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Wer findet Emmy?
Eine Frauenverein-Obmännin im frühen 20. Jahrhundert.
Eine Frauenverein-Obmännin am Anfang des 20. Jahrhunderts.
Von Judith Schwarz
Emmy hat uns am 26. November 2022 gefunden. Es war ein Samstagnachmittag und ein paar Leutchen hatten sich zum Workshop “Gemeinsam in alten Fotos lesen" getroffen. Von den Postkarten, die die Teilnehmer*innen mitgebracht hatten, fielen viele auf und gingen wieder unter. Dann: Eine Ansichtskarte von St. Leonhard, 1914 verschickt an eine Madame Louise Lahodny in Paris. Eine Madame in Paris... das schien interessant! Aber da sich bei der Eingabe des Namens auf Google nichts rührte, verflog diese meine erste Spannung ziemlich bald.
Trotzdem blieb die Postkarte etwas länger in meinen Händen. Warum genau diese, und nicht eine andere, ist schwer zu erklären. Vielleicht wegen der speziellen Kombination Paris und St. Leonhard. Vielleicht wegen des Rätsels im Kartentext: Wer war dieser verstorbene Spielgefährte Hansi, ein Familienmitglied oder ein Kanarienvogel? Ganz sicher aber reizte mich in keiner Weise der Personennamen, mit dem die Karte unterzeichnet war: Von einer oder einem gewissen E. Meyer Ludolph, wohnhaft in Meran.
E. steht für Emmy. Und Emmy für Emilia. Das spuckte das online Zeitungsportal der Landesbibliothek Teßmann im Zusammenhang mit Meyer Ludolph aus. Und dazu noch diese kurze Notiz von Juni 1912: Die Beilage zum “Berliner Lokalanzeiger” zeigt die Vergrößerung der in S. Pötzelbergers Kunsthandlung ausgestellten Aufnahme der Frau Meyer-Ludolph von der Jaufenkapelle mit den Festgästen davor, während des kirchlichen Weiheaktes [der Straße]. Nicht schlecht, eine Frau hat bei der Eröffnung der Jaufenstraße fotografiert! Und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass mich die Reaktionen der damals anwesenden Passeirer*innen mehr interessierten, als die beschriebene Fotografie von Emmy Ludolph.
Von Fragen zu Paris und Kanarienvögeln war ich nun zwar weit entfernt. Aber mein Interesse für diese Frau war geweckt. Ohne ein Indiz dafür zu haben, gehe ich davon aus, dass Emmy Ludolph nicht nur dieses eine Mal diese eine Fotografie gemacht hat. Da es für Südtirol keine Gesamtdarstellung von Fotografinnen gibt, fehlt auch das Wissen über fotografierende Frauen speziell vor dem Ersten Weltkrieg. Emmy Ludolph muss jedenfalls eine der wenigen gewesen sein, die es damals gegeben hat. Und eine der allerwenigen, die es geschafft haben, dass nicht nur ihre Fotografie, sondern auch ihr Name abgedruckt wird.
Wie sucht man diese Emmy, die Passeirer Motive nach Berlin und Paris sandte? Sie ist – typisch für die Zeit – weniger mit ihrem Nachnamen Ludolph, als unter dem Nachnamen und Titel ihres Ehemannes auffindbar: Als Frau Professor Meyer. Ihr Gatte Max Wilhelm Meyer (1853–1910) war Astronom und Schriftsteller, aber hauptsächlich war er der “Urania-Meyer”: Einer der drei Gründerväter der ersten Urania 1888 in Berlin. Es wird nicht viele geben, denen sein Name ganz fremd ist, schrieb einst das Berliner Tageblatt – ich gebe zu, sein Name war mir nicht geläufig. Auch nicht, dass Meyers Grab im Evangelischen Friedhof in Meran zu finden ist. Aber zu einer Zeit, als es unter Akademikern verpönt war, naturkundliches Wissen an die Gesellschaft weiterzugeben, war der “Popularisator der Wissenschaft” und ”Erfinder des wissenschaftlichen Theaters” wohl bekannt wie ein bunter Hund.
Wann die Hochzeit der beiden gewesen ist, müsste man noch rausfinden. Max Wilhelm Meyer hatte nämlich vor Emmy eine Wienerin geheiratet, eine bekannte Schönheit, deren Namen ebenfalls noch fehlt. Den Sommer 1901 verbrachte er – behufs Ausruhens seiner Nerven und Fertigstellung eines wissenschaftlichen Werkes – mit seiner Gemahlin in Meran. Ob die damalige Gemahlin nun die “Wiener Schönheit” war oder bereits unsere Emmy, wissen wir nicht.
Jedenfalls wurde das Ehepaar in Meran überfallen. Es sollen zwei Burschen gewesen sein, die sie auf dem Heimweg gegen Mitternacht mit Knüppeln auflauerten. Meyers Filzhut verhinderte angeblich eine gefährliche Kopfverletzung, berichtete die Dresdner Zeitung. Wenig später erschien in der Berliner Börsenzeitung die Meldung, dass Meyers Unternehmen in Konkurs gegangen sei. Meyer war, in Folge eines Streits, aus der Berliner Urania ausgestiegen und hatte seine eigene “Internationale Urania” gegründet. Möglich, dass angesichts dieser zwei Ereignisse das mit dem Ausruhen seiner Nerven nicht so ganz geklappt hat in Meran.
Später entdeckte ich noch zwei weitere Ehemänner bzw. Nachnamen von Emmy. Ja, richtig gelesen: Eine Frau, die dreimal verheiratet war, hatte im Laufe ihres Lebens vier verschiedene Namen, Varianten mit Doppelnamen nicht eingerechnet. Dementsprechend schwieriger ist es, eine Frau in den Quellen zu finden, als einen Mann, dessen Name sich im Normalfall nicht änderte.
Sie nannte sich Emmy Rogge, bevor sie den “Urania-Meyer” heiratete. Und Emmy Gurlitt, nachdem Professor Meyer 1910 in Meran verstorben war. Als sie das Foto am Jaufen aufnahm (1912) bzw. die Postkarte der Dorfansicht von St. Leonhard verschickte (1914) war ihr zweiter Ehemann Meyer also bereits verstorben. Und nur zu ihm fand ich bislang einen Hinweis auf fotografische Tätigkeiten: Seine Privatliebhaberei war die Fotografie, für die er eine große Meisterschaft als kunstverständiger Amateur entwickelte, schreibt die Meraner Zeitung in Meyers Nachruf. Es könnte also sein, dass die Witwe die Privatliebhaberei ihres Mannes samt dessen Fotoapparat übernommen hat – entweder freiwillig oder aus finanziellen Gründen.
Dann stieß ich endlich auf Emmys Geburts- und Sterbejahr: 1863 bis 1929. Als Emmy Gurlitt veröffentlichte sie drei Jahre vor ihrem Tod einen Aufsatz über ihren dritten Ehemann, den Reformpädagogen und Karl-May-Forscher Ludwig Gurlitt (1855–1931). Und die Karl-May-Gesellschaft ergänzte nachträglich dankenswerter ihre Lebensdaten. Ludwig Gurlitt war übrigens der Onkel jenes berühmt-berüchtigten Kunstsammlers, dessen versteckten Gemälde vor einigen Jahren auftauchten. Emmy verbrachte mit dem 23 Jahre älteren Ludwig Gurlitt ihre letzten Lebensjahre auf Capri, wo sie auch schon mit ihrem zweiten Ehemann zeitweise gelebt und 1906 ihre gemeinsame Tochter Mercedes Meyer zur Welt gebracht hatte. Doch woher Emmy eigentlich stammte, wer ihr erster Ehemann Rogge war und ob sie mit ihm Kinder hatte, dazu schweigen meine Quellen bislang.
Meran war also nur eine Zwischenstation. 1909 weilte Max Wilhelm Meyer (mit oder ohne Emmy) in Messina und dokumentierte gemeinsam mit Maxim Gorki die Folgen des verheerenden Erdbebens in Südkalabrien. Dann, im September 1910, schrieb die Bozner Zeitung, Meyer sei aus dem Meraner Krankenhaus entlassen und in die Villa Alpenheim, Majastraße 2 (heute 7), gezogen. Drei Monate später starb er, Emmy war 47, ihre Tochter Mercedes vier Jahre alt. Als alleinerziehende Witwe scheint Emmy dann bis in die ersten Kriegsjahre hinein im Postgebäude in Obermais gewohnt zu haben, im Adressbuch ist sie als Schriftstellerin eingetragen. Im Jänner 1916 soll sie bereits nach Deutschland gezogen sein, ihre dritte Heirat mit Ludwig Gurlitt muss schließlich nach 1917, dem Tod von dessen ersten Frau, stattgefunden haben. Capri, Meran und Deutschland – das alles klingt nach turbulentem Leben.
Aber das Beste ist noch nicht erzählt: Meran war nämlich doch mehr als eine Zwischenstation. Im März 1913 berichtete die Meraner Zeitung über eine öffentliche Frauenversammlung und die Gründung des Verein der Erwerbenden Frauen Meran, einer Zweigorganisation des gleichnamigen Hauptvereins in Wien. Und die frisch gebackene Präsidentin ist unsere Emmy Ludolph! Man stelle sich das vor: Wir haben eine Zeit, in der gemäß Eherecht die Frau den Nachnamen des Ehemannes anzunehmen, ihm als “Haupt der Familie” zu seinem Wohnsitz zu folgen und seine Maßregeln zu befolgen hat. Für bestimmte Frauenberufe wie Lehrerinnen galt ein Heiratsverbot, Frauen durften im Normalfall auch nicht wählen und laut Vereinsgesetz weder politischen Vereinen beitreten, geschweige denn sie gründen.
Emmy erfuhr als Obfrau wohl einigen Gegenwind. Ausdrücklich hatte sich der Verein als Bildungs- und Berufsverein von politischen Aktivitäten zu distanzieren, dementsprechend wurde auch die Anfrage eines “Sozialistenführers” beantwortet, nämlich dass der Kampf um die höchsten Rechte der Frau den Kolleginnen draußen im Reich und in Wien überlassen wird. Was man “draußen im Reich” bzw. die Deutsche Volkszeitung wiederum umgehend zum Anlass für spöttische Bemerkungen nahm: Es mag ja sein, dass die Mitglieder dieses Vereins es nicht so nötig haben, sich um soziale und politische Fragen zu kümmern, aber in den sozialdemokratischen Frauenorganisationen, wo wirklich [sic!] arbeitende Frauen und Mädchen sich zusammenfinden, denkt man über solche Fragen anders. Dass die Deutsche Volkszeitung – im selben Artikel – die erste gewählte Obfrau ohne Namen, sondern lediglich als Gattin des verstorbenen Doktor Mayer vorstellt, spricht dann wieder weniger für die “höchsten Rechte der Frau”.
Schließlich dann nochmal eine Randnotiz zu Passeier. Vier Monate nach der Vereinsgründung schrieb Emmy einen Leserbrief an die Meraner Zeitung – und signierte mit Emmy Meyer-Ludolph, Waldheim bei St. Leonhard. Gemeint ist das ehemalige Gasthaus Waldheim, etwas außerhalb von St. Leonhard bei Hinteregg, auf dem Weg nach Platt gelegen. Im Grunde musste Emmy mit Zuschriften als Reaktion auf den Leserbrief rechnen – wenn sie also Waldheim als Adresse angab, war sie wohl länger dort, vielleicht den ganzen Sommer über.
Emmy fand unterstützende Worte für die angefeindeten, aber tapfersten Frauenrechtlerinnen. Man hatte sie als Vereinsobfrau wohl um eine Stellungnahme zu den Suffragettes gebeten, jenen Frauen in England, die teilweise auch mit Hungerstreiks und Widerstand für das Frauenwahlrecht kämpften. Sie hätten gerne ein paar verurteilende Zeilen, schreibt sie gleich in ihrer Einleitung an die Redaktion gerichtet, diesem Wunsche kann ich nicht nachkommen, […] da ich […] deren Ausfälle mit anderen Augen anschaue. Ob sie im Gasthaus Waldheim mit anderen Gästen oder auch Passeirer*innen offen über ihre Meinung zum Frauenwahlrecht gesprochen hat, wäre zu schön zu wissen.
Zurück zum Verein. Der öffentliche Frauenabend im März 1913 schien ein Erfolg gewesen zu sein, man gewann prompt 52 Mitglieder, die jeweils einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 3 Kronen und 40 Heller beisteuerten. Wie sich der Verein weiters finanzierte, lässt sich aus der Presse nur bedingt herauslesen, es hat wohl auch Förderungen der Gemeinde Untermais gegeben. Bei der ersten Generalversammlung im Jänner 1914 werden dann die Gönner*innen (die Geld oder mal eben 230 Bücher für die Vereinsbibliothek spendierten) namentlich erwähnt.
Bald wurden die ersten kostenlosen Abendkurse angeboten: Französisch, Englisch, Italienisch, Stenographie, Kleider- und Weißnähen, Schreibmaschine ecc. Später kam auch ein Modistenkurs dazu (Modistinnen waren das Pendent der männlichen Hutmacher, sie fertigten Damenhüte und überarbeiteten Kleider nach der neuesten Mode). Angesprochen waren nicht nur berufstätige Frauen, sondern auch Mädchen ab 14 Jahren. Für junge Frauen – ausgenommen für “höhere Töchter” mit bezahltem Privatunterricht – gab es nach der Pflichtschule wohl nur sehr wenige erschwingliche Bildungsangebote in Meran.
Dann kam der Krieg. Während die Vorträge an den vierzehntägig abgehaltenen Vereinsabenden anfangs Titel trugen wie “Aus dem Leben einer arbeitenden Frau”, “Unser Körper und seine Pflege” oder “Wohnungsfürsorge”, gab es nun im Vereinslokal in der Gemeindeschule in Untermais Diskussionen über die Kriegslage und sogar Li Fischer-Eckert (1882–1942), eine Pionierin der Sozialarbeit und des Frauenrechts, sprach in einem Vereinsvortrag über “Die Frauen und der Krieg”.
Nun stand Kriegshilfe im Mittelpunkt der Vereinstätigkeit. Im Sommer 1914 – die Gründung war gerade mal ein gutes Jahr her – besorgte der Verein die Einrichtung und Leitung des Kindergartens in Untermais, der als Kriegs-Kinderfürsorgestelle bald aufblühte. Im Herbst 1914 führten die “arbeitenden Frauen” die Volksküche für den Kurbezirk Meran, lasen den Verwundeten in den Spitälern Briefe vor und halfen beim Briefeschreiben, organisierten Kleider- und Liebesgabensammlungen für Flüchtlinge und schufen eine Notnähschule im Kriege, eine Strick- und Nähschule für zirka 30 arbeitslose Frauen.
Der Verein hat also in jeder Hinsicht das den Frauen offene Feld bebaut, berichtete die Südtiroler Landeszeitung 1921. Wobei Emmy Ludolph zu diesem Zeitpunkt bereit aus Meran fortgezogen ist und diese Zeilen einen Rückblick darstellen: Unter der ersten Obmännin Frau E. Meyer entfaltete [der Verein] eine rege Tätigkeit [und gründete] in richtiger Einsicht von einem diesbezüglichen Mangel das alkoholfreie Speisehaus, das bei Rauchverbot vegetabilische Kost zu mäßigen Preisen vielen Gästen eine willkommene Stätte bot. Abgesehen vom Wort Obmännin klingt das alles sehr modern.
In Meran ist Emmy Ludolph heute eine Unbekannte. Doch auch im weltweiten Netz ist sie nicht wirklich aufspürbar. Obwohl es zu zwei ihrer Ehemänner lange Artikel auf Wikipedia gibt, hat sie dort nicht mal eine Nennung als namenlose Ehefrau. Was sich, wenn Wikipedia will, natürlich schnell ändern lässt. Kniffliger sind die Antworten auf Fragen wie: Wenn sie Schriftstellerin war, wo sind ihre Werke? Wo ihre Fotografien? Wie sah sie aus und was erinnert in Meran oder Passeier noch an sie?
Das Erinnern gehört zum weltweiten Frauentag. Klassischerweise haben, jährlich am 8. März, historische und aktuelle Frauenrechtlerinnen ins Licht gerückt zu werden. Und manchmal werden hierfür auch die Artikel vom Vorjahr – vollständig unverändert – wiederverwendet. So wie ich an dieser Stelle nochmal das Titelbild dieses Blogartikels abbilde, verbunden mit dem Aufruf:
Helft uns, Emmy zu finden!
Auf dass unter diesem Symbolbild irgendwann Fotos und Texte von Emmy Ludolph zu sehen sein werden.
Auf dass dieser Artikel nicht unverändert bleibt…
UPDATES:
11.04.2023: Emmys veröffentlichtes Foto von der Eröffnung der Jaufenstraße haben wir gefunden! Allerdings ist sie nicht – wie im Blogartikel beschrieben – mit ihrem Namen als Fotografin genannt. Danke an Larissa Peters von der Staatsbibliothek Berlin bzw. Matthias Klemm von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, die uns die Artikel geschickt haben: "Nationale Sommerfahrten in Südtirol" von Alfred Geiser aus der „Daheim“, 48. Jahrgang, Heft Nr. 41, 1912 vom 13. Juli, Seite 4ff. (Bild links) bzw. die Beilage „Bilder vom Tage“ aus dem "Berliner Lokalanzeiger", Heft Nr. 315, 1912 vom 22. Juni (Bild rechts).
18.04.2023: Endlich ein Foto von Emmy! Giuseppe Aprea vom Centro Documentale dell’Isola di Capri hat uns Kopien der Zeitschrift “Il Gabbiano” geschickt, in denen Emmy Meyer erwähnt bzw. abgebildet ist.
Aus den verschiedenen Artikeln der Zeitschrift geht hervor, dass Emmy bereits mit ihrem ersten Ehemann einen Sohn hatte, Georg Rogge, zirka um 1900 geboren. Mit Max Meyer, mit dem sie im November 1905 nach Capri gezogen ist, hatte Emmy neben Mercedes (geboren am 1. August 1906) noch eine weitere Tochter, Hildegard (geboren am 5. April 1909), die jedoch 1916 verstirbt. 1913, als sie den Meraner Frauenverein gründete, hatte sie also drei Kinder, der Tod von Hildegard ist in den Meraner Sterbebüchern nicht verzeichnet, sie war zu dem Zeitpunkt wohl schon von Meran fortgezogen. Mercedes wiederum hatte zwei Töchter, Ingeborg (geboren am 17. Februar 1925 auf Capri) und Barbara.
Emmy heiratete ihren dritten Ehemann Ludwig Gurlitt im September 1922, zog mit ihm im Februar 1924 wieder nach Capri, wo sie – ganz im Sinne ihres Meraner Frauenvereins – eine „Kulturschule für junge Mädchen“ errichteten und bis 1926 führten. In der Zeitschrift „Il Gabbiano“ ist nur von Ludwig Gurlitt als Gründer die Rede, was aufgrund seiner Vorgeschichte als Lehrer, Reformpädagoge und Herausgeber von Schulbüchern ja naheliegt. Tatsächlich wird auch Emmy ihrerseits als Gründerin des Meraner Frauenvereins einiges von ihren Erfahrungen und Ideen eingebracht haben. Laut Zeitschrift „Il Gabbiano“ stirbt Emmy 1929 in München, Ludwig Gurlitt 1931 in Freudenstadt.
21.04.2023: Lügt der Grabstein von Mercedes Meyer? Emmys Tochter Mercedes Meyer, verehlichte (später geschiedene) Gurlitt, ist laut Grabstein im Evangelischen Friedhof von Meran am 22. August 2007 mit 101 Jahren in Überlingen gestorben.
Warum sie, die ja Kinder hatte, in Meran beigesetzt worden ist, wissen wir nicht. Auch der Sterbeort Überlingen, der auf dem Meraner Grabstein angegeben ist, ist fraglich. Zumindest hat das Stadtarchiv Überlingen (Bodenseekreis, PLZ 88662) weder in den Sterbebüchern noch in den alten Ausgaben der Stadtzeitung einen Sterbeeintrag oder eine Sterbeanzeige gefunden. Auch von Überlingen am Ried in der Gemeinde Singen (Landkreis Konstanz, PLZ 78224) kam die Antwort, dass weder in den Kirchenbüchern, noch im Melderegister oder den Archivkarteien ein Sterbefall mit dem Namen Mercedes Meyer oder Gurlitt eingetragen sei. Eine weitere Ortschaft oder Gemeinde mit dem Namen Überlingen konnten wir nicht finden.
07.10.2023: Emmy ist auf Wikipedia!
Endlich haben wir mehr Material beisammen und einen Wikipedia-Artikel zu Emmy, sowie einen zum Verein der erwerbenden Frauen Meran verfasst. Zu unserer Freude sind sie gesichtet und für relevant befunden worden. Also eine weibliche Biografie mehr in der deutschsprachigen Wikipedia, deren Frauenanteil bislang erst bei 17% liegt. >>> Emmy auf Wikipedia
Abenteuer Jaufenstraße
Die Sonderausstellung erzählt vom strenghen Perg und über die Zeit der ersten Automobile im Passeier.
Bis vor kurzem war Besucher*innen der Zutritt in den Sandwirtskeller verwehrt. Seit Juni dieses Jahres präsentiert sich hier die Sonderausstellung „Abenteuer Jaufenstraße 1912-2012“.
Von Albin Pixner
Eingangs sehen wir, wie Reisende aus vergangenen Zeiten den Jaufen gesehen haben. So schreibt ein deutscher Maler, er habe auf Händen und Füßen kriechen müssen, ein Schriftsteller berichtet von einem Bärenwetter und wieder andere lamentieren über den schrecklichen Weg und die Riesenbollwerke aus Felsen. Übrigens: Während wir heute mit dem Auto bequem in 45 Minuten von St. Leonhard nach Sterzing gelangen, berichten diese Quellen von 7 bis 8 Stunden Gehzeit.
Ein Passeirer fährt nicht.
Seit Urzeiten führte nur ein Saumweg über den Pass und der Verkehr wurde von Säumern und Kraxenträgern bestimmt, die Waren transportierten. Wie der alte Jaufenweg verlief, liegt teilweise immer noch im Dunkeln. Auf alle Fälle spricht man von vier Varianten des alten Jaufenweges, was die Nordseite betrifft. Ab St. Leonhard führten vermutlich zwei Wege bis nach Walten.
Die Passeirer waren seit jeher als Wanderhändler unterwegs, passend dazu auch der Spruch: „Ein Passeirer geht und trägt, aber er fährt nicht.“ Eine naheliegende Notwendigkeit, denn das Tal bot für die ärmliche Bevölkerung nur bedingt Lebensmittel und Arbeitsmöglichkeiten, verbindet aber das Burggrafenamt mit dem Inn- und oberen Eisacktal. Und lange Zeit konnten Waren zu Fuß oder mit Saumpferden rascher über den Jaufen befördert werden, als es der Straßenverkehr über Bozen imstande war.
Bärenstarke Kraxenträger
Die Passeirer Kraxenträger waren im alten Tirol bekannt. Auf ihren Kopfkraxen trugen sie Waren vom Burggrafenamt über den Jaufen ins Inntal und bis nach Bayern. Es gibt kaum eine Ware mit der Kraxenträger und Säumer nicht hausierten, von Salz, Obst, Getreide, Wein und Schnaps bis zu Vogelkäfigen, Geschirr, Uhren, Bildern und verbotenen Büchern. Auch wenn die Zölle oft umgangen wurden, blieb ihr Verdienst mehr als bescheiden. Ihre Lasten waren aber umso höher: Frauen trugen durchschnittlich bis zu 65 kg, Männer bis zu 85 kg auf dem Rücken. In Erzählungen und Anekdoten sind sie bisweilen zu Bärenkräften gekommen: So soll der große Ultner über 280 kg getragen und die Lasten der anderen Träger auf sich genommen haben, so dass diese keinen Zoll zu zahlen brauchten.
Die Passeirer Säumer hingegen lieferten mit ihren Pferden Waren über den Jaufen und besorgten auch den Transport von Lebensmittel, Holz und Erzen für und vom Bergwerk Schneeberg in Hinterpasseier. Im Mittelalter waren die Passeirer Säumer die offiziellen Hoflieferanten für die Landesfürsten auf Schloss Tirol bzw. in Innsbruck. Im Gegenzug erhielten sie zahlreiche Privilegien. Die Bedeutung des Saumwesens zeigt sich auch daran, dass es in Passeier teilweise über 300 Pferde gab. Weil der Jaufen so „streng“, will heißen so beschwerlich war, erhielten die Passeirer im Mittelalter sogar ein besonderes Privileg vom Landesfürsten: Für fünf geladene Pferde wurden ihnen am Zolll nur vier berechnet. Ebenfalls im Mittelalter wurde auf der Passhöhe das Jaufenhaus errichtet, das für die Verpflegung und Unterbringung von Pilgernden und Reisenden zuständig war. Der Wirt am Jaufenhaus hatte unter anderem die Verpflichtung, abends und bei schlechten Wetter von der Passhöhe aus dreimal zu schreien und abzuwarten, ob er Hilferufe hört. Einige illustre Gäste sind über den Jaufen gereist, so zog Kaiser Ludwig von Brandenburg mit zahlreichem Gefolge über den Jaufen nach Meran. Dort fand die Hochzeit seines Sohnes mit der Landesfürstin Margarethe „Maultasch“ von Tirol statt. Der Bischof von Freising, der die Trauung vollziehen sollte, stürzte dabei auf dem Jaufen vom Pferd und starb.
Ab dem 15. Jahrhundert ging der Verkehr über den Jaufen zurück. Der Kunterweg durch die Eisackschlucht war zum Fahrweg ausgebaut worden, die Jaufenroute konnte damit weder finanziell noch zeitlich mithalten.
Zeitweise gab es sogar einen eigenen Postbotenlauf über den Jaufen. Die Jaufenpost konnte sich aber nicht lange halten. Kurios auch die Vermessung des Jaufens aus dem Jahre 1725. Ein gewisser Amandus Platter hatte von Hand (!) sämtliche Entfernungen, Brücken, Schranken (Geländer) und Firlegbamb gemessen und sogar die Schneestangen gezählt. Im 17. Jahrhundert verfiel der Jaufenweg zunehmend. Selbst gut gepflasterte Abschnitte waren teilweise zerstört, dass sie nur noch mit Mühe zu Fuß zu passieren waren. Der Passeirer hält jedes Künsteln am Wege als verlorene Liebesmüh, schreibt ein Zeitgenosse dazu treffend. Um 1830 versiegte der Saumhandel über den Jaufen. In der Folge ging der Umsatz der Wirtshäuser stark zurück. Die Anzahl der Pferde in Passeier fiel von 230 Tieren im 18. Jahrhundert auf elf Pferde um 1850. Viele Passeirer verloren ihre Einnahmequelle und fanden im Tal keine Arbeit mehr. In diese Zeit fiel auch der stärkste Bevölkerungsrückgang im Passeier.
Bereits 200 Jahre vor dem Bau der Jaufenstraße tauchten die ersten Pläne für eine Wagenstraße über den Jaufen auf.
Alle Pläne scheiterten aber an den Passeirern selbst. Sie brachten stets zahlreiche Gegenargumente vor – der Nutzen sei nicht von Belang, der Verkehr könnte die Wiesen schädigen, durch eine Straße würden sich Sittenverderbnis und Unglaube einschmuggeln .... Ihr Hauptgrund für den Widerstand war aber stets die Sorge vor den Baukosten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts drängte vor allem die Stadt Meran auf die Errichtung der Jaufenstraße, um für die Touristen bequemer erreichbar zu sein sowie den Gästen ein neues Ausflugsziel in der Umgebung anbieten zu können. Als die Passeirer dann endlich die Vorteile einer Straße erkannten, begannen die Streitigkeiten über die Beteiligung der Kosten sowie über den Straßenverlauf.
Leider haben wir keinerlei Notizen, Tagebuchaufzeichnungen oder Pläne vom Bau der Jaufenstraße.
Die einzigen Quellen sind die zeitgenössischen kurzen Berichte in den Lokalzeitungen. Sie erzählen von Felssprengungen, von über 900 Arbeitern, von Problemen wie brüchiges Gestein, rauhes Klima und Schwierigkeiten bei der Verpflegung und Unterbringung der Arbeiter. 1907 wird sogar von einer Demonstration berichtet, bei der die Arbeiter eine Lohnerhöhung erreichten. Obwohl zu Beginn mit der Fertigstellung im Jahr 1909 gerechnet worden war, konnte erst 1911 die erste Probefahrt gemacht werden. In dreieinhalb Stunden fuhren 11 Automobile von Meran nach Sterzing (heute benötigt man hierfür 2 Stunden weniger). Im Jahr darauf, am 15. Juni 1912 erfolgte auf dem Jaufenpass die offizielle feierliche Eröffnung der Jaufenstraße. Der Bau der Straße – 35 km lang und 5 m breit – hatte also acht Jahre gedauert und über 3.000 Kronen (das sind zirka 10 Mio. Euro) gekostet (diese Summe entsprach zwei Drittel mehr als veranschlagt).
Im Anschluss an die Eröffnung der Jaufenstraße wurde das Automobilverbot auf der Strecke Meran – St. Leonhard aufgehoben. Dagegen protestierten die Passeirer vergeblich wegen der großen Gefahr für Mensch und Tier. Ein Jahr nach der Eröffnung erhielt die Jaufenstraße eine Postautolinie. In den Sommermonaten verkehrte zweimal täglich ein Postauto mit 13 Sitzplätzen von Meran nach Sterzing und retour.
Lange Zeit fuhren auf der neuen Jaufenstraße noch zahlreiche Kutschen und Fuhrwerke.
Auch die Stellwagen des Theis- und Stroblwirtes von St. Leonhard waren anfangs neben den Postautos im Einsatz. Die Stadt Meran organisierte Gesellschaftsausflüge für Einheimische und Gäste. Zeitungen und Werbebroschüren beschrieben die Straße als eine der schönsten Hochalpenstraßen, als eine Kunststraße mitten über die Berge. Im ersten Sommer wurden knapp 570 Automobile über den Jaufen gezählt. Während des Ersten Weltkrieges war der Verkehr eingestellt. Nach dem Weltkrieg übernahm eine Trentiner Gesellschaft den Postautoverkehr über den Jaufen, auch das Privatbusunternehmen Johann Kofler besorgte diesen Dienst.
Ab 1931 fuhren die roten Busse der SAD und die gelben Autocars des Landesverkehrsamtes Innsbruck über den Jaufen.
Die Betreuung der Jaufenstraße unterstand ab 1919 dem Staatsbauamt („Genio civile“), ab 1928 der „Azienda Autonoma Statale della Strada“ (A.A.S.S. – von den Einheimischen mit „Avanti avanti senza soldi“ übersetzt), ab 1948 der „Azienda Nazionale Autonoma delle Strade“ (ANAS) und seit 1997 der Autonomen Provinz Bozen.
Im Winter wurde die Jaufenstraße auf Ratschingser Seite für Bobrennen (Rodelsport) genützt. Die Straße wurde täglich mehrere Stunden lang für diesen Sport (teilweise waren es internationale Rennen) reserviert. Das erweckte den Unmut der Bauern, die den verschneiten Weg auch für Holzfuhren und als Gehweg nutzen wollten.
Ab 1960 wurde die Jaufenstraße geteert.
Auch der Tunnel bei der Glaitner-Kehre wurde geschlossen, die Schutzgalerie beim Vermaltal und mehrere Kehren wurden ausgebaut. Im Laufe der Jahrzehnte spuken in einigen Köpfen auch verschiedene Gedanken wie Jaufentunnel, Luftkissen und sogar einer Autobahn herum, die jedoch nie konkret wurden. In den 80er Jahren kam es zu mehreren Überfällen auf bundesdeutsche Touristen am Jaufen. Die Tourismusvereine veröffentlichten hierzu Warnungen. Seit 1989 ist der Jaufenpass auch im Winter mit Nachtsperre geöffnet. Große Probleme verursacht der Wind mit seinen Verwehungen mit Schneehöhen von drei bis vier Metern. Schon kleine Lawinen können für die Arbeiter verhängnisvoll sein. Auch Autofahrer, welche die Lage unterschätzten, sind samt Auto schon eingeweht worden und mussten von den zuständigen Straßenarbeitern ausgeschaufelt werden. In den letzten Jahren wurden mehrere Lawinenschutzbauten errichtet. Bis 2015 sollen die Lawinen- und Steinschlagschutzbauten verbessert bzw. eine Galerie erbaut werden.
Interessantes aus der Zeit der Anfänge des Automobils.
Die Autokennzeichen waren bis 1920 mit dem Buchstaben „T“ (Trient) versehen, danach galt die Kennzahl „73“. Die erste Fahrschule in Meran gab es ab 1925 (Puccini). Zu dieser Zeit gab es in St. Leonhard drei Lastwagen und zwei Motorräder, aber noch keine Autos. Erst 1928 musste jedes Kraftfahrzeug mit einer Hupe versehen sein. Das Automobil war für die Leute einerseits ein Wunder („dass eppis ohne Ross fohren konn...?), andererseits aber ein Monster („Der Staab und der Höllenlärm! Hennen stiabm assnonder und die Resser werden wilde“). Die Stellwagenkutscher verparkten ihnen auch teilweise absichtlich den Weg. Die Fußgänger liefen panisch in die falsche Richtung und überhaupt mussten sich die Leute an „beschleunigte Reaktionen“ auf dem Dorfplatz erst gewöhnen, wenn ein Automobil daherkam.