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Milchreis im Krieg
Die Feldpost des Romedius Ebner.
Die Feldpost des Romedius Ebner.
Von Judith Schwarz
Der Teufel steckt im Detail. Will heißen, wir haben eine vermeintliche Kleinigkeit unterschätzt. Die Kleinigkeit ist der schriftliche Nachlass der Familie Ebner aus St. Leonhard, den wir im Jänner 2023 kurz vor dem Abriss des Doktorhauses erhalten haben.
Eigentlich sind es nur 30 Zentimeter. So hoch ist der Stapel an 320 Briefen und Ansichtskarten, 200 haben wir im Laufe des letzten Jahres gesichtet. Nun wär auch der Rest zu lesen bzw. vielmehr zu entziffern, aber im Gegensatz zu Papier sind wir nicht geduldig.
Also schlagen wir dem oben erwähnten Teufel ein Schnippchen: Wir tun so, als wären wir schon durch. Und veröffentlichen in diesem Blog die ältesten Dokumente, die Feldpost des Ersten Weltkrieges. Die lässt sich zeitlich schön eingrenzen und Romane hatte man auf den vorgefertigten Postkarten eh nicht Platz.
Verfasst hat die Briefe und Postkarten der junge Arzt Romedius Ebner (1886–1967). Bevor er Gemeindearzt im Passeier wurde, hatte er als Assistenzarzt im 4. Tiroler Kaiserjäger-Regiment gedient. Jetzt möchte man meinen, im Doktorhaus lagerte die Feldpost, die der Arzt im Krieg erhalten hat. Doch es ist umgekehrt: Es sind jene Schreiben aufbewahrt worden, die er selbst verschickt hat.
Liebe Mutter! Lieber Bruder! So beginnt er seine Briefe, die er entweder an seine verwitwete Mutter Barbara Knoll richtet oder an seinen einzigen Bruder Hans. Beide lebten in Schlanders im Vinschgau – da die zwei vor ihm verstorben sind, sind die Schriftstücke wohl nach Passeier gekommen und dort im Doktorhaus verblieben. Die Schreiben starten im August 1914 und enden im Dezember desselben Jahres, also lange bevor der Erste Weltkrieg aus sein wird.
Zwölf Schriftstücke erzählen also von Romedius’ ersten Kriegsjahr. Und ungefähr ein Dutzend Mal wandeln sich auch die Eindrücke in seinen Berichten im Laufe dieser vier Monate: Kriegsbegeisterung – Kriegsoptimismus – Kriegsungeduld – Kriegsmüdigkeit, die Reihenfolge scheint beliebig. Von Kriegsgrauen oder Kriegskritik lesen wir nichts, allerdings wissen wir auch nicht, wie stark der Assistenzarzt die Zensur fürchten musste oder seine Familie schonen wollte – und auch was diese eventuell zwischen den Zeilen herauslesen konnte. Der Teufel steckt also tatsächlich im Detail.
“… mit Blumen überschüttet in der Hauptstadt Ungarns”
Die früheste Feldpostkarte datiert mit 16. August 1914. Romedius schreibt aus Budapest an seine Mutter in Schlanders “herzliche Grüße vom Russischen Feldzug”.
Budapest, am 16. Aug. 14
Liebe Mutter!
Von einem unbeschreiblichen Jubel der Ungarn empfangen und mit Blumen überschüttet in der Hauptstadt Ungarns angelangt. Die Reise dauert noch 3 Tage u. Nächte, aber trotzdem ist die ganze Mannschaft riesig begeistert. In Hopfgarten habe ich die Frau Pirader [?] gesehen. Euch beiden recht herzliche Grüße vom Russischen Feldzug
Romed.
E 103 Postkarte (Feldpostkorrespondenzkarte)
Poststempel vom 17.08.1914, Budapest Hh 62 hh.
Romedius Ebner, Feldpost 98 (4. T. K. J. Rgt.) 3 B., an seine Mutter Barbara Knoll, Schlanders, Tirol Vintschgau, b. H. Kaufmann Jos. Pegger
“Wichtiges habe ich ja nicht geschrieben”
Der nächste Brief – eine gute Woche später – geht an seinen Bruder Hans. Wir lesen heraus, dass er bereits mehrere Karten an seine Familie verschickt hat, vielleicht mehr aus Pflichtbewusstsein, denn er gibt selbst zu, dass er wenig Schreibstoff hatte.
24. August 1914
Lieber Bruder! Mir geht es vorderhand nicht allzu schlecht. – müssen schnell wieder weiter!
4. Sept. 14
Habe jetzt Euren lieben Brief erhalten und werde euch, sobald wieder Post weg geht, weiteres schreiben, das meiste kann ich nur, wenn ich wieder nach Hause komme erzählen, worauf ich mich schon riesig freue; vielleicht dauert’s doch nicht mehr allzu lange. Tut´s euch meinetwegen nicht allzu viel sorgen, denn im Vergleich zu den anderen geht’s mir doch ziemlich gut, aber es hat Zeiten gegeben, wo es mir noch besser gegangen ist; ich weiß nicht, ob ihr alle Karten erhalten habt. Wichtiges habe ich ja nicht geschrieben.
Unserer lieben Mutter und Dir recht herzl. Grüsse
Euer Romed.
E 106 Postkarte (Feldpostkorrespondenzkarte)
Poststempel vom 12.09.1914, k.u.k. 4. T.J.R.10. Feldkomp.
Romedius Ebner, Assistenzarzt 4. Tirol. K.J.Rgt. 3. Bain., Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders, Tirol Vintschgau
“Bärtig und schlank sind wir beide geworden”
Der nächste Brief, der erhalten ist, datiert erst einen Monat später. Es ist Mitte September und Romedius wird ungeduldig. Wie die meisten geht er davon aus, dass die Sache – er meint den Krieg – vor Weihnachten vorbei sein sollte.
20. Sept. 14
Meine Lieben!
Es ist heute der erste Rasttag seit Begin[n] des Feldzuges; aber wahrscheinlich geht’s Nachmittag trotz des Regens wieder weiter. Ich hätte mich ganz gut in einem polnischen Bauernhäuschen einquartiert und mir auch schon Milchreis und andere Raritäten gekocht, um mich für den Entscheidungsschlag wieder zu stärken. Insofern ging es wieder besser. Der Belligoi lebt auch noch, aber bärtig und schlank sind wir beide geworden. Wie geht’s den[n] Euch im[m]er. Lasst’s doch wieder einmal was hören. Wie steht den[n] die Sache in Tirol? Ich wäre schon sehr froh, wen[n] bis Ende Oktober oder Mitte November die Sache erledigt wäre; die Deutschen werden’s schon machen.
Auf einen guten Ausgang hoffend grüßt Euch herzlich
Euer Romed.
E 098 Feldpostkarte
Poststempel vom 21.09.1914, k.u.k. Feldpostamt 98, k. und k. 4. Regiment der Tiroler Kaiser Jäger 12. Feld-Kompanie
Romedius Ebner, Assistenzarzt, 4. T.K.Jg.Rgt. 3. B., Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders Tirol Vinschgau
“Der Magen wird auch schon ein bisschen empfindlich”
Im Brief an seine Mutter spürt man Unmut – es ist nicht nur der Magen, der verstimmt ist.
25. Sept. 1914
Liebe Mutter!
Gott und die Deutschen werden uns helfen und so wird es wohl auch hoffentlich nicht mehr lange dauern kön[n]en; in ganz kurzer Zeit muß der große rußische Schlag und damit die endgültige Entscheidung erfolgen. Ich hoffe, daß ihr beide wohl auf seid; mir geht es im allgemeinen nicht schlecht; nur den Verlust meines Pferdchens hab ich noch nicht verschmerzt, zumal ich jetzt diese entsetzlich tief kotigen Wege zu Fuß machen muß. Der Magen wird auch schon ein bisschen empfindlich. Einige Wochen wird er’s noch aushalten.
Mit herzlichen Grüßen Euch beiden!
Euer Romed.
E 103 Feldpostkarte
Poststempel vom 27.09.1914, k.u.k. Feldpostamt 98, k. und k. Regiment der Tiroler Kaiser Jäger 12. Feld-Kompanie
Romedius Ebner, Assistenzarzt, 4. T.K.Jg.Rgt. 3. B., Feldpost 98, an seine Mutter Barbara Knoll, Schlanders Tirol, Vintschgau, bei Herrn Kaufmann Jos. Pegger
“… zu einem selbst gekochten Milchreis ecc.”
Ende September klingt der Krieg sehr allgemein und der Schlusssatz versprüht Optimismus.
28. Sept. 14
Lieber Bruder!
Gestern Abends Euren liebevollen Brief erhalten; herzl. Dank dafür. Zeitweise geht es jetzt in manchen Punkten (Verpflegung, Feldpost ecc.) etwas besser. Im allgemeinen die alte Wurstlerei, die hoffentlich bald ein Ende nehmen wird. Komme jetzt öfter mit Schlauch zusammen, zu einem selbst gekochten Milchreis ecc.
Bald werden die entscheidenden Kononen donnern.
Herzl. Grüsse Euch beiden
Romed.
Schlauch
E 107 Feldpostkarte
Poststempel vom 28.09.1914, k.u.k. Feldpostamt 98, k. und k. 4. Regiment der Tiroler Kaiser Jäger 12. Feld-Kompanie
Romedius Ebner, 4. T.K.Jg.Rgt. 3. B., Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Statth. Konzpst. Bez. Hptmsch. Schlanders Tirol Vinschgau
“Ich lechze nach einem kräftigen Schluck Tirolerwein”
Plötzlich ist nicht nur Oktober, sondern erstmals lesen wir etwas genauere Schilderungen und von Kriegsdetails, die uns Romedius bislang verwehrt hat.
6. Okt. 14
Lieber Bruder!
Heute waren wir in einem galiz. Städtchen einquartiert, das teils von eigenen Truppen teils von Kosaken vollständig ausgeplündert wurde; gestern seien hier noch Kosaken gewesen; mit den Marschbattalionen sind auch einige Bekannte bei unserem Regiment eingetroffen, der kleine dicke Wassermann, Vinatzer, Tiefentaler-Wirt.
Infolge der Ausplünderung steht unser Wohlbehagen etwas im argen; nicht das geringste an “Genuss”-Mitteln ist zu bekommen; ich lechze nach einem kräftigen Schluck Tirolerwein, denn dieses Wasser ist immer noch meine schwache Seite. Heute hab ich mich im Familienzimmer des Bürgermeisters von Przeclav bei Tarnow einquartiert, und mein Diener kocht mir gesottene Kartoffel u. Tee ohne Rum u. Zucker. Ist die Schlacht vor Paris noch nicht vorüber? Ansonsten bin ich gesund.
Herzliche Feldzugsgrüsse Dir u. der Mutter.
Euer Romed.
E 100 Postkarte (Feldpostkorrespondenzkarte)
Poststempel vom 13.10.1914, k.u.k. Feldpostamt 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt 4. Rgt. T. K. Jg. 3. B. Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders, Tirol Vintschgau
“Der November wird wohl noch vorübergehen…”
Ebenfalls im Oktober schickt Romedius einen langen Brief an seine Mutter, in der er ihr die Lage vor Ort schildert. Waren bislang ein fehlendes Reitpferd oder Mangel an Tiroler Wein die größte Sorge in Romedius’ Briefen, so schreibt er nun erstmals von Schwarmlinie, feindlichen Kugeln und Artilleriegeschoßen. Und an seine üblichen “Herzliche Grüße” hängt er diesmal noch einen ausdrücklichen Wunsch an.
27. Okt. 1914
Liebe Mutter!
Jetzt machen sich, besonders in manchen galizischen Orten, bereits die Folgen des Krieges in trauriger Weise bemerkbar; Tirol wird sie noch recht gewahr werden, wenn die kümmerlichen Überreste der nicht so mächtigen Tiroler Regimenter wieder nach Hause kommen. Hier müsste die Bevölkerung verhungern, wenn nicht ärarisches Mehl verteilt würde. Kein Handvoll Zucker und kein Handvoll Salz in der ganzen Stadt. Die kleinen Kinder keinen Tropfen Milch.
Unsere Verpflegung fürwiederum ist zur Zeit ganz gut. Wir sitzen jetzt schon einige Zeit am San (in der Nähe der Weichselmündung), die Russen auf einige hundert Schritte gegenüber, beide in die lehmige Erde eingegraben, wo den Soldaten durch Laufgräben das Essen zugetragen wird, und wo sie oft mehrere Tage und Nächte verbringen, bis sie zu einer kurzen Rast in der halbzerschossenen Stadt, von der ich euch schon geschrieben habe, abgelöst werden.
Heute habe ich auf Anordnung des Brigadekommandos meinen Hilfsplatz bis ganz nahe an die Schwarmlinie vorgeschoben; die feindlichen Kugeln, die des Abends immer zahlreicher werden, schlagen vor unseren kleinen Häuschen, in dem wir uns niedergelassen haben, ein. Ich bin sie schon so gewohnt, daß ich mich gar nicht mehr umschaue, wenn neben mir eine einschlägt.
Im Gegensatze zu diesem Säuseln und Pfeifen der mitunter so ruchlosen Kugeln erfüllt mich der unheimliche Metallklang der Artilleriegeschosse mit Ungemütlichkeit; doch scheint zum Glücke der armen Kerle, die es treffen würde, auf beiden Seiten Munitionsmangel zu herrschen, der November wird wohl noch vorübergehen. Ich fühle mich sonst andauernd wohl, trotzdem ich mich oft über vieles ärgern sollte. Euch beiden herzliche Grüße!
Hoffentlich geht die heutige Nacht nicht allzu blutig vorüber!
Romed.
E 165 Brief (Doppelblatt)
Romedius Ebner an seine Mutter Barbara Knoll
“so könnten wir monatelang wie die Maulwürfe einander gegenüberliegen”
Zwei Tage später ergeht ein ähnlicher Bericht an den Bruder.
29. Okt. 1914
Lieber Bruder!
Meine Zahl. für November (300 Kr.) habe ich an Dich adressieren lassen, damit ich nicht soviel mit mir herumtragen muß; sei so gut und lege sie mir in Schlanders ein. Ich bekom[m]e zwar zweitweise einige Reichspost-Num[m]ern, die ich abbon[n]iert habe, aber im[m]er um 14 Tage später; wen[n] nicht bald von Paris oder Warschau aus eine Entscheidung kom[m]t, so kön[n]ten wir noch monatelang hier am San (Roswradow) wie die Maulwürfe einander gegenüberliegen, wen[n]s nicht allmählich am nöthigen Soldaten-Materiale mangeln würde. Die mondhelle Nacht ist erfüllt von dem Knattern der Gewehre, deren Kugeln sich bis zu unserem Häuschen verirren und dem Aufblitzen und dumpfen Rollen der Kanonen und schweren Haubitzen. Habe schon längere Zeit kein Schreiben von Euch erhalten.
Herzliche Grüße Romed.
E 093 Postkarte (Feldpostkorrespondenzkarte)
Poststempel vom 30.10.1914, k.u.k. Feldpostamt 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt, 4. Rgt. T. K. Jg. 3. B. Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders, Tirol Vintschgau
“Jedenfalls wird der Krieg noch längere Zeit dauern”
Romedius schätzt die weitere Kriegsdauer nun realistischer ein, und wirkt dabei gleichzeitig optimistisch. Vielleicht weil er nun wieder “ein Pferdchen” hat, nachdem er – seinem Brief im September zufolge – gut eineinhalb Monate ohne Reitpferd auskommen musste.
11. Nov. 14
Lieber Bruder!
Herzlichen Dank für Eure lieben Briefe, auf die ich mich schon lange sehnte und aus denen ich mit Freude entnahm, daß es Euch gut geht. Ich bin mit meinem Befinden auch ganz zufrieden, zumal ich seit einigen Tagen wieder ein Pferdchen habe. Wie die Situation jetzt steht, dürftest du schon so ziemlich erken[n]en, aber ich glaube, es wird sich schon noch was machen lassen; jedenfalls wird der Krieg noch längere Zeit dauern. Was macht Rumänien? Wir werden vielleicht endlich einmal aus Galizien fortkom[m]en, der Winter wird schon vorübergehen. Zeitung habe ich von dir keine erhalten, es funktioniert in so kritischen Wochen die Post nicht.
Herzliche Grüße Dir u. der Mutter und den Hausleuten.
Romed.
E 096 Postkarte (Feldpostkarte)
Poststempel unleserlich, k.u.k. Feldpostamt 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt 4. T. Jg. Rgt. 3. B. Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders, Tirol, Vintschgau
“wegen Blähhals mit starken Athembeschwerden”
Vier Tage später schreibt Romedius erneut an den Bruder, vor allem weil er fürchtet, dieser könnte (trotz Freistellung aufgrund eines Kropfes) doch noch einrücken müssen.
15. Nov. 14
Lieber Bruder!
Von Offizieren, die jetzt von Tirol wieder zu uns eingerückt sind, habe ich erfahren, dass jetzt Nachstellung für alle bisher Militärbefreiten stattfindet. Du wirst wohl unter allen Umständen dich frei halten, zumal Du in Deiner jetzigen Stellung der Sache mehr dienen kannst und es dir jetzt durch die Bez[irks] H[au]ptmannschaft leicht sein muss frei zu bleiben weg[en] “Blähhals mit starken Athembeschwerden”.
Die gute Mutter wäre sonst ganz allein und ich wäre in ständiger Besorgnis. Wir haben uns jetzt wieder einige Tage erholt und sind (Weichselrichtung bis Krakau) sehr gut mit allen möglichen Esswaren (Chokolade ecc.) versorgt worden. Mehlspeisen und ein Glas Tirolerwein gibt´s hier im Felde leider nicht, wohl hat mir gestern ein Offizier, den ich am 28. Aug. verbunden habe, und der wieder zu uns eingerückt ist, eine Flasche Traminer gebracht. Die hat es gestern schon glauben müssen. Die Reichspost, die ich abboniert habe, erhalte ich bei Raststationen sehr fleißig, gestern eine Nummer von vor 4 Tagen. Du könntest vielleicht so gut sein und an die Redaktion (Wien VIII. Strozzigasse 8) gelegentlich eine Karte schicken und schreiben, daß man vorderhand dir die Rechnung schicken möge, da ich von hier kein Geld weg schicken kann. Hast du meine 300 Kronen erhalten?
Jetzt scheint erst der Krieg in den Kolonien loszugehen, da können wir noch lange auf einen Friedensschluss warten. Sollte unser Feldpostamt 98 für Pakette wieder zugänglich werden, so bitte ich nur vor allem 1 Paar große, warme Handschuhe zu schicken (größer als 350 gr. darf scheints so ein Päkttchen nicht sein) mit dem übrigen wäre ich vorderhand ganz gut versehen. Starke Schuhe täte ich brauche, aber das lässt sich auch schwer durchführen. Der arme Schlauch hat nicht einmal Handschuhe! Ich würde ihm dann meine alten geben, wenn er nicht vorher in ein Spital abgeht. Mir geht es sonst ganz gut; habe gestern mich und mein zusammengeschrumpftes Battallion gegen Cholera geimpft. Schreibe mir bald wieder und berichte mir, was es Neues gibt.
Dir und der Mutter herzliche Grüße!
Euer Romed.
Auch an die Hausleute und übrigen Bekannten beste Grüße!
E 101 Brief (Kuvert, Doppelblatt, Einzelblatt)
Poststempel vom 20.11.1914, k.u.k. Feldpostamt 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt 4. T. Jg. Rgt. 3. B. Feldpost 98, an seinen Bruder Hans Ebner, Schlanders Vintschgau, Tirol
“Ein Hemd, eine Unterhose und einige Taschentücher könnte ich wohl brauchen…”
Es wird Dezember und Romedius schreibt wieder einen ausführlichen und zudem bewegenden Brief an seine Mutter.
Feldspital 4/14, am 7. Dez. 1914
Liebe Mutter!
Herzlichen Dank für Euren Brief; mein mitunter eilfertiges Schreiben müßt Ihr entschuldigen, da ich oft in aller Eile, wenn gerade ein Briefbote zur Hand ist, einen Feldgruß nach Hause sende.
Die Situation steht hier ganz gut (vorderhand […]). Wir haben die Russen, denen besonders zu die zu unserer rechten Seite einzuziehende deutsche Division viele Tausende von Gefangenen […] über die schönen Karpathen-Höhen vertrieben und unsere Artillerie fährt gerade bei dem kleinen Häuschen vorbei um sie zu verfolgen, in dessen dunkler und kleiner Küche wir den Operationssaal unseres Feldspitales einrichteten.
Alles ist schon vorausgezogen, nur der Feldkaplan und ich sind noch als letzte zurückgeblieben, um den sterbenden Jägerhauptmann im Nebenzimmer nicht allein zu lassen. Während draußen das dumpfe Grollen des Geschützdonners sich mit dem Tohne des Nordwindes vermischt, sitzen wir beide still bei dumpfen Kerzenschein in der verlassenen Küche. Vom berüchtigten nordischen Winter haben wir bis jetzt noch nicht viel gespürt, weder Schnee noch besondere Kälte war uns bisher beschert; zwar die tapferen Jäger, die in der Nacht dem Feinde auf freiem Felde gegenüberliegen, die haben die Kälte schon gespürt, die übrigens von den Russen nicht um ein Haar besser vertragen wird als von unseren Leuten, die jetzt ganz gut ausgerüstet daherkommen; von den alten Feldsoldaten, die im Sommer ausgezogen sind, dürften ohnedies nicht mehr viele da sein.
Unser Freund Belligoi liegt verwundet im Reserve Spital in Bielitz; ich hab ihn schon für gefangen gehalten, denn seine Kompanie ist fast gänzlich in russische Kriegsgefangenschaft geraten vor Krakau. Nachträglich erfuhr ich von Bachlechner, daß ihn eine Schrapnellkugel getroffen habe. Platter Frz. und Berger sollen auch marod in irgendeinem Spitale sein. Bezüglich der Wäsche bin ich für das Wichtigste schon versehen. Ein Hemd, eine Unterhose und einige Taschentücher (und ein Zahnbürstl) könnte ich wohl brauchen, da mein Koffer so weit zurück und noch beim Regiments-Train ist, daß man viele Wochen nicht dazu kommen kann.
Wir haben unsere wichtigsten Sachen in Rucksäcken, die wir mit den D[…] auf einem unserer Wägen auflegen beim Weitermarsch. Aus der Reichspost habe ich ersehen, daß Stadt und Festung Belgrad in unserem Besitze ist. Wie die Sache in Frankreich steht, wird noch weniger bestimmt erscheinen können, obzwar die Franzosen auch schon völlig erschöpft sein müssen. Die Russen werden noch an unserer Hartnäckigkeit zum Falle kommen.
Das gebe Gott!
Mit herzlichem Gruße Euch beiden
Romed.
8. Dez.
Heute wieder massenhaft Gefangene gemacht. Unsere Leute eilen im Sturmschritte den Russen nach. Eine Patroille von 2 Mann bringt gleich über 100 Russen zurück. Auf diese Weise könnte es noch gehen.
Romed.
E 083 Brief (Kuvert und zwei Doppelblätter)
Poststempel vom 09.12.1914, k.u.k. Feldspital 4/14
Romedius Ebner an seine Mutter Barbara Knoll, bei Herrn Kaufmann Josef Pegger in Schlanders
“Die Sache scheint sich mächtig in die Länge zu ziehen”
Mit diesem Schreiben vom 15. Dezember 1914 (und Romedius’ vager Ahnung, dass er sich mit seinen ursprünglichen Schätzungen zu einem baldigen Friedensschluss mächtig verschätzt haben könnte) endet die Serie seiner Feldpostbriefe. Der Krieg wird noch bis November 1918 dauern.
15. Dez. 1914
Liebe Mutter!
Heute herrscht wieder ganz ungewohnte Ruhe; die Russen ziehen sich offenbar hier zurück. Wir leben hier in Lapanow ganz gemütlich; soeben ist die Zeitung von vorgestern eingetroffen. Die Sache scheint sich mächtig in die Länge zu ziehen.
Euch beide herzlich grüßend,
Romed.
E 001 Postkarte (Motiv: Krakow)
Poststempel vom 19.12.1914, k.u.k. Feldpost 98
Romedius Ebner, Assistenzarzt, Feldspital 4/14, Feldpost 98, an seine Mutter Barbara Knoll, b. H. Kaufmann Jos. Pegger
Es war einmal ein Doktorhaus
Über eine Villa der Jahrhundertwende, die nicht mehr ist.
Über eine Villa der Jahrhundertwende, die nicht mehr ist.
Text und Fotos: Manuel Thoma
Vier Jahrzehnte und einen Besitzerwechsel mit Renovierungsplänen später steht es nun vor dem Abriss, lese ich Anfang Jänner 2023 im Artikel Liegengebliebenes von Judith Schwarz in diesem Blog des MuseumPasseier. Die Rede ist vom sogenannten Doktorhaus, Ebnerhaus oder auch Neurauterhaus, einer alten Villa, die bis vor kurzem am unteren Ende der Kohlstatt in St. Leonhard in Passeier stand.
Für mich war es immer schon das „Neurauterhaus“, ohne jedoch irgendetwas Genaueres über dessen Geschichte oder den Namensgeber zu wissen. In meinen Erinnerungen war es nie bewohnt, es stand halt einfach da. Dann jedoch, im Wissen, dass es eben nicht mehr lange dastehen wird, entstand die Enttäuschung, niemals erfahren zu können, was es noch im Inneren beherbergte. Ich hatte nämlich schon immer diese kindliche Neugier, genau das wissen zu wollen. War es noch eingerichtet oder komplett leer? Wurde es irgendwann nochmal renoviert oder war alles noch so, wie vor 50, 60 Jahren? Gab es dort wirklich eine Turnhalle, wie es früher unter uns Kindern erzählt wurde?
Glücklicherweise bekam ich noch die Möglichkeit, mir das Haus anzusehen, sogar in Ruhe bis in die oberen Etagen spazieren zu können. Und nein, es gab dort keine Turnhalle, jedoch wunderbar hohe Räume mit alten Dielenböden, mehrere Kachelöfen, Möbel, teils im Stile der 50er, 60er Jahre, ein Stiegenhaus mit angenehm niedrigen Stufen und einem massiv gearbeiteten Holzgeländer… gute Handarbeit eben. Alles in einem Zustand, als wäre das Haus bis vor kurzem noch bewohnt gewesen. Dieser Besuch war der Auslöser, mich genauer mit der Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner*innen zu befassen.
Ich begann also meine Recherchen in Büchern und verschiedenen Online-Archiven. Meine Ausgangspunkte waren: Doktorhaus, Ebnerhaus, Neurauterhaus. Und ich hatte einen Namen:
Doctorhaus, neu. So kurz und bündig beschreibt Josef Tarneller das Haus in seinem Werk über die Hofnamen im Burggrafenamt von 1909. Doch bereits 1895 fällt einem Zeitgenossen die rege Bautätigkeit in St. Leonhard auf und er bemerkt dazu Folgendes: Der Arzt Dr. Neurauter baut eine Villa in der Nähe des Bräuhauses, sowie auch in der Nähe des Gasthof Theis gebaut wird. Ebenso hat der neue Stroblwirth einen Stock aufgebaut.
Die Zeichen standen auf Aufbruch in jener Zeit. Die Talstraße von Meran bis St. Leonhard war gerade im Entstehen, nichtsdestotrotz hatte sich der Tourismus bereits Jahre vorher schon bis in die hintersten Ortschaften des Passeiertals ausgebreitet. Neue touristische Strukturen wurden gebaut, bestehende erweitert. Vor allem die Sommerfrischler*innen aus den Städten zog es in den Sommermonaten in die höhergelegenen Täler. Die Kurstadt Meran war gerade inmitten eines wirtschaftlichen und kulturellen Höhenflugs. Grandhotels und unzählige Villen entstanden in Meran, viele davon Bauten des Historismus und des Jugendstils. Vielleicht dienten sie als Vorbild für unser Doktorhaus?
Das Doktorhaus war einzigartig für das Passeiertal, brachte es doch ein Stück städtisches Flair in ein Gebirgstal, welches zur Zeit der Erbauung noch nicht einmal über eine Straße nach Meran verfügte. Mit seinen verzierten Rundbögen und dem gusseisernen Geländer des überdachten Balkons, der Eingangstür mit kunstvoll gestaltetem Oberlicht oder dem mit Zinnen versehenen Turm war es immer schon anders als alle anderen Gebäude des Tales. Insofern dürfte das Haus bereits als Neubau die Aufmerksamkeit vieler Talbewohner*innen und Durchreisenden auf sich gezogen haben, führte doch der damalige Talweg direkt am Haus vorbei.
Vom Doktorhaus tauchen nur sehr wenige detaillierte Fotoaufnahmen älteren Datums auf. Die erhaltenen Abbildungen zeigen jedoch, dass sich das Gebäude von 1895 bis Jänner 2023, also 128 Jahre lang, kaum verändert hat.
In den Zeitungsartikeln jener Zeit wurde das Haus nur sehr selten erwähnt, höchstens in nebensächlichen Bemerkungen. So zum Beispiel 1902 anlässlich des 25 Jahr-Jubiläums von Dr. Neurauter, als am Vorabend eine Lampionsbegleitung zum Doctorhaus, veranstaltet wurde, wo eine kleine Serenade stattfand und der Jubilar am nächsten Tag mittags von seinem schön geschmückten Wohnhause abgeholt und in feierlichem Zug zum Gasthof Theis geführt worden war. Eine weitere Erwähnung fand das Haus 1907 in einer Meuchelmordgeschichte, als der Wirt des Bräuhauses den betrunkenen Johann Plattner (ehemaliger Bauer auf dem Aignerhof) gegen das sogenannte Doktorhaus hin begleitete, in dessen Nähe Plattner kurze Zeit später von Josef Pixner, einem ledigen Knecht aus St. Martin, erschossen wurde. Nochmal kurz erwähnt wurde das Haus im Jahr 1919 in der Zeitung Der Tiroler: Die Villa Dr. Neurauter in St. Leonhard in Passeier ist durch Kauf um 12.000 Lire an die Gemeinde übergegangen. Über diesen Verkauf konnte ich jedoch keine weitere Dokumentation finden, auch ist im Grundbuch dazu nichts eingetragen worden.
Ganz anders verhält es sich bei seinem Erbauer Dr. Eduard Neurauter. Sein Leben kann durch Berichte in Zeitungen und Dokumenten über viele Stationen hinweg nachverfolgt werden. Wer war also dieser Mann, der kurz vor der Jahrhundertwende in einem kleinen, bäuerlichen Dorf eine Jugendstil-Villa errichten ließ?
Eine herzensgute Seele. Ein Artikel in der Ausgabe vom 24.02.1912 der Tiroler Stimmen berichtet vom Tod des Dr. Eduard Neurauter, Arzt in Passeier. Im Nachruf wird ein Mann beschrieben, der, allen Schwierigkeiten zum Trotz, seine gesamte ärztliche Laufbahn im Passeiertal verbracht hatte. Bei der Bevölkerung war er beliebt, bekannt für seine Gastfreundschaft und Geselligkeit, angesehen und geschätzt für seine Bemühungen als Arzt, Ehrenbürger von St. Leonhard und St. Martin.
Eduard Neurauter entstammt einer Bauernfamilie aus Längenfeld im Ötztal, er wurde dort 1845 geboren. Und obwohl er nicht aus einem bürgerlichen Hause kommt, hat er die Möglichkeit bekommen, das k.k. Gymnasium in Brixen zu besuchen und anschließend in Innsbruck das Medizinstudium zu absolvieren. Er kommt 1876, gleich nach Abschluss seines Studiums, als Gerichtsarzt ins Passeiertal, wo er 1879 Maria Wilhelm aus St. Leonhard heiratet. Sie wohnen damals noch im Deluccahaus. Maria Wilhelm stirbt dann jedoch 1887 im Alter von nur 30 Jahren an einer Leberentzündung. Bereits ein Jahr danach ist Eduard Neurauter mit Maria Linhart aus Meran verheiratet, 1889 kommt die gemeinsame Tochter Aloisa auf die Welt. Sie wird das einzige Kind des Paares bleiben.
An die “Neurauter-Frauen” erinnert heute nur noch das Familiengrab an der südlichen Mauer der Pfarrkirche. Auch die Mutter von Eduard Neurauter, Maria Plörer, ebenfalls aus Längenfeld, ist in diesem Grab bestattet worden. Sie starb nur zwei Wochen vor Maria Wilhelm, seiner ersten Frau. Über die einzelnen Familienmitglieder konnte ich aus den zeitgenössischen Quellen leider nur sehr wenig herausfinden. Es dominiert die Persönlichkeit des Gemeindearztes.
Ein Arzt im Gebirge. Was es heißt, in dieser Zeit Gemeindearzt eines Hochgebirgstales zu sein, können wir mehreren Zeitungsartikeln entnehmen. Ein unbekannter Zeitgenosse schrieb dazu am 27.02.1912 in den Tiroler Stimmen als Nachruf eine persönlich erlebte Geschichte mit dem Arzt, welche über die Beschwerlichkeit jener Tage berichtet, dabei aber auch den Charakter Neurauters beschreibt:
Südtirol, 25. Februar. (Eine herzensgute Seele.)
Im Berichte der „T. St.“ Nr. 45 vom Tode des Dr. Neurauter von St. Leonhard i. P. schreiben Sie: „Er war eine herzensgute Seele“. Zum Beweise dieses Satzes kann folgende Erinnerung dienen.
Vor ungefähr 25 Jahren war ich einmal an einem Winterabend bei ihm auf Besuch. Er hatte gerade seine Pfeife angezündet und seine schneeigen Stiefel in der Küche ausgezogen; denn er war von einem Gange von Schlattach zurückgekehrt. Da kam ein Bauer von Obertall und bat ihn, zu seinem Weibe, welches im Wochenbett war, zu gehen. Er sei, so erzählt er, schon in der Früh vom Hause fortgegangen und sei den ganzen Tag herumgelaufen, um einen Arzt zu bekommen, habe aber keinen auftreiben können. Der Arzt in Schönna sei unwohl und könne nicht gehen und in Meran habe er mehrere Ärzte aufgesucht, aber keiner sei gegangen. Endlich habe er sich noch entschlossen, nach St. Leonhard in Passeier zu gehen.
Dr. Neurauter wandte ein, Tall gehöre nicht zu seinem Sprengel, man brauche über 4 Stunden, er sei schon ganz abgehetzt und müde, es schneie. Da unterbrauch ich ihn mit der Bitte: „Mein lieber Doktor, sei so gut und geh. Es gilt eine Frau im Wochenbett.“ Er schien dies erwartet zu haben, denn sogleich erwiderte er recht gutmütig: „Wenn du ihm auch noch hilfst, muss ich nachgeben. Gehen wir also in Gottes Namen.“ Ich wusste aus Erfahrung, dass man seinem Edelmute sehr viel und seiner Leistungsfähigkeit im Gehen Außerordentliches zutrauen konnte.
Indem nun seine Frau ihm ein Glas Wein vorstellte, schaute sie ihn mit einem Seitenblick auf den Bauer fragenden Blickes an. „Natürlich, sagte er, er braucht es notwendiger als ich.“ Sogleich brachte sie auch dem Bauer ein Glas Wein und suchte für ihn etwas aus dem Speisekasten heraus. Während der Doktor die Stiefel anzog, steckte ihm die Frau ein kleines Fläschchen „Holer“ und ein Stück Brot in die Rocktasche; dann ging es in die Winternacht hinaus, durch Schneegestöber in die Berge, Tall zu.
Als mir der Doktor am folgenden Tage begegnete, rief er mir schon von weitem zu: „Gott sei gedankt, dass ich gestern nach Tall gegangen bin; drei Personen habe ich das Leben gerettet; die Mutter und zwei Büblein sind frisch und gesund“ und sein ganzes Gesicht leuchtete vor Freide. Ich musste dann mit ihm gehen, um ein kleines Freudenfest zu feiern. Die Rechnung des Doktors an den Tallerbauern war dann so mäßig, dass sie selbst dem armen Bäuerlein zu niedrig schien. – Ja ja, der verstorbene Dr. Neurauter war wirklich eine herzensgute Seele.
Dies ist der einzige Bericht, in dem auch die Frau des Arztes erwähnt wird. Wobei unklar ist, ob es sich um seine erste Frau Maria Wilhelm oder um Maria Linhart handelt. Sicher ist jedoch, dass das Ehepaar Neurauter zu der beschriebenen Zeit noch im Deluccahaus wohnte. Der Artikel gibt außerdem eine Vorstellung davon, welche körperlichen Anstrengungen ein Arzt in unserer Gegend auf sich nehmen musste, besonders im Winter und zu einer Zeit, als es noch keine Talstraße gab und die Wege allgemein in sehr schlechtem Zustand waren.
Fein sein, gemütlich sein, fröhlich sein bei Sang und Klang. Ein vielbeschäftigter Mensch brauchte natürlich auch einen Ausgleich zu seiner anstrengenden Arbeit. Und die fand Eduard Neurauter, wie öfters berichtet wird, bei Musik und Geselligkeit, und im Besonderen bei einer Vereinigung namens Vince luna, auch genannt „Die Umgestülpten“, welche von Dr. Neurauter, genannt „Zeus“, 1898 gegründet wurde, und der er lange Zeit als Obmann vorstand. Dabei handelte es sich um eine Gesellschaft, welche aus Bürgern und Beamten des Dorfes bestand. So wurden neben regelmäßigen Treffen der Mitglieder auch besondere Feierlichkeiten mit dem vereinseigenen Streichorchester musikalisch begleitet, so z.B. die Feier für den neu ernannten Landesgerichtsrat Bezirksrichter Karl Delago. Auch Johann Wallnöfer, der ehemalige Hutmann am Schneeberg, war auf einer Durchreise Gast bei einer Sitzung von Vince luna: Die Sitzung dauerte aber sehr lange – der Mond hatte gesiegt, war aber schon im Verblassen. Da Eduard Neurauter in seiner Studienzeit Mitglied der Tiroler Studentenverbindung Corps Gothia war und von daher bereits mit dem Verbindungswesen vertraut war, könnte man Vince luna als eine Art „Weiterführung“ der Verbindungstätigkeit sehen.
Dr. Neurauther leidet wahrscheinlich an Gehirnerweichung, berichtete am 02.02.1912 der Tiroler Volksbote. Zwanzig Tage später verstarb er im Alter von 67 Jahren in St. Leonhard. Er wurde unter großer Beteiligung der Bevölkerung, Geistlichkeit, Verwaltung und Politik zu Grabe getragen. Einige der Gäste reisten dafür sogar mit dem Automobil aus Meran an.
Nach seinem Tod lebten die Witwe Maria Neurauter und die Tochter Aloisia (genannt die „Doktor Luise“) zurückgezogen im Doktorhaus. Maria Neurauter wurde bis zu ihrem Tod am 11.09.1937 von ihrer Tochter umsorgt. Danach erbte Tochter Aloisia das Haus und verkaufte es 1944 an den Gemeindearzt Dr. Romedius Ebner. Damit zog eine neue Arztfamilie ins Doktorhaus ein. Mit Aloisa Neurauter stirbt am 08.02.1966 das letzte Mitglied der Familie Neurauter, weitere Nachfahren sind bisher nicht bekannt.
Mittlerweile ist auch das Doktorhaus verschwunden, womit die Kohlstatt in St. Leonhard wieder einmal um ein historisches Gebäude ärmer geworden ist. Nach dem Schmiedhaus, dem alten Kindergarten und dem Lodenwalcherhaus musste nun auch das Doktorhaus einem Neubau weichen. Zumindest wurde so die Aufarbeitung der Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner*innen angestoßen, um das Doktorhaus auch der Nachwelt, wenigstens in dieser Form, erhalten zu können. Ja, das Doktorhaus, das war einmal…
Doktorhaus am 22.01.2023 – 28.01.2023 – 04.02.2023.
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Wir würden sie sehr gerne sehen.
info@museum.passeier.it
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Liegengebliebenes
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