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Eine Ausstellung treibt Blüten
Alte Meister in Passeier als Inspiration für die Meisterausbildung zur Floristin.
Alte Meister in Passeier als Inspiration für die Meisterausbildung zur Floristin.
Text und Fotos: Sophia Egger
Am Anfang einer jeden Gestaltung steht die Idee. Die Idee hinter meiner Arbeit im Rahmen der Meisterausbildung zur Floristin an der Akademie für Naturgestaltung in Niederösterreich findet ihren Ursprung in den Uffizien in Florenz. Meine Aufgabe war es nämlich, zu den weltbekannten Kunstgalerien in der Toskana eine florale Gefäßfüllung zu gestalten. Zu einer Gefäßfüllung gehört zum einen das passende Gefäß und zum anderen, wie das Wort schon erahnen lässt, die entsprechende florale Füllung dazu.
Da das Thema Uffizien sehr breit gefächert ist, galt es, das Thema einzugrenzen. Beispielsweise auf einen bestimmten Künstler, auf ein bestimmtes Bild oder auch auf einen bestimmten Auftraggeber. Nach längerem Recherchieren und einigen Gesprächen war mir dann aber bald das eigentliche Thema meiner Gefäßfüllung klar. So stehen die Uffizien nämlich in enger Verbindung zu Südtirol. Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges lagerten viele Bilder aus den Uffizien im Passeiertal, genauer gesagt in St. Leonhard, um sie vor den Bombardements in den Städten zu schützen. Zu diesem Thema gab es auch eine Sonderausstellung im MuseumPasseier, die den Titel „Uffizi in Passeier“ trug. Genau dieser Titel sollte nun Thema meiner praktischen Hausaufgabe werden.
Es spielte sich nämlich folgendes ab: Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges befürchtete man in Italien einen Luftkrieg. Aus diesem Grund leerte Italien seine Museen und die Kunstschätze von Florenz wurden in Kirchen, Schlössern und Villen der Umgebung gebunkert. Als der Krieg im Sommer 1944 dann Florenz erreichte, räumte der Deutsche Kunstschutz (eine Abteilung der Deutschen Wehrmacht) die Depots und fuhr die Kunstschätze nach Norden. An die 300 Bilder landeten im verlassenen Gerichtsgebäude von St. Leonhard in Passeier, darunter Gemälde von Botticelli, Caravaggio, Rubens, Tizian und Cranach.
Da die Evakuierung schnell vonstattengehen musste, wurden die Bilder nicht sehr sanft transportiert. Sie wurden auf den LKWs zwischen Stroh und Wolldecken gelagert. Einige von den Bildern wiesen nach dem Transport Risse oder auch Schimmelflecken auf. Ob das Lager in Südtirol als Zwischenspeicher eines organisierten Kunstraubes verwendet wurde oder ob es sich um reine Rettungsmaßnahmen handelte, wird von Kunsthistorikern bis heute kontrovers diskutiert.
Meine Aufgabe war es nicht, ein Urteil über dieses Ereignis abzugeben. Meine Aufgabe bestand darin, dieses Ereignis in einer Gefäßfüllung floral zu interpretieren. In dieser Interpretation begrenzte ich mich ausschließlich auf den Transport der Kunstwerke aus Florenz ins Passeiertal in Südtirol.
Meine Idee basiert vor allem auf dem Material, in welchem die Bilder gehüllt waren. Stroh war zusammen mit Wolldecken und Backpapier jenes Material, das den Bildern auf ihrem langen Weg nach Südtirol Schutz bot. So entstand die Idee, ein Gefäß aus Stroh zu gestalten, das den Blumen, die sich in ihm befinden, Schutz bietet. Um in meinem Gefäß auch das Thema der wertvollen Kunstwerke, die sich zwischen diesem Stroh verbargen, zu verdeutlichen, kam die Idee, Bilderrahmen in meine Gefäßgestaltung mit aufzunehmen.
Ein Kubus aus Stroh sollte entstehen. Auf diesem Kubus sollten sich Bilderrahmen aus Stroh aneinanderreihen und zwischen diesen Bilderrahmen sollten sich die Blumen ranken. Nun galt es, die Idee in die Praxis umzusetzen. Dafür benötigte ich zu aller erst Bilderrahmen und einen Unterbau aus Styrodur-Platten für meinen Kubus aus Stroh. Die viereckigen Bilderrahmen habe ich in ein Gemisch aus Stroh und Holzleim eingehüllt und am Kubus befestigt. In den Kubus habe ich mehrere Löcher für schmale Glasröhrchen gebohrt, in welchen die Blumen mit Wasser versorgt werden können. Diesen entstandenen Kubus habe ich anschließend komplett in Stroh eingehüllt. So entstand der Eindruck eines Strohballens.
Damit eine Gefäßfüllung zu einer Gefäßfüllung wird, fehlte noch die Füllung. Dabei war es mir wichtig, dass sich die Blumen zwischen den Bilderrahmen rankten und das Stroh und die Rahmen einen Schutzmantel um die Blüten bildeten. Außerdem wollte ich einheimische Blumen mit exotischen Blüten mischen. Die in Passeier versteckten Bilder stammen so ziemlich alle aus der Zeit der Renaissance, in welcher viele Entdeckungen gemacht wurden. Mit den Entdeckungen neuer unbekannter Länder kamen auch exotische Pflanzen nach Europa.
Aber auch die Uffizien-Kunstwerke waren etwas Exotisches in St. Leonhard. Man vermutete nicht wirklich, dass Kunstwerke von so hohem Wert in einem alten Gerichtsgebäude lagerten. Genauso wenig wie man sich solches Weltkulturerbe zwischen Stroh gebettet auf LKWs vorstellen kann. So stehen die exotischen Blumen gemischt mit einheimischen Blüten symbolisch für die Kunstwerke, welche auf den LKWs zwischen gewöhnlichem Stroh transportiert wurden.
Das Wertvolle versteckt zwischen dem Gewöhnlichen. Zwischen dem, das eigentlich im totalen Gegensatz zum großen Wert der Bilder steht. Aus dem Strohkubus wachsen die wertvollen Blüten empor und ranken sich durch die mit Stroh überzogenen Bilderrahmen. So wurde aus einer Idee eine Gestaltung.
Möchtest du mehr über die Uffizi-Kunstwerke lesen, die 1944/45 in Passeier versteckt waren?
Und Fotos von den Gemälden zwischen Strohballen sehen?
Hier findest du unsere Blogartikel dazu:
Blog | Uffizi in Passeier
Uffizi in Passeier
Die Sonderausstellung widmet sich einer unglaublichen, aber dennoch fast vergessenen Geschichte, die zu ihrer Zeit die Deutsche Wehrmacht, Mussolinis faschistische Behörden und die US-Army mehr als bewegte. Es geht um Gemälde von unschätzbarem Wert, die während des Zweiten Weltkrieges in St. Leonhard in Passeier gelagert waren.
Wer schützt Kunst im Krieg?
Menschen ziehen in den Weltkrieg, um Kunst zu schützen? Das scheint abwegig und notwendig zugleich. Ein Blick auf die Sonderausstellung, die davon erzählt, wie 293 Kunstwerken aus Florenz nach Passeier und abwechselnd in die Hände zweier Kunstschutz-Einheiten gelangt sind.
Geraubt, gelagert – gesühnt?
Kerstin von Lingen widmet ihre Antrittsvorlesung an der Uni Wien der "Kulturgüterverbringung" der Uffizien-Kunstwerke nach Passeier.
Kerstin von Lingen ist Professorin für Zeitgeschichte, Vergleichende Diktatur-, Gewalt- und Genozidforschung an der Universität Wien. Am 2. Juli 2021 sprach sie in ihrer feierlichen Antrittsrede zur Frage nach der strafrechtlichen Sühne bei der "Kulturgüterverbringung" der Uffizien-Kunstwerke nach Passeier. Die Aufzeichnung ist nun online:
Wer schützt Kunst im Krieg?
Den weltberühmten Uffizien fehlte im Zweiten Weltkrieg ihre Kunst. Ein Teil lagerte ausgerechnet im Passeier.
Menschen ziehen in den Weltkrieg, um Kunst zu schützen? Das scheint abwegig und notwendig zugleich. Ein Blick auf die neue Sonderausstellung, die davon erzählt, wie 293 Kunstwerken aus Florenz nach Passeier und abwechselnd in die Hände zweier Kunstschutz-Einheiten gelangt sind.
Von Judith Schwarz
Eine Ausstellung über den Krieg ist normalerweise nie eine schöne Sache. Unsere neue Sonderausstellung handelt von Krieg, aber auch von Kunst. Sie erzählt, wie die Schönheit der Kunst und die Schrecken des Krieges sich überkreuzen. Als wir mit der Planung der Ausstellung begonnen haben, wussten wir drei Dinge:
Es wird eine Ausstellung ohne Originale.
Damit beantworte ich jetzt schon jene Frage, die wir in den letzten Wochen am Häufigsten zu Ohren bekommen haben: Und, kriegt ihr Leihgaben aus den Uffizien?
Es wird eine Ausstellung ohne Passeirer*innen in der Hauptrolle.
Der Rahmen für diese Ausstellung ist ein viel Größerer als Passeier.
Es wird eine Ausstellung ohne klare Beweise.
Und auch die große Frage „Wurden die Kunstwerke in Südtirol versteckt, um sie später nach Deutschland zu bringen?“ müssen wir unbeantwortet lassen.
Warum haben wir diese Ausstellung dann überhaupt gemacht?
Einmal, weil die Geschichte fast unglaublich ist: 293 Meisterwerke aus dem Palazzo Pitti und den Uffizien werden im Zweiten Weltkrieg ein knappes Jahr lang in St. Leonhard in Passeier gebunkert! Was aber noch unglaublicher ist: Die Passeirer*innen hatten die Geschichte beinah vergessen. Wer in Passeier wusste vor der Ausstellungseröffnung etwas davon? Eine großteils unbekannte Geschichte erzählen, war also ein Grund. Ein weiterer Grund war, dass wir – passend zu dieser geheimnisvollen Story – einen noch viel passenderen Ausstellungsraum haben: Nämlich die verborgenen dunklen Kellerräume beim Sandwirt, die schon viel zu lange keine Ausstellung mehr gesehen haben. Sie sind ideal, um eine Lagersituation zu inszenieren. Der Hauptgrund aber war, dass wir von der Geschichte gefesselt waren, sobald wir davon gehört haben. Es geht um ein Gerangel um weltberühmte Gemälde, die im Zweiten Weltkrieg nach Südtirol kamen und – durch Zufall – in Passeier gelandet sind. Es geht um Botticellis, Cranachs, Caravaggios: Adolf Hitler hätte sie gerne als Geburtstagsgeschenk gehabt, ein SS-General benutzte sie für Kapitulationsverhandlungen und der US-Geheimdienst fahndete nach ihnen.
Lauter aufregende Geschichten tauchten da plötzlich auf.
Und die Spannendste, fanden wir, ist eigentlich jene über den Kunstschutz selbst: Im Italien stehen sich ab 1943 nämlich nicht nur alliierte und deutsche Militärs gegenüber, sondern auch deren Kunstschutz-Teams. Auf deutscher Seite ist das der DEUTSCHE MILITÄRISCHE KUNSTSCHUTZ. Auf alliierter Seite die FINE ARTS SUBCOMMISSION. Beide Teams haben jedoch dasselbe Ziel: Die Kunstschätze im besetzen Italien zu erhalten – und den Feind als Kulturbarbaren zu denunzieren.
Die Botschaft auf amerikanischer Seite lautete:
BÖSE DEUTSCHE STEHLEN KUNST,
GUTE AMERIKANER RETTEN KUNST.
Auf der deutschen Seite klang das dann ungefähr so:
BÖSE AMERIKANER BOMBARDIEREN KUNST,
GUTE DEUTSCHE VERSTECKEN SIE DESHALB.
Damit hatten wir einen roten Faden für die Ausstellung gefunden – und damit bin ich beim Ausstellungskonzept: Wir erzählen die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven in drei verschiedenen Räumen.
Und die Passeirer*innen? Die waren in diesem Stück nur Statist*innen.
Da ist der Feldbauern-Schneider aus St. Martin, der mehrmals über die Liertner Dorfbrücke humpeln musste, damit die Amerikaner einen authentischen Film über das Passeirer Kunstversteck drehen können. Da sind die Bauerntölpel – sie wurden wirklich so bezeichnet – die beim Umstellen der großformatigen Bilder helfen sollten – und angeblich mit den Originalen umgingen wie mit ihren Kühen. Da sind die zwei Zimmerleute, die im Theisstadl 109 Kisten gezimmert haben, in denen die Kunstwerke mit dem Zug zurück nach Florenz gebracht wurden. Und da sind die Kinder, die staunend beim Abladen der Gemälde zuschauten.
Eines dieser Kinder, Bruno Pichler (*1936) aus St. Leonhard, erinnert sich heute noch an die Amerikaner.
Er durfte mit ihnen und den Kunstwerken (aber letztere haben den Neunjährigen damals nicht interessiert) mit nach Meran fahren. Bruno ist in der Ausstellung die einzige Passeirer Stimme, die zu Wort kommt – seine erzählten Erinnerungen begleiten den Stummfilm der Amerikaner von 1945.
Was wird man noch in der Ausstellung finden?
Einige Kunstwerke, Reproduktionen, die man hier in Passeier so nah erleben und berühren kann, wie vor über 70 Jahren die Kunstschutzleute. Einige Zitate, die den Blick öffnen sollen für die Frage: Was bedeutet Krieg eigentlich für Kunstwerke? Wer schützt Kunst im Krieg? Oder auch: Wem gehört eigentlich Weltkulturerbe? Einige Schreibtische, die ganz private Einblicke geben: Welche Schwierigkeiten hatten die Beteiligten zu bewältigen, welche Erlebnisse haben sie niedergeschrieben, wie sind sie mit der großen Verantwortung umgegangen? Egal ob es ein Schreibtisch im deutschen, im italienischen oder im amerikanischen Ausstellungsraum ist – in allen Briefen oder Tagebucheintragungen klingt die eine Sorge, die eine Aufgabe, der eine Wunsch durch: Die Kunstwerke sollen erhalten bleiben.
Meine Wünsche sind:
Besichtigt die Ausstellung, vergesst danach zu fragen, wer denn jetzt die Guten waren und wer die Bösewichte, denkt in Zukunft beim Anblick von Botticellis, Cranachs und Caravaggios an das Passeier und bekommt Lust, die erhaltenen „Passeirer Gemälde“ in den Uffizien in Florenz zu besuchen.
PRESSEARTIKEL
DIE BAZ: Botticelli in Passeier von Josef Prantl (28.08.2018)
Passeirer Blatt: Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” eröffnet von Kurt Gufler (Oktober 2018)
UPDATES
Am 1.1.2019 rief der Direktor der Uffizien Deutschland in einem Video dazu auf, das Gemälde “Vaso di fiori” von Jan Van Huysum zurückzugeben. Auf dem Video ist die Schwarz-Weiß-Reproduktion des Blumenbildes mit der Aufschrift rubato/gestohlen/stolen zu sehen. Sie soll auf das fehlende (1944 von einem Wehrmachtsoldaten nach Deutschland verschleppte) Originalgemälde aufmerksam machen. Das Video erhielt großes Echo und wurde nicht nur von Medien in Italien und Deutschland veröffentlicht, sondern auch in Kuba, Holland, Argentinien, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Israel usw. In vielen Medien wurde fälschlicherweise behauptet, das Gemälde habe sich 1944 auf der Jaufenburg in Passeier befunden, bevor es verschwunden sei.
Am 19.7.2019 wurde das Originalgemälde von der Bundesrepublik Deutschland an die Italienische Republik zurückgegeben und mit der Reproduktion ausgetauscht.
Im Juni 2020 erhielt die Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” ein zweites Leben: Sie wurde abgebaut, umgebaut und kam nach Le Gallerie in Trient. Unter anderem ist jetzt in der Ausstellung eine Kopie der Reproduktion des “Vaso di fiori” zu sehen.