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Kunst im Fußboden

Gemälde – Teigbrett – Bodenbelag. Die vielen Leben einer Bildtafel, die im Sperrmüll gelegen hat.

Kunstwerk – Wellbrett – Bodenbelag: Die vielen Leben einer Bildtafel. © MuseumPasseier

In einem Holzfußboden mitten in St. Martin lagen sie: Bemalte Holztafeln mit eigenwilligen Motiven.

 

Von Judith Schwarz

 
 

Es waren einmal bemalte Holztafeln im Hohen Haus, mitten im Dorf St. Martin. Doch jemandem waren sie einst wohl im Weg und er verbaute sie als Unterlage für den Fußboden. Nach dem Herausreißen des Fußbodens landeten sie auf dem Sperrmüll und schienen selbst dort nicht am richtigen Ort zu sein. Sie wanderten zurück zum Besitzer, vom Besitzer zum Tischler, vom Tischler zum Restaurator, und – zumindest zeitweise – vom Restaurator zum MuseumPasseier zur Begutachtung.

Burg – Land – Fluss: Wo war die Bildtafel einst eingebaut, bevor sie in den Fußboden kam?

Es sind Bildtafeln, die nicht nur ehemals jemandem im Weg gewesen zu sein scheinen. Sie sind auch heute noch Gegenstände, die sich irgendwie selbst im Weg sind.

Sind sie echt? Warum nicht? Wie alt? Vor dem 18. Jahrhundert? Also Umkreis der Passeirer Malerschule? Vermutlich ja, warum auch nicht? Oder ein Import? Auch dazu: Ja, warum nicht? Künstler? Keine Anhaltspunkte. Sicher nicht der Freskant, der die Hausfassade bemalt hat. Motive? Anbetung der Hirten und Flusslandschaft mit Fischer. Jaufenburg oder Fantasielandschaft? Auf alle Fälle profan und religiös. Warum beides? Keine passende Erklärung. Und wofür? Kassettendecke? Schwierig. Wanddekor? Fraglich. Aber warum im Hohen Haus, dem ehemaligen Spital? Spende eines aufgenommenen Pflegefalls? Oder dessen Erbschaft? Evtl. nie aufgehängt, sondern sofort umgenutzt? 1781 als das Haus umgebaut wurde? Oder 1845 als es erneut umgebaut wurde? Auf einer Tafelrückseite sind Teigreste. Also eine Zweitfunktion. Oder auch anno dazumal Sperrmüll im Dorf? Und als solcher ins Hohe Haus gekommen? Als billige Unterlagen für den Fußboden? Wo hingen sie dann aber einst? Wie viele Tafeln waren es ursprünglich? Und wenn es mehrere waren, wo sind die restlichen verblieben?

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Bildschön

Kennt ihr diesen Moment, wenn ein neues altes Gemälde auftaucht? Und ihr alles dazu herausfinden wollt?

Ein Passeirer Ehepaar mit sorgfältig ausgewählten Objekten, die Besitz und Reichtum demonstrieren. © Palais Mamming Museum

 

Wenn plötzlich zwei alte Porträts auftauchen. Und mit ihnen viele neue Fragen.

 

Von Judith Schwarz

 

Es begann an einem Sonntag kurz vor 12 Uhr. Der Kunsthistoriker Hanns-Paul Ties schrieb eine E-Mail ans Museum: Hab gestern ein bisschen in der Südtiroler Kulturgüter-Datenbank geschmökert (…): Darunter sind zwei hübsche Porträts aus Moos. Der beigefügte Link führte zu einem gealterten Ehepaar auf zwei separaten Bildtafeln im Palais Mamming Museum in Meran. Die Qualität der Schwarz-Weiß-Fotos war steigerungsfähig. Aber die Notizen Porträt von einem M. Hofer und aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos (Passeier) ließ erahnen, dass es sich um den Mooserwirt Michael Hofer und seine Gattin handeln würde.

Bildschön: Ein Ehepaar aus Moos lässt sich im 18. Jahrhundert porträtieren. Der erste Gedanke: Ein Porträt des berühmt-berüchtigten Michael Hofer (1696–1765), dem zu seiner Zeit reichsten Passeirer. War ja klar, dass irgendwann ein Bild von ihm auftauchen musste. Endlich würde man ihn sich „bildlich“ vorstellen können. Der zweite Gedanke: Bemerkenswert, seine Frau durfte auch verewigt werden. Damit muss es das älteste Porträt einer nichtadligen Passeirerin sein, älter als die Bildnisse der Sandwirtin Anna Ladurner. Und Gedanke Nummer drei war dann sozusagen die Vereinigung der beiden vorhergehenden: Ein frühes Bildnispaar von Passeirer Eheleuten, das hatten wir so auch noch nicht.

Ties und Teis: Wenn das kein Zufall ist. So jemand wie Michael Hofer, der durch männliche Schönheit und klugen Geist angeblich sogar Maria Theresia zu beeindrucken vermochte, war natürlich öfters verheiratet. Als Waise hatte er blutjung das Gasthaus Mooserwirt in Moos übernommen und geheiratet, sobald er volljährig war. Da seine erste Gattin nach vier Jahren Ehe starb, heiratete er – nach dreimonatiger Trauerzeit – Magdalena Teis, die dargestellte Frau auf dem Pendant zu Michael Hofers Porträt. Während wir aber, wenn wir wollten, zu Michael Hofer eine lange Liste an Geschäftsbeziehungen, Güterbesitz und Geldanhäufungen tippen könnten, war Magdalena Teis bislang „unsichtbar“. Der Fund von Hanns-Paul Ties forderte uns zur Beschäftigung mit der Teisin heraus.

Vor Magdalenas Geburt überkreuzen sich die Bande der Familien Teis und Hofer. Natürlich, in einem Tal wie Passeier wäre es seltsam, wenn es anders gewesen wäre. Magdalenas Vater und seine erste Gattin Ursula Meister scheinen in den 1680er Jahren als “Priewirt” bzw. Priewirthin” auf, führen also den Gasthof Brühwirt neben der Pfarrkirche in St. Leonhard. 1689 (er hat sich nach dem Tod seiner Frau ein weiteres Mal verheiratet) kauft Johann Teis die Brühwirtsbehausung und zwar von der Besitzerin Eva Auer bzw. deren Gatten, dem Mooserwirt Johann Hofer. Diese beiden werden sieben Jahre später die Eltern des porträtierten Michael Hofer, des Mooserwirtserben. Weitere sechs Jahre später, am 20. Juli 1702, kommt Magdalena auf die Welt. Allerdings (schade!) nicht im Brühwirt, dem ehemaligen Haus ihrer zukünftigen Schwiegermutter, denn die Teis sind mittlerweile weitergezogen.

Wohin führen die Spuren von Magdalenas Familie? Bereits 1692 ist Vater Johann Teis als cauponis in superioris von St. Martin genannt, womit das Gasthaus Oberwirt gemeint ist. Während der älteste Bruder von Magdalena also noch in St. Leonhard als Brühwirtssohn auf die Welt kommt, sind sie und ihre weiteren sieben Geschwister in St. Martin als Oberwirtskinder geboren. “Einmal Wirt, immer Wirt”, kommt einem da in den Sinn. Oder auch “Gleich und Gleich gesellt sich gern”, wenn wir an unsere porträtierten Eheleute denken: Oberwirtstochter von St. Martin heiratet Mooserwirtssohn von Moos. Zumal auch Magdalenas Mutter nicht von schlechten Eltern ist. Elisabeth Haller, die zweite Gattin des Johann Teis, ist die Tochter des Passeirer Richters Heinrich Haller aus St. Leonhard. Kurzum, Magdalena war wohl das, was man landläufig eine gute Partie nennt. Nichtsdestotrotz geben die offiziellen Geschichtsquellen nur wenig über sie her.

Ein Weibsbild. Als Porträt ein seltener Anblick für die Passeirer*innen der früheren Jahrhunderte. © Palais Mamming Museum

Leider passen Magdalenas Eckdaten in einen Absatz. Wir kennen ihr Hochzeitsdatum: Am 2. September 1721 heiraten Magdalena Teis und Michael Hofer in St. Leonhard. Wir erfahren in den Taufbüchern von den Geburten ihrer acht Kinder: Karl (1722), Maria (1724), Michael (1727), Johann (1732), Eva (1734), Helena (1737), Anton (1739) und Simon (1741).
Und natürlich erfahren wir auch vom Tod ihres Mannes: Michael Hofer stirbt 1765 nach 44 Jahren Ehe, finanziell sind Magdalena und ihre erwachsenen Kinder gut versorgt. Zehn Jahre nach dem Tod von Michael Hofer stirbt Magdalena im Alter von 73 Jahren und wird am 15. November 1775 als ehrenwerte Witwe in Moos zu Grabe getragen.

Der berühmte Mooserwirt Michael Hofer war bislang nur in Texten fassbar. Endlich können wir ihn uns bildlich vorstellen. © Palais Mamming Museum

Die Mooserwirtsleute im Porträt. Höchste Zeit, uns den beiden Ölgemälden zuzuwenden. Was wir bislang wissen, vermuten und noch herausfinden möchten:

  • Wahrscheinlich nicht. Auf dem Bild fehlen die typischen Attribute wie Ring oder Blumen. Auch ist Magdalena Teis, die 19-jährig heiratete, eindeutig zu alt dargestellt. Ungewöhnlich ist die Rechts-Links-Anordnung. In der Regel befindet sich die Ehefrau zur Linken des Mannes, das heißt, sie wird normalerweise auf der rechten Bildtafel platziert. Aber anders als bei klassischen Ehepaarbildnissen ist Michael Hofer auf der “Frauenseite”, also auf dem rechten Bild, platziert. Magdalena Teis ist damit auf der hierarchisch höherstehenden Seite dargestellt. Ob man in diese Abweichung des Rechts-Links-Schemas etwas hineininterpretieren darf oder soll, sei dahingestellt.

  • Die Hinweise auf den Buchrücken lauten:

    BA(…)M.
    LANDS.ORD:/NUNG.
    BARTHOL:/UM.
    GAIL
    Perneder
    Arnold


    Der Mooserwirt wollte also wohl als Leser der Tiroler Landesordnung und der Werke einiger berühmter Rechtsgelehrter angesehen werden. Hanns-Paul Ties gibt für die “Bibliothek” folgende Identifikationsvorschläge: Es könnte sich bei den Autoren um den Rechtsgelehrten Bartolus de Saxoferrato (um 1313-1357), den Kölner Kanzler Andreas von Gail (1526-1587) und den bayerischen Juristen Andreas Perneder (um 1500-1543) handeln, als “Arnold” kommen hauptsächlich Laurentius Arnold, ein schlesischer Jurist des frühen 17. Jahrhunderts, und Georg d’Arnaud (1711-1740), ein niederländischer Professor Juris, in Frage.

    Ob die Bücher tatsächlich im Mooserwirtshaus existiert haben, wäre eine andere Recherche. Falls ja, stellte sich die Frage: Wie kam ein Passeirer Wirt des 17. Jahrhunderts an eine rechtswissenschaftliche „Bibliothek“? Ein naheliegender Gedanke könnte sein: Über den Großvater mütterlichseits von Magdalena Teis, den Passeirer Richter Heinrich Haller.

  • Beda Weber schrieb 1852: Noch jetzt ist das Andenken an diese Wirthshausherrlichkeit in den Passeirern nicht ausgestorben. Michael Hofer saß mit freundlicher Umsicht mitten im Korn. Der Zoll in St. Martin war sein Pacht von der Landesregierung zu mäßigem Preise. Auch wenn nicht ganz klar ist, ob Beda Weber „mitten im Korn“ wörtlich oder sprichwörtlich verwendete: Die Darstellung von Waage und Getreideähre würde sich sehr gut als Andeutung auf Michael Hofers Geschäftstätigkeit eignen. Es war allerdings wiederum Hanns-Paul Ties, der einen weiteren interessanten Gedanken einbrachte: Nämlich den Hinweis auf die Waage als das klassische Gerechtigkeitssymbol schlechthin, was wiederum zur dargestellten juristischen Bibliothek von Michael Hofer passen könnte.

  • Schlüssel in Frauenhänden verweisen in der Regel auf deren Rolle als Hausherrin/Hauswirtin. Während also die Gegenstände von Michael Hofer betonen, dass sich seine Tätigkeiten vor allem nach außen richten, erzählt der Schlüssel in Magdalenas Händen, dass sie die Kontrolle über das Wohnhaus/ Wirtshaus hat. Da die Textzeilen im offenen Buch nicht lesbar sind, kann es sich um ein Gebetbuch oder auch ein „Wirtschaftsbuch“ von Magdalena handeln.

  • Auf Michael Hofers Jacke erkennt man einen Anhänger mit einer stehenden Figur, die in ihrer linken Hand ein Kreuz emporzuheben scheint. Hanns-Paul Ties denkt an den „Wasserheiligen“ Johannes Nepomuk, der 1729 heiliggesprochen wurde.

  • Grob gerechnet müssen die Bilder im Zeitraum zwischen der Hochzeit 1721 und dem Tod von Michael Hofer 1765 entstanden sein. Da Magdalena nicht gerade als junge Frau dargestellt ist, wird es sich um die 1750er bzw. 1760er Jahre handeln.

  • Beide Bilder sind unsigniert und damit beginnt das Rätseln über die Zuschreibung. Es liegt nahe, dass der Auftrag an ein Mitglied der Passeirer Malerfamilie Auer gegangen ist. Die Auer malten in drei Generationen im sogenannten Malerhaus in St. Martin in Passeier, allerdings sind keine autonomen Porträts aus ihren Händen bekannt. Speziell Johann Benedikt Auer (1722–1792) soll – nach Beda Weber – in Innsbruck die Bildnismalerei erlernt und in Trient, Verona und Venedig als Porträtmaler gearbeitet haben, bevor er 1751 wieder nach Südtirol zurückgekehrt ist. Um 1753 hat er sich erneut in St. Martin niedergelassen und die väterliche Werkstatt übernommen. Sollten die Bilder in den 1750er Jahren entstanden sein, wären die beiden Eheleute demnach rund 50 bis 60 Jahre alt gewesen. So gut es zeitlich und geografisch auch passen mag: Hanns-Paul Ties, der Experte in punkto Passeirer Malerschule, meint: Stilkritisch lässt sich eine Zuschreibung der Gemälde an ein Mitglied der Malerfamilie Auer nicht wirklich begründen, ausschließen aber auch nicht.

  • Beide Bilder wurden im Jänner 1910 vom damaligen „Städtischen Museum von Meran“ um 60 Kronen angekauft, laut Einkaufsregister des Museumsgründers Dr. Franz Innerhofer (1847–1918) „aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos“.

  • Nicht minder bekannt wie dazumal der renommierte Mooserwirt des 18. Jahrhunderts, ist heute der ehemalige Mooserwirt des 21. Jahrhunderts. Harald Haller, der zwischen 2003 und 2019 das Gasthaus gekauft, erforscht, renoviert, geführt, verpachtet und verkauft hat, gab mir den Tipp: Im Lesebuch Ötztaler Alpen (Haid Hans, 2002, S. 152ff) gibt es einen Bericht eines Reisenden, der ein Gemälde beim Mooserwirt erwähnt. Und tatsächlich: Der Reisende, der im Sommer 1867 auf dem unebenen Raume in und um Moos herumkletterte, war Anton von Ruthner. Beim Mooserwirt war ihm ein gut gemaltes Porträt eines decorirten Mannes in schwarzer Amtstracht nach der Mode der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgefallen, was er in seinem Bericht Aus Tirol. Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen (1869, Seite 352) auch vermerkte. Auch wenn es sich nicht um unser Porträt mit dem grünbejackten Michael Hofer handeln kann (und kein dazugehörendes Frauenporträt erwähnt ist), sind die weiteren Zeilen des Autors interessant: Auf mein Befragen, wer dies sei, meinte nämlich der Wirth, einer seiner unmittelbaren Vorfahren, und verbesserte meine Bemerkung, dass dies dem Schnitte der Kleidung nach sein Urgrossvater sein müsse, dahin, dass es der Vater seines Urgrossvaters sei. So bewahrt sich denn hier in einer schlichten Bauernfamilie der Nachweis, wer die Voreltern waren, dieses vermeintliche Vorrecht des hohen Adels, […] länger als gewöhnlich. Der Wirt, mit dem Anton von Ruthner gesprochen hat, muss Josef Hofer gewesen sein, dessen Vater, Großvater und Urgroßvater Johann hießen, und dessen Ururgroßvater Michael Hofer war. Sofern die Aussagen von Ruthner und Hofer von 1867 stimmen, sollte es also noch ein weiteres Porträt von Michael Hofer geben/gegeben haben.

Was es ebenfalls geben wird: Die einen oder anderen Hinweise, Geschichten und Fehler zu den beschriebenen Personen und Porträts.
Schreib sie uns in die Kommentare! Wir freuen uns … 

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Wer schützt Kunst im Krieg?

Den weltberühmten Uffizien fehlte im Zweiten Weltkrieg ihre Kunst. Ein Teil lagerte ausgerechnet im Passeier.

 

Foto: MuseumPasseier

Menschen ziehen in den Weltkrieg, um Kunst zu schützen? Das scheint abwegig und notwendig zugleich. Ein Blick auf die neue Sonderausstellung, die davon erzählt, wie 293 Kunstwerken aus Florenz nach Passeier und abwechselnd in die Hände zweier Kunstschutz-Einheiten gelangt sind.

 

Von Judith Schwarz

 
 

Eine Ausstellung über den Krieg ist normalerweise nie eine schöne Sache. Unsere neue Sonderausstellung handelt von Krieg, aber auch von Kunst. Sie erzählt, wie die Schönheit der Kunst und die Schrecken des Krieges sich überkreuzen. Als wir mit der Planung der Ausstellung begonnen haben, wussten wir drei Dinge:

Es wird eine Ausstellung ohne Originale.
Damit beantworte ich jetzt schon jene Frage, die wir in den letzten Wochen am Häufigsten zu Ohren bekommen haben: Und, kriegt ihr Leihgaben aus den Uffizien?

Es wird eine Ausstellung ohne Passeirer*innen in der Hauptrolle.
Der Rahmen für diese Ausstellung ist ein viel Größerer als Passeier.  

Es wird eine Ausstellung ohne klare Beweise.
Und auch die große Frage „Wurden die Kunstwerke in Südtirol versteckt, um sie später nach Deutschland zu bringen?“ müssen wir unbeantwortet lassen.

Warum haben wir diese Ausstellung dann überhaupt gemacht?
Einmal, weil die Geschichte fast unglaublich ist: 293 Meisterwerke aus dem Palazzo Pitti und den Uffizien werden im Zweiten Weltkrieg ein knappes Jahr lang in St. Leonhard in Passeier gebunkert! Was aber noch unglaublicher ist: Die Passeirer*innen hatten die Geschichte beinah vergessen. Wer in Passeier wusste vor der Ausstellungseröffnung etwas davon? Eine großteils unbekannte Geschichte erzählen, war also ein Grund. Ein weiterer Grund war, dass wir – passend zu dieser geheimnisvollen Story – einen noch viel passenderen Ausstellungsraum haben: Nämlich die verborgenen dunklen Kellerräume beim Sandwirt, die schon viel zu lange keine Ausstellung mehr gesehen haben. Sie sind ideal, um eine Lagersituation zu inszenieren. Der Hauptgrund aber war, dass wir von der Geschichte gefesselt waren, sobald wir davon gehört haben. Es geht um ein Gerangel um weltberühmte Gemälde, die im Zweiten Weltkrieg nach Südtirol kamen und – durch Zufall – in Passeier gelandet sind. Es geht um Botticellis, Cranachs, Caravaggios: Adolf Hitler hätte sie gerne als Geburtstagsgeschenk gehabt, ein SS-General benutzte sie für Kapitulationsverhandlungen und der US-Geheimdienst fahndete nach ihnen.

Lauter aufregende Geschichten tauchten da plötzlich auf.
Und die Spannendste, fanden wir, ist eigentlich jene über den Kunstschutz selbst: Im Italien stehen sich ab 1943 nämlich nicht nur alliierte und deutsche Militärs gegenüber, sondern auch deren Kunstschutz-Teams. Auf deutscher Seite ist das der DEUTSCHE MILITÄRISCHE KUNSTSCHUTZ. Auf alliierter Seite die FINE ARTS SUBCOMMISSION. Beide Teams haben jedoch dasselbe Ziel: Die Kunstschätze im besetzen Italien zu erhalten – und den Feind als Kulturbarbaren zu denunzieren. 

Die Botschaft auf amerikanischer Seite lautete:

BÖSE DEUTSCHE STEHLEN KUNST,
GUTE AMERIKANER RETTEN KUNST.

Auf der deutschen Seite klang das dann ungefähr so:

BÖSE AMERIKANER BOMBARDIEREN KUNST,
GUTE DEUTSCHE VERSTECKEN SIE DESHALB.

Damit hatten wir einen roten Faden für die Ausstellung gefunden – und damit bin ich beim Ausstellungskonzept: Wir erzählen die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven in drei verschiedenen Räumen.

Der erste Raum

erzählt über den DEUTSCHEN MILITÄRISCHEN KUNSTSCHUTZ, der die Kunstwerke aus dem Frontabschnitt um Florenz rettet und nach Südtirol bringt.

Der zweite Raum

berichtet über die amerikanische FINE ARTS SUBCOMMISSION, die die Kunstwerke – zehn Monate später – aus den Händen der Deutschen rettet, und zurück nach Florenz bringt.

Der dritte Raum

informiert über die faschistischen Behörden, die natürlich zehn Monate lang ihre abhanden gekommenen Schätze zurückfordern, aber ohne Erfolg.

Und die Passeirer*innen? Die waren in diesem Stück nur Statist*innen.
Da ist der Feldbauern-Schneider aus St. Martin, der mehrmals über die Liertner Dorfbrücke humpeln musste, damit die Amerikaner einen authentischen Film über das Passeirer Kunstversteck drehen können. Da sind die Bauerntölpel – sie wurden wirklich so bezeichnet – die beim Umstellen der großformatigen Bilder helfen sollten – und angeblich mit den Originalen umgingen wie mit ihren Kühen. Da sind die zwei Zimmerleute, die im Theisstadl 109 Kisten gezimmert haben, in denen die Kunstwerke mit dem Zug zurück nach Florenz gebracht wurden. Und da sind die Kinder, die staunend beim Abladen der Gemälde zuschauten.

Eines dieser Kinder, Bruno Pichler (*1936) aus St. Leonhard, erinnert sich heute noch an die Amerikaner.
Er durfte mit ihnen und den Kunstwerken (aber letztere haben den Neunjährigen damals nicht interessiert) mit nach Meran fahren. Bruno ist in der Ausstellung die einzige Passeirer Stimme, die zu Wort kommt – seine erzählten Erinnerungen begleiten den Stummfilm der Amerikaner von 1945.

Was wird man noch in der Ausstellung finden?
Einige Kunstwerke, Reproduktionen, die man hier in Passeier so nah erleben und berühren kann, wie vor über 70 Jahren die Kunstschutzleute. Einige Zitate, die den Blick öffnen sollen für die Frage: Was bedeutet Krieg eigentlich für Kunstwerke? Wer schützt Kunst im Krieg? Oder auch: Wem gehört eigentlich Weltkulturerbe? Einige Schreibtische, die ganz private Einblicke geben: Welche Schwierigkeiten hatten die Beteiligten zu bewältigen, welche Erlebnisse haben sie niedergeschrieben, wie sind sie mit der großen Verantwortung umgegangen? Egal ob es ein Schreibtisch im deutschen, im italienischen oder im amerikanischen Ausstellungsraum ist – in allen Briefen oder Tagebucheintragungen klingt die eine Sorge, die eine Aufgabe, der eine Wunsch durch: Die Kunstwerke sollen erhalten bleiben.

Meine Wünsche sind:
Besichtigt die Ausstellung, vergesst danach zu fragen, wer denn jetzt die Guten waren und wer die Bösewichte, denkt in Zukunft beim Anblick von Botticellis, Cranachs und Caravaggios an das Passeier und bekommt Lust, die erhaltenen „Passeirer Gemälde“ in den Uffizien in Florenz zu besuchen.

 

PRESSEARTIKEL
DIE BAZ: Botticelli in Passeier von Josef Prantl (28.08.2018)
Passeirer Blatt: Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” eröffnet von Kurt Gufler (Oktober 2018)

UPDATES
Am 1.1.2019 rief der Direktor der Uffizien Deutschland in einem Video dazu auf, das Gemälde “Vaso di fiori” von Jan Van Huysum zurückzugeben. Auf dem Video ist die Schwarz-Weiß-Reproduktion des Blumenbildes mit der Aufschrift rubato/gestohlen/stolen zu sehen. Sie soll auf das fehlende (1944 von einem Wehrmachtsoldaten nach Deutschland verschleppte) Originalgemälde aufmerksam machen. Das Video erhielt großes Echo und wurde nicht nur von Medien in Italien und Deutschland veröffentlicht, sondern auch in Kuba, Holland, Argentinien, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Israel usw. In vielen Medien wurde fälschlicherweise behauptet, das Gemälde habe sich 1944 auf der Jaufenburg in Passeier befunden, bevor es verschwunden sei.

Am 19.7.2019 wurde das Originalgemälde von der Bundesrepublik Deutschland an die Italienische Republik zurückgegeben und mit der Reproduktion ausgetauscht.

Im Juni 2020 erhielt die Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” ein zweites Leben: Sie wurde abgebaut, umgebaut und kam nach Le Gallerie in Trient. Unter anderem ist jetzt in der Ausstellung eine Kopie der Reproduktion des “Vaso di fiori” zu sehen.

 
 
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Uffizi in Passeier

Eine fast vergessene Geschichte über Caravaggios und Botticellis in Passeier. Als Sonderausstellung.

Auch die zwei Altartafeln „Adam“ und „Eva“ von Lukas Cranach überstanden den Krieg in Passeier. Als Reproduktionen kehren sie für die Sonderausstellung UFFIZI IN PASSEIER zurück. Foto: Judith Schwarz für MuseumPasseier

 

Die Sonderausstellung widmet sich einer unglaublichen, aber dennoch fast vergessenen Geschichte, die zu ihrer Zeit die Deutsche Wehrmacht, Mussolinis faschistische Behörden und die US-Army mehr als bewegte. Es geht um Gemälde von unschätzbarem Wert, die während des Zweiten Weltkrieges in St. Leonhard in Passeier gelagert waren.

Von Judith Schwarz

 

Warum und wie kommen die Kunstwerke nach Südtirol? Warum hat man Passeier als Kunstdepot ausgewählt? Welche Meisterwerke waren darunter? Und: War es womöglich ein verschleierter Kunstraub? Ausgehend von diesen ersten Fragen rekonstruiert die Ausstellung die außergewöhnliche Episode, bei der sich Lokalgeschichte und Meisterwerke von Weltruhm verstricken.

Lokale Geschichte verstrickt sich mit wichtigen Ereignissen (und Kunstwerken) der Weltgeschichte: Die Sonderausstellung des MuseumPasseier handelt von einer unglaublichen und dennoch beinahe vergessenen Geschichte.
Foto: Ursula Ringler/ Casa Siviero, Firenze

Zeitgenössische Foto- und Filmaufnahmen versetzen die Besucher*innen ins provisorische Passeirer Kunstlager vor 70 Jahren, die gewölbten Kellerräume des Sandwirts sind hierfür die perfekte Ausstellungskulisse. Sie ähneln den Räumen des alten Gerichtsgebäudes in St. Leonhard, in denen am Ende des zweiten Weltkrieges 293 Gemälde aus den weltberühmten Uffizien und anderen Florentiner Museen rund zehn Monate lagerten.

Neben der Inszenierung des ehemaligen Kunstlagers mit Meisterwerken von Cranch bis Botticelli – drei Gemälde sind in Originalgröße reproduziert – bilden plakative grafische Elemente weitere optische Hingucker in der 150m2 großen Ausstellung.

Im Zentrum stehen jedoch die verschiedenen Perspektiven, die in drei Ausstellungsräumen mit den darin dargestellten Akteuren wechseln: Die Behörden im faschistischen Italien fordern ihre abhanden gekommenen Schätze zurück, die deutsche Militärverwaltung verteidigt ihren Kunsttransport als Rettungsaktion, die US-Army unterstreicht ihre professionelle Arbeit bei der erfolgreichen Rückführung der Meisterwerke nach Florenz.

Die Ausstellung nutzt drei Räume für drei verschiedene Perspektiven: In einem steht das frisch verheiratete Ehepaar Josef und Ursula Ringler im Zentrum. Er beaufsichtigt die Kunstwerke als Denkmalschutzbeauftragter, sie ist für die Fotodokumentation zuständig. Bildnachweis: Christof Ringler, Wien

Der amerikanische Kunstschutzoffizier Deane Keller (li.) mit seinem Chauffeur und Fotograf Charles Bernholz an einer Kehre zum Jaufenpass. Foto: Frederick Hartt. Fotonachweis: Eric Bernholz, New York

Anhand von Auszügen aus Akten, Briefen und Tagebüchern nähern sich die Ausstellungsmacher*innen den damals beteiligten Personen an – inszenierte Schreibtische mit offizieller und privater Korrespondenz legen Augenmerk auf die zu bewältigenden Schwierigkeiten, die besonderen Erlebnisse und die unvorstellbare Verantwortung im Umgang mit den Kunstwerken von Weltruhm.

UFFIZI IN PASSEIER handelt von einem provisorischen Kunstdepot in St. Leonhard, in dem vor über 70 Jahren Meisterwerke im Wert von etlichen Millionen gelagert waren. In vielen zeitgenössischen Dokumenten klingt die eine große Sorge durch: Werden die Kunstwerke erhalten bleiben? Fotonachweis: National Archives, Washington

So werden in der dreisprachig gehaltenen Ausstellung dank dieser Rahmengeschichten auch andere Fragen in den Mittelpunkt gerückt: Was bedeutet Krieg für Kunstwerke? Wer kümmert sich in Kriegszeiten um Kunst? Wem gehört Weltkulturerbe?

„Kinder und Greise und einmal sogar eine Kuhherde schauten zu, wie da die höchste Kunst enthüllt wurde!“, so berichtet eine Zeitzeugin über die Ankunft der Florentiner Meisterwerke vor dem alten Gerichtsgebäude (heute Forststation) in St. Leonhard in Passeier. Foto: Ursula Ringler. Fotonachweis: British School at Rome

Chronologie der Ereignisse

07/43
Die Alliierten landen auf Sizilien. Italien befürchtet einen Luftkrieg und leert seine Museen.
Die Kunstschätze von Florenz werden in Kirchen, Schlössern und Villen der Umgebung gebunkert.

06/44
Die Front steht südlich von Florenz.
Die faschistische Regierung will die Kunstwerke nach Norden verlagern, aber das Risiko ist ihr zu groß.

07/44
Der Krieg erreicht Florenz.
Auf Sonderbefehl der Wehrmacht räumt der Deutsche Kunstschutz die Depots. Und fährt gen Norden.

08/44
Die Alliierten besetzen die Stadt.
Die Kunstwerke erreichen Südtirol und werden in St. Leonhard in Passeier und Sand in Taufers untergebracht.

02/45
Das Kriegsende nähert sich. Der General der deutschen Wehrmacht in Italien verhandelt mit den Alliierten über einen Separatfrieden.
Italienische Partisanen helfen dem US-Geheimdienst bei der Suche nach den Kunstdepots.

05/45
Die deutsche Wehrmacht in Italien kapituliert. Amerikanische Truppen übernehmen die Verwaltung in Südtirol.
Der DEUTSCHE MILITÄRISCHE KUNSTSCHUTZ übergibt die Kunstwerke den Alliierten.

07/45
Die US-Army bringt die Kunstwerke mit dem Zug nach Florenz zurück.

Die Ausstellung “Uffizi in Passeier. Wer schützt Kunst im Krieg?” wird am Samstag, den 22.9.2018 eröffnet und ist zu den Öffnungszeiten des MuseumPasseier zugänglich.

Sonderausstellung
Uffizi in Passeier. Wer schützt Kunst im Krieg?
22. September 2018 – 31. Oktober 2019

Planungsteam  
Judith Schwarz (MuseumPasseier): Ausstellungskonzept, Texte
Albert Pinggera (design.buero): Ausstellungskonzept, Design

Finanzierung
Abteilung Museen der Provinz Bozen
Gemeinden von Passeier

Wir danken
Für die Bereitstellung der Kellerräume: Tiroler Matrikelstiftung, Innsbruck
Für Fotografien und Informationen: Artothek, Weilheim / Bernholz Eric, New York / British School at Rome / Botticini Nando, Meran / Casa Rodolfo Siviero, Firenze / Centro di Ateneo per la Storia della Resistenza, Padova / Consolati Stefano, Bozen / Franchi Elena, Trento / Institut für Zeitgeschichte München - Berlin / Keller William, West Newbury, Massachusetts / Manuscripts and Archives Yale University Library / Monument Men Foundation, Dallas Texas / National Archives, Washington / National Gallery of Art, Washington / Pichler Bruno, St. Leonhard / Ringler Christof, Wien / Ringler Jakob, Innsbruck / Schwazer Heinrich, Bozen / von Lingen Kerstin, Heidelberg
Für Leihgaben: Righi Karl, St. Leonhard / Schreibmaschinenmuseum Peter Mitterhofer, Partschins

 
 
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