Besonders tragisch dabei ist der Tod der ältesten Schwester Maria, die im Hungerjahr 1918 im Alter von 20 Jahren an einer Lungenentzündung (wahrscheinlich der Spanischen Grippe) starb. Zuvor waren bereits ein Bruder (Alois 1892–1893) und eine Schwester (Barbara 1908–1909) im Kleinkindalter nach nur wenigen Monaten verstorben. Laut Sterbebild trat der Vater im Jahre 1909 seine Rente an und kaufte laut Grundbuch im Jahr 1913 das Windeggerhaus in St. Leonhard. Die Familie lebte also von da an nicht mehr in Rabenstein.
Rückkehr aus dem Krieg. Nach vier Jahren Kriegszeit kamen Franz und sein Bruder Alois zurück in die Heimat. Es wird für sie sicher nicht einfach gewesen sein, wieder ein geregeltes Leben zu führen und in der Gesellschaft in St. Leonhard Fuß zu fassen. Hinzu kamen der plötzliche Tod der Schwester Maria im selben Jahr und nicht mal ein Jahr später auch noch der Tod des Vaters Thomas nach langer Krankheit, der vermutlich an einer Staublunge erkrankt war.
Aktives Gesellschaftsleben bei den Umgestülpten. Es scheint, als hätte sich Franz doch ganz gut in der Dorfgemeinschaft von St. Leonhard zurechtgefunden. Zu sehen ist er allerdings nicht nur auf den Mannschaftsfotos der Feuerwehr, sondern sein Gesicht findet sich auch bei einem etwas schräg klingenden Verein namens Die Umgestülpten – Vince Luna wieder. Laut der Zeitung Volksbote vom 17.05.1923 wurde dieser Verein am Auffahrtstage 1898 vom Arzt Dr. Eduard Neurauter, genannt „Zeus“, gegründet. Es ist die ’Vince Luna’ oder Gesellschaft der ’Umgestülpten’, ein Verein, der fröhliche Geselligkeit mit Gesang und Gemütlichkeit pflegt, so liest man im Artikel. Die Mitglieder dieses Vereins waren allesamt im Dorf angesehene Bürger und Beamte mit Rang und Namen. Welche Aufnahmebedingungen dieser Verein hatte, geht nirgends hervor.
Dass der Franz Teil dieser Gruppe war, wundert nicht, denn die „Plonerer“ sind allgemein sehr gesellige Menschen, so sagt man. Jedenfalls steht fest, dass in der Stammtischgesellschaft gerne Ausflüge und gesellige Abende verbracht wurden, so beschreibt es auch Bergrevierinspektor Hans Wallnöfer (1881–1949) in seinen Erzählungen. Im Jahr 1928 wurde der Verein der Umgestülpten aufgelöst. Grund dafür könnten Unstimmigkeiten mit den italienischen Behörden gewesen sein.
Die letzten Fotos von und mit Franz. Im Bilderarchiv befinden sich nach dieser Zeit immer weniger Fotos, die auf den Fotografen Franz Ploner hindeuten. Eigentlich sollte er mit knapp 30 Jahren die Blütezeit seines Lebens erreicht haben, doch ich vermute, dass er nicht so gerne einer Arbeit nachgegangen ist, sondern sich lieber unter die Menschen mischte. Vielleicht hat er sich an kriminellen Machenschaften beteiligt, wie Schmuggel oder ähnlichem, was zu dieser Zeit durchaus üblich war, und musste deshalb untertauchen? Vielleicht hat er in seinem Laden nicht nur Südfrüchte und Kurzwaren verkauft, sondern auch Schmugglerware? Der letzte Hinweis, dass es sein Geschäft beim Strobl gab, ist ein Artikel im Volksbote vom 4. März 1920, in dem berichtet wird, dass in seinem Laden gewaltsam eingebrochen wurde und mehr als 500 Lire gestohlen wurden. Auch existiert eine Gewerbeliste von 1921, in der das Geschäft als Landesproduktenhandlung angeführt wird.
Das Foto zeigt Franz Mitte der 1920er Jahre auf einer Kutsche talauswärts bei der Gerlosbrücke vor dem Reinstadlhof, den seine Schwägerin Theresia Egger 1925 erbt. Das Plonerhaus, wie es auch genannt wird, brennt 1956 vollkommen nieder. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.
Die Spuren verlieren sich. Neben ein paar Familienfotos Ende der 20er Jahre und Fotos mit einem Stempel mit dem Namen von Franz auf der Rückseite gibt es keine Spur mehr zu seinem Verbleib von ihm im Passeiertal. Im Jahr 1936 stirbt die Schwester Anna. Im selben Jahr wird der Name Ploner im Zuge der Italienisierung in Pioneri geändert, so geht es aus dem Eintrag des Bruders Alois im Taufbuch hervor. Dessen Sohn Albert (Neffe von Franz) wurde 1939 Mitglied der Faschistischen Jugend und erst 1944 wird der Name wieder in Ploner zurück geändert.
In der Zwischenzeit muss sich Franz für die „Option“ ins Deutsche Reich auszuwandern entschieden haben. Wohin der Weg ihn geführt hat, ist nicht bekannt, ebenso wenig ob Franz wieder in die Heimat zurückgekehrt ist. Verwandte wissen zu berichten, dass Franz nach dem Zweiten Weltkrieg in der Umgebung von Innsbruck gelebt haben soll. 1950 stirbt die Mutter. Fotos von der Beerdigung gibt es leider nicht. Mit dem Brand beim Reinstadlhof vulgo Plonerhaus sind wohl auch einige Fotos und Erinnerungen in Flammen aufgegangen.
Der letzte datierte Befund, dass sich Franz im Passeiertal aufhält, ist ein Schreiben des Inhabers des Gasthauses Leiteben (heute verlassen und verfallen) unterhalb der Jaufenalm von 1927, in dem es um eine Fotobestellung geht: Guter Freund! habe heute im meinem Schreibsachen alte Fotografien gefunden bräuchte des halb die bestellten nicht zu machen die Aufnahmen werde ich wergieten Mit Grus Plangger Cass. Leiteben. Foto: Familie Ploner, nachträglich koloriert.
Von Franz Ploner bleibt die Erinnerung an einen mysteriösen großen Mann, der mit seinen Fotografien doch nicht so einfach aus unserer Talgeschichte vergessen werden kann.
Die Geschichte sollte hier eigentlich noch nicht zu Ende sein.
Wer Hinweise zu Franz Ploner und seiner Familie hat, mag sie uns bitte weitergeben.
UPDATES:
7. Juni 2023: Franz Ploner ist in Innsbruck im Ostfriedhof im Stadtteil Pradl begraben. Als Todesdatum ist der 24. Jänner 1970 angegeben, sein Grab Nr. 66 befand sich in Grabfeld 61, es ist nicht mehr erhalten. In den Adressbüchern von Innsbruck findet sich 1964 und 1970 ein Franz Ploner als Pensionist mit Wohnsitz in der Dorfgasse 7.
Es war einmal ein Doktorhaus
Über eine Villa der Jahrhundertwende, die nicht mehr ist.
Über eine Villa der Jahrhundertwende, die nicht mehr ist.
Text und Fotos: Manuel Thoma
Vier Jahrzehnte und einen Besitzerwechsel mit Renovierungsplänen später steht es nun vor dem Abriss, lese ich Anfang Jänner 2023 im Artikel Liegengebliebenes von Judith Schwarz in diesem Blog des MuseumPasseier. Die Rede ist vom sogenannten Doktorhaus, Ebnerhaus oder auch Neurauterhaus, einer alten Villa, die bis vor kurzem am unteren Ende der Kohlstatt in St. Leonhard in Passeier stand.
Für mich war es immer schon das „Neurauterhaus“, ohne jedoch irgendetwas Genaueres über dessen Geschichte oder den Namensgeber zu wissen. In meinen Erinnerungen war es nie bewohnt, es stand halt einfach da. Dann jedoch, im Wissen, dass es eben nicht mehr lange dastehen wird, entstand die Enttäuschung, niemals erfahren zu können, was es noch im Inneren beherbergte. Ich hatte nämlich schon immer diese kindliche Neugier, genau das wissen zu wollen. War es noch eingerichtet oder komplett leer? Wurde es irgendwann nochmal renoviert oder war alles noch so, wie vor 50, 60 Jahren? Gab es dort wirklich eine Turnhalle, wie es früher unter uns Kindern erzählt wurde?
Glücklicherweise bekam ich noch die Möglichkeit, mir das Haus anzusehen, sogar in Ruhe bis in die oberen Etagen spazieren zu können. Und nein, es gab dort keine Turnhalle, jedoch wunderbar hohe Räume mit alten Dielenböden, mehrere Kachelöfen, Möbel, teils im Stile der 50er, 60er Jahre, ein Stiegenhaus mit angenehm niedrigen Stufen und einem massiv gearbeiteten Holzgeländer… gute Handarbeit eben. Alles in einem Zustand, als wäre das Haus bis vor kurzem noch bewohnt gewesen. Dieser Besuch war der Auslöser, mich genauer mit der Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner*innen zu befassen.
Ich begann also meine Recherchen in Büchern und verschiedenen Online-Archiven. Meine Ausgangspunkte waren: Doktorhaus, Ebnerhaus, Neurauterhaus. Und ich hatte einen Namen:
Doctorhaus, neu. So kurz und bündig beschreibt Josef Tarneller das Haus in seinem Werk über die Hofnamen im Burggrafenamt von 1909. Doch bereits 1895 fällt einem Zeitgenossen die rege Bautätigkeit in St. Leonhard auf und er bemerkt dazu Folgendes: Der Arzt Dr. Neurauter baut eine Villa in der Nähe des Bräuhauses, sowie auch in der Nähe des Gasthof Theis gebaut wird. Ebenso hat der neue Stroblwirth einen Stock aufgebaut.
Die Zeichen standen auf Aufbruch in jener Zeit. Die Talstraße von Meran bis St. Leonhard war gerade im Entstehen, nichtsdestotrotz hatte sich der Tourismus bereits Jahre vorher schon bis in die hintersten Ortschaften des Passeiertals ausgebreitet. Neue touristische Strukturen wurden gebaut, bestehende erweitert. Vor allem die Sommerfrischler*innen aus den Städten zog es in den Sommermonaten in die höhergelegenen Täler. Die Kurstadt Meran war gerade inmitten eines wirtschaftlichen und kulturellen Höhenflugs. Grandhotels und unzählige Villen entstanden in Meran, viele davon Bauten des Historismus und des Jugendstils. Vielleicht dienten sie als Vorbild für unser Doktorhaus?
Das Doktorhaus war einzigartig für das Passeiertal, brachte es doch ein Stück städtisches Flair in ein Gebirgstal, welches zur Zeit der Erbauung noch nicht einmal über eine Straße nach Meran verfügte. Mit seinen verzierten Rundbögen und dem gusseisernen Geländer des überdachten Balkons, der Eingangstür mit kunstvoll gestaltetem Oberlicht oder dem mit Zinnen versehenen Turm war es immer schon anders als alle anderen Gebäude des Tales. Insofern dürfte das Haus bereits als Neubau die Aufmerksamkeit vieler Talbewohner*innen und Durchreisenden auf sich gezogen haben, führte doch der damalige Talweg direkt am Haus vorbei.
Vom Doktorhaus tauchen nur sehr wenige detaillierte Fotoaufnahmen älteren Datums auf. Die erhaltenen Abbildungen zeigen jedoch, dass sich das Gebäude von 1895 bis Jänner 2023, also 128 Jahre lang, kaum verändert hat.
In den Zeitungsartikeln jener Zeit wurde das Haus nur sehr selten erwähnt, höchstens in nebensächlichen Bemerkungen. So zum Beispiel 1902 anlässlich des 25 Jahr-Jubiläums von Dr. Neurauter, als am Vorabend eine Lampionsbegleitung zum Doctorhaus, veranstaltet wurde, wo eine kleine Serenade stattfand und der Jubilar am nächsten Tag mittags von seinem schön geschmückten Wohnhause abgeholt und in feierlichem Zug zum Gasthof Theis geführt worden war. Eine weitere Erwähnung fand das Haus 1907 in einer Meuchelmordgeschichte, als der Wirt des Bräuhauses den betrunkenen Johann Plattner (ehemaliger Bauer auf dem Aignerhof) gegen das sogenannte Doktorhaus hin begleitete, in dessen Nähe Plattner kurze Zeit später von Josef Pixner, einem ledigen Knecht aus St. Martin, erschossen wurde. Nochmal kurz erwähnt wurde das Haus im Jahr 1919 in der Zeitung Der Tiroler: Die Villa Dr. Neurauter in St. Leonhard in Passeier ist durch Kauf um 12.000 Lire an die Gemeinde übergegangen. Über diesen Verkauf konnte ich jedoch keine weitere Dokumentation finden, auch ist im Grundbuch dazu nichts eingetragen worden.
Ganz anders verhält es sich bei seinem Erbauer Dr. Eduard Neurauter. Sein Leben kann durch Berichte in Zeitungen und Dokumenten über viele Stationen hinweg nachverfolgt werden. Wer war also dieser Mann, der kurz vor der Jahrhundertwende in einem kleinen, bäuerlichen Dorf eine Jugendstil-Villa errichten ließ?
Eine herzensgute Seele. Ein Artikel in der Ausgabe vom 24.02.1912 der Tiroler Stimmen berichtet vom Tod des Dr. Eduard Neurauter, Arzt in Passeier. Im Nachruf wird ein Mann beschrieben, der, allen Schwierigkeiten zum Trotz, seine gesamte ärztliche Laufbahn im Passeiertal verbracht hatte. Bei der Bevölkerung war er beliebt, bekannt für seine Gastfreundschaft und Geselligkeit, angesehen und geschätzt für seine Bemühungen als Arzt, Ehrenbürger von St. Leonhard und St. Martin.
Eduard Neurauter entstammt einer Bauernfamilie aus Längenfeld im Ötztal, er wurde dort 1845 geboren. Und obwohl er nicht aus einem bürgerlichen Hause kommt, hat er die Möglichkeit bekommen, das k.k. Gymnasium in Brixen zu besuchen und anschließend in Innsbruck das Medizinstudium zu absolvieren. Er kommt 1876, gleich nach Abschluss seines Studiums, als Gerichtsarzt ins Passeiertal, wo er 1879 Maria Wilhelm aus St. Leonhard heiratet. Sie wohnen damals noch im Deluccahaus. Maria Wilhelm stirbt dann jedoch 1887 im Alter von nur 30 Jahren an einer Leberentzündung. Bereits ein Jahr danach ist Eduard Neurauter mit Maria Linhart aus Meran verheiratet, 1889 kommt die gemeinsame Tochter Aloisa auf die Welt. Sie wird das einzige Kind des Paares bleiben.
An die “Neurauter-Frauen” erinnert heute nur noch das Familiengrab an der südlichen Mauer der Pfarrkirche. Auch die Mutter von Eduard Neurauter, Maria Plörer, ebenfalls aus Längenfeld, ist in diesem Grab bestattet worden. Sie starb nur zwei Wochen vor Maria Wilhelm, seiner ersten Frau. Über die einzelnen Familienmitglieder konnte ich aus den zeitgenössischen Quellen leider nur sehr wenig herausfinden. Es dominiert die Persönlichkeit des Gemeindearztes.
Ein Arzt im Gebirge. Was es heißt, in dieser Zeit Gemeindearzt eines Hochgebirgstales zu sein, können wir mehreren Zeitungsartikeln entnehmen. Ein unbekannter Zeitgenosse schrieb dazu am 27.02.1912 in den Tiroler Stimmen als Nachruf eine persönlich erlebte Geschichte mit dem Arzt, welche über die Beschwerlichkeit jener Tage berichtet, dabei aber auch den Charakter Neurauters beschreibt:
Südtirol, 25. Februar. (Eine herzensgute Seele.)
Im Berichte der „T. St.“ Nr. 45 vom Tode des Dr. Neurauter von St. Leonhard i. P. schreiben Sie: „Er war eine herzensgute Seele“. Zum Beweise dieses Satzes kann folgende Erinnerung dienen.
Vor ungefähr 25 Jahren war ich einmal an einem Winterabend bei ihm auf Besuch. Er hatte gerade seine Pfeife angezündet und seine schneeigen Stiefel in der Küche ausgezogen; denn er war von einem Gange von Schlattach zurückgekehrt. Da kam ein Bauer von Obertall und bat ihn, zu seinem Weibe, welches im Wochenbett war, zu gehen. Er sei, so erzählt er, schon in der Früh vom Hause fortgegangen und sei den ganzen Tag herumgelaufen, um einen Arzt zu bekommen, habe aber keinen auftreiben können. Der Arzt in Schönna sei unwohl und könne nicht gehen und in Meran habe er mehrere Ärzte aufgesucht, aber keiner sei gegangen. Endlich habe er sich noch entschlossen, nach St. Leonhard in Passeier zu gehen.
Dr. Neurauter wandte ein, Tall gehöre nicht zu seinem Sprengel, man brauche über 4 Stunden, er sei schon ganz abgehetzt und müde, es schneie. Da unterbrauch ich ihn mit der Bitte: „Mein lieber Doktor, sei so gut und geh. Es gilt eine Frau im Wochenbett.“ Er schien dies erwartet zu haben, denn sogleich erwiderte er recht gutmütig: „Wenn du ihm auch noch hilfst, muss ich nachgeben. Gehen wir also in Gottes Namen.“ Ich wusste aus Erfahrung, dass man seinem Edelmute sehr viel und seiner Leistungsfähigkeit im Gehen Außerordentliches zutrauen konnte.
Indem nun seine Frau ihm ein Glas Wein vorstellte, schaute sie ihn mit einem Seitenblick auf den Bauer fragenden Blickes an. „Natürlich, sagte er, er braucht es notwendiger als ich.“ Sogleich brachte sie auch dem Bauer ein Glas Wein und suchte für ihn etwas aus dem Speisekasten heraus. Während der Doktor die Stiefel anzog, steckte ihm die Frau ein kleines Fläschchen „Holer“ und ein Stück Brot in die Rocktasche; dann ging es in die Winternacht hinaus, durch Schneegestöber in die Berge, Tall zu.
Als mir der Doktor am folgenden Tage begegnete, rief er mir schon von weitem zu: „Gott sei gedankt, dass ich gestern nach Tall gegangen bin; drei Personen habe ich das Leben gerettet; die Mutter und zwei Büblein sind frisch und gesund“ und sein ganzes Gesicht leuchtete vor Freide. Ich musste dann mit ihm gehen, um ein kleines Freudenfest zu feiern. Die Rechnung des Doktors an den Tallerbauern war dann so mäßig, dass sie selbst dem armen Bäuerlein zu niedrig schien. – Ja ja, der verstorbene Dr. Neurauter war wirklich eine herzensgute Seele.
Dies ist der einzige Bericht, in dem auch die Frau des Arztes erwähnt wird. Wobei unklar ist, ob es sich um seine erste Frau Maria Wilhelm oder um Maria Linhart handelt. Sicher ist jedoch, dass das Ehepaar Neurauter zu der beschriebenen Zeit noch im Deluccahaus wohnte. Der Artikel gibt außerdem eine Vorstellung davon, welche körperlichen Anstrengungen ein Arzt in unserer Gegend auf sich nehmen musste, besonders im Winter und zu einer Zeit, als es noch keine Talstraße gab und die Wege allgemein in sehr schlechtem Zustand waren.
Fein sein, gemütlich sein, fröhlich sein bei Sang und Klang. Ein vielbeschäftigter Mensch brauchte natürlich auch einen Ausgleich zu seiner anstrengenden Arbeit. Und die fand Eduard Neurauter, wie öfters berichtet wird, bei Musik und Geselligkeit, und im Besonderen bei einer Vereinigung namens Vince luna, auch genannt „Die Umgestülpten“, welche von Dr. Neurauter, genannt „Zeus“, 1898 gegründet wurde, und der er lange Zeit als Obmann vorstand. Dabei handelte es sich um eine Gesellschaft, welche aus Bürgern und Beamten des Dorfes bestand. So wurden neben regelmäßigen Treffen der Mitglieder auch besondere Feierlichkeiten mit dem vereinseigenen Streichorchester musikalisch begleitet, so z.B. die Feier für den neu ernannten Landesgerichtsrat Bezirksrichter Karl Delago. Auch Johann Wallnöfer, der ehemalige Hutmann am Schneeberg, war auf einer Durchreise Gast bei einer Sitzung von Vince luna: Die Sitzung dauerte aber sehr lange – der Mond hatte gesiegt, war aber schon im Verblassen. Da Eduard Neurauter in seiner Studienzeit Mitglied der Tiroler Studentenverbindung Corps Gothia war und von daher bereits mit dem Verbindungswesen vertraut war, könnte man Vince luna als eine Art „Weiterführung“ der Verbindungstätigkeit sehen.
Dr. Neurauther leidet wahrscheinlich an Gehirnerweichung, berichtete am 02.02.1912 der Tiroler Volksbote. Zwanzig Tage später verstarb er im Alter von 67 Jahren in St. Leonhard. Er wurde unter großer Beteiligung der Bevölkerung, Geistlichkeit, Verwaltung und Politik zu Grabe getragen. Einige der Gäste reisten dafür sogar mit dem Automobil aus Meran an.
Nach seinem Tod lebten die Witwe Maria Neurauter und die Tochter Aloisia (genannt die „Doktor Luise“) zurückgezogen im Doktorhaus. Maria Neurauter wurde bis zu ihrem Tod am 11.09.1937 von ihrer Tochter umsorgt. Danach erbte Tochter Aloisia das Haus und verkaufte es 1944 an den Gemeindearzt Dr. Romedius Ebner. Damit zog eine neue Arztfamilie ins Doktorhaus ein. Mit Aloisa Neurauter stirbt am 08.02.1966 das letzte Mitglied der Familie Neurauter, weitere Nachfahren sind bisher nicht bekannt.
Mittlerweile ist auch das Doktorhaus verschwunden, womit die Kohlstatt in St. Leonhard wieder einmal um ein historisches Gebäude ärmer geworden ist. Nach dem Schmiedhaus, dem alten Kindergarten und dem Lodenwalcherhaus musste nun auch das Doktorhaus einem Neubau weichen. Zumindest wurde so die Aufarbeitung der Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner*innen angestoßen, um das Doktorhaus auch der Nachwelt, wenigstens in dieser Form, erhalten zu können. Ja, das Doktorhaus, das war einmal…
Doktorhaus am 22.01.2023 – 28.01.2023 – 04.02.2023.
Falls du Fotos zum Doktorhaus hast, melde dich!
Wir würden sie sehr gerne sehen.
info@museum.passeier.it
Interessiert dich weitere Lektüre zum Doktorhaus?
Lies auch den Blogartikel zur Arzttochter Berta Ebner, die von 1930 bis 1980 im Doktorhaus lebte.
Liegengebliebenes
Über Berta Ebner, die mehr einzustecken hatte, als eine Bombe an ihrem Lebensende.
Liegengebliebenes
Die Geschichte von Berta Ebner, die mehr einstecken musste, als eine Bombe an ihrem Lebensende.
Die Geschichte von Berta Ebner, die mehr einzustecken hatte, als eine Bombe an ihrem Lebensende.
Von Judith Schwarz
Die Tage nach Neujahr sind eigentlich Tage für Liegengebliebenes. Früher galt nämlich: Man kann sich “zwischen den Jahren” bis Dreikönig Zeit lassen für Dinge, die man im alten Jahr erledigen wollte. Für diesen Blogartikel über Berta Ebner, den ich vorhatte 2022 zu schreiben, ist der Zug also noch nicht abgefahren. Stay tuned!, sag ich mir seit Silvester, diese liegengebliebenen Zeilen dürfen getrost jetzt erst erscheinen.
Es begann im nunmehr vorjährigen Sommer. Ich hörte von der Historikerin Monika Mader zum ersten Mal von “Le strage di Bologna”, dem Anschlag von 1980 am Zugbahnhof von Bologna. In einem abgestellten Koffer im Wartesaal war eine Zeitbombe explodiert. Und ich hörte zum ersten Mal, dass auch eine ledige Passeirerin an jenem 2. August um 10:25 Uhr auf einen Zug gewartet hatte. Um inmitten der Explosion, die vermutlich Neofaschisten zu verantworten hatten, zu sterben.
Sollte ich über diese Frau schreiben? Berta Ebner war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Ihr Leben möglicherweise bis zu jenem 2. August 1980 friedlich und unauffällig verlaufen. Ihre Eltern und Geschwister nicht mehr am Leben, ihr Nachlass nach über 40 Jahren höchstwahrscheinlich verschollen.
Trotzdem begann ich zu suchen: Warum war Berta Ebner, die Tochter des Gemeindearztes von St. Leonhard, an jenem Tag in Bologna gewesen? Wer war diese Arztfamilie, die in einer Jugendstil-Villa im Dorf gelebt hatte? Können sich die älteren Passeirer*innen noch an die “explodierte” Arzttochter erinnern?
Berta Ebner war so unauffällig, dass es auffällig ist. In den Zeitungsberichten zum Bomben-Attentat finden sich immer wieder dieselben Informationen: Die Verstorbene aus St. Leonhard in Passeier war 50 Jahre alt, ledig, Hausfrau, führte ein zurückgezogenes Leben, pflegte ihre 84-jährige Mutter, war zufällig auf Italienreise gewesen. Ihr Passfoto taucht auf einigen Websites auf, welche die Erinnerung an die 85 Todesopfer des Anschlages wachhalten wollen und dazu jährlich am 2. August Gedenk-Aktionen starten.
Um zu erinnern, muss man wissen. Je weniger Kenntnis wir über Berta Ebner haben, umso schneller wird ihr Leben ein leeres Blatt Papier werden. Das Schwarz-Weiß-Foto von Berta bunt zu bemalen und in einem weiß gestrichenen Koffer von Bologna nach Passeier zu schicken, wird das nur bedingt verhindern. So dachte ich, als ich im Sommer von der jüngsten Erinnerungs-Aktion “A destino” hörte. Nun, ein halbes Jahr später, zeigt sich: Der symbolische Koffer hat nicht nur still vor sich hin gemahnt. Er ist zum Auslöser geworden, um weitere Spuren zu Berta Ebner zu suchen.
Wo sucht man am besten nach Ebners? Natürlich in Zeitungen. Und tatsächlich taucht Berta Ebner bereits vor ihrem tragischen Tod in Bologna 1980 in einem Bericht in den Dolomiten auf, nämlich 1958 in Sorrent bei Neapel. Als 28-jährige Frau hatte sie dort – aus welchen Gründen auch immer – ihr Gedächtnis verloren! Laut Zeitungsnachricht war sie verwirrt, aber unverletzt – und man fand weder bei der Polizei noch im Krankenhaus Näheres heraus: “Mutter und Schwester kamen nach Neapel, doch konnte sich Berta Ebner an sie nicht ‘erinnern’ und auch jegliches Zureden war umsonst. Sie tat, als ob Mutter und Schwester ihr vollkommen unbekannte Leute wären.” Also “[…] kehrten Mutter und Schwester mit Berta nach Sankt Leonhard zurück und die Aerzte hoffen, daß das arme Mädchen in ihrer gewohnten Umgebung die Erinnerungsgabe wieder erhalten werde.”
Ein ruhiges und unauffälliges Leben? Davon bekommt man keine Amnesie. Eher von traumatischen Erlebnissen, von Unfällen, Stress oder Schock. Wir wissen nicht, ob oder wann Bertas Erinnerungen zurückgekehrt sind. Oder wie in der Passeirer Arztfamilie mit dem Gedächtnisverlust umgegangen wurde. Und vor allem was ihn ausgelöst hat. Auch wenn der Zeitungsbericht dazu schweigt, in einem Dorf wird immer geredet. “Berta hat studiert gehabt und hatte irgendwann ein Kind, das haben ihr die Eltern aber genommen, weil es ein “Italienerkind” war. Man hat nie gehört, ob Mädchen oder Bub und wo das Kind überhaupt ist", erzählen ehemalige Nachbarn der Ebners.
Möglich wär es schon. Dass Bertas Amnesie in Süditalien eine Schockreaktion auf ein Ereignis war, das mit ihrer Schwangerschaft oder mit der Wegnahme ihres Babys zu tun hatte. Für die Einheimischen ist klar: “Man hat ihr das Kind genommen, und dann ist die Berta übergeschnappt. Da hat es dann Probleme gegeben, dass sie zum Beispiel im Unterrock umhergegangen ist und so.”
Umgekehrt wäre es auch denkbar. Zumindest solange wir keine Angaben zum Geburtsdatum des Kindes haben (im Grunde haben wir nicht mal gesicherte Angaben zur Existenz des Kindes). Was, wenn Berta erst in Folge ihres Blackouts “Probleme” gemacht hat und eines dieser Probleme die Schwangerschaft war? Die Geburt des Kindes, irgendwo auswärts, soll in den 60er Jahren gewesen sein, als Berta rund 30 Jahre alt war, glauben Leute im Dorf zu wissen. Ganz genau können sie ihre Erinnerungen allerdings auch nicht abrufen.
Also vielleicht doch Nachkommen! Das (vermutete) Kind könnte heute zwischen 60 Jahre alt und älter sein und irgendwo in Italien leben. Berta soll gerne Italienreisen unternommen haben, wird in den Zeitungsberichten zu ihrem Tod betont. Was, wenn diese Reisen in irgendeiner Weise mit ihrem Kind zusammenhingen? Was, wenn das “Italienerkind” der Grund gewesen ist, warum Berta am 2. August 1980 am Bahnhof in Bologna auf einen Zug gewartet hat?
Im Dorf wurde gemunkelt. “Die Leute haben immer spekuliert, dass Bertas Bruder das Kind nach Deutschland mitgenommen hat”. Aber Bertas älterer Bruder Romed (1923–2011), zum Zeitpunkt der Amnesie bereits Arzt wie sein Vater, heiratete eine Biologin und gründete vor seinem Tod eine Stiftung zur Unterstützung von Medizinstudent*innen, in die sein Vermögen floss. Von einem Kind keine Spur. Bertas jüngere Schwester Elisabeth (1933–2015) hingegen war ab 1962 verheiratet, mit einem Arzt, und hatte einen Sohn.
Und Berta als Jugendliche? Sie scheint bereits als junge Frau gegen Korsette rebelliert zu haben. Über ihre Zeit als Studentin (wahrscheinlich der Pharmazie) und das Maturajahr 1949 am wissenschaftlichen Lyzeum in Brixen ist wenig bekannt. Mit 13 Jahren war sie jedoch im 360km entfernten Bregenz in Österreich im Internat untergebracht. Die dortige staatliche Oberschule für Mädchen und das Schülerinnenheim “Marienberg” liegen in der Nähe von Heimertingen, der Heimatstadt ihrer Mutter Berta Ebner geb. Schneider (1895–1980). Berta schreibt pampige Briefe über ihre Mitschülerinnen (“zwiedere Pfotten”) und das Essen (“Fetter kann man hier auch nicht werden”). Die Internatsleitung klagt, Berta sei nicht willens, sich einzufügen.
Ein lebensfrohes Kind, wie es alle anderen sind. Das solle mit ihrer Hilfe aus Berta werden, sendet die Heimleiterin nach Passeier und fügt – wir haben das Jahr 1943 – “Heil Hitler!” hinzu. Eine schwierige Aufgabe, da Berta stets als “sehr verschlossen” beschrieben wird. Vielleicht hatte sie es bereits in ihrer Grundschulzeit in St. Leonhard schwer, Anschluss zu finden – als bürgerliche Tochter eines Arztes und einer Reichsdeutschen. Bertas Lebensfreude zu wecken scheint dem Bregenzer Internat jedenfalls nicht gelungen zu sein: Berta wechselt die Schule und schließt das Schuljahr 1943/44 an der Mädchenoberschule St. Christina in Gröden ab. Im Jahreszeugnis ist zu lesen: Verschließt sich scheu den Kameradinnen.
Bertas Distanziertheit hat vielleicht auch andere Gründe. Berta ist nämlich nicht die erste Berta, sondern die zweite. 1921 bekommen Berta Schneider und ihr Gatte Romedius Ebner ihr erstes Töchterchen Berta, zwei Jahre später den schon erwähnten Sohn Romed. Am 12. Mai 1929 feiert das achtjährige Mädchen ihre Heilige Erstkommunion, zwei Tage später stirbt sie plötzlich. “Die Berta hat auf dem Bichl oben Wasser getrunken. Und man hat immer gesagt, sie hat eine ‘Iifer’ (Fadenwurm) getrunken und ist daran gestorben. Das ist sehr schnell gegangen.” Für eine Familie, die einen Arzt im Haus hat, ist dieser Tod doppelt schwer zu schlucken. Knappe neun Monate später kommt Berta auf die Welt.
Ein 8-jähriges Kind plötzlich zu verlieren bedeutet Familienkrise. Zumal in einem bürgerlichen, konservativen Kreis, in dem man bedrückende Lebensumstände lieber unter den Teppich kehrt, als unglücklich aufzufallen. “Die Frau Doktor hat viel gefragt, aber umgekehrt hat man über sie nie etwas erfahren.” Nichtsdestotrotz, dass die “alte Ebnerin” ihren Mann und Passeier hat verlassen wollen, weiß man sich in St. Leonhard heute noch zu erzählen. Und auch, wie sie beim Ausbrechenwollen blamiert zurückruderte, als ihr Mann beim Kofferpacken half. Berta erlebt eine Mutter, die im Tal wenig beliebt und unglücklich ist. Die Frau Doktor, die hochdeutsch gesprochen hat, galt als geizig, pingelig und äußerst streng. War andererseits aber selbst in einem gestrengen, abgehobenen Milieu gefangen.
Ein Leben mit ihren Eltern. Als der Bruder als Arzt Karriere in Deutschland macht und die Schwester einen Arzt heiratet und fortzieht, bleibt Berta der Part der ledigen Tochter, die sich um die alternden Eltern kümmert. Vielleicht waren ihre Italienreisen auch eine Flucht vor dem Leben im Elternhaus in St. Leonhard?
Mutter und Tochter leben sehr zurückgezogen. Erst recht nachdem 1967 Bertas Vater 81-jährig verstorben ist. Als dann im August 1980 Berta in Bologna ums Leben kommt und wenige Monate später ihre Mutter an Herzinfarkt und Lungenentzündung stirbt, bleibt das Bürgerhaus der Ebners am westlichen Ortrand von St. Leonhard leer zurück. Vier Jahrzehnte und einen Besitzerwechsel mit Renovierungsplänen später steht es nun vor dem Abriss. Im November 2022 machten Monika Mader und ich einen Hausbesuch. Und fanden in der Doktorvilla so etwas wie Berta Ebners Chance, nicht vergessen zu werden.
Von wegen verschollener Nachlass! Unmengen von Schulheften, Studiennotizen, Unibüchern. Gemälde von unbekannten Vorfahren. Zu Paketen geschnürte Briefe. Kisten voller Fotos von Urlaubsreisen. Spielsachen der verstorbenen Schwester. Arztbesteck. Praxisschilder. Traueranzeigen. Zeugnisse. Ein Röntgenbild. Ein Herbarium. Ein Kinderbett. Bertas Geschwister Romed und Liesl hatten wohl keine Verwendung für die Habseligkeiten. So sind sie über eine Zeit von über 40 Jahren liegen geblieben.
Das Liegengebliebene seinerseits wird seine Zeit brauchen. Um gesichtet, erkannt oder verkannt zu werden. Um geordnet oder durcheinander gebracht zu werden. Oder um liegen zu bleiben. Stay tuned!
Du hast weitere Informationen oder Quellen zu Berta Ebner und ihrer Familie?
Bitte lass sie nicht liegen, sondern schick sie uns oder erzähl uns davon!
Süßsaure Geschichten
Wir haben in das Thema Apfel gebissen.
Wir haben in das Thema Apfel gebissen.
Von MuseumPasseier
“Irgendwann werden die alten Apfelbäume verschwunden sein!”: Diese Aussage von Adolf Höllrigl, der im Museum zu einem Interview über Zullen geladen war, brachte uns zum Nachdenken. Denn bei alten Dingen, die verschwinden, hören und schauen Museen ja meist genauer hin. Allerdings können wir die noch erhaltenen Passeirer Streuobstwiesen mit den knorrigen Bäumen nicht museumsgerecht im Depot konservieren. Doch wir können sie fotografieren und für deren Erhalt sensibilisieren. Oder auch anregen, wieder vermehrt alte Sorten als Hochstämme zu pflanzen.
Also haben wir in das süß-saure Thema Apfel gebissen. Süß, weil es spannend und wertvoll ist. Sauer, weil es keine Passeirer Literatur oder Erhebung dazu gibt. Um die geschichtliche und heutige Situation der Apfelbäume in Passeier zum Museumsthema zu machen, haben wir der Volkshochschule Südtirol einen Vortrag vorgeschlagen. Und uns gemeinsam mit den Referenten Adolf Höllrigl und Wolfgang Drahorad auf die Suche nach historischen und gegenwärtigen Passeirer Äpfeln gemacht.
Wie viel Apfelgeschichte gibt die Passeirer Geschichte her? Dass es keine umfassende Dokumentation werden konnte, war klar. Aber auch einige kleine Apfelschnitz können reichen, um auf den Geschmack zu kommen. Apfelbäume gehörten einst zu fast jeder Hofstelle oder jedem Pfarrhaus – dennoch schweigen die älteren Quellen zu Apfelsorten und Apfelanbau in Passeier. Vereinzelt findet man in Verfachbüchern allgemeine Erwähnungen wie Baumgarten, Obis anngerle usw. Und höchstens fallen einem noch die Passeirer Kraxenträger ein, die verschiedene Obstsorten transportierten und verkauften. Allerdings hat von denen natürlich keiner Buch geführt.
Interessant wird es in den 1830er Jahren: Johann Jakob Pöll (1781–1848) war ein vom Pöllhof in Ulfas gebürtiger Priester, der alle möglichen Dinge auf die Beine stellte: Als Lehrer und Direktor an einer Stadtschule in Bozen gründete er eine Bibliothek, errichtete eine Industrieschule für Mädchen, unterrichtete Taubstumme, sammelte Münzen und züchtete Obstbäume. Seine apfelkundlichen Beobachtungen hielt er in Texten und Zeichnungen fest und gab dazu 1831 im Eigenverlag ein Buch zur Pomologie mit zahlreichen Holzschnitten heraus. Es gilt heute als das früheste Südtiroler Buch über Obstbaumzucht. Dass es keine Passeirer Apfel-Literatur gibt, ist also zu revidieren: Ein Passeirer hat literarisch Obstbaugeschichte geschrieben!
Was bedeutete Pölls Pomologie-Buch für Passeier? 33 Jahre nach Erscheinen von Pölls “Anleitung zur Obstbaumzucht” und damit auch lange nach Pölls Tod, kam es in St. Martin zur ersten landwirtschaftlichen Vereinsversammlung. Zum Obmann gewählt wurde der Dorfarzt Johann Hillebrand (1812–1886) und unter den ersten gefassten Beschlüssen findet sich auch „die Hebung der Obstzucht“. Was dieser Beschluss in der Obstbaumszene bewirkt hat, konnten wir nicht feststellen.
1924 dann ein Highlight in Bezug auf die Passeirer Obstgeschichte: Im Frühjahr hatte die landwirtschaftliche Bezirksgenossenschaft in St. Leonhard einen Obstbaukurs organisiert, im Herbst wurde dann sozusagen geerntet. Im Speisesaal des “Passeirerhof” fand eine viertägige Obstsortenschau samt Vorträgen mit Begehungen statt. An dieser ersten Sortenschau haben 32 Obstzüchter aus Passeier teilgenommen, die insgesamt – man lese und staune – 48 Apfelsorten präsentierten.
48 Apfelsorten aus Passeier, die wären heute nicht auffindbar. Die Schau, die in den lokalen Zeitungen besonders erwähnt wird, war zur damaligen Zeit eine Besonderheit. Der Schreiber der Bozner Nachrichten beendet den Artikel mit dem Aufruf: „Andere Täler, nehmt euch ein Beispiel!“ Unter den Ausstellern waren unter anderem (aus St. Martin) der Kaufmann Alfons Schenk, (aus St. Leonhard) der Kaufmann Johann Delucca, Anton Fauner von Happerg, Leonhard Kofler von Unterzögg, Franz Hofer von Wiedersicht-Felsenegg, Josef Bacher vom Straußengütl, der Pfarrwidum, Josef Halbeisen vom Krustnerhof, Josef Gufler von Buchenegg, (aus Moos) Josef Pamer von Magfeld, der Platterwirt Johann Hofer, Georg Öttl von Obermagfeld, Josef Raffl aus Stuls.
In dieser Zeit überrascht auch außerhalb des Tales ein Passeirer als Fachmann: Rudolf Schiefer (1880-1970) aus St. Leonhard. Kurioserweise schaffte er es als lediger Bub, der nach dem frühen Tod seiner Mutter in armen Verhältnissen und auf verschiedenen Höfen aufgewachsen war, an die renommierte Landwirtschaftsschule San Michele all`Adige, die zu der Zeit hauptsächlich Gutsbesitzern- und Adelssöhnen vorbehalten war. Ab 1908 war er selbst als Lehrer an der Schule tätig und forschte über landwirtschaftliche Anbaumethoden – für Obst und vor allem für Reben. Nebenbei war er ständig als Wanderlehrer auf Achse und auch viel im Passeier unterwegs. Älteren Generationen ist er noch als „der alte Schiefer“ oder „Schnitzer Ruudl“ bekannt.
Und wer sticht unter den frühen kommerziellen Passeirer Apfelbauern hervor? Ein jüngeres Beispiel für einen Passeirer, der immer wieder in Zusammenhang mit Obstbau auftaucht, ist Anton Fauner (1875–1955), Bauer auf Happerg in St. Leonhard. 1905 verpachtete er dem k.k. Arär, also dem Staat, 799 m² Ackergrund zur Anlage und zum Betrieb einer Baumschule. Unter seinen Unterlagen, die die Familie verwahrt, finden sich noch Aufzeichnungen, ein Arbeitsbüchl und auch Schreiben der C.A.F.A. (Cooperativa Anonima Frutticoltori Alto-Atesini Merano), die 1933 gegründet worden war und der im Laufe der Zeit etliche Passeirer Bauern wie Anton Fauner beigetreten waren. Sein Enkel Reiner Fauner erinnert sich noch an den Pflanzgarten und die Äpfel seiner Kindheit:
Zu Hause hatten wir jeden Tag Kompott. Aber den hatten wir auch gerne. Strudel hat die Mutter viel gemacht, da nahm sie hauptsächlich die Kanada und auch für den Kompott. Bratäpfel und Most hat es auch gegeben.
Zur Pause in der Schule hatten wir immer einen Apfel mit. Ich hab selbst oft gestaunt, weil die Äpfel haben wir nie genug mitgetragen in die Schule, denn alle wollten mit uns ihr Pausenbrot mit den Äpfeln tauschen. Die einen waren um die Äpfel froh und wir hatten ihre Brote gerne.
Wir haben als Kinder immer gepflückt. Wir sind am Morgen pflücken gegangen anstelle des Kirchengangs vor der Schule, haben eine Stunde gepflückt, sind dann Schule gegangen, nach Hause zum Mittagessen, dann ist wieder gepflückt worden. Wir waren nur alleine als Kinder. Wir hätten auch lieber etwas anderes getan, konnten aber auch nichts andres tun, denn diese Arbeit war zu verrichten.
Den Arbeitsschritt, wie das Auszupfen, wie man es heute im Frühjahr macht, gab es damals nicht. Im Herbst wurde gepflückt, im Sommer manchmal gespritzt. Der Vater hat Schläuche angerichtet, die wir nachziehen mussten. Er hat es so angerichtet, dass oberhalb des Hauses eine Rease (Wasserteich) war. Da hat er das Spritzen angerichtet, also eine Pumpe und mit den Leitungen zum Herumleiten.
Alte Sorten hatten wir hauptsächlich Goldparmän und Kalterer. Die Sortennamen haben wir alle gekannt. Edelrote sind vor dem Haus zwei, drei Bäume gestanden, einige ziemlich große und ein paar Kanada auch. Die Boscoop waren gute, ein bisschen säuerlich aber eher spätere. Zum Kompott machen sind sie supergut gewesen. Von den Grafensteinern hatten wir auch zwei Bäume.
Der Vater wollte das Geschäft mit den Äpfeln groß aufziehen, doch einige Jahre waren die Äpfel fast gar nichts wert. Er hat zu uns gesagt, dass er uns für die Arbeit mit den Äpfeln keinen Lohn geben kann, gescheiter sollen wir einer Arbeit nachgehen. Er hat dann entschieden, dass er den Anger planieren will und hat fast alle Apfelbäume herausgeschnitten, dann kam die Firma Peer von Latsch und hat alles angeebnet.
Der Ëpflpåtsch, das sind die ausgepressten Äpfel, der kam erst später auf, den hat man bei der C.A.F.A. oder beim Zipperle gekauft, um das Vieh zu füttern: Äpfel aufschneiden und dann pressen und was davon übrigblieb, war der „Ëpflpåtsch“. Den hat dann das Rindvieh als Futter bekommen.
Und der „Ëpflpåtsch“ ist dann meinem Vater und meinem Bruder Gernot zum Verhängnis geworden. Und auch nur weil kein Mensch eine Ahnung gehabt hat, denn auf dem Apfelsilo drauf ist die Gebläsehechsel gestanden, lässt man die an, ist die Luft sauber. Das war dann eben auch der Zufall, dass der Schneider Albert eine Ladung „Ëpflpåtsch“ gebracht hat und er gesagt hat, dass er nochmal kommen wird und hat die Luke offenlassen. Er wollte dann erst wieder am nächsten Tag kommen. Wenn die Luke zu gewesen wäre, wäre mein Bruder erstens nicht runtergesprungen und mein Vater nach um ihn zu retten, und zweitens hätten sich nicht diese Gase gebildet. Das sind eben immer diese Zufälle.
Ich war nicht zu Hause, ich glaube ich war im Dorf, da war ein Markt. Mich hat „der Spitaler“ angesprochen. Ich solle nach Hause gehen, zu Hause ist etwas passiert. Ich habe gefragt was los ist, er sagte „Einer ist in den Silo gefallen“ und ich hab kaltschnäuzig zur Antwort gegeben: „Dann wird er wohl wieder raufgehen!“. Als ich dann nach Hause gekommen bin, habe ich schon gesehen, was passiert ist. Bis die Feuerwehr mit Atemschutzgeräten gekommen ist, hat es zu lange gedauert. Fünf bis zehn Minuten hat man Zeit, sonst ist das Hirn kaputt. Zu leiden haben sie nicht gehabt, das geht schnell. Der Silo ist auch falsch gebaut gewesen. Er ist 6 Meter tief gewesen und ohne Luftloch. Danach haben sie dann, wenn neue Apfelsilos gebaut worden sind, überall Luftlöcher eingebaut.
Wir danken Reiner Fauner fürs Erzählen seiner Familiengeschichten, in denen Äpfel gute und auch traurige Rollen spielen. Gerne veröffentlichen wir hier weitere Passeirer Apfelgeschichten, schreib deine einfach in die Kommentare oder schick eine Mail an info@museum.passeier.it
Andenken an die lieben Verstorbenen
Zur Geschichte der Sterbebilder.
Zur Geschichte der Sterbebilder
Von Elisa Pfitscher
Totenbild, Totenzettel, Sterbebild, Trauerbild oder auch Trauerzettel. Viele Bezeichnungen für denselben Brauch innerhalb der europäisch-katholischen Kultur. Die Verteilung von Sterbebildern, welche anfangs noch handgeschriebene Totenzettel waren, erfolgte bereits seit Mitte des 17. Jahrhunderts im Gebiet der heutigen Niederlande. Zunächst nur Wenigen vorbehalten und als aufwendige Kupferstiche produziert, erreichte die Herstellung und Verteilung von Sterbebildern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Bayern und Tirol.
Kein Geistlicher und vor allem: kein Mann! Das älteste Sterbebild aus dem Passeier, welches im Museum erhalten ist, ist einer von Lueg am Fuße des Prenners stammenden Frau, welche in St. Martin verheiratet war, gewidmet. Elisabeth Jenewein war als Gross-Tabaktraffikantin des Krämerladens wahrscheinlich keine Unbekannte im Dorf. Sie führte nach dem Ableben ihres ersten Mannes Karl Amort den Laden weiter und heiratete ein zweites Mal den aus Rabenstein gebürtigen Johann Ennemoser. 1845 verstarb sie mit 46 Jahren. Gewiss gibt es noch ältere Sterbebilder aus dem Passeier, wie jenes aus der Sammlung von Harald Haller, welches aus dem Jahre 1838 stammt und, wie das von Elisabeth Jenewein, ein umfunktioniertes, auf der Rückseite bedrucktes Andachtsbild ist. (Dorfbuch St. Leonhard in Passeier, Band 1 “Geschichte und Gegenwart” 2000, S. 351)
Ursprünglich wurden sie im Gebetsbuch aufbewahrt, um immer wieder an die Verstorbenen erinnert zu werden. Allzu oft fallen sie einem gar nicht mehr auf und gehören zum Inventar wie das Kreuz an der Wand: Die Sterbebilder findet man bei uns üblich in der Stube, in einer Ecke oder im Herrgottswinkel aufgestellt, an den Leisten des Getäfels geheftet oder um das Waichprunninkriëgl aufgereiht. Irgendwann landen sie in einem Schuhkarton, weil es im Laufe der Jahrzehnte zu viele geworden sind und aus Pietätsgründen nicht weggeworfen werden. Bei besonders nahen Menschen, welche verstorben sind, verwandelt sich jener Ort, an dem die Sterbebilder platziert sind, nicht selten zu einem kleinen Altar: Geschmückt mit Rosenkranz, Blumen, Kerzen und dergleichen bleiben die lieben Menschen ständig präsent und geraten nicht in Vergessenheit.
Der sein junges Leben für Führer, Gott und Heimat zum Opfer brachte. Der Umstand, dass in den Kriegen viele junge Männer fielen, welche nicht in ihrer Heimatgemeinde überführt und bestattet werden konnten, führte dazu, dass die Totenzettel das einzige für Familie und Bekannte waren, was an den Gefallenen oder Vermissten erinnerte. Angaben zum Rang der Männer innerhalb der Armee waren stets vorhanden. Obergefreiter und Panzerjäger Alois Gufler findet auf dem Sterbebild seiner Mutter im Jahr 1959 Platz, da er nach dem Krieg nicht mehr Heim gekommen war und seine letzte Nachricht bereits über 15 Jahre zurück lag. Auch erst nach vielen Jahren wurde der Vermissten auf einem Grabstein gedacht. Bei anderen Opfern des Krieges ist der letzte Aufenthaltsort zu lesen, sowie oft sogar der Umstand des Todes. Diese Praxis zu Zeiten des Krieges trug maßgeblich dazu bei, dass das Sterbebild auch heute noch als Erinnerungsbild dient.
500 Tage Ablaß, monatlich vollkommener. Anders als die Ansprache bei der Beerdigung, welche sich mit dem vergangenen Leben der verstorbenen Menschen befasst, richtete sich der Totenzettel ursprünglich an die Zeit nach dem Ableben, an das Jenseits. Der Sterbezettel war bis vor einigen Jahrzehnten mit der Bitte versehen, für das Seelenheil der Toten zu beten und mithilfe der sogenannten Ablassgebete ihnen den Weg durch das Fegefeuer zu erleichtern und zu verkürzen, welcher aufgrund der irdischen Schuld zu verrichten ist. Bis zur Reformation nach dem zweiten vatikanischen Konzil in den 1960ern, waren die Kärtchen mit diesen Ablässen zugunsten der Verstorbenen versehen.
Interessante Entwicklung in ihrer künstlerischen und inhaltlichen Form der Sterbebildchen. Ältere Kärtchen halten sich grundsätzlich an wenige Regeln, denn ihre Formen weichen stark von der heutigen einheitlichen Form ab. Wie Werner Ollig und Werner Thaler im Montaner Sterbebilderbuch ausführlich beschrieben haben, wurde anfänglich auch bei uns im Kupferstichdruck produziert, ab 1840 im neuen Stahlstichdruckverfahren. Bis in die 1960er war es zunächst üblich, dass Heiligen- und Andachtsbilder, welche in großen Druckereien gefertigt wurden, zu Sterbebilder umfunktioniert wurden, indem auf die Rückseite der Nachruf für den Verstorbenen von einer kleineren Druckerei in der näheren Umgebung gedruckt oder handschriftlich angebracht wurde. Der Name der Druckerei war meist am unteren Rand der jeweiligen Seite genannt.
Von den gewöhnlichen schwarz-weißen Motiven zu verspielten Ton in Ton Abbildungen. Seit 1860 gebrauchte man die Lithografie, den Steindruck für die Herstellung der Kärtchen. 20 Jahre später konnten die Bilder bereits mithilfe der Chromlithografie erstmals in Farbe gedruckt werden, damals aber fast ausschließlich nur die Bildseite. Ab der gleichen Zeit versah man die Karte mit einem Foto der Verstorbenen, zunächst sorgfältig zugeschnitten und anschließend in die dafür vorgesehenen Felder geklebt. Mit der Zeit nahm das Abbild des Verstorbenen immer größeren Platz ein. Fast alle Sterbebilder weisen eine schwarze Umrandung auf, den Trauerrand.
Hinter dem Brauch steckt nach wie vor die Tragik des Todes. Oft dauerte es eine Weile, bis das fertige Sterbebild in der Heimatgemeinde unter Familie und Freunde verteilt werden konnte. Es ergab sich so, dass sich auf einem Kärtchen gleich mehrere Personen befanden, welche in der letzten Zeit aus derselben Familie verstorben waren. So findet man auf einigen Kärtchen bis zu vier Verstorbene. Exemplarisch hierfür ist das Sterbebild der Familie Tribus vom Obergrafeishof im Gemeindegebiet von St. Leonhard. Bei einem Murenabgang im Juli 1940 kamen drei der vier Familienmitglieder ums Leben. Nur die Tochter überlebte das Unglück in dieser fürchterlichen Nacht.
Ein Anstoß, damit sich das Rad der Erinnerung dreht. Für die Nachwelt besonders bedauerlich ist die Kürzung der Informationen auf der Sterbekarte: Die heutigen Sterbebilder geben neben dem Namen und dem Sterbedatum, einem Foto und einem frommen Spruch, nicht viel Auskunft über das Leben und Ableben des verstorbenen Menschen. Diese wenigen Zeilen, oft versehen mit einer Beschreibung der Persönlichkeit und den Umständen des Todes, machen den Blick in die Vergangenheit besonders lebhaft. Mit einigen Informationen lässt sich viel erahnen und so mancher kann sich nach einem kleinen Gedankenschubs an die Momente, als man von dem Tod des oder der Bekannten hörte, erinnern.
„Zur frommen Erinnerung im Gebete“. Heute steht anstelle des Gebetes häufig ein Gedicht oder ein bekanntes Zitat. Die Fotos wurden größer, aus Platzmangel wurden es faltbare Doppelblätter. Statt frommer Motive wie Christus am Kreuz und die betende Madonna sind Kunstdarstellungen und landschaftliche Motive zu sehen.
Einen festen Platz in der Gesellschaft. Wenn sie auch eine immense Veränderung innerhalb der letzten 150 Jahre durchgemacht haben, so behalten Sterbebilder immer noch einen festen Platz im Ritual der Verabschiedung eines Dahingeschiedenen. Sie sind für die Beschäftigung mit der Geschichte unerlässlich und nicht weniger bedeutsam für die Ahnenforschung. Wie lange es sie noch geben wird, ist unklar. Denn mittels Digitalisierung finden viele alte Traditionen ein Ende. Das Durchwühlen von alten Sterbebildern garantiert jedoch, dass man sich in vergangene Zeiten begibt und ein wenig nostalgisch und ehrfürchtig wird.
Über die Zulle
Gegen das Ungeziffer: Erzählungen über Maikäferplagen im Passeier.
Gegen das Ungeziffer: Erzählungen von Maikäferplagen im Passeier.
Von Elisa Pfitscher.
Recherchen: Annelies Gufler, Judith Schwarz
Der 6. September – ein wichtiger Tag für die Passeirer*innen. An diesem Tag wird an den Heiligen Magnus gedacht, welcher bis heute in vielen Teilen Deutschlands und Österreichs unter der bäuerlichen Bevölkerung als Schutzpatron vor Schäden durch allerlei Getier gilt. Magnus von Füssen, der um das siebte Jahrhundert ursprünglich auf den Namen Maginold getauft wurde, lebte unter Einsiedlern, als Mönch im heutigen St. Gallen. Mit seinem Abtstab soll er Schlangen und Dämonen vertrieben haben, ja sogar einen Drachen soll der Mönch damit überwältigt haben. Magnus bewahrte die Menschen vor Untieren, aber auch vor Kleinlebewesen, wie dem Maikäfer und den Engerlingen, welche die Ernte der Felder zu vernichten drohten.
Besonders gedacht wird Magnus in der Fraktion Gomion. Aufzeichnungen aus dem Pfarrarchiv von St. Leonhard bezeugen, dass der Feiertag seit dem Jahre 1833 begangen wird, aus Anlass der vorhergehenden verheerenden Zullen-Jahre. Die Bezeichnung Zulle stammt wohl vom trentinischen Begriff „Zurla“ ab, welcher von trentiner Wald- und Bauarbeitern gebracht wurde. Auch das welschtiroler Wort „Zoria“ kann dabei Pate gestanden sein (Passeirer Blatt, 05/2013). Das Wort „Zurna“ oder „Zurla“ bezeichnet ein ursprünglich osmanisches Musikinstrument, welches ein Oboe-ähnliches Holzblasinstrument ist und dessen charakteristischer Ton aus surrenden und hohen-durchdringenden Lauten besteht. Es könnte somit ein lautmalender Ausdruck für die Geräusche sein, die man an einem heiteren Frühlingsabend unter einem Laubbaum voller Maikäfer vernimmt.
Die Zulle ist seit Menschengedenken ein Übel, welches nicht unter Kontrolle zu bringen ist. Die Bauern hatten große Sorge um ihre Ernte, denn dieser Blatthornkäfer ernährt sich – wie bereits der Name verrät – von den Blättern der Laubbäume, und dies in einem Ausmaß, dass sogar die Walnüsse im Tal zu einer Rarität wurden. Nüsse waren ein wichtiges Grundlebensmittel und wurden sogar im Gasthaus als Einsatz beim Kartenspielen genutzt. Gab es ein Jahr mit vielen Maikäfern, fand man kaum noch eine einzige Nuss am Baum und so auch nicht am Wirtshaustisch (mündliche Erzählung von Annelies Gufler).
Hintern Huuli gips kuëne Zulln! Dass der Aufruf zum Magnus-Feiertag erfolgreich war, bestätigen teilweise die alten Sprichwörter im Passeiertal. Man kann mehrere Gründe dafür vermuten: Blieben die Gomioner von den Zulln verschont, weil die Ortschaft zu hoch gelegen ist? Oder mochten die Zulln dieses Plätzchen im Passeiertal nicht? Gab es doch vor dem Magnus-Feiertag zum Teil große Schäden auf den Höfen hinter St. Leonhard. Trotz der Erzählungen und Mythen wurde Gomion dennoch nicht verschont.
Eine Katastrophe für eine Bauersfamilie in der Nachkriegszeit. Rosa Hauser (Kourtl Rouse), Jahrgang 1933, erinnert sich, wie schwer es sie und ihre kinderreiche Familie auf dem Hof in Schlattach getroffen hatte. Als sie 12 Jahre alt war, haben Engerlinge alle Wurzeln von Gras und Weide abgefressen. Als der Vater daraufhin mähen wollte, wurde das Ausmaß des Schadens ersichtlich: Der Woosn geat hee, die Grassoden lösten sich, die wenigen Grashalme waren abgedorrt. Der Jahresertrag fiel dementsprechend gering aus und der Boden war zum Teil völlig unfruchtbar.
Eine Lösung gegen ein Ungeziefer, welches kaum Feinde kennt. Der Maikäfer hat mindestens den Dachs, den Marder und den ein oder anderen Vogel – wie etwa den Rotfußfalken im Etschtal, auch Zullenfalke genannt, zu fürchten. Der Engerling hingegen wird nur vom Maulwurf verspeist. Manche Passeirer*innen hofften, dass wenigstens die Hühner diese Viecher fressen möchten, doch diese verzehrten kaum einmal einen zappelnden, zirpenden Maikäfer. Anders die gekochte Variante: Zulln wurden eingesammelt, mit brühend-heißem Wasser übergossen und auf den Mist geworfen, wo viele von ihnen vom Federvieh gefressen wurden.
Nicht nur eine Spezialität für Hennen. Im Pustertal galten die unbeliebten Frühjahrsgäste als Nahrungsmittel und wurden mancherorts zu einer heilsamen und nahrhaften Suppe verkocht, welche nervenstärkend und blutreinigend sein soll. Obwohl sich die Mythen darum ranken, dass das Würzmittel „Maggi“ aus Maikäfern gewonnen wird, kann dies anhand der Recherchen nicht bestätigt werden.
Letztlich müssen sich die Bauern selbst helfen und eine Lösung gegen die Zulln-Plage finden. Und diese bestand vor allem aus dem Einsammeln der Tiere. Die Tatsache, dass eine einzelne Familie gegen die große Plage nicht viel bewirken konnte, erkannten auch die Verbände im Land. Es galt im Kollektiv die Schädlinge zu beseitigen. In den Nachkriegsjahren wurde daher ein Erlass vom Landwirtschaftsinspektorat, in Zusammenarbeit mit den Bürgermeistern der Gemeinden, veröffentlicht, welcher jede*n der Gemeinden erreichen sollte. Mit Unterstützung des Ortspfarrers wurde auf die Anordnung aufmerksam gemacht, um mit Hilfe aller Bauersleut der betroffenen Gemeinde die wiederkehrende Plage abzuwenden.
Schritt für Schritt gegen das Ungeziffer. Wie soll die gemeinsame Bekämpfung der Schädlinge erfolgen? In bestimmten Gemeinden wurden Sammelstellen errichtet, an denen – vielfach auch von Kindern – Eimer und Säcke voller Maikäfer hingebracht wurden. Solch eine Sammelstelle gab es auch in Kuens, erzählt der 80-jährige Adolf Höllrigl. Vom Landwirtschaftsinspektorat in Auftrag gegeben, wurden am Tschaupphof in Kuens bis in die 1950er Jahre eingesammelte Zulln abgegeben, gewogen und alle Daten in einem Register vermerkt. Dieser große, zusammengetragene Haufen an Zulln wurde mit siedendem Wasser übergossen und landete abschließend auf dem Misthaufen, wo er zum Teil von den Hühnern verspeist wurde.
Das Unterfangen, so viele Zulln wie möglich einzufangen, bedarf weniger Geschick als Ausdauer. Wichtig war nur, früh genug dran zu sein, da die Käfer am Tage ausfliegen. In der Finsternis hängen sie an den Bäumen und Blättern und fressen all das ab, was sie unter die Fühler bekommen. Am frühen Morgen ging es zu den Laubbäumen und den Weinreben. Diese wurden alle einzeln geschüttelt, um – mithilfe eines darunterliegenden Leintuchs – die benommenen und trägen Zulln rasch einzusammeln. Adolf Höllrigl erzählt aus seiner Jugend und über den Versuch der Einschränkung der Maikäfer-Plage in seiner Heimatgemeinde Kuens:
Die Gegenwart zeugt von den Ereignissen der Vergangenheit. Viele Erzählungen erinnern an die Gefahr von früher, da die Existenz ganzer Familien von den Zulln und Engerlingen bedroht war. Man erbat die Hilfe des Heiligen Magnus, setzte auf die geistliche Unterstützung im Kampf gegen die „Strafe Gottes“ oder verfolgte die Käfer, auch in Folge einer behördlichen Anordnung. Jene Kinder, welche bei der Maiandacht noch ein Exemplar dieses Tierchens – surrend und kletternd – in der Kirche fliegen ließen, machten sich aus dem Streich – im Gegenteil zu den restlichen Kirchgängern – einen großen Spaß (mündliche Erzählung von Konrad und Eberhard Pfitscher aus St. Leonhard).
Die Chemie brachte schließlich Abhilfe, aber nicht nur gegen den Feind. Die Gefahr einer Zulln-Plage ist seit dem Ende der 1950er Jahren sehr viel geringer geworden, da die Obstbäume mit immer mehr Pestiziden und Pflanzenschutzmittel gespritzt werden. Dies jedoch zum Leid aller Insekten, auch deren, welche so nützlich für ein ausgeglichenes Ökosystem sind. Der Preis ist hoch für eine Gegend ohne Zulln.
Die Spitalfrage
Warum Passeier kein Krankenhaus hat.
St. Leonhard kämpfte vor 113 Jahren für das Andreas-Hofer-Hospital.
Warum es nur bei der Planung geblieben ist.
Von Jasmin Angler
„Der Bezirk Passeier steht bezüglich Krankenpflege noch weit hinter der gewöhnlichen Kulturstufe zurück.“ So ernst ist die Lage also, als sich am 13. Februar 1909 die Passeirer Gemeindevertreter an Erzherzog Eugen (1863-1954) in Wien wenden. In ihrem Brief machen sie die dürftige pflegetechnische Versorgung des Tales deutlich und weisen darauf hin, dass es in den eigenständigen Gemeinden Moos, Platt und Rabenstein keine Einrichtung für kranke Menschen gibt.
Was geschieht also mit kranken Personen im Hinterpasseier? Werden sie in die Ferne geschickt, um dort medizinisch versorgt und gepflegt zu werden? Oder wird aus der Ferne jemand zu ihnen geschickt, um sich mit der kranken Person auszutauschen und medizinische Dienste zu leisten? Vor 113 Jahren müssen sich oftmals Kranke, Schwache und Hilfesuchende im Hinterpasseier von Haus zu Haus betteln. Und hoffen, im Austausch mit einer kleinen Gegenleistung aufgenommen zu werden.
Dies kann keine Dauerlösung bleiben. Das betonen die Gemeindevertreter in ihrem Schreiben an den Erzherzog: „Diese gezwungene Krankensorge bringt sowohl für die Sorge des Leibes als auch der Seele viel Unpassendes, Missliebiges und Menschenunwürdiges.“ Die Vertreter sind sich einig, dass diese Notlage Hilfe von außen erfordert. Der Pflegemangel ist so schlimm, dass kränkliche Personen oft den Winter in Scheunen verbringen müssen.
„Ein ungeregeltes Armenwesen bürgt Gefahren für Gesundheit, Religion und Sittlichkeit.“ Mit diesen Worten soll das Schreiben nach Wien die Zustände jener Zeit vor Augen führen. Es wird auch beschrieben, dass es in St. Leonhard eine Einrichtung für Kranke gibt. Diese wird sogar als “gegenwärtiges Krankenhaus” bezeichnet.
Warum ist die Lage dennoch so schlimm wie sie ist? Das damalige Gebäude für die Krankenversorgung ist kein Krankenhaus im heutigen Sinne, sondern eine kleine soziale Einrichtung, in der Arme und Kranke untergebracht werden. Es wird zu dieser Zeit Armenhaus genannt und befindet sich auf der Stickl oberhalb des Dorfzentrums St. Leonhard (heute Platzlhaus, Gerichtsweg). In den Wintermonaten ist der Weg dorthin eisig, rutschig und schneebedeckt und für die Patient*innen unmöglich begehbar. Der Besuch der Heiligen Messe ist also ausgeschlossen. Und somit ihr einziger Trost.
Die ungünstige Lage ist nicht das einzige Problem. Aufgrund von Platz- und Personalmangel werden nur maximal 15 Hilfesuchende aufgenommen, die von einer (!) Frau versorgt und gepflegt werden. Die Geschichte des Armenhauses in der Stickl startet schon am 19. Februar 1841. Ein anonymer Spender schenkt das Platzlhaus dem hiesigen Dekan. Der Geistliche, Alois Stuefer (1802–1888), legt nun die Grundlagen des späteren Armenhauses: Er beherbergt im kleinen Haus kranke Menschen aus der Pfarre. Die Nachfrage ist so groß, dass die Einrichtung um einen Stock erweitert wird.
Dann tritt Alois Stuefer das Armenhaus ab. Am 24. August 1844 überträgt der Dekan die Einrichtung dem Lokalarmenfonds. Dieser wird durch die Armenkommission vertreten, genauso wie von der Gemeindevorstehung. Später, im November 1894, bestimmt die Gemeinde im Armenhaus zusätzlich ein Arrestlokal zu erbauen.
Wir spulen wieder nach vorne. Und zwar zur dürftigen Pflegesituation in Passeier 1909. Wie reagiert Erzherzog Eugen auf das Schreiben der Gemeindevertreter vom Februar? Am 15. Juni antwortet Kanzler Moritz von Weittenhiller (1847–1911): „(…) daß seine k. und k. Hoheit der Hochwürdigst-Durchlauchtigste Herr Hoch- und Deutschmeister Erzherzog Eugen das Gesuch der fünf Gemeinden St. Leonhard, St. Martin, Platt, Moos und Rabenstein (…) betreffend die Errichtung des Andreas-Hofer-Hospitales in St. Leonhard mit dem gnädigsten Wohlwollen zur Höchsten Kenntnis genommen haben und (…) gerne bereiterklären (…) dieses Werk der Nächstenliebe und des Patriotismus (…) zu unterstützen und zu fördern.“
Doch dem Kanzler ist alles noch zu ungenau. Um mit der Planung fortzufahren, bedarf es weiterer Details. So fragt der Kanzler, wer alles im sogenannten Andreas-Hofer-Hospital untergebracht werden soll: Steht es Kranken und auch Pfründnern zur Verfügung? Pfründner können sich zu jener Zeit mit Geld in ein Krankenhaus einkaufen. Sie sind alleinstehend, haben aber die nötigen finanziellen Mittel.
Außerdem will der Kanzler die Geschlechteraufteilung klären: Wie viele Pfründner und Pfründnerinnen, wie viele kranke Männer und wie viele kranke Frauen sollen aufgenommen werden? Das Festhalten dieser Details ist nötig, um aufgrund der geplanten Maximalbesetzung das Personal anzupassen. Auch wo das neue Andreas-Hofer-Spital stehen soll, will der Kanzler wissen. Als letzte Unklarheit wird die finanzielle Frage genannt: Bevor kein genauer Budgetplan mit Kostenvoranschlag eingereicht wird, kann keine Subvention bestimmt werden.
Wo in St. Leonhard sollte das Hospital überhaupt sein? Helge Adler (1919–1989) hält Folgendes für uns fest: „Im Jahre 1909 stand das Brühwirtshaus zum Verkauf. Diese Gelegenheit sollte genutzt werden um den Neubau eines Krankenhauses für die ganze Gerichtsgemeinde Passeier, also alle Talgemeinden, zu erwirken.“ Helge Adler, geboren in Norddeutschland und mitsamt seiner Familie nach St. Leonhard ausgewandert, ordnete jahrelang das Gemeindearchiv von St. Leonhard. Seine Tochter, Susan Adler, war beruflich als Krankenschwester tätig. Krankenschwester – Krankenhaus: Aus Liebe zu seiner Tochter muss er sich für den geplanten Bau des Andreas-Hofer-Hospitals interessiert haben.
Nach weiterem Austausch der Gemeindevertretungen mit Wien kommt die Zusage vom Sponsoring schriftlich und mit Stempel. Am 22. Dezember 1909 bestätigt der Kanzler dem Vorsteher der Gemeinde in St. Leonhard, Alois Haller: Das Brühwirtshaus kann laut Budgetplan angekauft werden, um dort das Andreas-Hofer-Hospital umzusetzen. Auch der Gemeindearzt von St. Leonhard, Dr. Neurauter, bestätigt das Brühwirtshaus als geeigneten Ort.
Was kann jetzt noch dazwischen kommen? Oder besser gefragt: Wer? In der Recherche von Helge Adler lesen wir, dass die Gemeinde St. Martin dem Projekt nur unter gewissen Bedingungen zustimmt. Eine Bedingung ist, dass die Gemeinde St. Martin automatisch drei Freiplätze bekommt. Wenn dies nicht möglich ist, will man eine finanzielle Entschädigung haben.
Heute gibt es kein Krankenhaus in Passeier. Wieso nicht? Am 3. April 1910 wird vom Gemeinde-Ausschuss St. Martin Folgendes beschlossen: Der geplante Kauf des Brühwirtshauses in St. Leonhard wird nicht anerkannt. Auch Helge Adler fragt sich: „Was war geschehen? Am 22. März 1910 war der Gemeindevorsteher von St. Martin vor dem Landesausschuss in Innsbruck erschienen (…), wobei von S(t). M(artin) gegen den Kauf Einspruch erhoben wurde. Wegen der Dringlichkeit des Vorkaufs hatte der Bürgermeister von St. Leonhard (…) das Brühwirtshaus auf eigene Rechnung bereits gekauft.” Weitere Argumente waren, dass die Kosten mittlerweile erheblich höher ausfielen, dass St. Martin nicht eingebunden worden war bzw. dem dortigen Gemeindeausschuss erklärt worden ist, er hätte “nicht drein zu reden” und St. Martin “glaubte (…) großen Schaden zu erleiden”, wenn wegen des Hospitals das Gerichts-Bruderhaus in St. Martin aufgelöst würde. In St. Martin bestand nämlich, ebenso wie in St. Leonhard, ein Armenhaus und zusätzlich für das Gericht Passeier ein sogenanntes Bruderhaus. Beide in ähnlich kümmerlichem Zustand wie das Armenhaus in St. Leonhard.
Somit kommt das Andreas-Hofer-Hospital – trotz Sponsorenzusage – nicht zu Stande. Die Spitalfrage endet hiermit. Was bleibt, ist der Gedanke: Stellen wir uns vor, dass im Brühwirt, wo heute Gäste bewirtet werden, genausogut Krankenhauspatient*innen behandelt und gepflegt werden könnten.
Kein Märchen
Wie Passeier zu seinem Herrn Holle kam.
Wie Passeier zu seinem Herrn Holle kam.
Von Judith Schwarz
Kürzlich stolperte ich über ein Wort, von dem ich nicht wusste, dass ich es brauchen würde: Serendipität. Es benennt das zufällige, glückliche Entdecken von Objekten oder Informationen, ohne dass man gezielt nach ihnen gesucht hätte. Kurz zuvor hatte ich im Taufbuch von St. Martin die Geburtsdaten eines Herrn Gamper gesucht. Als meine Augen bei einem Herrn Holle hängen blieben.
Wer zur Hölle war dieser Holle?
Und wie kam er ins Passeier? Die Angaben zu ihm lauten: Am 15. Dezember 1880 in Meran geboren, am 23. März 1881 in St. Martin in Passeier auf den Namen Karl getauft, Mutter Sophie Holle, Schauspielerin in Stuttgart, Wohnort Außerhochwies. Hollewind! Hatte es da etwa eine märchenhafte Romanze zwischen einer Schauspielerin und einem Passeirer gegeben?
Damit war Herr Gamper vergessen, der Serendipität und meiner Neugier sei Dank. Gampers hat schließlich jedes Südtiroler Tal, eine Frau Holle mit Sohn hingegen nicht. Wie kommt eine Stuttgarter Schauspielerin mit ihrem Neugeborenen nach Außerhochwies in St. Martin? Blieben sie und ihr Sohn im Passeier? Und warum tauft sie ihn erst nach über drei Monaten, wo man früher doch sozusagen “ums Verrecken” am selben Tag die Taufe vollzogen haben wollte?
Holles Taufe hatte tatsächlich weniger mit der Geburt, als mit dem Tod zu tun. Dies lässt sich aus dem Vermerk „baptizatus morte proximum“ herauslesen: Der Säugling lag im Sterben. Waren also die Geburt im Dezember, das etwaige Gerede der Leute und die Angst vor einem sogenannten “Heiden” im Haus nicht Gründe genug für eine schnelle Taufe? Und erst der nahende Tod durch Krankheit oder Unglücksfall veranlasste die Mutter, das drei Monate alte Kind zu einem Priester zu bringen?
Und der Kindsvater? Ärgerlicherweise fehlen Angaben zur Entbindung in Meran oder zur Hebamme. Und natürlich auch die Angaben zum Vater des Kindes, das den Nachnamen der Mutter trägt. Entweder weil der Pfarrer nicht nachgebohrt hat oder die Mutter nichts dazu sagen wollte. Und die Suche nach Karl Holle in Merans Taufbüchern hätte ich mir sparen können, denn das Kind wurde dort ja nicht getauft. Tja, schön blöd von mir, da lob ich mir meine Funde nach dem Prinzip der Serendipität!
Springen wir zurück in die Zeit, als es noch keine Privacy-Bestimmungen gab. Als die Namen der ankommenden Reisenden sogar in Zeitungen veröffentlicht werden konnten. So listet die Meraner Zeitung unter “Angekommene Fremde zwischen 1. und 5. Oktober” 1880 auf: Fräulein S. Holle, Stuttgart. Nun, sie war bei ihrer Anreise also bereits im vielleicht siebten oder achten Monat, denn rund vierzig Tage nach ihrer Ankunft hat sie die Niederkunft. Ein Passeirer als Vater fällt damit also wohl flach. Kam das hochschwangere Fräulein Holle vielleicht zum Entbinden in die Kurstadt? Oder doch auch zum Schauspielen?
Was treibt Fräulein Holle in Meran? Einige Ausgaben später schreibt dieselbe Zeitung, dass Fräulein Holle im Lustspiel „Hasemanns Töchter“ von Adolph Arronge in der Rolle der Emilie Hasemann aufgetreten sei. Und Zufall oder nicht: Gelobt wird die von ihr gespielte Szene, in der es über die Erziehungsmethode eines noch ungeborenen Kindes geht. Ob sie die Sätze geglaubt hat, die sie auswendig zu lernen hatte: “Abhärten muss man es [das Kind] von früh auf durch kalte Abreibungen!” (2. Akt, 7. Szene)? Die Bühnenfigur Emilie jedenfalls ist im Stück nicht schwanger, Sophie Holles Babybauch also wohl auch nicht ein Grund für das Engagenment.
Die Holle schauspielert nicht nur, sie singt auch. So zum Beispiel Mitte November, also einen Monat vor der Entbindung, im Kurhaustheater eine Arie aus der Oper „Der Waffenschmied“ von Albert Lortzing. Am Wochenende drauf zwei Arien aus „Webers Freischütz“. Und Mitte Dezember, vier Tage vor der Geburt ihres Sohnes, in der Rolle der Rosa in der Ouvertüre Martha. Vergeblich sucht man in den Berichterstattungen der hiesigen Zeitungen jedoch einen Hinweis auf ihre wohl “ansehnliche” Schwangerschaft. Höchstens der Nebensatz Frl. Holle, welche sehr gut disponiert war ließe sich als Andeutung in diese Richtung lesen oder vielmehr wunschdenken. Falls der Kurtheaterverein von der bevorstehenden Geburt gewusst hätte, hätte sie überhaupt auftreten dürfen?
Könnte es sein, dass Fräulein Holle ihre Schwangerschaft verheimlicht hat? Laut Taufbuch von St. Martin brachte Sophie Holle am 15. Dezember 1880 in Meran einen Sohn zur Welt. Die Meraner Zeitung veröffentlicht am 20. Dezember, dass der Meraner Kaufmann Kosmas Wiedner die gewesene Schauspielerin (!) am 14. Dezember wegen Nichtbezahlung von 22 Gulden und 10 Kreuzer verklagt habe und ihr Aufenthaltsort zu diesem Zeitpunkt unbekannt sei. Laut Bozner Zeitung war Fräulein Holle untergetaucht, ohne der Direktion des Kurtheaters Meldung zu machen. Vor allem letztere Aussage machte keinen Sinn, wäre ihre Schwangerschaft und damit ihr voraussichtlicher Entbindunsgtermin bekannt gewesen.
Merans Gerüchteküche brodelt. Bis endlich ein Journalist der Bozner Zeitung Ende Dezember schreibt, dass Fräulein Holle seit einer Woche wieder in Meran weile und während ihrer Abwesenheit ein Konzert in Brixen oder Innsbruck arrangiert habe, also jegliche Gerüchte über ihr plötzliches Verschwinden beste Widerlegung gefunden hätten. Die Meraner Zeitung hingegen weiß am Neujahrtag 1881, dass Sophie Holle beabsichtige aus dem Kurtheaterverein von Meran auszusteigen und mit einem auswärtigen Sänger und mehreren Einheimischen in der ersten Januarhälfte ein Konzert im Kurhaus geben werde. Man lese und staune.
Es kommt, wie es kommen muss. Oder wie es vielleicht geplant gewesen war? Das Konzert, das für den 19. Jänner 1881 angekündigt worden war, wird am Tag der Aufführung ohne Angabe von Gründen abgesagt. Danach wird es still in der Berichterstattung um Sophie Holle, die Presse scheint sich nicht mehr für sie zu interessieren – oder der Bühnenstar ihnen nichts mehr zu bieten. Dann im März dieser ominöse Eintrag im Martiner Taufbuch: Lebte sie zu dem Zeitpunkt auf Außerhochwies? Oder hatte sie etwa den Sohn zur Pflege dorthin gegeben und war selbst in Meran geblieben? Es war damals nicht unüblich, dass man in Passeier gegen ein Entgeld Kinder großzog.
Also eine Taufe ohne das Wissen der Mutter? Auch das wäre möglich. Ebenso, dass die Stuttgarterin Holle evangelisch war. Sollte sie also bei der Taufe nicht anwesend gewesen sein, dann stammten die Angaben bzw. auch die Nicht-Angaben wohl von der angegebenen Taufpatin Barbara Kofler. Das kleine Gütl Außerhochwies östlich von St. Martin (heute Josefsberg, Kammerveiterstraße 37/38) war seit 1872 im Besitz des Webers Jakob Pöhl und seiner Ehefrau Maria Kofler, Barbara Kofler also vielleicht deren Mutter oder Schwester. Und eventuell jene Frau, der Sophie Holle ihr Kind und dessen (richtige oder falsche) Geburtsdaten anvertraute.
Je mehr Antworten man sucht, umso mehr Fragen findet man. Aber irgendwann tauchten auch ein paar neue Hinweise auf. So existiert im Staatsarchiv Ludwigsburg die Personalakte Sophie Holles für das Königliche Hoftheater Stuttgart. Sie war dort 1877 als Chorschülerin eingetreten, ihr Austritt datiert auf den 21. September 1879, also ein halbes Jahr bevor sie schwanger wurde. Ebenso erfährt man, dass sie die Tochter eines Damenschneiders war, unter Verdauungsproblemen in Folge von Anämie litt und sich bei Theaterproben schwer verletzte, als sie in eine Bühnenvertiefung stürzte. Über Gliederschmerzen in Folge des Sturzes klagte sie immer wieder, ebenso über Geldprobleme. Wann genau sie Stuttgart verlässt, warum und wie es sie nach Meran verschlägt, lässt sich aus der Personalakte nicht herauslesen.
Karl in Passeier, Sophie in Stuttgart. So wird die Realität ausgesehen haben. Im Herbst 1882 ist Sophie Holle nämlich wieder in Stuttgart: Sie bittet um Wiederaufnahme als Chorsängerin im Königlichen Hoftheater, da sie ihrer verstorbenen Mutter versprochen habe, sich um ihre jüngeren Geschwister zu kümmern und diese noch zu jung seien, um in die Welt hinaus geschickt zu werden. Das Ansuchen wird abgelehnt. Wir erfahren, dass sie weibliche Handarbeit macht, im elterlichen Kleidergeschäft aushilft soweit es ihre Gliederschmerzen erlauben und ab und an ein Konzert geben kann. Im Februar 1897 spielt sie wieder im Kurhaustheater in Meran in einem Volksstück mit, berichtet die Presse. Ihr Sohn Karl ist zu der Zeit 16 Jahre alt. Ob sie ihn in Passeier besucht hat?
Was wurde aus dem Sohn von Fräulein Holle? Über seine Kindheit erfahren wir nichts. Er wird Bauernknecht in Hinterpasseier – und damit quasi chancenlos, es wie seine Mutter in die Zeitungen zu schaffen. Möchte man meinen. Die Zeitungsnotiz, die ihm gewidmet wird, belehrt uns eines Besseren. Anfang des Jahres 1920 sterben nämlich in Moos in Passeier gar einige Menschen, so dass dies dem “Burggräfler” ein Artikel wert ist. Nach dem Zimmermann Josef Mader („der Zeit seines Lebens wohl 70 Menschen die letzte Behausung geliefert und sie darin einquartiert hat“) ist der vierzigjährig Verstorbene Karl Holle genannt. Er wird als “vulgo Holle Karl” beschrieben, sein Schreibname sei unbekannt, man spekuliert: vermutlich weil er keinen hatte.
Ein Passeirer mit demselben Namen wie die Wetterfrau im Grimm-Märchen von 1812 schien dem Journalisten wohl zu weit hergeholt. Die späte Erkenntnis, dass es diesen einen Passeirer doch gegeben hat, verdanken wir einem glücklichen Zufall, vulgo Serendipität.
Bildschön
Kennt ihr diesen Moment, wenn ein neues altes Gemälde auftaucht? Und ihr alles dazu herausfinden wollt?
Wenn plötzlich zwei alte Porträts auftauchen. Und mit ihnen viele neue Fragen.
Von Judith Schwarz
Es begann an einem Sonntag kurz vor 12 Uhr. Der Kunsthistoriker Hanns-Paul Ties schrieb eine E-Mail ans Museum: Hab gestern ein bisschen in der Südtiroler Kulturgüter-Datenbank geschmökert (…): Darunter sind zwei hübsche Porträts aus Moos. Der beigefügte Link führte zu einem gealterten Ehepaar auf zwei separaten Bildtafeln im Palais Mamming Museum in Meran. Die Qualität der Schwarz-Weiß-Fotos war steigerungsfähig. Aber die Notizen Porträt von einem M. Hofer und aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos (Passeier) ließ erahnen, dass es sich um den Mooserwirt Michael Hofer und seine Gattin handeln würde.
Bildschön: Ein Ehepaar aus Moos lässt sich im 18. Jahrhundert porträtieren. Der erste Gedanke: Ein Porträt des berühmt-berüchtigten Michael Hofer (1696–1765), dem zu seiner Zeit reichsten Passeirer. War ja klar, dass irgendwann ein Bild von ihm auftauchen musste. Endlich würde man ihn sich „bildlich“ vorstellen können. Der zweite Gedanke: Bemerkenswert, seine Frau durfte auch verewigt werden. Damit muss es das älteste Porträt einer nichtadligen Passeirerin sein, älter als die Bildnisse der Sandwirtin Anna Ladurner. Und Gedanke Nummer drei war dann sozusagen die Vereinigung der beiden vorhergehenden: Ein frühes Bildnispaar von Passeirer Eheleuten, das hatten wir so auch noch nicht.
Ties und Teis: Wenn das kein Zufall ist. So jemand wie Michael Hofer, der durch männliche Schönheit und klugen Geist angeblich sogar Maria Theresia zu beeindrucken vermochte, war natürlich öfters verheiratet. Als Waise hatte er blutjung das Gasthaus Mooserwirt in Moos übernommen und geheiratet, sobald er volljährig war. Da seine erste Gattin nach vier Jahren Ehe starb, heiratete er – nach dreimonatiger Trauerzeit – Magdalena Teis, die dargestellte Frau auf dem Pendant zu Michael Hofers Porträt. Während wir aber, wenn wir wollten, zu Michael Hofer eine lange Liste an Geschäftsbeziehungen, Güterbesitz und Geldanhäufungen tippen könnten, war Magdalena Teis bislang „unsichtbar“. Der Fund von Hanns-Paul Ties forderte uns zur Beschäftigung mit der Teisin heraus.
Vor Magdalenas Geburt überkreuzen sich die Bande der Familien Teis und Hofer. Natürlich, in einem Tal wie Passeier wäre es seltsam, wenn es anders gewesen wäre. Magdalenas Vater und seine erste Gattin Ursula Meister scheinen in den 1680er Jahren als “Priewirt” bzw. Priewirthin” auf, führen also den Gasthof Brühwirt neben der Pfarrkirche in St. Leonhard. 1689 (er hat sich nach dem Tod seiner Frau ein weiteres Mal verheiratet) kauft Johann Teis die Brühwirtsbehausung und zwar von der Besitzerin Eva Auer bzw. deren Gatten, dem Mooserwirt Johann Hofer. Diese beiden werden sieben Jahre später die Eltern des porträtierten Michael Hofer, des Mooserwirtserben. Weitere sechs Jahre später, am 20. Juli 1702, kommt Magdalena auf die Welt. Allerdings (schade!) nicht im Brühwirt, dem ehemaligen Haus ihrer zukünftigen Schwiegermutter, denn die Teis sind mittlerweile weitergezogen.
Wohin führen die Spuren von Magdalenas Familie? Bereits 1692 ist Vater Johann Teis als cauponis in superioris von St. Martin genannt, womit das Gasthaus Oberwirt gemeint ist. Während der älteste Bruder von Magdalena also noch in St. Leonhard als Brühwirtssohn auf die Welt kommt, sind sie und ihre weiteren sieben Geschwister in St. Martin als Oberwirtskinder geboren. “Einmal Wirt, immer Wirt”, kommt einem da in den Sinn. Oder auch “Gleich und Gleich gesellt sich gern”, wenn wir an unsere porträtierten Eheleute denken: Oberwirtstochter von St. Martin heiratet Mooserwirtssohn von Moos. Zumal auch Magdalenas Mutter nicht von schlechten Eltern ist. Elisabeth Haller, die zweite Gattin des Johann Teis, ist die Tochter des Passeirer Richters Heinrich Haller aus St. Leonhard. Kurzum, Magdalena war wohl das, was man landläufig eine gute Partie nennt. Nichtsdestotrotz geben die offiziellen Geschichtsquellen nur wenig über sie her.
Leider passen Magdalenas Eckdaten in einen Absatz. Wir kennen ihr Hochzeitsdatum: Am 2. September 1721 heiraten Magdalena Teis und Michael Hofer in St. Leonhard. Wir erfahren in den Taufbüchern von den Geburten ihrer acht Kinder: Karl (1722), Maria (1724), Michael (1727), Johann (1732), Eva (1734), Helena (1737), Anton (1739) und Simon (1741).
Und natürlich erfahren wir auch vom Tod ihres Mannes: Michael Hofer stirbt 1765 nach 44 Jahren Ehe, finanziell sind Magdalena und ihre erwachsenen Kinder gut versorgt. Zehn Jahre nach dem Tod von Michael Hofer stirbt Magdalena im Alter von 73 Jahren und wird am 15. November 1775 als ehrenwerte Witwe in Moos zu Grabe getragen.
Die Mooserwirtsleute im Porträt. Höchste Zeit, uns den beiden Ölgemälden zuzuwenden. Was wir bislang wissen, vermuten und noch herausfinden möchten:
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Wahrscheinlich nicht. Auf dem Bild fehlen die typischen Attribute wie Ring oder Blumen. Auch ist Magdalena Teis, die 19-jährig heiratete, eindeutig zu alt dargestellt. Ungewöhnlich ist die Rechts-Links-Anordnung. In der Regel befindet sich die Ehefrau zur Linken des Mannes, das heißt, sie wird normalerweise auf der rechten Bildtafel platziert. Aber anders als bei klassischen Ehepaarbildnissen ist Michael Hofer auf der “Frauenseite”, also auf dem rechten Bild, platziert. Magdalena Teis ist damit auf der hierarchisch höherstehenden Seite dargestellt. Ob man in diese Abweichung des Rechts-Links-Schemas etwas hineininterpretieren darf oder soll, sei dahingestellt.
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Die Hinweise auf den Buchrücken lauten:
BA(…)M.
LANDS.ORD:/NUNG.
BARTHOL:/UM.
GAIL
Perneder
Arnold
Der Mooserwirt wollte also wohl als Leser der Tiroler Landesordnung und der Werke einiger berühmter Rechtsgelehrter angesehen werden. Hanns-Paul Ties gibt für die “Bibliothek” folgende Identifikationsvorschläge: Es könnte sich bei den Autoren um den Rechtsgelehrten Bartolus de Saxoferrato (um 1313-1357), den Kölner Kanzler Andreas von Gail (1526-1587) und den bayerischen Juristen Andreas Perneder (um 1500-1543) handeln, als “Arnold” kommen hauptsächlich Laurentius Arnold, ein schlesischer Jurist des frühen 17. Jahrhunderts, und Georg d’Arnaud (1711-1740), ein niederländischer Professor Juris, in Frage.Ob die Bücher tatsächlich im Mooserwirtshaus existiert haben, wäre eine andere Recherche. Falls ja, stellte sich die Frage: Wie kam ein Passeirer Wirt des 17. Jahrhunderts an eine rechtswissenschaftliche „Bibliothek“? Ein naheliegender Gedanke könnte sein: Über den Großvater mütterlichseits von Magdalena Teis, den Passeirer Richter Heinrich Haller.
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Beda Weber schrieb 1852: Noch jetzt ist das Andenken an diese Wirthshausherrlichkeit in den Passeirern nicht ausgestorben. Michael Hofer saß mit freundlicher Umsicht mitten im Korn. Der Zoll in St. Martin war sein Pacht von der Landesregierung zu mäßigem Preise. Auch wenn nicht ganz klar ist, ob Beda Weber „mitten im Korn“ wörtlich oder sprichwörtlich verwendete: Die Darstellung von Waage und Getreideähre würde sich sehr gut als Andeutung auf Michael Hofers Geschäftstätigkeit eignen. Es war allerdings wiederum Hanns-Paul Ties, der einen weiteren interessanten Gedanken einbrachte: Nämlich den Hinweis auf die Waage als das klassische Gerechtigkeitssymbol schlechthin, was wiederum zur dargestellten juristischen Bibliothek von Michael Hofer passen könnte.
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Schlüssel in Frauenhänden verweisen in der Regel auf deren Rolle als Hausherrin/Hauswirtin. Während also die Gegenstände von Michael Hofer betonen, dass sich seine Tätigkeiten vor allem nach außen richten, erzählt der Schlüssel in Magdalenas Händen, dass sie die Kontrolle über das Wohnhaus/ Wirtshaus hat. Da die Textzeilen im offenen Buch nicht lesbar sind, kann es sich um ein Gebetbuch oder auch ein „Wirtschaftsbuch“ von Magdalena handeln.
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Auf Michael Hofers Jacke erkennt man einen Anhänger mit einer stehenden Figur, die in ihrer linken Hand ein Kreuz emporzuheben scheint. Hanns-Paul Ties denkt an den „Wasserheiligen“ Johannes Nepomuk, der 1729 heiliggesprochen wurde.
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Grob gerechnet müssen die Bilder im Zeitraum zwischen der Hochzeit 1721 und dem Tod von Michael Hofer 1765 entstanden sein. Da Magdalena nicht gerade als junge Frau dargestellt ist, wird es sich um die 1750er bzw. 1760er Jahre handeln.
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Beide Bilder sind unsigniert und damit beginnt das Rätseln über die Zuschreibung. Es liegt nahe, dass der Auftrag an ein Mitglied der Passeirer Malerfamilie Auer gegangen ist. Die Auer malten in drei Generationen im sogenannten Malerhaus in St. Martin in Passeier, allerdings sind keine autonomen Porträts aus ihren Händen bekannt. Speziell Johann Benedikt Auer (1722–1792) soll – nach Beda Weber – in Innsbruck die Bildnismalerei erlernt und in Trient, Verona und Venedig als Porträtmaler gearbeitet haben, bevor er 1751 wieder nach Südtirol zurückgekehrt ist. Um 1753 hat er sich erneut in St. Martin niedergelassen und die väterliche Werkstatt übernommen. Sollten die Bilder in den 1750er Jahren entstanden sein, wären die beiden Eheleute demnach rund 50 bis 60 Jahre alt gewesen. So gut es zeitlich und geografisch auch passen mag: Hanns-Paul Ties, der Experte in punkto Passeirer Malerschule, meint: Stilkritisch lässt sich eine Zuschreibung der Gemälde an ein Mitglied der Malerfamilie Auer nicht wirklich begründen, ausschließen aber auch nicht.
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Beide Bilder wurden im Jänner 1910 vom damaligen „Städtischen Museum von Meran“ um 60 Kronen angekauft, laut Einkaufsregister des Museumsgründers Dr. Franz Innerhofer (1847–1918) „aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos“.
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Nicht minder bekannt wie dazumal der renommierte Mooserwirt des 18. Jahrhunderts, ist heute der ehemalige Mooserwirt des 21. Jahrhunderts. Harald Haller, der zwischen 2003 und 2019 das Gasthaus gekauft, erforscht, renoviert, geführt, verpachtet und verkauft hat, gab mir den Tipp: Im Lesebuch Ötztaler Alpen (Haid Hans, 2002, S. 152ff) gibt es einen Bericht eines Reisenden, der ein Gemälde beim Mooserwirt erwähnt. Und tatsächlich: Der Reisende, der im Sommer 1867 auf dem unebenen Raume in und um Moos herumkletterte, war Anton von Ruthner. Beim Mooserwirt war ihm ein gut gemaltes Porträt eines decorirten Mannes in schwarzer Amtstracht nach der Mode der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgefallen, was er in seinem Bericht Aus Tirol. Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen (1869, Seite 352) auch vermerkte. Auch wenn es sich nicht um unser Porträt mit dem grünbejackten Michael Hofer handeln kann (und kein dazugehörendes Frauenporträt erwähnt ist), sind die weiteren Zeilen des Autors interessant: Auf mein Befragen, wer dies sei, meinte nämlich der Wirth, einer seiner unmittelbaren Vorfahren, und verbesserte meine Bemerkung, dass dies dem Schnitte der Kleidung nach sein Urgrossvater sein müsse, dahin, dass es der Vater seines Urgrossvaters sei. So bewahrt sich denn hier in einer schlichten Bauernfamilie der Nachweis, wer die Voreltern waren, dieses vermeintliche Vorrecht des hohen Adels, […] länger als gewöhnlich. Der Wirt, mit dem Anton von Ruthner gesprochen hat, muss Josef Hofer gewesen sein, dessen Vater, Großvater und Urgroßvater Johann hießen, und dessen Ururgroßvater Michael Hofer war. Sofern die Aussagen von Ruthner und Hofer von 1867 stimmen, sollte es also noch ein weiteres Porträt von Michael Hofer geben/gegeben haben.
Was es ebenfalls geben wird: Die einen oder anderen Hinweise, Geschichten und Fehler zu den beschriebenen Personen und Porträts.
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Wie viel sind 700 Jahre?
Viel Zeit zum Abschreiben, Zuschreiben, Umschreiben. Vielleicht haben wir deshalb die Hofgeschichten der Schildhöfe gezeichnet.
Wir haben es als Text probiert, wir haben es mit Tabellen versucht, aber ganz ehrlich: Wir sind fast verzweifelt. Der Versuch, 700 Jahre Hofgeschichte für zehn nicht ganz gewöhnliche Höfe aufzuzeigen.
Text: Judith Schwarz. Bildergeschichten: Albert Pinggera
Im Grunde könnte jede einzelne Hofgeschichte ein ganzes Buch füllen. Unsere Aufgabe aber war, die Hofgeschichten von zehn Passeirer Schildhöfen in nur einem Buchkapitel darzustellen. Nun bleibt ein Hof ja nicht 700 Jahre lang derselbe, er bleibt auch nicht an derselben Stelle, er behält nicht ständig denselben Namen und er teilt sich – manchmal sogar mehrmals. Irgendwann begannen wir mit Skizzen und Zeichnungen, die design.buero in Grafiken ausarbeitete. Und allmählich bekamen wir etwas Durchblick.
Wenn die folgenden Illustrationen also linear und simpel daherkommen, dann täuscht das.
Diese Bildergeschichten haben uns unmöglich viele Umwege beschert, die wir uns hätten sparen können. Aber wir glauben, die stark vereinfachten “Comic”-Abfolgen machen sich bezahlt. Weil sie eine Unmenge an Informationen beinhalten, die wir als Text nie so spannend und platzsparend hätten bringen können.
Nichts ist interessanter, als die verstrickten Besitzverhältnisse der Anderen.
Somit gehe ich davon aus, dass sich auch Außenstehende für die Schildhofgeschichten interessieren. Im Folgenden ein paar Beispiele, um zu zeigen, wie man diese Bildergeschichten „lesen“ kann. Gleichzeitig erklärt sich dabei wunderbar die Entwicklung der Schildhöfe im Allgemeinen.
Die klassische Schildhofgeschichte verläuft so:
Wieviel sind 700 Jahre? Viel Zeit, um sich seinen Hof imposant herzurichten.
Einen Turm dazu und man symbolisiert (den Wunsch nach) Macht. Rotbemalte Zinnen wirken mittelalterlich. Eine Stuckdecke erinnert an adelige Zeiten. Saltaus fällt zwar auf, ist aber untypisch für einen Schildhof. Den Tourismus störts nicht. Schildhof verpflichtet.
Wieviel sind 700 Jahre? Viel Zeit, um auszusterben.
Von den Familien der ersten sieben Privilegierten ist das Geschlecht der Steinhauser Rekordhalter: Es überlebt bis um 1450. Mehr Ausdauer haben die Geschichten über Kreidefeuer, Verliese und Geheimtunnel gezeigt. Legenden leben länger!
Wieviel sind 700 Jahre? Viele Möglichkeiten der Veränderung.
Auch Landschaft muss sich verändern. 1317 lagen Puchach und Buchenegg wohl in Talmulden – bis die Kellerlahn kam. Die Höfe wurden neu aufgebaut auf sicheren Hügeln, die längst nicht mehr Hügel sind. Oubrpueche und Hoofner liegen heute – zwischen neuen Lawinenkegeln – wieder in einer Talmulde.
Wieviel sind 700 Jahre? Viel Zeit, um Namen zu ändern.
Zu groß die Eitelkeit neuer Besitzer, den eigenen Namen zum Hofnamen zu machen. Zu eingängig die Erfindungen und Verballhornungen der Umgangssprache. Haupold hingegen zeigt: Der Vorname des Privilegierten von 1317 hat sich 700 Jahre lang als Hofname gehalten. Im folgenden Beispiel allerdings wechselt nicht nur der Hof seinen Namen, sondern auch der Name den Hof.
Mehr Bildergeschichten im Buch:
MuseumPasseier (Hrsg.): Die Schildhöfe in Passeier. verlag.Passeier 2017. 180 Seiten, 17 Euro. ISBN 978-88-89474-242.