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Milchreis im Krieg
Die Feldpost des Romedius Ebner.
Die Feldpost des Romedius Ebner.
Von Judith Schwarz
Der Teufel steckt im Detail. Will heißen, wir haben eine vermeintliche Kleinigkeit unterschätzt. Die Kleinigkeit ist der schriftliche Nachlass der Familie Ebner aus St. Leonhard, den wir im Jänner 2023 kurz vor dem Abriss des Doktorhauses erhalten haben.
Eigentlich sind es nur 30 Zentimeter. So hoch ist der Stapel an 320 Briefen und Ansichtskarten, 200 haben wir im Laufe des letzten Jahres gesichtet. Nun wär auch der Rest zu lesen bzw. vielmehr zu entziffern, aber im Gegensatz zu Papier sind wir nicht geduldig.
Also schlagen wir dem oben erwähnten Teufel ein Schnippchen: Wir tun so, als wären wir schon durch. Und veröffentlichen in diesem Blog die ältesten Dokumente, die Feldpost des Ersten Weltkrieges. Die lässt sich zeitlich schön eingrenzen und Romane hatte man auf den vorgefertigten Postkarten eh nicht Platz.
Verfasst hat die Briefe und Postkarten der junge Arzt Romedius Ebner (1886–1967). Bevor er Gemeindearzt im Passeier wurde, hatte er als Assistenzarzt im 4. Tiroler Kaiserjäger-Regiment gedient. Jetzt möchte man meinen, im Doktorhaus lagerte die Feldpost, die der Arzt im Krieg erhalten hat. Doch es ist umgekehrt: Es sind jene Schreiben aufbewahrt worden, die er selbst verschickt hat.
Liebe Mutter! Lieber Bruder! So beginnt er seine Briefe, die er entweder an seine verwitwete Mutter Barbara Knoll richtet oder an seinen einzigen Bruder Hans. Beide lebten in Schlanders im Vinschgau – da die zwei vor ihm verstorben sind, sind die Schriftstücke wohl nach Passeier gekommen und dort im Doktorhaus verblieben. Die Schreiben starten im August 1914 und enden im Dezember desselben Jahres, also lange bevor der Erste Weltkrieg aus sein wird.
Zwölf Schriftstücke erzählen also von Romedius’ ersten Kriegsjahr. Und ungefähr ein Dutzend Mal wandeln sich auch die Eindrücke in seinen Berichten im Laufe dieser vier Monate: Kriegsbegeisterung – Kriegsoptimismus – Kriegsungeduld – Kriegsmüdigkeit, die Reihenfolge scheint beliebig. Von Kriegsgrauen oder Kriegskritik lesen wir nichts, allerdings wissen wir auch nicht, wie stark der Assistenzarzt die Zensur fürchten musste oder seine Familie schonen wollte – und auch was diese eventuell zwischen den Zeilen herauslesen konnte. Der Teufel steckt also tatsächlich im Detail.
“… mit Blumen überschüttet in der Hauptstadt Ungarns”
Die früheste Feldpostkarte datiert mit 16. August 1914. Romedius schreibt aus Budapest an seine Mutter in Schlanders “herzliche Grüße vom Russischen Feldzug”.
Budapest, am 16. Aug. 14
Liebe Mutter!
Von einem unbeschreiblichen Jubel der Ungarn empfangen und mit Blumen überschüttet in der Hauptstadt Ungarns angelangt. Die Reise dauert noch 3 Tage u. Nächte, aber trotzdem ist die ganze Mannschaft riesig begeistert. In Hopfgarten habe ich die Frau Pirader [?] gesehen. Euch beiden recht herzliche Grüße vom Russischen Feldzug
Romed.
E 103 Postkarte (Feldpostkorrespondenzkarte)
Poststempel vom 17.08.1914, Budapest Hh 62 hh.
Romedius Ebner, Feldpost 98 (4. T. K. J. Rgt.) 3 B., an seine Mutter Barbara Knoll, Schlanders, Tirol Vintschgau, b. H. Kaufmann Jos. Pegger
“Wichtiges habe ich ja nicht geschrieben”
Der nächste Brief – eine gute Woche später – geht an seinen Bruder Hans. Wir lesen heraus, dass er bereits mehrere Karten an seine Familie verschickt hat, vielleicht mehr aus Pflichtbewusstsein, denn er gibt selbst zu, dass er wenig Schreibstoff hatte.
24. August 1914
Lieber Bruder! Mir geht es vorderhand nicht allzu schlecht. – müssen schnell wieder weiter!
4. Sept. 14
Habe jetzt Euren lieben Brief erhalten und werde euch, sobald wieder Post weg geht, weiteres schreiben, das meiste kann ich nur, wenn ich wieder nach Hause komme erzählen, worauf ich mich schon riesig freue; vielleicht dauert’s doch nicht mehr allzu lange. Tut´s euch meinetwegen nicht allzu viel sorgen, denn im Vergleich zu den anderen geht’s mir doch ziemlich gut, aber es hat Zeiten gegeben, wo es mir noch besser gegangen ist; ich weiß nicht, ob ihr alle Karten erhalten habt. Wichtiges habe ich ja nicht geschrieben.
Unserer lieben Mutter und Dir recht herzl. Grüsse
Euer Romed.
E 106 Postkarte (Feldpostkorrespondenzkarte)
Poststempel vom 12.09.1914, k.u.k. 4. T.J.R.10. Feldkomp.
Romedius Ebner, Assistenzarzt 4. Tirol. K.J.Rgt. 3. Bain., Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders, Tirol Vintschgau
“Bärtig und schlank sind wir beide geworden”
Der nächste Brief, der erhalten ist, datiert erst einen Monat später. Es ist Mitte September und Romedius wird ungeduldig. Wie die meisten geht er davon aus, dass die Sache – er meint den Krieg – vor Weihnachten vorbei sein sollte.
20. Sept. 14
Meine Lieben!
Es ist heute der erste Rasttag seit Begin[n] des Feldzuges; aber wahrscheinlich geht’s Nachmittag trotz des Regens wieder weiter. Ich hätte mich ganz gut in einem polnischen Bauernhäuschen einquartiert und mir auch schon Milchreis und andere Raritäten gekocht, um mich für den Entscheidungsschlag wieder zu stärken. Insofern ging es wieder besser. Der Belligoi lebt auch noch, aber bärtig und schlank sind wir beide geworden. Wie geht’s den[n] Euch im[m]er. Lasst’s doch wieder einmal was hören. Wie steht den[n] die Sache in Tirol? Ich wäre schon sehr froh, wen[n] bis Ende Oktober oder Mitte November die Sache erledigt wäre; die Deutschen werden’s schon machen.
Auf einen guten Ausgang hoffend grüßt Euch herzlich
Euer Romed.
E 098 Feldpostkarte
Poststempel vom 21.09.1914, k.u.k. Feldpostamt 98, k. und k. 4. Regiment der Tiroler Kaiser Jäger 12. Feld-Kompanie
Romedius Ebner, Assistenzarzt, 4. T.K.Jg.Rgt. 3. B., Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders Tirol Vinschgau
“Der Magen wird auch schon ein bisschen empfindlich”
Im Brief an seine Mutter spürt man Unmut – es ist nicht nur der Magen, der verstimmt ist.
25. Sept. 1914
Liebe Mutter!
Gott und die Deutschen werden uns helfen und so wird es wohl auch hoffentlich nicht mehr lange dauern kön[n]en; in ganz kurzer Zeit muß der große rußische Schlag und damit die endgültige Entscheidung erfolgen. Ich hoffe, daß ihr beide wohl auf seid; mir geht es im allgemeinen nicht schlecht; nur den Verlust meines Pferdchens hab ich noch nicht verschmerzt, zumal ich jetzt diese entsetzlich tief kotigen Wege zu Fuß machen muß. Der Magen wird auch schon ein bisschen empfindlich. Einige Wochen wird er’s noch aushalten.
Mit herzlichen Grüßen Euch beiden!
Euer Romed.
E 103 Feldpostkarte
Poststempel vom 27.09.1914, k.u.k. Feldpostamt 98, k. und k. Regiment der Tiroler Kaiser Jäger 12. Feld-Kompanie
Romedius Ebner, Assistenzarzt, 4. T.K.Jg.Rgt. 3. B., Feldpost 98, an seine Mutter Barbara Knoll, Schlanders Tirol, Vintschgau, bei Herrn Kaufmann Jos. Pegger
“… zu einem selbst gekochten Milchreis ecc.”
Ende September klingt der Krieg sehr allgemein und der Schlusssatz versprüht Optimismus.
28. Sept. 14
Lieber Bruder!
Gestern Abends Euren liebevollen Brief erhalten; herzl. Dank dafür. Zeitweise geht es jetzt in manchen Punkten (Verpflegung, Feldpost ecc.) etwas besser. Im allgemeinen die alte Wurstlerei, die hoffentlich bald ein Ende nehmen wird. Komme jetzt öfter mit Schlauch zusammen, zu einem selbst gekochten Milchreis ecc.
Bald werden die entscheidenden Kononen donnern.
Herzl. Grüsse Euch beiden
Romed.
Schlauch
E 107 Feldpostkarte
Poststempel vom 28.09.1914, k.u.k. Feldpostamt 98, k. und k. 4. Regiment der Tiroler Kaiser Jäger 12. Feld-Kompanie
Romedius Ebner, 4. T.K.Jg.Rgt. 3. B., Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Statth. Konzpst. Bez. Hptmsch. Schlanders Tirol Vinschgau
“Ich lechze nach einem kräftigen Schluck Tirolerwein”
Plötzlich ist nicht nur Oktober, sondern erstmals lesen wir etwas genauere Schilderungen und von Kriegsdetails, die uns Romedius bislang verwehrt hat.
6. Okt. 14
Lieber Bruder!
Heute waren wir in einem galiz. Städtchen einquartiert, das teils von eigenen Truppen teils von Kosaken vollständig ausgeplündert wurde; gestern seien hier noch Kosaken gewesen; mit den Marschbattalionen sind auch einige Bekannte bei unserem Regiment eingetroffen, der kleine dicke Wassermann, Vinatzer, Tiefentaler-Wirt.
Infolge der Ausplünderung steht unser Wohlbehagen etwas im argen; nicht das geringste an “Genuss”-Mitteln ist zu bekommen; ich lechze nach einem kräftigen Schluck Tirolerwein, denn dieses Wasser ist immer noch meine schwache Seite. Heute hab ich mich im Familienzimmer des Bürgermeisters von Przeclav bei Tarnow einquartiert, und mein Diener kocht mir gesottene Kartoffel u. Tee ohne Rum u. Zucker. Ist die Schlacht vor Paris noch nicht vorüber? Ansonsten bin ich gesund.
Herzliche Feldzugsgrüsse Dir u. der Mutter.
Euer Romed.
E 100 Postkarte (Feldpostkorrespondenzkarte)
Poststempel vom 13.10.1914, k.u.k. Feldpostamt 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt 4. Rgt. T. K. Jg. 3. B. Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders, Tirol Vintschgau
“Der November wird wohl noch vorübergehen…”
Ebenfalls im Oktober schickt Romedius einen langen Brief an seine Mutter, in der er ihr die Lage vor Ort schildert. Waren bislang ein fehlendes Reitpferd oder Mangel an Tiroler Wein die größte Sorge in Romedius’ Briefen, so schreibt er nun erstmals von Schwarmlinie, feindlichen Kugeln und Artilleriegeschoßen. Und an seine üblichen “Herzliche Grüße” hängt er diesmal noch einen ausdrücklichen Wunsch an.
27. Okt. 1914
Liebe Mutter!
Jetzt machen sich, besonders in manchen galizischen Orten, bereits die Folgen des Krieges in trauriger Weise bemerkbar; Tirol wird sie noch recht gewahr werden, wenn die kümmerlichen Überreste der nicht so mächtigen Tiroler Regimenter wieder nach Hause kommen. Hier müsste die Bevölkerung verhungern, wenn nicht ärarisches Mehl verteilt würde. Kein Handvoll Zucker und kein Handvoll Salz in der ganzen Stadt. Die kleinen Kinder keinen Tropfen Milch.
Unsere Verpflegung fürwiederum ist zur Zeit ganz gut. Wir sitzen jetzt schon einige Zeit am San (in der Nähe der Weichselmündung), die Russen auf einige hundert Schritte gegenüber, beide in die lehmige Erde eingegraben, wo den Soldaten durch Laufgräben das Essen zugetragen wird, und wo sie oft mehrere Tage und Nächte verbringen, bis sie zu einer kurzen Rast in der halbzerschossenen Stadt, von der ich euch schon geschrieben habe, abgelöst werden.
Heute habe ich auf Anordnung des Brigadekommandos meinen Hilfsplatz bis ganz nahe an die Schwarmlinie vorgeschoben; die feindlichen Kugeln, die des Abends immer zahlreicher werden, schlagen vor unseren kleinen Häuschen, in dem wir uns niedergelassen haben, ein. Ich bin sie schon so gewohnt, daß ich mich gar nicht mehr umschaue, wenn neben mir eine einschlägt.
Im Gegensatze zu diesem Säuseln und Pfeifen der mitunter so ruchlosen Kugeln erfüllt mich der unheimliche Metallklang der Artilleriegeschosse mit Ungemütlichkeit; doch scheint zum Glücke der armen Kerle, die es treffen würde, auf beiden Seiten Munitionsmangel zu herrschen, der November wird wohl noch vorübergehen. Ich fühle mich sonst andauernd wohl, trotzdem ich mich oft über vieles ärgern sollte. Euch beiden herzliche Grüße!
Hoffentlich geht die heutige Nacht nicht allzu blutig vorüber!
Romed.
E 165 Brief (Doppelblatt)
Romedius Ebner an seine Mutter Barbara Knoll
“so könnten wir monatelang wie die Maulwürfe einander gegenüberliegen”
Zwei Tage später ergeht ein ähnlicher Bericht an den Bruder.
29. Okt. 1914
Lieber Bruder!
Meine Zahl. für November (300 Kr.) habe ich an Dich adressieren lassen, damit ich nicht soviel mit mir herumtragen muß; sei so gut und lege sie mir in Schlanders ein. Ich bekom[m]e zwar zweitweise einige Reichspost-Num[m]ern, die ich abbon[n]iert habe, aber im[m]er um 14 Tage später; wen[n] nicht bald von Paris oder Warschau aus eine Entscheidung kom[m]t, so kön[n]ten wir noch monatelang hier am San (Roswradow) wie die Maulwürfe einander gegenüberliegen, wen[n]s nicht allmählich am nöthigen Soldaten-Materiale mangeln würde. Die mondhelle Nacht ist erfüllt von dem Knattern der Gewehre, deren Kugeln sich bis zu unserem Häuschen verirren und dem Aufblitzen und dumpfen Rollen der Kanonen und schweren Haubitzen. Habe schon längere Zeit kein Schreiben von Euch erhalten.
Herzliche Grüße Romed.
E 093 Postkarte (Feldpostkorrespondenzkarte)
Poststempel vom 30.10.1914, k.u.k. Feldpostamt 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt, 4. Rgt. T. K. Jg. 3. B. Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders, Tirol Vintschgau
“Jedenfalls wird der Krieg noch längere Zeit dauern”
Romedius schätzt die weitere Kriegsdauer nun realistischer ein, und wirkt dabei gleichzeitig optimistisch. Vielleicht weil er nun wieder “ein Pferdchen” hat, nachdem er – seinem Brief im September zufolge – gut eineinhalb Monate ohne Reitpferd auskommen musste.
11. Nov. 14
Lieber Bruder!
Herzlichen Dank für Eure lieben Briefe, auf die ich mich schon lange sehnte und aus denen ich mit Freude entnahm, daß es Euch gut geht. Ich bin mit meinem Befinden auch ganz zufrieden, zumal ich seit einigen Tagen wieder ein Pferdchen habe. Wie die Situation jetzt steht, dürftest du schon so ziemlich erken[n]en, aber ich glaube, es wird sich schon noch was machen lassen; jedenfalls wird der Krieg noch längere Zeit dauern. Was macht Rumänien? Wir werden vielleicht endlich einmal aus Galizien fortkom[m]en, der Winter wird schon vorübergehen. Zeitung habe ich von dir keine erhalten, es funktioniert in so kritischen Wochen die Post nicht.
Herzliche Grüße Dir u. der Mutter und den Hausleuten.
Romed.
E 096 Postkarte (Feldpostkarte)
Poststempel unleserlich, k.u.k. Feldpostamt 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt 4. T. Jg. Rgt. 3. B. Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders, Tirol, Vintschgau
“wegen Blähhals mit starken Athembeschwerden”
Vier Tage später schreibt Romedius erneut an den Bruder, vor allem weil er fürchtet, dieser könnte (trotz Freistellung aufgrund eines Kropfes) doch noch einrücken müssen.
15. Nov. 14
Lieber Bruder!
Von Offizieren, die jetzt von Tirol wieder zu uns eingerückt sind, habe ich erfahren, dass jetzt Nachstellung für alle bisher Militärbefreiten stattfindet. Du wirst wohl unter allen Umständen dich frei halten, zumal Du in Deiner jetzigen Stellung der Sache mehr dienen kannst und es dir jetzt durch die Bez[irks] H[au]ptmannschaft leicht sein muss frei zu bleiben weg[en] “Blähhals mit starken Athembeschwerden”.
Die gute Mutter wäre sonst ganz allein und ich wäre in ständiger Besorgnis. Wir haben uns jetzt wieder einige Tage erholt und sind (Weichselrichtung bis Krakau) sehr gut mit allen möglichen Esswaren (Chokolade ecc.) versorgt worden. Mehlspeisen und ein Glas Tirolerwein gibt´s hier im Felde leider nicht, wohl hat mir gestern ein Offizier, den ich am 28. Aug. verbunden habe, und der wieder zu uns eingerückt ist, eine Flasche Traminer gebracht. Die hat es gestern schon glauben müssen. Die Reichspost, die ich abboniert habe, erhalte ich bei Raststationen sehr fleißig, gestern eine Nummer von vor 4 Tagen. Du könntest vielleicht so gut sein und an die Redaktion (Wien VIII. Strozzigasse 8) gelegentlich eine Karte schicken und schreiben, daß man vorderhand dir die Rechnung schicken möge, da ich von hier kein Geld weg schicken kann. Hast du meine 300 Kronen erhalten?
Jetzt scheint erst der Krieg in den Kolonien loszugehen, da können wir noch lange auf einen Friedensschluss warten. Sollte unser Feldpostamt 98 für Pakette wieder zugänglich werden, so bitte ich nur vor allem 1 Paar große, warme Handschuhe zu schicken (größer als 350 gr. darf scheints so ein Päkttchen nicht sein) mit dem übrigen wäre ich vorderhand ganz gut versehen. Starke Schuhe täte ich brauche, aber das lässt sich auch schwer durchführen. Der arme Schlauch hat nicht einmal Handschuhe! Ich würde ihm dann meine alten geben, wenn er nicht vorher in ein Spital abgeht. Mir geht es sonst ganz gut; habe gestern mich und mein zusammengeschrumpftes Battallion gegen Cholera geimpft. Schreibe mir bald wieder und berichte mir, was es Neues gibt.
Dir und der Mutter herzliche Grüße!
Euer Romed.
Auch an die Hausleute und übrigen Bekannten beste Grüße!
E 101 Brief (Kuvert, Doppelblatt, Einzelblatt)
Poststempel vom 20.11.1914, k.u.k. Feldpostamt 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt 4. T. Jg. Rgt. 3. B. Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders Vintschgau, Tirol
“Ein Hemd, eine Unterhose und einige Taschentücher könnte ich wohl brauchen…”
Es wird Dezember und Romedius schreibt wieder einen ausführlichen und zudem bewegenden Brief an seine Mutter.
Feldspital 4/14, am 7. Dez. 1914
Liebe Mutter!
Herzlichen Dank für Euren Brief; mein mitunter eilfertiges Schreiben müßt Ihr entschuldigen, da ich oft in aller Eile, wenn gerade ein Briefbote zur Hand ist, einen Feldgruß nach Hause sende.
Die Situation steht hier ganz gut (vorderhand […]). Wir haben die Russen, denen besonders zu die zu unserer rechten Seite einzuziehende deutsche Division viele Tausende von Gefangenen […] über die schönen Karpathen-Höhen vertrieben und unsere Artillerie fährt gerade bei dem kleinen Häuschen vorbei um sie zu verfolgen, in dessen dunkler und kleiner Küche wir den Operationssaal unseres Feldspitales einrichteten.
Alles ist schon vorausgezogen, nur der Feldkaplan und ich sind noch als letzte zurückgeblieben, um den sterbenden Jägerhauptmann im Nebenzimmer nicht allein zu lassen. Während draußen das dumpfe Grollen des Geschützdonners sich mit dem Tohne des Nordwindes vermischt, sitzen wir beide still bei dumpfen Kerzenschein in der verlassenen Küche. Vom berüchtigten nordischen Winter haben wir bis jetzt noch nicht viel gespürt, weder Schnee noch besondere Kälte war uns bisher beschert; zwar die tapferen Jäger, die in der Nacht dem Feinde auf freiem Felde gegenüberliegen, die haben die Kälte schon gespürt, die übrigens von den Russen nicht um ein Haar besser vertragen wird als von unseren Leuten, die jetzt ganz gut ausgerüstet daherkommen; von den alten Feldsoldaten, die im Sommer ausgezogen sind, dürften ohnedies nicht mehr viele da sein.
Unser Freund Belligoi liegt verwundet im Reserve Spital in Bielitz; ich hab ihn schon für gefangen gehalten, denn seine Kompanie ist fast gänzlich in russische Kriegsgefangenschaft geraten vor Krakau. Nachträglich erfuhr ich von Bachlechner, daß ihn eine Schrapnellkugel getroffen habe. Platter Frz. und Berger sollen auch marod in irgendeinem Spitale sein. Bezüglich der Wäsche bin ich für das Wichtigste schon versehen. Ein Hemd, eine Unterhose und einige Taschentücher (und ein Zahnbürstl) könnte ich wohl brauchen, da mein Koffer so weit zurück und noch beim Regiments-Train ist, daß man viele Wochen nicht dazu kommen kann.
Wir haben unsere wichtigsten Sachen in Rucksäcken, die wir mit den D[…] auf einem unserer Wägen auflegen beim Weitermarsch. Aus der Reichspost habe ich ersehen, daß Stadt und Festung Belgrad in unserem Besitze ist. Wie die Sache in Frankreich steht, wird noch weniger bestimmt erscheinen können, obzwar die Franzosen auch schon völlig erschöpft sein müssen. Die Russen werden noch an unserer Hartnäckigkeit zum Falle kommen.
Das gebe Gott!
Mit herzlichem Gruße Euch beiden
Romed.
8. Dez.
Heute wieder massenhaft Gefangene gemacht. Unsere Leute eilen im Sturmschritte den Russen nach. Eine Patroille von 2 Mann bringt gleich über 100 Russen zurück. Auf diese Weise könnte es noch gehen.
Romed.
E 083 Brief (Kuvert und zwei Doppelblätter)
Poststempel vom 09.12.1914, k.u.k. Feldspital 4/14
Romedius Ebner an seine Mutter Barbara Knoll, bei Herrn Kaufmann Josef Pegger in Schlanders
“Die Sache scheint sich mächtig in die Länge zu ziehen”
Mit diesem Schreiben vom 15. Dezember 1914 (und Romedius’ vager Ahnung, dass er sich mit seinen ursprünglichen Schätzungen zu einem baldigen Friedensschluss mächtig verschätzt haben könnte) endet die Serie seiner Feldpostbriefe. Der Krieg wird noch bis November 1918 dauern.
15. Dez. 1914
Liebe Mutter!
Heute herrscht wieder ganz ungewohnte Ruhe; die Russen ziehen sich offenbar hier zurück. Wir leben hier in Lapanow ganz gemütlich; soeben ist die Zeitung von vorgestern eingetroffen. Die Sache scheint sich mächtig in die Länge zu ziehen.
Euch beide herzlich grüßend,
Romed.
E 001 Postkarte (Motiv: Krakow)
Poststempel vom 19.12.1914, k.u.k. Feldpost 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt, Feldspital 4/14, Feldpost 98, an seine Mutter Barbara Knoll, b. H. Kaufmann Jos. Pegger
“Es grüßt dich dein Koat”
Zwei Passeirer Verliebte versuchen sich 1937 im schriftlichen Liebesdialog.
Als sich die Bauerntochter B. und der Taglöhner S. köstliche Liebesbriefe schrieben.
Von Judith Schwarz
Sie war die Tochter eines angesehenen und strengen Bauers und Tischlers in Passeier. Er ein einfacher Taglöhner, der sich Zeit seines Lebens auf verschiedenen Höfen verdingte. Sie kannten sich flüchtig von Kindesbeinen an und irgendwann muss es gefunkt haben.
Ihre heimlichen Treffen im Viehstall flogen natürlich auf. Und gleichzeitig flogen wohl auch die Fetzen: Der bestimmende Vater, der sich um die Zukunft seiner Tochter sorgte. Die verliebte Tochter, der es egal war, ob der Auserwählte ihr ein Dach über dem Kopf würde bieten können. Und der nicht minder verliebte junge Mann, der wusste, dass er schon bald von seiner Liebsten getrennt sein sollte.
1936 hatte S. seinen Militärdienst anzutreten. Es verschlug ihn nach Mailand und bis er seine geliebte B. wiedersehen sollte, vergingen einige Monate. Wir wissen nicht, wann und wie ihr Briefeschreiben begonnen hat, aber es haben sich acht Briefe und Postkarten in fein säuberlicher Schrift erhalten. Der früheste datiert mit 2. Juni 1937, der späteste wurde am 19. Dezember 1937 geschrieben. Dazwischen liegen sechs Monate, in denen sich S. und B. wahrscheinlich nicht gesehen haben.
„An meinen Gelübten“, schreibt B., und auch über ihre intensiven Gefühle. Was war überhaupt sagbar in jener Zeit? Bzw. schreibbar?
U[nd] ich errinere mich so Sonntags
in der Kirche wenn ich herunter
schau auf deinen gewissen Platz.
Da brennt mir das Herz vor Sehnsucht.
Wie beschreibt man seine Sehnsucht? Einfacher, als darüber in ausführlichen Briefen zu schreiben, ist es, Bildpostkarten zu schicken. Und deren bunte Sehnsuchtsmotive sprechen zu lassen.
O die Sehnsucht
nach dir ach könnte ich nur eine
halbe Stunde bei dir sein.
Ich kann es gar nicht
sagen noch schreiben
wie Lieb ich dich hab.
Schreiben aus und über Liebe ist das Eine. Das Andere ist die Angst, beim heimlichen Briefeschreiben entdeckt zu werden. Und die Sorge, dass die Verbindung von der Familie nicht anerkannt wird. Später soll der Brautvater es aufgegeben haben, sich in die Männerwahl seiner Töchter einzumischen.
Liebster S., ich mus dir
noch etwas schreiben, der Vater
hat noch nie ein Wort gesagt
zu mir von dir aber sonst ist
er heuer fein er war nicht oft
so fein ich habe kein schlechtes
Wort gehört es ist nicht wie
voriges Jahr. bitte wenn du
einmal Zeit hast schreib ihn
einmal schauen ob er gar nichts
sagt.
Köstlich sind die Schlussformeln der Liebeskorrespondenz. Dein Koat, schreibt B. einige Male an ihren S., als er beim Militärdienst weilt und sie sich daheim derlångwailt. Wobei Koat, laut Franz Lanthaler, eigentlich ein Schimpfwort ist und von einem lästigen Insekt bis zu einem großen Untier alles bezeichnen [kann], was als grauslich oder unansehnlich eingestuft wird.
Jetzt mus ich Schlafen
gehen es ist schon bald
zwölf Uhr, es grüst dich
dein Koat.
Nicht immer scheint die Liebeskorrespondenz als Brücke der Kommunikation funktioniert zu haben. Im letzten erhaltenen Brief klingt Besorgnis durch.
Habe noch keine Post
von dir bekommen als
zuletzt die Karte und
auf der hab ich dir
Antwort geschrieben weis
nicht hab ich dich
beleidigt oder was ist
Müssen wir uns Sorgen machen? Wird die Fernbeziehung halten, der Bräutigam heil zurückkommen, der Brautvater sein Einverständnis zur Heirat geben? Alle drei Fragen können wir bejahen: S. und B. werden einige Jahre nach dem Militärdienst heiraten, ein gutes Dutzend Kinder bekommen und im hohen Alter sterben. Ihre Liebesbriefe aber haben ihre Ehe überdauert.
Hast du auch Liebesbriefe deiner Vorfahr*innen? Briefe aus einer Zeit, bevor Textnachrichten, Audiokommentare oder Emojis verschickt wurden? Wir freuen uns, wenn du sie uns schickst oder uns davon erzählst.