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Liegengebliebenes
Die Geschichte von Berta Ebner, die mehr einstecken musste, als eine Bombe an ihrem Lebensende.
Die Geschichte von Berta Ebner, die mehr einzustecken hatte, als eine Bombe an ihrem Lebensende.
Von Judith Schwarz
Die Tage nach Neujahr sind eigentlich Tage für Liegengebliebenes. Früher galt nämlich: Man kann sich “zwischen den Jahren” bis Dreikönig Zeit lassen für Dinge, die man im alten Jahr erledigen wollte. Für diesen Blogartikel über Berta Ebner, den ich vorhatte 2022 zu schreiben, ist der Zug also noch nicht abgefahren. Stay tuned!, sag ich mir seit Silvester, diese liegengebliebenen Zeilen dürfen getrost jetzt erst erscheinen.
Es begann im nunmehr vorjährigen Sommer. Ich hörte von der Historikerin Monika Mader zum ersten Mal von “Le strage di Bologna”, dem Anschlag von 1980 am Zugbahnhof von Bologna. In einem abgestellten Koffer im Wartesaal war eine Zeitbombe explodiert. Und ich hörte zum ersten Mal, dass auch eine ledige Passeirerin an jenem 2. August um 10:25 Uhr auf einen Zug gewartet hatte. Um inmitten der Explosion, die vermutlich Neofaschisten zu verantworten hatten, zu sterben.
Sollte ich über diese Frau schreiben? Berta Ebner war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Ihr Leben möglicherweise bis zu jenem 2. August 1980 friedlich und unauffällig verlaufen. Ihre Eltern und Geschwister nicht mehr am Leben, ihr Nachlass nach über 40 Jahren höchstwahrscheinlich verschollen.
Trotzdem begann ich zu suchen: Warum war Berta Ebner, die Tochter des Gemeindearztes von St. Leonhard, an jenem Tag in Bologna gewesen? Wer war diese Arztfamilie, die in einer Jugendstil-Villa im Dorf gelebt hatte? Können sich die älteren Passeirer*innen noch an die “explodierte” Arzttochter erinnern?
Berta Ebner war so unauffällig, dass es auffällig ist. In den Zeitungsberichten zum Bomben-Attentat finden sich immer wieder dieselben Informationen: Die Verstorbene aus St. Leonhard in Passeier war 50 Jahre alt, ledig, Hausfrau, führte ein zurückgezogenes Leben, pflegte ihre 84-jährige Mutter, war zufällig auf Italienreise gewesen. Ihr Passfoto taucht auf einigen Websites auf, welche die Erinnerung an die 85 Todesopfer des Anschlages wachhalten wollen und dazu jährlich am 2. August Gedenk-Aktionen starten.
Um zu erinnern, muss man wissen. Je weniger Kenntnis wir über Berta Ebner haben, umso schneller wird ihr Leben ein leeres Blatt Papier werden. Das Schwarz-Weiß-Foto von Berta bunt zu bemalen und in einem weiß gestrichenen Koffer von Bologna nach Passeier zu schicken, wird das nur bedingt verhindern. So dachte ich, als ich im Sommer von der jüngsten Erinnerungs-Aktion “A destino” hörte. Nun, ein halbes Jahr später, zeigt sich: Der symbolische Koffer hat nicht nur still vor sich hin gemahnt. Er ist zum Auslöser geworden, um weitere Spuren zu Berta Ebner zu suchen.
Wo sucht man am besten nach Ebners? Natürlich in Zeitungen. Und tatsächlich taucht Berta Ebner bereits vor ihrem tragischen Tod in Bologna 1980 in einem Bericht in den Dolomiten auf, nämlich 1958 in Sorrent bei Neapel. Als 28-jährige Frau hatte sie dort – aus welchen Gründen auch immer – ihr Gedächtnis verloren! Laut Zeitungsnachricht war sie verwirrt, aber unverletzt – und man fand weder bei der Polizei noch im Krankenhaus Näheres heraus: “Mutter und Schwester kamen nach Neapel, doch konnte sich Berta Ebner an sie nicht ‘erinnern’ und auch jegliches Zureden war umsonst. Sie tat, als ob Mutter und Schwester ihr vollkommen unbekannte Leute wären.” Also “[…] kehrten Mutter und Schwester mit Berta nach Sankt Leonhard zurück und die Aerzte hoffen, daß das arme Mädchen in ihrer gewohnten Umgebung die Erinnerungsgabe wieder erhalten werde.”
Ein ruhiges und unauffälliges Leben? Davon bekommt man keine Amnesie. Eher von traumatischen Erlebnissen, von Unfällen, Stress oder Schock. Wir wissen nicht, ob oder wann Bertas Erinnerungen zurückgekehrt sind. Oder wie in der Passeirer Arztfamilie mit dem Gedächtnisverlust umgegangen wurde. Und vor allem was ihn ausgelöst hat. Auch wenn der Zeitungsbericht dazu schweigt, in einem Dorf wird immer geredet. “Berta hat studiert gehabt und hatte irgendwann ein Kind, das haben ihr die Eltern aber genommen, weil es ein “Italienerkind” war. Man hat nie gehört, ob Mädchen oder Bub und wo das Kind überhaupt ist", erzählen ehemalige Nachbarn der Ebners.
Möglich wär es schon. Dass Bertas Amnesie in Süditalien eine Schockreaktion auf ein Ereignis war, das mit ihrer Schwangerschaft oder mit der Wegnahme ihres Babys zu tun hatte. Für die Einheimischen ist klar: “Man hat ihr das Kind genommen, und dann ist die Berta übergeschnappt. Da hat es dann Probleme gegeben, dass sie zum Beispiel im Unterrock umhergegangen ist und so.”
Umgekehrt wäre es auch denkbar. Zumindest solange wir keine Angaben zum Geburtsdatum des Kindes haben (im Grunde haben wir nicht mal gesicherte Angaben zur Existenz des Kindes). Was, wenn Berta erst in Folge ihres Blackouts “Probleme” gemacht hat und eines dieser Probleme die Schwangerschaft war? Die Geburt des Kindes, irgendwo auswärts, soll in den 60er Jahren gewesen sein, als Berta rund 30 Jahre alt war, glauben Leute im Dorf zu wissen. Ganz genau können sie ihre Erinnerungen allerdings auch nicht abrufen.
Also vielleicht doch Nachkommen! Das (vermutete) Kind könnte heute zwischen 60 Jahre alt und älter sein und irgendwo in Italien leben. Berta soll gerne Italienreisen unternommen haben, wird in den Zeitungsberichten zu ihrem Tod betont. Was, wenn diese Reisen in irgendeiner Weise mit ihrem Kind zusammenhingen? Was, wenn das “Italienerkind” der Grund gewesen ist, warum Berta am 2. August 1980 am Bahnhof in Bologna auf einen Zug gewartet hat?
Im Dorf wurde gemunkelt. “Die Leute haben immer spekuliert, dass Bertas Bruder das Kind nach Deutschland mitgenommen hat”. Aber Bertas älterer Bruder Romed (1923–2011), zum Zeitpunkt der Amnesie bereits Arzt wie sein Vater, heiratete eine Biologin und gründete vor seinem Tod eine Stiftung zur Unterstützung von Medizinstudent*innen, in die sein Vermögen floss. Von einem Kind keine Spur. Bertas jüngere Schwester Elisabeth (1933–2015) hingegen war ab 1962 verheiratet, mit einem Arzt, und hatte einen Sohn.
Und Berta als Jugendliche? Sie scheint bereits als junge Frau gegen Korsette rebelliert zu haben. Über ihre Zeit als Studentin (wahrscheinlich der Pharmazie) und das Maturajahr 1949 am wissenschaftlichen Lyzeum in Brixen ist wenig bekannt. Mit 13 Jahren war sie jedoch im 360km entfernten Bregenz in Österreich im Internat untergebracht. Die dortige staatliche Oberschule für Mädchen und das Schülerinnenheim “Marienberg” liegen in der Nähe von Heimertingen, der Heimatstadt ihrer Mutter Berta Ebner geb. Schneider (1895–1980). Berta schreibt pampige Briefe über ihre Mitschülerinnen (“zwiedere Pfotten”) und das Essen (“Fetter kann man hier auch nicht werden”). Die Internatsleitung klagt, Berta sei nicht willens, sich einzufügen.
Ein lebensfrohes Kind, wie es alle anderen sind. Das solle mit ihrer Hilfe aus Berta werden, sendet die Heimleiterin nach Passeier und fügt – wir haben das Jahr 1943 – “Heil Hitler!” hinzu. Eine schwierige Aufgabe, da Berta stets als “sehr verschlossen” beschrieben wird. Vielleicht hatte sie es bereits in ihrer Grundschulzeit in St. Leonhard schwer, Anschluss zu finden – als bürgerliche Tochter eines Arztes und einer Reichsdeutschen. Bertas Lebensfreude zu wecken scheint dem Bregenzer Internat jedenfalls nicht gelungen zu sein: Berta wechselt die Schule und schließt das Schuljahr 1943/44 an der Mädchenoberschule St. Christina in Gröden ab. Im Jahreszeugnis ist zu lesen: Verschließt sich scheu den Kameradinnen.
Bertas Distanziertheit hat vielleicht auch andere Gründe. Berta ist nämlich nicht die erste Berta, sondern die zweite. 1921 bekommen Berta Schneider und ihr Gatte Romedius Ebner ihr erstes Töchterchen Berta, zwei Jahre später den schon erwähnten Sohn Romed. Am 12. Mai 1929 feiert das achtjährige Mädchen ihre Heilige Erstkommunion, zwei Tage später stirbt sie plötzlich. “Die Berta hat auf dem Bichl oben Wasser getrunken. Und man hat immer gesagt, sie hat eine ‘Iifer’ (Fadenwurm) getrunken und ist daran gestorben. Das ist sehr schnell gegangen.” Für eine Familie, die einen Arzt im Haus hat, ist dieser Tod doppelt schwer zu schlucken. Knappe neun Monate später kommt Berta auf die Welt.
Ein 8-jähriges Kind plötzlich zu verlieren bedeutet Familienkrise. Zumal in einem bürgerlichen, konservativen Kreis, in dem man bedrückende Lebensumstände lieber unter den Teppich kehrt, als unglücklich aufzufallen. “Die Frau Doktor hat viel gefragt, aber umgekehrt hat man über sie nie etwas erfahren.” Nichtsdestotrotz, dass die “alte Ebnerin” ihren Mann und Passeier hat verlassen wollen, weiß man sich in St. Leonhard heute noch zu erzählen. Und auch, wie sie beim Ausbrechenwollen blamiert zurückruderte, als ihr Mann beim Kofferpacken half. Berta erlebt eine Mutter, die im Tal wenig beliebt und unglücklich ist. Die Frau Doktor, die hochdeutsch gesprochen hat, galt als geizig, pingelig und äußerst streng. War andererseits aber selbst in einem gestrengen, abgehobenen Milieu gefangen.
Ein Leben mit ihren Eltern. Als der Bruder als Arzt Karriere in Deutschland macht und die Schwester einen Arzt heiratet und fortzieht, bleibt Berta der Part der ledigen Tochter, die sich um die alternden Eltern kümmert. Vielleicht waren ihre Italienreisen auch eine Flucht vor dem Leben im Elternhaus in St. Leonhard?
Mutter und Tochter leben sehr zurückgezogen. Erst recht nachdem 1967 Bertas Vater 81-jährig verstorben ist. Als dann im August 1980 Berta in Bologna ums Leben kommt und wenige Monate später ihre Mutter an Herzinfarkt und Lungenentzündung stirbt, bleibt das Bürgerhaus der Ebners am westlichen Ortrand von St. Leonhard leer zurück. Vier Jahrzehnte und einen Besitzerwechsel mit Renovierungsplänen später steht es nun vor dem Abriss. Im November 2022 machten Monika Mader und ich einen Hausbesuch. Und fanden in der Doktorvilla so etwas wie Berta Ebners Chance, nicht vergessen zu werden.
Von wegen verschollener Nachlass! Unmengen von Schulheften, Studiennotizen, Unibüchern. Gemälde von unbekannten Vorfahren. Zu Paketen geschnürte Briefe. Kisten voller Fotos von Urlaubsreisen. Spielsachen der verstorbenen Schwester. Arztbesteck. Praxisschilder. Traueranzeigen. Zeugnisse. Ein Röntgenbild. Ein Herbarium. Ein Kinderbett. Bertas Geschwister Romed und Liesl hatten wohl keine Verwendung für die Habseligkeiten. So sind sie über eine Zeit von über 40 Jahren liegen geblieben.
Das Liegengebliebene seinerseits wird seine Zeit brauchen. Um gesichtet, erkannt oder verkannt zu werden. Um geordnet oder durcheinander gebracht zu werden. Oder um liegen zu bleiben. Stay tuned!
Du hast weitere Informationen oder Quellen zu Berta Ebner und ihrer Familie?
Bitte lass sie nicht liegen, sondern schick sie uns oder erzähl uns davon!
Über die Zulle
Gegen das Ungeziffer: Erzählungen über Maikäferplagen im Passeier.
Gegen das Ungeziffer: Erzählungen von Maikäferplagen im Passeier.
Von Elisa Pfitscher.
Recherchen: Annelies Gufler, Judith Schwarz
Der 6. September – ein wichtiger Tag für die Passeirer*innen. An diesem Tag wird an den Heiligen Magnus gedacht, welcher bis heute in vielen Teilen Deutschlands und Österreichs unter der bäuerlichen Bevölkerung als Schutzpatron vor Schäden durch allerlei Getier gilt. Magnus von Füssen, der um das siebte Jahrhundert ursprünglich auf den Namen Maginold getauft wurde, lebte unter Einsiedlern, als Mönch im heutigen St. Gallen. Mit seinem Abtstab soll er Schlangen und Dämonen vertrieben haben, ja sogar einen Drachen soll der Mönch damit überwältigt haben. Magnus bewahrte die Menschen vor Untieren, aber auch vor Kleinlebewesen, wie dem Maikäfer und den Engerlingen, welche die Ernte der Felder zu vernichten drohten.
Besonders gedacht wird Magnus in der Fraktion Gomion. Aufzeichnungen aus dem Pfarrarchiv von St. Leonhard bezeugen, dass der Feiertag seit dem Jahre 1833 begangen wird, aus Anlass der vorhergehenden verheerenden Zullen-Jahre. Die Bezeichnung Zulle stammt wohl vom trentinischen Begriff „Zurla“ ab, welcher von trentiner Wald- und Bauarbeitern gebracht wurde. Auch das welschtiroler Wort „Zoria“ kann dabei Pate gestanden sein (Passeirer Blatt, 05/2013). Das Wort „Zurna“ oder „Zurla“ bezeichnet ein ursprünglich osmanisches Musikinstrument, welches ein Oboe-ähnliches Holzblasinstrument ist und dessen charakteristischer Ton aus surrenden und hohen-durchdringenden Lauten besteht. Es könnte somit ein lautmalender Ausdruck für die Geräusche sein, die man an einem heiteren Frühlingsabend unter einem Laubbaum voller Maikäfer vernimmt.
Die Zulle ist seit Menschengedenken ein Übel, welches nicht unter Kontrolle zu bringen ist. Die Bauern hatten große Sorge um ihre Ernte, denn dieser Blatthornkäfer ernährt sich – wie bereits der Name verrät – von den Blättern der Laubbäume, und dies in einem Ausmaß, dass sogar die Walnüsse im Tal zu einer Rarität wurden. Nüsse waren ein wichtiges Grundlebensmittel und wurden sogar im Gasthaus als Einsatz beim Kartenspielen genutzt. Gab es ein Jahr mit vielen Maikäfern, fand man kaum noch eine einzige Nuss am Baum und so auch nicht am Wirtshaustisch (mündliche Erzählung von Annelies Gufler).
Hintern Huuli gips kuëne Zulln! Dass der Aufruf zum Magnus-Feiertag erfolgreich war, bestätigen teilweise die alten Sprichwörter im Passeiertal. Man kann mehrere Gründe dafür vermuten: Blieben die Gomioner von den Zulln verschont, weil die Ortschaft zu hoch gelegen ist? Oder mochten die Zulln dieses Plätzchen im Passeiertal nicht? Gab es doch vor dem Magnus-Feiertag zum Teil große Schäden auf den Höfen hinter St. Leonhard. Trotz der Erzählungen und Mythen wurde Gomion dennoch nicht verschont.
Eine Katastrophe für eine Bauersfamilie in der Nachkriegszeit. Rosa Hauser (Kourtl Rouse), Jahrgang 1933, erinnert sich, wie schwer es sie und ihre kinderreiche Familie auf dem Hof in Schlattach getroffen hatte. Als sie 12 Jahre alt war, haben Engerlinge alle Wurzeln von Gras und Weide abgefressen. Als der Vater daraufhin mähen wollte, wurde das Ausmaß des Schadens ersichtlich: Der Woosn geat hee, die Grassoden lösten sich, die wenigen Grashalme waren abgedorrt. Der Jahresertrag fiel dementsprechend gering aus und der Boden war zum Teil völlig unfruchtbar.
Eine Lösung gegen ein Ungeziefer, welches kaum Feinde kennt. Der Maikäfer hat mindestens den Dachs, den Marder und den ein oder anderen Vogel – wie etwa den Rotfußfalken im Etschtal, auch Zullenfalke genannt, zu fürchten. Der Engerling hingegen wird nur vom Maulwurf verspeist. Manche Passeirer*innen hofften, dass wenigstens die Hühner diese Viecher fressen möchten, doch diese verzehrten kaum einmal einen zappelnden, zirpenden Maikäfer. Anders die gekochte Variante: Zulln wurden eingesammelt, mit brühend-heißem Wasser übergossen und auf den Mist geworfen, wo viele von ihnen vom Federvieh gefressen wurden.
Nicht nur eine Spezialität für Hennen. Im Pustertal galten die unbeliebten Frühjahrsgäste als Nahrungsmittel und wurden mancherorts zu einer heilsamen und nahrhaften Suppe verkocht, welche nervenstärkend und blutreinigend sein soll. Obwohl sich die Mythen darum ranken, dass das Würzmittel „Maggi“ aus Maikäfern gewonnen wird, kann dies anhand der Recherchen nicht bestätigt werden.
Letztlich müssen sich die Bauern selbst helfen und eine Lösung gegen die Zulln-Plage finden. Und diese bestand vor allem aus dem Einsammeln der Tiere. Die Tatsache, dass eine einzelne Familie gegen die große Plage nicht viel bewirken konnte, erkannten auch die Verbände im Land. Es galt im Kollektiv die Schädlinge zu beseitigen. In den Nachkriegsjahren wurde daher ein Erlass vom Landwirtschaftsinspektorat, in Zusammenarbeit mit den Bürgermeistern der Gemeinden, veröffentlicht, welcher jede*n der Gemeinden erreichen sollte. Mit Unterstützung des Ortspfarrers wurde auf die Anordnung aufmerksam gemacht, um mit Hilfe aller Bauersleut der betroffenen Gemeinde die wiederkehrende Plage abzuwenden.
Schritt für Schritt gegen das Ungeziffer. Wie soll die gemeinsame Bekämpfung der Schädlinge erfolgen? In bestimmten Gemeinden wurden Sammelstellen errichtet, an denen – vielfach auch von Kindern – Eimer und Säcke voller Maikäfer hingebracht wurden. Solch eine Sammelstelle gab es auch in Kuens, erzählt der 80-jährige Adolf Höllrigl. Vom Landwirtschaftsinspektorat in Auftrag gegeben, wurden am Tschaupphof in Kuens bis in die 1950er Jahre eingesammelte Zulln abgegeben, gewogen und alle Daten in einem Register vermerkt. Dieser große, zusammengetragene Haufen an Zulln wurde mit siedendem Wasser übergossen und landete abschließend auf dem Misthaufen, wo er zum Teil von den Hühnern verspeist wurde.
Das Unterfangen, so viele Zulln wie möglich einzufangen, bedarf weniger Geschick als Ausdauer. Wichtig war nur, früh genug dran zu sein, da die Käfer am Tage ausfliegen. In der Finsternis hängen sie an den Bäumen und Blättern und fressen all das ab, was sie unter die Fühler bekommen. Am frühen Morgen ging es zu den Laubbäumen und den Weinreben. Diese wurden alle einzeln geschüttelt, um – mithilfe eines darunterliegenden Leintuchs – die benommenen und trägen Zulln rasch einzusammeln. Adolf Höllrigl erzählt aus seiner Jugend und über den Versuch der Einschränkung der Maikäfer-Plage in seiner Heimatgemeinde Kuens:
Die Gegenwart zeugt von den Ereignissen der Vergangenheit. Viele Erzählungen erinnern an die Gefahr von früher, da die Existenz ganzer Familien von den Zulln und Engerlingen bedroht war. Man erbat die Hilfe des Heiligen Magnus, setzte auf die geistliche Unterstützung im Kampf gegen die „Strafe Gottes“ oder verfolgte die Käfer, auch in Folge einer behördlichen Anordnung. Jene Kinder, welche bei der Maiandacht noch ein Exemplar dieses Tierchens – surrend und kletternd – in der Kirche fliegen ließen, machten sich aus dem Streich – im Gegenteil zu den restlichen Kirchgängern – einen großen Spaß (mündliche Erzählung von Konrad und Eberhard Pfitscher aus St. Leonhard).
Die Chemie brachte schließlich Abhilfe, aber nicht nur gegen den Feind. Die Gefahr einer Zulln-Plage ist seit dem Ende der 1950er Jahren sehr viel geringer geworden, da die Obstbäume mit immer mehr Pestiziden und Pflanzenschutzmittel gespritzt werden. Dies jedoch zum Leid aller Insekten, auch deren, welche so nützlich für ein ausgeglichenes Ökosystem sind. Der Preis ist hoch für eine Gegend ohne Zulln.