Wer schützt Kunst im Krieg?

 

Foto: MuseumPasseier

Menschen ziehen in den Weltkrieg, um Kunst zu schützen? Das scheint abwegig und notwendig zugleich. Ein Blick auf die neue Sonderausstellung, die davon erzählt, wie 293 Kunstwerken aus Florenz nach Passeier und abwechselnd in die Hände zweier Kunstschutz-Einheiten gelangt sind.

 

Von Judith Schwarz

 
 

Eine Ausstellung über den Krieg ist normalerweise nie eine schöne Sache. Unsere neue Sonderausstellung handelt von Krieg, aber auch von Kunst. Sie erzählt, wie die Schönheit der Kunst und die Schrecken des Krieges sich überkreuzen. Als wir mit der Planung der Ausstellung begonnen haben, wussten wir drei Dinge:

Es wird eine Ausstellung ohne Originale.
Damit beantworte ich jetzt schon jene Frage, die wir in den letzten Wochen am Häufigsten zu Ohren bekommen haben: Und, kriegt ihr Leihgaben aus den Uffizien?

Es wird eine Ausstellung ohne Passeirer*innen in der Hauptrolle.
Der Rahmen für diese Ausstellung ist ein viel Größerer als Passeier.  

Es wird eine Ausstellung ohne klare Beweise.
Und auch die große Frage „Wurden die Kunstwerke in Südtirol versteckt, um sie später nach Deutschland zu bringen?“ müssen wir unbeantwortet lassen.

Warum haben wir diese Ausstellung dann überhaupt gemacht?
Einmal, weil die Geschichte fast unglaublich ist: 293 Meisterwerke aus dem Palazzo Pitti und den Uffizien werden im Zweiten Weltkrieg ein knappes Jahr lang in St. Leonhard in Passeier gebunkert! Was aber noch unglaublicher ist: Die Passeirer*innen hatten die Geschichte beinah vergessen. Wer in Passeier wusste vor der Ausstellungseröffnung etwas davon? Eine großteils unbekannte Geschichte erzählen, war also ein Grund. Ein weiterer Grund war, dass wir – passend zu dieser geheimnisvollen Story – einen noch viel passenderen Ausstellungsraum haben: Nämlich die verborgenen dunklen Kellerräume beim Sandwirt, die schon viel zu lange keine Ausstellung mehr gesehen haben. Sie sind ideal, um eine Lagersituation zu inszenieren. Der Hauptgrund aber war, dass wir von der Geschichte gefesselt waren, sobald wir davon gehört haben. Es geht um ein Gerangel um weltberühmte Gemälde, die im Zweiten Weltkrieg nach Südtirol kamen und – durch Zufall – in Passeier gelandet sind. Es geht um Botticellis, Cranachs, Caravaggios: Adolf Hitler hätte sie gerne als Geburtstagsgeschenk gehabt, ein SS-General benutzte sie für Kapitulationsverhandlungen und der US-Geheimdienst fahndete nach ihnen.

Lauter aufregende Geschichten tauchten da plötzlich auf.
Und die Spannendste, fanden wir, ist eigentlich jene über den Kunstschutz selbst: Im Italien stehen sich ab 1943 nämlich nicht nur alliierte und deutsche Militärs gegenüber, sondern auch deren Kunstschutz-Teams. Auf deutscher Seite ist das der DEUTSCHE MILITÄRISCHE KUNSTSCHUTZ. Auf alliierter Seite die FINE ARTS SUBCOMMISSION. Beide Teams haben jedoch dasselbe Ziel: Die Kunstschätze im besetzen Italien zu erhalten – und den Feind als Kulturbarbaren zu denunzieren. 

Die Botschaft auf amerikanischer Seite lautete:

BÖSE DEUTSCHE STEHLEN KUNST,
GUTE AMERIKANER RETTEN KUNST.

Auf der deutschen Seite klang das dann ungefähr so:

BÖSE AMERIKANER BOMBARDIEREN KUNST,
GUTE DEUTSCHE VERSTECKEN SIE DESHALB.

Damit hatten wir einen roten Faden für die Ausstellung gefunden – und damit bin ich beim Ausstellungskonzept: Wir erzählen die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven in drei verschiedenen Räumen.

Der erste Raum

erzählt über den DEUTSCHEN MILITÄRISCHEN KUNSTSCHUTZ, der die Kunstwerke aus dem Frontabschnitt um Florenz rettet und nach Südtirol bringt.

Der zweite Raum

berichtet über die amerikanische FINE ARTS SUBCOMMISSION, die die Kunstwerke – zehn Monate später – aus den Händen der Deutschen rettet, und zurück nach Florenz bringt.

Der dritte Raum

informiert über die faschistischen Behörden, die natürlich zehn Monate lang ihre abhanden gekommenen Schätze zurückfordern, aber ohne Erfolg.

Und die Passeirer*innen? Die waren in diesem Stück nur Statist*innen.
Da ist der Feldbauern-Schneider aus St. Martin, der mehrmals über die Liertner Dorfbrücke humpeln musste, damit die Amerikaner einen authentischen Film über das Passeirer Kunstversteck drehen können. Da sind die Bauerntölpel – sie wurden wirklich so bezeichnet – die beim Umstellen der großformatigen Bilder helfen sollten – und angeblich mit den Originalen umgingen wie mit ihren Kühen. Da sind die zwei Zimmerleute, die im Theisstadl 109 Kisten gezimmert haben, in denen die Kunstwerke mit dem Zug zurück nach Florenz gebracht wurden. Und da sind die Kinder, die staunend beim Abladen der Gemälde zuschauten.

Eines dieser Kinder, Bruno Pichler (*1936) aus St. Leonhard, erinnert sich heute noch an die Amerikaner.
Er durfte mit ihnen und den Kunstwerken (aber letztere haben den Neunjährigen damals nicht interessiert) mit nach Meran fahren. Bruno ist in der Ausstellung die einzige Passeirer Stimme, die zu Wort kommt – seine erzählten Erinnerungen begleiten den Stummfilm der Amerikaner von 1945.

Was wird man noch in der Ausstellung finden?
Einige Kunstwerke, Reproduktionen, die man hier in Passeier so nah erleben und berühren kann, wie vor über 70 Jahren die Kunstschutzleute. Einige Zitate, die den Blick öffnen sollen für die Frage: Was bedeutet Krieg eigentlich für Kunstwerke? Wer schützt Kunst im Krieg? Oder auch: Wem gehört eigentlich Weltkulturerbe? Einige Schreibtische, die ganz private Einblicke geben: Welche Schwierigkeiten hatten die Beteiligten zu bewältigen, welche Erlebnisse haben sie niedergeschrieben, wie sind sie mit der großen Verantwortung umgegangen? Egal ob es ein Schreibtisch im deutschen, im italienischen oder im amerikanischen Ausstellungsraum ist – in allen Briefen oder Tagebucheintragungen klingt die eine Sorge, die eine Aufgabe, der eine Wunsch durch: Die Kunstwerke sollen erhalten bleiben.

Meine Wünsche sind:
Besichtigt die Ausstellung, vergesst danach zu fragen, wer denn jetzt die Guten waren und wer die Bösewichte, denkt in Zukunft beim Anblick von Botticellis, Cranachs und Caravaggios an das Passeier und bekommt Lust, die erhaltenen „Passeirer Gemälde“ in den Uffizien in Florenz zu besuchen.

 

PRESSEARTIKEL
DIE BAZ: Botticelli in Passeier von Josef Prantl (28.08.2018)
Passeirer Blatt: Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” eröffnet von Kurt Gufler (Oktober 2018)

UPDATES
Am 1.1.2019 rief der Direktor der Uffizien Deutschland in einem Video dazu auf, das Gemälde “Vaso di fiori” von Jan Van Huysum zurückzugeben. Auf dem Video ist die Schwarz-Weiß-Reproduktion des Blumenbildes mit der Aufschrift rubato/gestohlen/stolen zu sehen. Sie soll auf das fehlende (1944 von einem Wehrmachtsoldaten nach Deutschland verschleppte) Originalgemälde aufmerksam machen. Das Video erhielt großes Echo und wurde nicht nur von Medien in Italien und Deutschland veröffentlicht, sondern auch in Kuba, Holland, Argentinien, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Israel usw. In vielen Medien wurde fälschlicherweise behauptet, das Gemälde habe sich 1944 auf der Jaufenburg in Passeier befunden, bevor es verschwunden sei.

Am 19.7.2019 wurde das Originalgemälde von der Bundesrepublik Deutschland an die Italienische Republik zurückgegeben und mit der Reproduktion ausgetauscht.

Im Juni 2020 erhielt die Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” ein zweites Leben: Sie wurde abgebaut, umgebaut und kam nach Le Gallerie in Trient. Unter anderem ist jetzt in der Ausstellung eine Kopie der Reproduktion des “Vaso di fiori” zu sehen.

 
 
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Uffizi in Passeier