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Bildschön

Kennt ihr diesen Moment, wenn ein neues altes Gemälde auftaucht? Und ihr alles dazu herausfinden wollt?

Ein Passeirer Ehepaar mit sorgfältig ausgewählten Objekten, die Besitz und Reichtum demonstrieren. © Palais Mamming Museum

 

Wenn plötzlich zwei alte Porträts auftauchen. Und mit ihnen viele neue Fragen.

 

Von Judith Schwarz

 

Es begann an einem Sonntag kurz vor 12 Uhr. Der Kunsthistoriker Hanns-Paul Ties schrieb eine E-Mail ans Museum: Hab gestern ein bisschen in der Südtiroler Kulturgüter-Datenbank geschmökert (…): Darunter sind zwei hübsche Porträts aus Moos. Der beigefügte Link führte zu einem gealterten Ehepaar auf zwei separaten Bildtafeln im Palais Mamming Museum in Meran. Die Qualität der Schwarz-Weiß-Fotos war steigerungsfähig. Aber die Notizen Porträt von einem M. Hofer und aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos (Passeier) ließ erahnen, dass es sich um den Mooserwirt Michael Hofer und seine Gattin handeln würde.

Bildschön: Ein Ehepaar aus Moos lässt sich im 18. Jahrhundert porträtieren. Der erste Gedanke: Ein Porträt des berühmt-berüchtigten Michael Hofer (1696–1765), dem zu seiner Zeit reichsten Passeirer. War ja klar, dass irgendwann ein Bild von ihm auftauchen musste. Endlich würde man ihn sich „bildlich“ vorstellen können. Der zweite Gedanke: Bemerkenswert, seine Frau durfte auch verewigt werden. Damit muss es das älteste Porträt einer nichtadligen Passeirerin sein, älter als die Bildnisse der Sandwirtin Anna Ladurner. Und Gedanke Nummer drei war dann sozusagen die Vereinigung der beiden vorhergehenden: Ein frühes Bildnispaar von Passeirer Eheleuten, das hatten wir so auch noch nicht.

Ties und Teis: Wenn das kein Zufall ist. So jemand wie Michael Hofer, der durch männliche Schönheit und klugen Geist angeblich sogar Maria Theresia zu beeindrucken vermochte, war natürlich öfters verheiratet. Als Waise hatte er blutjung das Gasthaus Mooserwirt in Moos übernommen und geheiratet, sobald er volljährig war. Da seine erste Gattin nach vier Jahren Ehe starb, heiratete er – nach dreimonatiger Trauerzeit – Magdalena Teis, die dargestellte Frau auf dem Pendant zu Michael Hofers Porträt. Während wir aber, wenn wir wollten, zu Michael Hofer eine lange Liste an Geschäftsbeziehungen, Güterbesitz und Geldanhäufungen tippen könnten, war Magdalena Teis bislang „unsichtbar“. Der Fund von Hanns-Paul Ties forderte uns zur Beschäftigung mit der Teisin heraus.

Vor Magdalenas Geburt überkreuzen sich die Bande der Familien Teis und Hofer. Natürlich, in einem Tal wie Passeier wäre es seltsam, wenn es anders gewesen wäre. Magdalenas Vater und seine erste Gattin Ursula Meister scheinen in den 1680er Jahren als “Priewirt” bzw. Priewirthin” auf, führen also den Gasthof Brühwirt neben der Pfarrkirche in St. Leonhard. 1689 (er hat sich nach dem Tod seiner Frau ein weiteres Mal verheiratet) kauft Johann Teis die Brühwirtsbehausung und zwar von der Besitzerin Eva Auer bzw. deren Gatten, dem Mooserwirt Johann Hofer. Diese beiden werden sieben Jahre später die Eltern des porträtierten Michael Hofer, des Mooserwirtserben. Weitere sechs Jahre später, am 20. Juli 1702, kommt Magdalena auf die Welt. Allerdings (schade!) nicht im Brühwirt, dem ehemaligen Haus ihrer zukünftigen Schwiegermutter, denn die Teis sind mittlerweile weitergezogen.

Wohin führen die Spuren von Magdalenas Familie? Bereits 1692 ist Vater Johann Teis als cauponis in superioris von St. Martin genannt, womit das Gasthaus Oberwirt gemeint ist. Während der älteste Bruder von Magdalena also noch in St. Leonhard als Brühwirtssohn auf die Welt kommt, sind sie und ihre weiteren sieben Geschwister in St. Martin als Oberwirtskinder geboren. “Einmal Wirt, immer Wirt”, kommt einem da in den Sinn. Oder auch “Gleich und Gleich gesellt sich gern”, wenn wir an unsere porträtierten Eheleute denken: Oberwirtstochter von St. Martin heiratet Mooserwirtssohn von Moos. Zumal auch Magdalenas Mutter nicht von schlechten Eltern ist. Elisabeth Haller, die zweite Gattin des Johann Teis, ist die Tochter des Passeirer Richters Heinrich Haller aus St. Leonhard. Kurzum, Magdalena war wohl das, was man landläufig eine gute Partie nennt. Nichtsdestotrotz geben die offiziellen Geschichtsquellen nur wenig über sie her.

Ein Weibsbild. Als Porträt ein seltener Anblick für die Passeirer*innen der früheren Jahrhunderte. © Palais Mamming Museum

Leider passen Magdalenas Eckdaten in einen Absatz. Wir kennen ihr Hochzeitsdatum: Am 2. September 1721 heiraten Magdalena Teis und Michael Hofer in St. Leonhard. Wir erfahren in den Taufbüchern von den Geburten ihrer acht Kinder: Karl (1722), Maria (1724), Michael (1727), Johann (1732), Eva (1734), Helena (1737), Anton (1739) und Simon (1741).
Und natürlich erfahren wir auch vom Tod ihres Mannes: Michael Hofer stirbt 1765 nach 44 Jahren Ehe, finanziell sind Magdalena und ihre erwachsenen Kinder gut versorgt. Zehn Jahre nach dem Tod von Michael Hofer stirbt Magdalena im Alter von 73 Jahren und wird am 15. November 1775 als ehrenwerte Witwe in Moos zu Grabe getragen.

Der berühmte Mooserwirt Michael Hofer war bislang nur in Texten fassbar. Endlich können wir ihn uns bildlich vorstellen. © Palais Mamming Museum

Die Mooserwirtsleute im Porträt. Höchste Zeit, uns den beiden Ölgemälden zuzuwenden. Was wir bislang wissen, vermuten und noch herausfinden möchten:

  • Wahrscheinlich nicht. Auf dem Bild fehlen die typischen Attribute wie Ring oder Blumen. Auch ist Magdalena Teis, die 19-jährig heiratete, eindeutig zu alt dargestellt. Ungewöhnlich ist die Rechts-Links-Anordnung. In der Regel befindet sich die Ehefrau zur Linken des Mannes, das heißt, sie wird normalerweise auf der rechten Bildtafel platziert. Aber anders als bei klassischen Ehepaarbildnissen ist Michael Hofer auf der “Frauenseite”, also auf dem rechten Bild, platziert. Magdalena Teis ist damit auf der hierarchisch höherstehenden Seite dargestellt. Ob man in diese Abweichung des Rechts-Links-Schemas etwas hineininterpretieren darf oder soll, sei dahingestellt.

  • Die Hinweise auf den Buchrücken lauten:

    BA(…)M.
    LANDS.ORD:/NUNG.
    BARTHOL:/UM.
    GAIL
    Perneder
    Arnold


    Der Mooserwirt wollte also wohl als Leser der Tiroler Landesordnung und der Werke einiger berühmter Rechtsgelehrter angesehen werden. Hanns-Paul Ties gibt für die “Bibliothek” folgende Identifikationsvorschläge: Es könnte sich bei den Autoren um den Rechtsgelehrten Bartolus de Saxoferrato (um 1313-1357), den Kölner Kanzler Andreas von Gail (1526-1587) und den bayerischen Juristen Andreas Perneder (um 1500-1543) handeln, als “Arnold” kommen hauptsächlich Laurentius Arnold, ein schlesischer Jurist des frühen 17. Jahrhunderts, und Georg d’Arnaud (1711-1740), ein niederländischer Professor Juris, in Frage.

    Ob die Bücher tatsächlich im Mooserwirtshaus existiert haben, wäre eine andere Recherche. Falls ja, stellte sich die Frage: Wie kam ein Passeirer Wirt des 17. Jahrhunderts an eine rechtswissenschaftliche „Bibliothek“? Ein naheliegender Gedanke könnte sein: Über den Großvater mütterlichseits von Magdalena Teis, den Passeirer Richter Heinrich Haller.

  • Beda Weber schrieb 1852: Noch jetzt ist das Andenken an diese Wirthshausherrlichkeit in den Passeirern nicht ausgestorben. Michael Hofer saß mit freundlicher Umsicht mitten im Korn. Der Zoll in St. Martin war sein Pacht von der Landesregierung zu mäßigem Preise. Auch wenn nicht ganz klar ist, ob Beda Weber „mitten im Korn“ wörtlich oder sprichwörtlich verwendete: Die Darstellung von Waage und Getreideähre würde sich sehr gut als Andeutung auf Michael Hofers Geschäftstätigkeit eignen. Es war allerdings wiederum Hanns-Paul Ties, der einen weiteren interessanten Gedanken einbrachte: Nämlich den Hinweis auf die Waage als das klassische Gerechtigkeitssymbol schlechthin, was wiederum zur dargestellten juristischen Bibliothek von Michael Hofer passen könnte.

  • Schlüssel in Frauenhänden verweisen in der Regel auf deren Rolle als Hausherrin/Hauswirtin. Während also die Gegenstände von Michael Hofer betonen, dass sich seine Tätigkeiten vor allem nach außen richten, erzählt der Schlüssel in Magdalenas Händen, dass sie die Kontrolle über das Wohnhaus/ Wirtshaus hat. Da die Textzeilen im offenen Buch nicht lesbar sind, kann es sich um ein Gebetbuch oder auch ein „Wirtschaftsbuch“ von Magdalena handeln.

  • Auf Michael Hofers Jacke erkennt man einen Anhänger mit einer stehenden Figur, die in ihrer linken Hand ein Kreuz emporzuheben scheint. Hanns-Paul Ties denkt an den „Wasserheiligen“ Johannes Nepomuk, der 1729 heiliggesprochen wurde.

  • Grob gerechnet müssen die Bilder im Zeitraum zwischen der Hochzeit 1721 und dem Tod von Michael Hofer 1765 entstanden sein. Da Magdalena nicht gerade als junge Frau dargestellt ist, wird es sich um die 1750er bzw. 1760er Jahre handeln.

  • Beide Bilder sind unsigniert und damit beginnt das Rätseln über die Zuschreibung. Es liegt nahe, dass der Auftrag an ein Mitglied der Passeirer Malerfamilie Auer gegangen ist. Die Auer malten in drei Generationen im sogenannten Malerhaus in St. Martin in Passeier, allerdings sind keine autonomen Porträts aus ihren Händen bekannt. Speziell Johann Benedikt Auer (1722–1792) soll – nach Beda Weber – in Innsbruck die Bildnismalerei erlernt und in Trient, Verona und Venedig als Porträtmaler gearbeitet haben, bevor er 1751 wieder nach Südtirol zurückgekehrt ist. Um 1753 hat er sich erneut in St. Martin niedergelassen und die väterliche Werkstatt übernommen. Sollten die Bilder in den 1750er Jahren entstanden sein, wären die beiden Eheleute demnach rund 50 bis 60 Jahre alt gewesen. So gut es zeitlich und geografisch auch passen mag: Hanns-Paul Ties, der Experte in punkto Passeirer Malerschule, meint: Stilkritisch lässt sich eine Zuschreibung der Gemälde an ein Mitglied der Malerfamilie Auer nicht wirklich begründen, ausschließen aber auch nicht.

  • Beide Bilder wurden im Jänner 1910 vom damaligen „Städtischen Museum von Meran“ um 60 Kronen angekauft, laut Einkaufsregister des Museumsgründers Dr. Franz Innerhofer (1847–1918) „aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos“.

  • Nicht minder bekannt wie dazumal der renommierte Mooserwirt des 18. Jahrhunderts, ist heute der ehemalige Mooserwirt des 21. Jahrhunderts. Harald Haller, der zwischen 2003 und 2019 das Gasthaus gekauft, erforscht, renoviert, geführt, verpachtet und verkauft hat, gab mir den Tipp: Im Lesebuch Ötztaler Alpen (Haid Hans, 2002, S. 152ff) gibt es einen Bericht eines Reisenden, der ein Gemälde beim Mooserwirt erwähnt. Und tatsächlich: Der Reisende, der im Sommer 1867 auf dem unebenen Raume in und um Moos herumkletterte, war Anton von Ruthner. Beim Mooserwirt war ihm ein gut gemaltes Porträt eines decorirten Mannes in schwarzer Amtstracht nach der Mode der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgefallen, was er in seinem Bericht Aus Tirol. Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen (1869, Seite 352) auch vermerkte. Auch wenn es sich nicht um unser Porträt mit dem grünbejackten Michael Hofer handeln kann (und kein dazugehörendes Frauenporträt erwähnt ist), sind die weiteren Zeilen des Autors interessant: Auf mein Befragen, wer dies sei, meinte nämlich der Wirth, einer seiner unmittelbaren Vorfahren, und verbesserte meine Bemerkung, dass dies dem Schnitte der Kleidung nach sein Urgrossvater sein müsse, dahin, dass es der Vater seines Urgrossvaters sei. So bewahrt sich denn hier in einer schlichten Bauernfamilie der Nachweis, wer die Voreltern waren, dieses vermeintliche Vorrecht des hohen Adels, […] länger als gewöhnlich. Der Wirt, mit dem Anton von Ruthner gesprochen hat, muss Josef Hofer gewesen sein, dessen Vater, Großvater und Urgroßvater Johann hießen, und dessen Ururgroßvater Michael Hofer war. Sofern die Aussagen von Ruthner und Hofer von 1867 stimmen, sollte es also noch ein weiteres Porträt von Michael Hofer geben/gegeben haben.

Was es ebenfalls geben wird: Die einen oder anderen Hinweise, Geschichten und Fehler zu den beschriebenen Personen und Porträts.
Schreib sie uns in die Kommentare! Wir freuen uns … 

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Open Call

Wir suchen Menschen, die sich für die Arbeit im Museum begeistern.

Was brauchst du?
Vor allem Lust (und auch etwas Können), uns bei ein oder mehreren dieser Arbeiten gegen Bezahlung zu helfen. Fachwissen und Interesse an kulturellen Themen schaden nicht. Viel wichtiger ist uns aber, dass es dir Spaß macht, mit Menschen und in Teams zu arbeiten. Dass du freundlich und zuverlässig bist. Und dass du bereit bist, dich mit Herzblut auf das MuseumPasseier als eine besondere Kultureinrichtung einzulassen.

Wenn du dir vorstellen kannst, im Rahmen deiner zeitlichen Möglichkeiten bei uns mitzumachen, melde dich an für ein erstes gemeinsames Treffen aller Interessierten:  

Am 25. Februar 2022 um 18 Uhr
im MuseumPasseier, Passeirer Straße 72, St. Leonhard in Passeier

Das Vorzeigen des Grünen Passes 2G (geimpft, genesen) ist verpflichtend.
Das Treffen dauert zirka 1,5 Stunden.

Hier werden wir uns und die Museumsarbeit genauer vorstellen und versuchen, deine Fragen zu beantworten.
Schick deine Anmeldung zum Treffen an info@museum.passeier.it.

Wir freuen uns auf dich!

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Tausend Kilometer bewegt

Ein halbes Jahr war ein Holzstecken aus Passeier unterwegs. Seine Touren sind dokumentiert. Von oben bis unten.

Im Mai 2021 startete ein Holzstecken aus Passeier seinen Weg durch die Europaregion. Sechs Monate später das Resümee: 24 Museen haben sich den GPS-STÄKKKN gegenseitig zugesteckt und Handarbeit hinein gesteckt.

Von MuseumPasseier

Das Euregio-Museumsjahr 2021 kam daher mit Ausstellungen, Filmen, Podcasts, Publikationen und Veranstaltungen. Und auch mit einem Wanderstecken, der von Museum zu Museum reiste. Wann, wie, wohin der Stecken wandern sollte, blieb den Museen überlassen – Hauptsache er bewegt sich, gemäß dem Jahresmotto „Museum bewegt“.

Also verbrachte er Nächte in Autokofferräumen und hatte Fotoshootings in prunkvollen Schlosssälen, fuhr S-Bahn durch das Unterinntal und mit dem Apotheker-Zustelldienst in entlegene Täler, wurde mit Weihwasser besprengt und steckte zwischen den Beinen einer nackten Statue, verschwand in Festungen und Tunnelwelten und hatte Auftritte bei Ausstellungseröffnungen, reiste an den Gardasee und begleitete einen Bergläufer auf 2.000 m Höhe, ließ sich mit einer Sackkarre durch Brixen kutschieren und geduldig Tassen, Steine, Eintrittskarten und Stocknägel an sich befestigen, hatte Tagesetappen zwischen wenigen Metern und 250 Kilometern, wurde mit Taschenmesser oder Profiwerkzeug beschnitzt, mit Tipp-Ex und Leuchtfarben bemalt, mit Brennstift gebrannt, mit Reiseerinnerungen umwickelt und beklebt.

Der Haselnuss-Stecken benötigte technische Betreuung, denn er war mit einem GPS-Tracker ausgestattet. Hansjörg Alber hat sich um den Sender samt Batterien gekümmert, Albert Pinggera um die Erfassung der Standorte und Routen auf Google Maps bzw. der GARGOOO-Website.

Die Orte und Museen: Innsbruck (Volkskunstmuseum), Vigo di Ton (Castel Thun), Rovereto (Museo della Città, Museo della Guerra), Riva (MAG), Schwaz (Rabalderhaus), Weerberg (Rablhaus), Jenbach (Jenbacher Museum), Rattenberg (Augustinermuseum), Wörgl (Erlebnisbahnsteig Brenner), Steinach am Brenner (Tunnelwelten), Franzensfeste (Festung Franzensfeste, BBT-Infopoint), Neustift (Kloster Neustift), Brixen (Pharmaziemuseum, Hofburg), Bruneck (Landesmuseum für Volkskunde), St. Lorenzen (Museum Mansio Sebatum), Bozen (Museumsverband, Abteilung Museen), St. Leonhard (MuseumPasseier), Levico (Colle delle Benne), Cavalese (Museo Palazzo Magnifica), Aldein (Dorfmuseum Aldein).

 
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feertig

Bald ist sie fertig, die heurige Museumssaison. Am letzten Tag gibt es Kartoffeln und Kastanien. Nicht “feertige”, sondern von heuer.

Wir feiern das Ende der Saison am 31. Oktober 2021 mit heurigen Kartoffeln und Kastanien. Und freiem Eintritt von 14 bis 17 Uhr.

Von MuseumPasseier

Fotos und Animation: Albert Pinggera

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Geraubt, gelagert – gesühnt?

Kerstin von Lingen widmet ihre Antrittsvorlesung an der Uni Wien der "Kulturgüterverbringung" der Uffizien-Kunstwerke nach Passeier.

Foto: Ausschnitt der Videoaufzeichnung/ Universität Wien

Kerstin von Lingen ist Professorin für Zeitgeschichte, Vergleichende Diktatur-, Gewalt- und Genozidforschung an der Universität Wien. Am 2. Juli 2021 sprach sie in ihrer feierlichen Antrittsrede zur Frage nach der strafrechtlichen Sühne bei der "Kulturgüterverbringung" der Uffizien-Kunstwerke nach Passeier. Die Aufzeichnung ist nun online: 

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Wie eine Minute

2001 wurde das MuseumPasseier eröffnet. Wir blicken in einer Minute auf 20 bewegte Jahre.

Die 20jährige Geschichte des MuseumPasseier in Bildern. Von Mai 2001, als das Museum für Besucher*innen öffnete, bis zum Startruf und Projekt GARGOOO im Mai 2021. Zwei Jahrzehnte in einer Minute.

Von MuseumPasseier

 
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Schreist du mit?

Ein eigenwilliger Startruf, mitten im Lockdown.

Mitten im Lockdown geht das MuseumPasseier an die Öffentlichtkeit.
Mit dem eigenwilligen Startruf GARGOOO für das gleichnamige Projekt.

Von MuseumPasseier

 

Für das Jahr 2021 rief die Europaregion ein Museumsjahr zum Thema „Transport–Transit–Mobilität“ aus, bei dem innovative und interdisziplinäre Initiativen gefördert werden sollen. Das MuseumPasseier ist mit dem Projekt „GARGOOO! Åbout Dialekt“ dabei.  

GARGOOO! bedeutet „Die Bahn ist frei“, „Lass die Sache wieder rollen“ oder auch „LOOOS!“. Passeirer Holztreiber brüllten das Wort von Posten zu Posten, wenn sie gefällte Baumstämme bergabwärts schickten. Mittlerweile sind Holztreiber und ihr Startruf aus dem Alltag verschwunden.

Warum das Wort nicht wiederbeleben? Beispielsweise um nach Winterpausen und Lockdowns von Museum zu Museum zu rufen: GARGOOO, wir sind wieder da! Und um das GoLive der neuen Website hinauszuposaunen, die das Dialektprojekt des MuseumPasseier durch das Themenjahr 2021 begleiten wird. 

Heute, am Internationalen Tag der Muttersprache, ist der verklungene Starturf erstmals wieder zu hören. Und damit kein vergangenes Wort mehr.

Mehr zum Wort GARGOOO
Mehr zum Projekttitel GARGOOO

Konzept: Albert Pinggera, Josef Rohrer, Judith Schwarz
Design: design.buero  
Web: Kreatif GmbH
Ton: Tonstube
Projektpartner: Ötztaler Museen
GARGOOO-Website: gargooo.museum.passeier.it

Gefördert von der Europaregion Tirol–Südtirol–Trentino und den Bildungsausschüssen St. Leonhard und St. Martin in Passeier.

 
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GARGOOO meldet sich zu Wort

Wie ein vergangenes Wort neu aufgeht.

Wie das vergangene Wort GARGOOO Titel unseres Dialektprojekts wurde.

Von Judith Schwarz

Der Gedanke, sich als Museum mit immateriellem Kulturgut wie Dialekt zu beschäftigen, reizt uns schon lange. Ebenso die Herausforderung, etwas auszustellen, was sich nicht ausstellen lässt. Was sich gegen das Ausstellen sperrt.

Allerdings ist Sprache halt ein endlos weites Feld. Schließlich ist sie überall – gleichzeitig ist sie auch nur ein flüchtiger Moment. Wir wussten in der Vergangenheit nicht „Womit fangen wir an?“ und in Folge kam es auch nicht zur Frage „Wann fangen wir an?“. Dann schrieb die Euregio das Museumsjahr 2021 aus. Der Schwerpunkt: Transport/Transit/Mobilität. Spontan fiel uns ein: Sprache ist ein Transportmittel. Sprache ist mobil und verändert sich. Wörter wandern ein und wandern aus. Sprachveränderung passiert (auch) durch Mobilität. Menschen übersetzen Sprachen, transferieren sie, switchen. Und natürlich sind da auch die Begriffe und Redewendungen, die Transport/Transit/Mobilität selbst zum Thema haben oder bezeichnen.

Welch schöne Herausforderung: Beweisen, dass der Dialekt, der sich von den klassischen Mobilitätsthemen abhebt, sehr gut zum Mobilitätsthema passt. Und abgesehen davon: Endlich war, dank der vorgegebenen Themen, dieses weite Feld Dialekt etwas eingegrenzt. Vor allem aber: Wir hatten endlich einen Startschuss. Wir mussten endlich beginnen, unsere Ideen niederzuschreiben, denn der 31. Jänner 2020 war Einreichschluss für die Museumsjahr-Projekte.

Dann fiel uns ein Wort in die Hände. Just in dieser Zeit, als wir auf die Startgenehmigung aus Bozen warteten, fanden wir eine Notiz zum Rufsignal „Gargo“ in einem Aufsatz über Waldarbeit von 1987. Der Autor Sepp Haller beschreibt es folgendermaßen:

Es ergibt sich oft die Notwendigkeit, den Holztransport für kurze Zeit einzustellen. Es geschieht dies durch den Zuruf von Posten zu Posten. In Passeier gibt es dafür eigene kurze Wörter. Das Rufsignal „Hebau“ bedeutet Stopp, kein Holz nachschicken. Der Angesprochene bestätigt es mit dem Ruf „Tschey“. Ist die Bahn wieder frei, dann schreit der untere zum oberen Posten hinauf „Gargo“. (…)
Bemerkenswert ist, dass keiner der von mir befragten erfahrenen Holzer über die Herkunft bzw. Ableitung dieser drei simplen Wörter nähere Angaben machen könnte. An und für sich handelt es sich um nicht sinntragende Wörter, die sich allerdings durch Jahrhunderte zu diesem Zweck im Tale behauptet haben; vermutlich aufgrund dessen, weil sich ihr Auslaut sehr langgezogen rufen lässt.

Was steckt in diesem Gargo? Möglicherweise lat. carrus (Wagen) oder ital. carico bzw. engl. cargo (Fracht, Ladung). Das alles, inklusive Holztransport-Background, passte wunderbar zum Themenjahr Transport/Transit/Mobilität. Und dass gargo auf italienisch mit schlau/schelmisch/spitzbübisch übersetzt werden kann, taugte uns ebenso: Schließlich hatten wir die Ambition, das Thema Dialekt mit Humor anzugehen. Der erste Lausbubenstreich folgte auch zugleich. Ein Blick ins Passeirer Wörterbuch von Franz Lanthaler und Harald Haller zeigte, dass Gargo dort als Gargoo gelistet ist. Wohl um zu betonen, dass die Betonung auf dem O liegt. Grafiker Albert Pinggera machte daraus GARGOOO! Nun war aus Gargo wahrlich ein Schrei geworden.

Sollten wir dieses längst verklungene Wort wieder in Umlauf bringen? Was würden sich die Leute denken und fragen?
Ist GARGOOO …
… schargoo oder gärguu?
… historisch oder modern?
… echt oder erfunden?
… tiefgründig oder sinnlos?
… Kindersprache? Psairisch? Englisch?
… ein Ort oder ein Gegenstand oder ein Zustand?

GARGOOO kann alles sein.
Wir fragten uns auch:
Ist GARGOOO …
… unübersetzbar?
Wie haben die Autoren des Passeirer Wörterbuchs die Bedeutung für das Wort GARGOOO herausgefunden oder/und festgelegt? Für den einen Holzer ist GARGOOO mehr die Entwarnung „Alles ok, wir haben den Fehler behoben“, für den anderen ist es mehr die Anweisung zum Weiterarbeiten „Lass los!“ oder auch „Stoß an!“. Was passiert in dieser Zwischen-Welt der Worte, die Übersetzer*innen betreten?

… tot?
Wer benutzt das Wort noch? Im Wörterbuch wurde es dokumentiert, an der Nichtmehr-Nutzung ändert das nichts. Außer das Museum „stellt das Wort aufs Podest“ (und straft damit den vorherigen Satz Lügen). Was passiert dann?

… heimatlos?
Oft soll mit Dialekt ein Produkt, eine Veranstaltung, ein Gebäude ecc. in den Kontext von Idylle, Tradition, Natur und Heimat gerückt werden. Funktionierte das auch bei einem Dialektwort wie GARGOOO, das „niemand“ kennt und nicht „psairerisch“ aussieht?

… ungehört?
Wie hört(e) sich der laute Ruf GARGOOO an? Wie passen Name und Ton zusammen? Der Autor Sepp Haller hat das Wort 1987 niedergeschrieben, als er es noch aus dem Mund der Holzer hörte. Ist ein gesprochenes GARGOOO von einem Holzarbeiter, der es in seinem Arbeitsleben verwendete, authentischer, als ein GARGOOO von jemandem, der es vorher noch nie benutzte?

… fremd?
Dieses fremde Wort, das sich nicht fassen ließ, gefiel uns ungemein. Wir wollten es benutzen (und sei es nur als „Startsignal“ um den PC-Bildschirm zu entsperren). Mit der Zeit wurde GARGOOO für uns dann zu einem neuen Begriff. Einem Wort, das wir mit Gefühlen und Erwartungen beladen/befrachtet haben, so dass es uns nun schwer fällt, bei GARGOOO an Holzarbeit zu denken. Uns ist die ursprüngliche Bedeutung fremd geworden, so wie einem Holzer unsere Deutung von GARGOOO fremd scheinen muss.

… männlich?
Kannten Frauen den Begriff überhaupt? Möglich. Haben sie ihn benutzt oder sogar geschrien, wie die Männer bei der Waldarbeit? Unwahrscheinlich. Ein schöner Gedanke, dass GARGOOO erstmals auch von Frauen und außerhalb der Passeirer Wälder in den Mund genommen werden würde.

… festgeschrieben?
Was spricht dagegen, GARGOOO auch in Bereichen außerhalb der Holzarbeit zu verwenden? Mit GARGOOO weckt die Mutter das Kind, das morgens verschlafen hat. Mit GARGOOO ruft der Verkäufer an der Fleischtheke die Person mit der nächsten Nummer auf. Mit GARGOOO jagt die Bäuerin die Kühe auf die Weide. Mit GARGOOO verkündet der Landeshauptmann das Ende des Lockdowns. Mit GARGOOO öffnet das Museum wieder seine Türen.  

Dann kam die Antwort aus Bozen. Die Geldmittel für die Museumsjahr-Projekte reichten nur für vier Projekte, schrieb man uns im Mai. Unser Dialektprojekt lag auf Platz 5. Es war klar: Wir hatten ein Hebau erhalten! Wir mussten warten: Ist die Bahn wieder frei, dann schreit der untere zum oberen Posten hinauf „Gargo“. Bis Juli blieb es still. Sollten wir mit unserem Dialektthema beim Euregio-Museumsjahr wirklich auf dem Holzweg sein? Dann begannen die Verhandlungen um den Nachtragshaushalt des Landes – und im August meldete der untere Posten endlich das ersehnte GARGOOO! Unser Dialektprojekt konnte wieder Fahrt aufnehmen, wie losgelassene Holzstämme im Wald.

Damit war klar: GARGOOO wird Titel und Startruf unseres Projekts. Und wer weiß? Vielleicht wird das vergangene Wort GARGOOO auch außerhalb des Dialektprojekts neu aufgehen: GARGOOO GARGOOO!

 
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Helden & Hasenfüße

“Wie viele Helden braucht ein Land?” fragt Selma Mahlknecht in der F.A.Z.

In Südtirol legt ein kleines Museum die Schichten der Heldenverehrung frei und trifft so manchen neuralgischen Punkt. Das tut mitunter weh. Aber auch verdammt gut.
— Selma Mahlknecht

Selma Mahlknecht schreibt in der F.A.Z über Andreas Hofer, Benito Mussolini, neue Covid-19-Helden und Elena De Salvo.

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Sopravissuto

293 opere d'arte degli Uffizi sono resiste in Passiria alla guerra mondiale. Durante il lockdown la mostra speciale "Uffizi in Passeier" ha ricevuto una seconda vita.

Foto: Charles Bernholz/ Yale University Library

La seconda vita di una mostra ridisegnata. In giugno, la mostra "Uffizi in Passeier" si sposterà: Dalle cantine storiche del Sandhof in Passiria nel tunnel stradale di Le Gallerie a Trento.

 

Di Judith Schwarz.
Traduzione: Tiziano Rosani

 
 

Nella mostra vi è una foto che sembra l'istantanea di un deposito d’arte. I dipinti sono disposti uno dopo l’altro, come fossero illustrazioni in un libro d’arte: Rubens e Cranach, Pollaiolo e Tintoretto, Caravaggio e Botticelli. Al centro è una porta e sopra un cartello: "Sala d'armi". Si tratta del vecchio carcere di San Leonardo in Passiria.

Durante la guerra, un'armeria ha custodito, al posto di armi, opere d’arte. Un mondo alla rovescia. 
UFFIZI IN PASSEIER pare quasi una parodia dei musei. Quando guardiamo l’arte, quando consumiamo l’arte nei musei che la ospitano, ne adoriamo la perfezione. Non solo la perfezione artistica delle opere, ma in fondo anche la perfezione della tecnologia espositiva: l'illuminazione, le modalità di presentazione, i sistemi di sicurezza. Nei musei, l’arte sotto vetro appare immutata ed eterna.

UFFIZI IN PASSEIER narra quello che non vediamo quando siamo davanti ad opere brillantemente restaurate.
Ci ricorda che l'arte conservata nei musei non è inviolata. Ha un passato composto di storie, che noi visitatori e visitatrici solitamente ignoriamo. Le opere d’arte dei musei fiorentini hanno intrapreso durante la guerra un viaggio rischioso, passando per le mani, anche sudate, di soldati, autisti, responsabili della tutela dell‘arte. Sono cadute a terra, si sono strappate, hanno sviluppato muffe a causa dell’umidità. E alcune, prima di arrivare in Alto Adige, sono pure sparite negli zaini dei soldati come souvenir. La storia narrata in UFFIZI IN PASSEIER non si conclude quindi nel luglio 1945 col ritorno di questi tesori a Firenze. Quando le opere hanno sfilato trionfalmente attraverso la città, come fa un condottiero vittorioso.

Però non tutte le opere sono tornate. E quindi l’Italia non ha potuto archiviare definitivamente la vicenda.
Vi è una cesura a metà della mostra. Non siamo più nella Seconda Guerra Mondiale. Siamo nel 2019. Gli Uffizi lanciano – con grande impatto mediatico – un appello alla Germania per la restituzione di un dipinto. Un dipinto, che - prima di giungere in Alto Adige - era stato spedito da un soldato della Wehrmacht alla moglie in Germania. Si tratta del “Vaso di fiori” di Jan Van Huysum. Per ricordare la perdita gli Uffizi hanno prodotto un video raffigurante una riproduzione con la scritta "rubato". Si è trattato quasi di un’azione artistica, che non solo ha ottenuto un grande impatto mediatico, ma che alla fine si è conclusa con il ritorno del dipinto agli Uffizi. Il dipinto originale “vaso di fiori” è divenuto oggetto di appropriazione reale e simbolica. Ma anche la riproduzione, che all'inizio era solo un ricordo di se stessa, in questo affare di stato tedesco-italiano ora è diventata molto di più. Anche la riproduzione è stata a sua volta riprodotta per questa mostra. Una copia della copia.

Foto: Albert Pinggera

Il direttore degli Uffizi, egli stesso tedesco, ha commentato il ritorno del quadro con queste parole: "È una grande vittoria per l'Italia e per tutta l'umanità". Non credo sia necessario vi dica che la parola “vittoria” non è mai stata menzionata nei media tedeschi. Le foto sulla stampa sono le medesime, invece le didascalie che le accompagnano non lo sono affatto. Chi siano i "buoni" in questa vicenda italo-tedesca dipende dal giornale che si sta sfogliando, dipende se è un giornale italiano o un giornale tedesco.

Ogni storia ha sempre almeno due facce, ed è questo l’aspetto più appassionante del racconto di questa mostra, il filo rosso che percorre UFFIZI IN PASSEIER.
Durante la guerra in Italia si affrontarono non solo tedeschi e americani, ma anche le squadre di protezione dell'arte di entrambe le parti. Entrambe col medesimo obiettivo: conservare i tesori d'arte dell'Italia occupata - e rappresentare il nemico come un barbaro in ambito culturale. Il messaggio da parte americana era: "I cattivi tedeschi rubano l'arte, i buoni americani salvano l'arte". Sul lato tedesco il messaggio era opposto: “I cattivi americani bombardano l'arte, i buoni tedeschi portano l’arte al sicuro“.

Foto: Albert Pinggera

UFFIZI IN PASSEIER è articolata in due stanze che presentano le due differenti prospettive, quella tedesca e quella americana. In entrambe le stanze troviamo sulle scrivanie la corrispondenza ufficiale e privata di alcune delle persone coinvolte nella vicenda. In entrambe le stanze emergono le preoccupazioni conseguenti all'immensa responsabilità di avere a che fare con capolavori dell’arte mondiale. E in entrambe le stanze si comprende che la contesa dei dipinti fu accompagnata da una veemente battaglia di propaganda. Una battaglia, in cui le foto sulla stampa erano le medesime, ma le didascalie che le accompagnavano non lo sono. Mentre la squadra TEDESCA di protezione dell’arte sfruttò la documentazione fotografica per contrastare la propaganda nemica, la squadra AMERICANA di protezione dell’arte utilizzò le stesse foto come prova dell’incuria nel maneggiare le opere.

Questa battaglia di immagini ha ovviamente poco a che fare con la tutela dell’arte. In questo modo UFFIZI IN PASSEIER evidenzia anche come fino al giorno d’oggi all’arte venga attribuito un grandissimo significato.
Infine, vi parlerò di un'altra foto del 1944. Mostra delle ombre scure sulle pareti degli Uffizi: durante la guerra nel famoso museo d’arte erano venute meno alcune delle opere. E con esse una parte del patrimonio culturale italiano. Potreste ora chiedervi cosa faccia parte del patrimonio culturale italiano e cosa no? Se un patrimonio culturale appartenga a un solo Stato - o a tutti noi? Oppure potreste chiedervi cosa sarebbe successo, se le opere d’arte non fossero state restituite. Se fossero diventate patrimonio culturale di altri? Sarebbe rimasta l’amarezza, perché il ricordo delle opere d’arte rubate non si cancella. Sarebbe rimasta un’ombra.

Per molto tempo la storia di UFFIZI IN PASSEIER è stata dimenticata. Ha vissuto un'esistenza nell'ombra. Può darsi che sia solo una storia secondaria nella grande storia della Seconda guerra mondiale. La mostra UFFIZI IN PASSEIER mira a farla uscire dall'ombra e a riportarla alla luce.

 

MOSTRA
UFFIZI IN PASSEIER è da vedere fino 1 novembre 2020 5 settembre 2021 in Le Gallerie di Piedicastello (Fondazione Museo storico del Trentino)

RASSEGNA STAMPA
Conferenza stampa (30.06.2020)
Il Dolomiti (30.06.2020)
Alto Adige Trentino (01.07.2020) di Katja Casagrande
The Journal of Cultural Heritage Crime (23.07.2020) di Nadia Pedot
HistoryLab (22.10.2020)

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themenkonzentriert MuseumPasseier themenkonzentriert MuseumPasseier

Wer schützt Kunst im Krieg?

Den weltberühmten Uffizien fehlte im Zweiten Weltkrieg ihre Kunst. Ein Teil lagerte ausgerechnet im Passeier.

 

Foto: MuseumPasseier

Menschen ziehen in den Weltkrieg, um Kunst zu schützen? Das scheint abwegig und notwendig zugleich. Ein Blick auf die neue Sonderausstellung, die davon erzählt, wie 293 Kunstwerken aus Florenz nach Passeier und abwechselnd in die Hände zweier Kunstschutz-Einheiten gelangt sind.

 

Von Judith Schwarz

 
 

Eine Ausstellung über den Krieg ist normalerweise nie eine schöne Sache. Unsere neue Sonderausstellung handelt von Krieg, aber auch von Kunst. Sie erzählt, wie die Schönheit der Kunst und die Schrecken des Krieges sich überkreuzen. Als wir mit der Planung der Ausstellung begonnen haben, wussten wir drei Dinge:

Es wird eine Ausstellung ohne Originale.
Damit beantworte ich jetzt schon jene Frage, die wir in den letzten Wochen am Häufigsten zu Ohren bekommen haben: Und, kriegt ihr Leihgaben aus den Uffizien?

Es wird eine Ausstellung ohne Passeirer*innen in der Hauptrolle.
Der Rahmen für diese Ausstellung ist ein viel Größerer als Passeier.  

Es wird eine Ausstellung ohne klare Beweise.
Und auch die große Frage „Wurden die Kunstwerke in Südtirol versteckt, um sie später nach Deutschland zu bringen?“ müssen wir unbeantwortet lassen.

Warum haben wir diese Ausstellung dann überhaupt gemacht?
Einmal, weil die Geschichte fast unglaublich ist: 293 Meisterwerke aus dem Palazzo Pitti und den Uffizien werden im Zweiten Weltkrieg ein knappes Jahr lang in St. Leonhard in Passeier gebunkert! Was aber noch unglaublicher ist: Die Passeirer*innen hatten die Geschichte beinah vergessen. Wer in Passeier wusste vor der Ausstellungseröffnung etwas davon? Eine großteils unbekannte Geschichte erzählen, war also ein Grund. Ein weiterer Grund war, dass wir – passend zu dieser geheimnisvollen Story – einen noch viel passenderen Ausstellungsraum haben: Nämlich die verborgenen dunklen Kellerräume beim Sandwirt, die schon viel zu lange keine Ausstellung mehr gesehen haben. Sie sind ideal, um eine Lagersituation zu inszenieren. Der Hauptgrund aber war, dass wir von der Geschichte gefesselt waren, sobald wir davon gehört haben. Es geht um ein Gerangel um weltberühmte Gemälde, die im Zweiten Weltkrieg nach Südtirol kamen und – durch Zufall – in Passeier gelandet sind. Es geht um Botticellis, Cranachs, Caravaggios: Adolf Hitler hätte sie gerne als Geburtstagsgeschenk gehabt, ein SS-General benutzte sie für Kapitulationsverhandlungen und der US-Geheimdienst fahndete nach ihnen.

Lauter aufregende Geschichten tauchten da plötzlich auf.
Und die Spannendste, fanden wir, ist eigentlich jene über den Kunstschutz selbst: Im Italien stehen sich ab 1943 nämlich nicht nur alliierte und deutsche Militärs gegenüber, sondern auch deren Kunstschutz-Teams. Auf deutscher Seite ist das der DEUTSCHE MILITÄRISCHE KUNSTSCHUTZ. Auf alliierter Seite die FINE ARTS SUBCOMMISSION. Beide Teams haben jedoch dasselbe Ziel: Die Kunstschätze im besetzen Italien zu erhalten – und den Feind als Kulturbarbaren zu denunzieren. 

Die Botschaft auf amerikanischer Seite lautete:

BÖSE DEUTSCHE STEHLEN KUNST,
GUTE AMERIKANER RETTEN KUNST.

Auf der deutschen Seite klang das dann ungefähr so:

BÖSE AMERIKANER BOMBARDIEREN KUNST,
GUTE DEUTSCHE VERSTECKEN SIE DESHALB.

Damit hatten wir einen roten Faden für die Ausstellung gefunden – und damit bin ich beim Ausstellungskonzept: Wir erzählen die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven in drei verschiedenen Räumen.

Der erste Raum

erzählt über den DEUTSCHEN MILITÄRISCHEN KUNSTSCHUTZ, der die Kunstwerke aus dem Frontabschnitt um Florenz rettet und nach Südtirol bringt.

Der zweite Raum

berichtet über die amerikanische FINE ARTS SUBCOMMISSION, die die Kunstwerke – zehn Monate später – aus den Händen der Deutschen rettet, und zurück nach Florenz bringt.

Der dritte Raum

informiert über die faschistischen Behörden, die natürlich zehn Monate lang ihre abhanden gekommenen Schätze zurückfordern, aber ohne Erfolg.

Und die Passeirer*innen? Die waren in diesem Stück nur Statist*innen.
Da ist der Feldbauern-Schneider aus St. Martin, der mehrmals über die Liertner Dorfbrücke humpeln musste, damit die Amerikaner einen authentischen Film über das Passeirer Kunstversteck drehen können. Da sind die Bauerntölpel – sie wurden wirklich so bezeichnet – die beim Umstellen der großformatigen Bilder helfen sollten – und angeblich mit den Originalen umgingen wie mit ihren Kühen. Da sind die zwei Zimmerleute, die im Theisstadl 109 Kisten gezimmert haben, in denen die Kunstwerke mit dem Zug zurück nach Florenz gebracht wurden. Und da sind die Kinder, die staunend beim Abladen der Gemälde zuschauten.

Eines dieser Kinder, Bruno Pichler (*1936) aus St. Leonhard, erinnert sich heute noch an die Amerikaner.
Er durfte mit ihnen und den Kunstwerken (aber letztere haben den Neunjährigen damals nicht interessiert) mit nach Meran fahren. Bruno ist in der Ausstellung die einzige Passeirer Stimme, die zu Wort kommt – seine erzählten Erinnerungen begleiten den Stummfilm der Amerikaner von 1945.

Was wird man noch in der Ausstellung finden?
Einige Kunstwerke, Reproduktionen, die man hier in Passeier so nah erleben und berühren kann, wie vor über 70 Jahren die Kunstschutzleute. Einige Zitate, die den Blick öffnen sollen für die Frage: Was bedeutet Krieg eigentlich für Kunstwerke? Wer schützt Kunst im Krieg? Oder auch: Wem gehört eigentlich Weltkulturerbe? Einige Schreibtische, die ganz private Einblicke geben: Welche Schwierigkeiten hatten die Beteiligten zu bewältigen, welche Erlebnisse haben sie niedergeschrieben, wie sind sie mit der großen Verantwortung umgegangen? Egal ob es ein Schreibtisch im deutschen, im italienischen oder im amerikanischen Ausstellungsraum ist – in allen Briefen oder Tagebucheintragungen klingt die eine Sorge, die eine Aufgabe, der eine Wunsch durch: Die Kunstwerke sollen erhalten bleiben.

Meine Wünsche sind:
Besichtigt die Ausstellung, vergesst danach zu fragen, wer denn jetzt die Guten waren und wer die Bösewichte, denkt in Zukunft beim Anblick von Botticellis, Cranachs und Caravaggios an das Passeier und bekommt Lust, die erhaltenen „Passeirer Gemälde“ in den Uffizien in Florenz zu besuchen.

 

PRESSEARTIKEL
DIE BAZ: Botticelli in Passeier von Josef Prantl (28.08.2018)
Passeirer Blatt: Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” eröffnet von Kurt Gufler (Oktober 2018)

UPDATES
Am 1.1.2019 rief der Direktor der Uffizien Deutschland in einem Video dazu auf, das Gemälde “Vaso di fiori” von Jan Van Huysum zurückzugeben. Auf dem Video ist die Schwarz-Weiß-Reproduktion des Blumenbildes mit der Aufschrift rubato/gestohlen/stolen zu sehen. Sie soll auf das fehlende (1944 von einem Wehrmachtsoldaten nach Deutschland verschleppte) Originalgemälde aufmerksam machen. Das Video erhielt großes Echo und wurde nicht nur von Medien in Italien und Deutschland veröffentlicht, sondern auch in Kuba, Holland, Argentinien, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Israel usw. In vielen Medien wurde fälschlicherweise behauptet, das Gemälde habe sich 1944 auf der Jaufenburg in Passeier befunden, bevor es verschwunden sei.

Am 19.7.2019 wurde das Originalgemälde von der Bundesrepublik Deutschland an die Italienische Republik zurückgegeben und mit der Reproduktion ausgetauscht.

Im Juni 2020 erhielt die Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” ein zweites Leben: Sie wurde abgebaut, umgebaut und kam nach Le Gallerie in Trient. Unter anderem ist jetzt in der Ausstellung eine Kopie der Reproduktion des “Vaso di fiori” zu sehen.

 
 
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Uffizi in Passeier

Eine fast vergessene Geschichte über Caravaggios und Botticellis in Passeier. Als Sonderausstellung.

Auch die zwei Altartafeln „Adam“ und „Eva“ von Lukas Cranach überstanden den Krieg in Passeier. Als Reproduktionen kehren sie für die Sonderausstellung UFFIZI IN PASSEIER zurück. Foto: Judith Schwarz für MuseumPasseier

 

Die Sonderausstellung widmet sich einer unglaublichen, aber dennoch fast vergessenen Geschichte, die zu ihrer Zeit die Deutsche Wehrmacht, Mussolinis faschistische Behörden und die US-Army mehr als bewegte. Es geht um Gemälde von unschätzbarem Wert, die während des Zweiten Weltkrieges in St. Leonhard in Passeier gelagert waren.

Von Judith Schwarz

 

Warum und wie kommen die Kunstwerke nach Südtirol? Warum hat man Passeier als Kunstdepot ausgewählt? Welche Meisterwerke waren darunter? Und: War es womöglich ein verschleierter Kunstraub? Ausgehend von diesen ersten Fragen rekonstruiert die Ausstellung die außergewöhnliche Episode, bei der sich Lokalgeschichte und Meisterwerke von Weltruhm verstricken.

Lokale Geschichte verstrickt sich mit wichtigen Ereignissen (und Kunstwerken) der Weltgeschichte: Die Sonderausstellung des MuseumPasseier handelt von einer unglaublichen und dennoch beinahe vergessenen Geschichte.
Foto: Ursula Ringler/ Casa Siviero, Firenze

Zeitgenössische Foto- und Filmaufnahmen versetzen die Besucher*innen ins provisorische Passeirer Kunstlager vor 70 Jahren, die gewölbten Kellerräume des Sandwirts sind hierfür die perfekte Ausstellungskulisse. Sie ähneln den Räumen des alten Gerichtsgebäudes in St. Leonhard, in denen am Ende des zweiten Weltkrieges 293 Gemälde aus den weltberühmten Uffizien und anderen Florentiner Museen rund zehn Monate lagerten.

Neben der Inszenierung des ehemaligen Kunstlagers mit Meisterwerken von Cranch bis Botticelli – drei Gemälde sind in Originalgröße reproduziert – bilden plakative grafische Elemente weitere optische Hingucker in der 150m2 großen Ausstellung.

Im Zentrum stehen jedoch die verschiedenen Perspektiven, die in drei Ausstellungsräumen mit den darin dargestellten Akteuren wechseln: Die Behörden im faschistischen Italien fordern ihre abhanden gekommenen Schätze zurück, die deutsche Militärverwaltung verteidigt ihren Kunsttransport als Rettungsaktion, die US-Army unterstreicht ihre professionelle Arbeit bei der erfolgreichen Rückführung der Meisterwerke nach Florenz.

Die Ausstellung nutzt drei Räume für drei verschiedene Perspektiven: In einem steht das frisch verheiratete Ehepaar Josef und Ursula Ringler im Zentrum. Er beaufsichtigt die Kunstwerke als Denkmalschutzbeauftragter, sie ist für die Fotodokumentation zuständig. Bildnachweis: Christof Ringler, Wien

Der amerikanische Kunstschutzoffizier Deane Keller (li.) mit seinem Chauffeur und Fotograf Charles Bernholz an einer Kehre zum Jaufenpass. Foto: Frederick Hartt. Fotonachweis: Eric Bernholz, New York

Anhand von Auszügen aus Akten, Briefen und Tagebüchern nähern sich die Ausstellungsmacher*innen den damals beteiligten Personen an – inszenierte Schreibtische mit offizieller und privater Korrespondenz legen Augenmerk auf die zu bewältigenden Schwierigkeiten, die besonderen Erlebnisse und die unvorstellbare Verantwortung im Umgang mit den Kunstwerken von Weltruhm.

UFFIZI IN PASSEIER handelt von einem provisorischen Kunstdepot in St. Leonhard, in dem vor über 70 Jahren Meisterwerke im Wert von etlichen Millionen gelagert waren. In vielen zeitgenössischen Dokumenten klingt die eine große Sorge durch: Werden die Kunstwerke erhalten bleiben? Fotonachweis: National Archives, Washington

So werden in der dreisprachig gehaltenen Ausstellung dank dieser Rahmengeschichten auch andere Fragen in den Mittelpunkt gerückt: Was bedeutet Krieg für Kunstwerke? Wer kümmert sich in Kriegszeiten um Kunst? Wem gehört Weltkulturerbe?

„Kinder und Greise und einmal sogar eine Kuhherde schauten zu, wie da die höchste Kunst enthüllt wurde!“, so berichtet eine Zeitzeugin über die Ankunft der Florentiner Meisterwerke vor dem alten Gerichtsgebäude (heute Forststation) in St. Leonhard in Passeier. Foto: Ursula Ringler. Fotonachweis: British School at Rome

Chronologie der Ereignisse

07/43
Die Alliierten landen auf Sizilien. Italien befürchtet einen Luftkrieg und leert seine Museen.
Die Kunstschätze von Florenz werden in Kirchen, Schlössern und Villen der Umgebung gebunkert.

06/44
Die Front steht südlich von Florenz.
Die faschistische Regierung will die Kunstwerke nach Norden verlagern, aber das Risiko ist ihr zu groß.

07/44
Der Krieg erreicht Florenz.
Auf Sonderbefehl der Wehrmacht räumt der Deutsche Kunstschutz die Depots. Und fährt gen Norden.

08/44
Die Alliierten besetzen die Stadt.
Die Kunstwerke erreichen Südtirol und werden in St. Leonhard in Passeier und Sand in Taufers untergebracht.

02/45
Das Kriegsende nähert sich. Der General der deutschen Wehrmacht in Italien verhandelt mit den Alliierten über einen Separatfrieden.
Italienische Partisanen helfen dem US-Geheimdienst bei der Suche nach den Kunstdepots.

05/45
Die deutsche Wehrmacht in Italien kapituliert. Amerikanische Truppen übernehmen die Verwaltung in Südtirol.
Der DEUTSCHE MILITÄRISCHE KUNSTSCHUTZ übergibt die Kunstwerke den Alliierten.

07/45
Die US-Army bringt die Kunstwerke mit dem Zug nach Florenz zurück.

Die Ausstellung “Uffizi in Passeier. Wer schützt Kunst im Krieg?” wird am Samstag, den 22.9.2018 eröffnet und ist zu den Öffnungszeiten des MuseumPasseier zugänglich.

Sonderausstellung
Uffizi in Passeier. Wer schützt Kunst im Krieg?
22. September 2018 – 31. Oktober 2019

Planungsteam  
Judith Schwarz (MuseumPasseier): Ausstellungskonzept, Texte
Albert Pinggera (design.buero): Ausstellungskonzept, Design

Finanzierung
Abteilung Museen der Provinz Bozen
Gemeinden von Passeier

Wir danken
Für die Bereitstellung der Kellerräume: Tiroler Matrikelstiftung, Innsbruck
Für Fotografien und Informationen: Artothek, Weilheim / Bernholz Eric, New York / British School at Rome / Botticini Nando, Meran / Casa Rodolfo Siviero, Firenze / Centro di Ateneo per la Storia della Resistenza, Padova / Consolati Stefano, Bozen / Franchi Elena, Trento / Institut für Zeitgeschichte München - Berlin / Keller William, West Newbury, Massachusetts / Manuscripts and Archives Yale University Library / Monument Men Foundation, Dallas Texas / National Archives, Washington / National Gallery of Art, Washington / Pichler Bruno, St. Leonhard / Ringler Christof, Wien / Ringler Jakob, Innsbruck / Schwazer Heinrich, Bozen / von Lingen Kerstin, Heidelberg
Für Leihgaben: Righi Karl, St. Leonhard / Schreibmaschinenmuseum Peter Mitterhofer, Partschins

 
 
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aufgesammelt MuseumPasseier aufgesammelt MuseumPasseier

Warum sammeln wir, was wir sammeln?

Über museumsgereiften Müll und ein fragenstellendes Schaudepot.

Foto: Judith Schwarz für MuseumPasseier

Gedanken zu museumsgereiftem Müll und einem fragenstellenden Schaudepot.

Von Judith Schwarz

 

Im Museum gibt es eine Geduldflasche. Also eine Flasche, in die Alltagsobjekte oder Miniaturszenen hineingesteckt worden sind. Stöpsel zu – gefangen – für später vakuumiert. Wäre es mit Museumsobjekten doch auch so einfach!

Sammeln ist, eine Flaschenpost in Richtung Nachwelt verschicken. Diesen Satz haben schon viele Museumsdirektor*innen zitiert. Ich wollte den abgewetzten Spruch mit einem Foto unserer Geduldflasche kombinieren. Und damit bequem zu einem mittelmäßigen Titelblatt für meinen Vortrag am Südtiroler Museumstag 2018 kommen. Einen Vortrag über „das Sammeln“ des MuseumPasseier, das als Best-Practice-Beispiel angekündigt werden sollte.

Nun denn, ich habe die Geduldflasche nicht gefunden. Das sagt natürlich einiges aus über unsere professionelle Sammlungsarbeit. Es gibt zu diesem Objekt nicht nur kein Foto. Auch der Eintrag unter „aktueller Standort“ ist alles andere als aktuell – sonst hätte ich die Geduldflasche ja schnell holen und fotografieren können. Damit blieb nur noch die systematische Suche in unserem tadellos aufgeräumten Museumsdepot. Irgendwann endete mein Geduldfaden. Und damit auch die vage Hoffnung, dass unsere Sammelpraxis als Erfolgsrezept überzeugen könnte.

Also zum Thema: Warum sammeln wir, was wir sammeln? Gemeint ist nicht, warum der Mensch im Allgemeinen sammelt, mit Vorliebe Dinge aus alter Zeit. Sondern: Warum sammelt das MuseumPasseier, was es sammelt? Wenn man es knapp zusammenfassen will, haben wir drei Sammlungen.

Eine Sammlung zu Andreas Hofer. Knapp 100 Andreas-Hofer-Objekte, die wir als MuseumPasseier übernommen haben vom ehemaligen Andreas-Hofer-Gedenkraum am Sandhof. Zuzüglich etwa 500 Andreas-Hofer-Objekte, die wir seit Bestehen des MuseumPasseier gezielt angekauft haben. Sieht man von einigen wenigen Hoferkitsch- und Hoferkommerzartikeln ab, die wir jährlich aufstöbern, sehen wir – vor allem aus Budgetgründen – die Sammlung als so gut wie komplettiert an.

Die Sammlung zum Thema Held*innen der heutigen Zeit. Die benötigen wir für unsere Dauerausstellung „Helden & Wir“, die wir 2013 eröffnet haben und in der es um heutige Vorbilder, Stars und Held*innen geht. Hier konnten wir auf keinen Grundstock zurückgreifen und beschlossen, gezielt zu sammeln. Konkret heißt das: Wir möchten gezielt sammeln, es gelingt uns aber nicht bzw. nur bedingt: Wir schreiben heutige Held*innen, Stars Vorbilder an und bitten sie um Leihgaben oder Schenkungen: Es braucht viel Hartnäckigkeit und vor allem gute Kontakte, am besten beides, um hier Zusagen zu erhalten. Diese Sammlung wächst sehr, sehr langsam: Ein bis zwei Objekte pro Jahr.

Und dann ist da noch unsere Volkskundesammlung. Ein Altbestand an rund 600 Objekten, gesammelt seit den 70er Jahren von Mitgliedern des ehemaligen Heimatmuseums in St. Martin in Passeier, von welchem wir die Bestände übernommen haben. Und die in den knapp 20 Jahren seit Bestehen des MuseumPasseier um nochmal zirka 1.000 Objekte angewachsen ist.

Man kann es auch so sagen: Wir haben nicht gesammelt. Es hat sich gesammelt.

Eine Pensionistin will ihre Heiligenbilder und Wallfahrtandenken dem Museum vermachen, denn ihre Enkelkinder haben kein Interesse und etwas Geweihtes darf man nicht wegwerfen. Und das Museum hat ihr natürlich den Gefallen getan.

Ein Jungbauer hat den Hof und damit auch eine Entscheidung geerbt: Soll er beim Umbau oder Neubau den alten Krempel in Dachboden, Keller und Stadel aufbewahren oder wegwerfen? Und er reicht die Entscheidung ans Museum weiter – mit einem gewissen drohenden Unterton: Wenn ihr es nicht nehmt, „når håkk i s zåmm“ (wird es Brennholz). Und das Museum hat den Krempel natürlich vor dem Feuer gerettet. 

Am Morgen, wenn die Museumsmitarbeiter*innen ihre Arbeit beginnen, finden sie vor der Museumstür eine Kiste mit Werkzeug und alten Arbeitsgeräten. Offenbar hat sich ein guter Mensch eine gute Tat erlaubt. Und das Museum hat natürlich die Findelkinder übernommen.

Wer hat es bemerkt? Wir haben ein großes Herz. Und kein Sammelkonzept. Vielleicht ist es die Emotionalität, die Volkskundeobjekten – möglicherweise mehr als Hofer-Devotionalien – anhaftet? Vielleicht ist es der Eindruck der Unbegrenztheit bei Volkskundeobjekten, während Hofer-Reliquien – Gott sei Dank – begrenzt sind? Auf alle Fälle hat es aber mit der Botschaft zu tun, die wir als Museum vermitteln: Bringt uns, was euch wichtig ist – das Museum sammelt es!

Dann haben wir unsere Volkskunde-Ausstellung neu ausgerichtet. Bis 2015 war sie eine klassische Volkskundeausstellung, wie sie in den meisten alpenländischen Tal- oder Heimatmuseen zu finden ist. Ihr Verdienst bestand darin, dass sie viele Alltagsobjekte, die vor dem Verschwinden gerettet worden waren, ausgestellt hat.

Nun bekam die Volkskundeabteilung ein neues Überthema. Zum Ausgangspunkt wurden die Psairerinnen und Psairer selbst. Hierfür konnten wir auf etliche Objekte aus unserer Sammlung zurückgreifen. Einen Teil aber haben wir neu gesammelt bzw. neu sammeln müssen.

Die Ausstellung fragt (natürlich mit einem Augenzwinkern): Was macht den Psairer zum Psairer? Von außen gesehen ist es die Passeirer Tracht. Einerseits ein klassisches Objekt für eine Volkskundeausstellung, fast ein Pflichtobjekt. Auf der anderen Seite identifizieren sich heute nur sehr wenige Passeirer*innen über die Tracht. Verwenden aber gleichzeitig fleißig die Bilder der Schützen und Schildhofbauern in Tracht, z.B. für die Tourismuswerbung. Wie sollte also eine nur auf die Vergangenheit gerichtete Perspektive genügen? Auch an Objekten zur Volksfrömmigkeit besitzen wir natürlich die üblichen klassischen. Wie aktuell sind sie heute? Auf einer Passeirer Alm haben wir im Herrgottswinkel einträchtig zwischen Heiligenfiguren und Wallfahrtsandenken einen Buddha gefunden. Auch er gehört jetzt zu unserer Volkskundesammlung. Uns ist bewusst, dass wir damit nicht nur neue Objekte sammeln, sondern mit ihnen auch Bedeutungen aufheben. Das ist sehr fragmentarisch, auch zufällig, aber vielleicht gerade deswegen plausibel. Auf der anderen Seite – das ist das Dilemma – konstruieren wir diese besonderen Bedeutungen neu, indem wir sie im Museum präsentieren. Ein paar Beispiele:

Hoppe-Griff. 2013 wurde nach über 40 Jahren das Werk der Hoppe AG in St. Martin in Passeier geschlossen, eine Türklinge aus der letzten Passeirer Produktionsserie haben wir ins Museum gebracht.

Heuprofi. Im selben Jahr hat ein Passeirer Schmied einen Aufsatz erfunden, der aus Mähmaschinen Rechenmaschinen macht – er verkauft sie an Bauern aus ganz Südtirol, eine haben wir ergattert.

Fussball. 2014 hatte die Deutsche Nationalmannschaft ihr WM-Trainingslager in Passeier, über das Touriseum haben wir einen DFB-Fußball mit den Unterschriften der Elf bekommen.

Dreiradler. In Passeier gibt es eine Ape-Szene, vor allem Jugendliche tunen ihre Dreiradler – inzwischen hat es sich etwas gewandelt, mehr hin zu einer Vespa-Szene. Einen halben Dreiradler – eigentlich so nur mehr ein Einradler – haben wir in der Ausstellung an die Wand gehängt.

Eine Volkskundeausstellung, in der fast zur Hälfte zeitgenössische Stücke gezeigt werden? Davon zeigten sich die Besucher*innen durchwegs überrascht: Eine Volkskundeausstellung, bei der man nicht schon vor Betreten weiß, welche Objekte man zu sehen bekommen wird. Andererseits: Wie können wir – sagen wir – ernsthafte Volkskunde-Liebhaber*innen zufrieden stellen? Oder auch Menschen, die uns ihre Objekte geben, und sie dann nicht ausgestellt vorfinden?

Die Idee für ein Schaudepot entstand. Das Gebäude hatte bereits ein abgeteiltes Depot, das wir vor zehn Jahren angelegt hatten, weil unser eigentliches Depot zu klein geworden war. Die Betonwände, die Neonlampen, die Regale – es wurde so belassen wie es war. Nur ein bisschen mehr aufgeräumt haben wir. Es ist der Raum hinter der Volkskunde-Ausstellung, also die Sammlung steht hinter der Ausstellung. Man betritt die Ausstellung und sieht die schöne Präsentation, die Ausstellung, in der alles erklärt und aufbereitet ist.

Das Schaulager ist nur Backstage, die Rumpelkammer dahinter. Hier – scheint es – wurde nichts gemacht, außer Regale mit Objekten vollgestopft. Nicht jede*r mag nach der inszenierten Ausstellung weiter gehen, mag tiefer gehen. Andererseits ist es das Bild, das wir mit einem Lager verbinden: Die verborgenen Schätze hinter verschlossenen Türen. Besucher*innen haben nun Zutritt zu diesem Raum, auf dessen Tür normalerweise „Kein Zutritt“ stehen würde – und können stöbern, rätseln (wir haben die Objekte nicht beschriftet) und auch In-alten-Zeiten-schwelgen.

Es war nicht beabsichtigt: Das versteckte Schaudepot wurde zum Herzstück der Ausstellung. Und was man oft vergisst: Letztlich ist jedes Schaudepot genauso eine kuratierte Ausstellung. Der Zweck des Schaudepots ist es zwar, Depot zu sein. Zugleich zeigen wir aber auch unser Sammeln. Die Objekte werden sichtbar gemacht, aber auch unsere Sammelpraxis. Und damit waren wir nun an dem Punkt angelangt, an dem wir uns mit unserem (nicht vorhandenem) Sammelkonzept auseinandersetzen wollten und mussten.

Mit der Planung des Schaudepots haben wir unser Sammeln erstmals bewusst hinterfragt. Und diese Erkenntnisse – eigentlich sind es Fragen, die wir uns gestellt haben – haben wir den Besucher*innen nicht vorenthalten. Wir haben sie zum eigentlichen Thema des Schaudepots gemacht. Die Fragen tauchen im Schaudepot als einzige Beschriftungen auf, im Stil von Lageretiketten.

Weiß das Museum, was ihm fehlt? Das war eine erste wichtige Frage: Im Schaudepot steht sie in einem leeren Regal. Was haben unsere Vorgänger nicht gesammelt? Was vergessen wir zu sammeln – wollen wir nicht sammeln – können wir nicht sammeln? Ist uns bewusst, wie einseitig und lückenhaft unser Bild von der Vergangenheit ist? Lückenhaft, weil sich nicht alles gleich gut sammeln ließ oder lässt. Weswegen wir viele Objekte aus Eisen und Holz haben, aber wenige Objekte aus Glas oder Stoff.

Sollte man ein Depot nicht größer planen? Oft scheitert der Sammelwille an banalen Dingen, wie beispielsweise der Depotgröße: Eine Sammlung von 100 Hosenknöpfen oder eine Sammlung von 100 Kleiderschränken unterzubringen, ist ein Unterschied. In unserem Schaudepot steht das Kärtchen mit dieser Frage auf einem Schrein, dahinter eine gotische Stubenwand, die das Museum beim Abriss eines alten Bauernhauses erhalten hat. Wo sollten wir weitere Wände oder Schreine unterbringen? Gar nicht, wir haben keinen Platz.

Warum nur Holzrechen, und keine Plastikrechen? Die Einseitigkeit unserer Sammlung wurde uns auch anhand anderer Bereiche bewusst. Warum haben wir sieben Nähmaschinen, aber keine Mähmaschine? Warum sammeln wir zig Holzrechen, aber keine Plastikrechen? Wer hatte ein Faible für Spannsägen, so dass wir heute 32 Spannsägen besitzen? In unserem Fall haben wir uns die „Ehrfurcht“ vor dem Sammelkonzept unserer Vorgänger zunutze gemacht, sprich: die Tatsache, dass wir nicht „entsammeln“ wollen: Wir stellen die 32 Spannsägen im Schaudepot aus mit den Fragen: So viele? Genügte nicht eine?

Wer bestimmt überhaupt, was gesammelt wird? Interessanterweise eine Frage, die sich Besucher*innen selten stellen. Dazu präsentieren wir in einer ausgeleuchteten Vitrine im Zentrum des Schaudepots ein beliebiges, nicht besonders altes oder kostbares oder seltenes oder symbolträchtiges Objekt. Daneben, in einer Art Wühlkiste, liegen weitere solche Objekte, ungeschützt.

Wer hat entschieden, welches Objekt ausgestellt wird? Welches einen Ehrenplatz in einer Ausstellung erhält und welches im Lager verschwindet? Wer bestimmt überhaupt was ein Museumsobjekt ist? Wer wählt diesen Bruchteil von dem, was einmal im Gebrauch war und im Museum Platz findet aus – und entscheidet über den Rest: den Müll?  

Was ist der Unterschied zwischen Müll und Museumsobjekt? Die Dinge, die wir heute benutzen oder wegwerfen, sind ja nicht in einer Zeitkapsel, sind nicht eingefroren und warten, bis sie von Museumsleuten später aufgetaut werden. Es ist umgekehrt. Erst in dem Moment, wenn sie ins Museum kommen, bleibt die Zeit stehen, wird ihnen keine Funktion, kein Gebrauch und keine Weiterentwicklung bis zum Vergehen mehr zugemutet. Erst jetzt frieren wir die Geschichte ein, um sie der Nachwelt erhalten zu können.

Wir haben Passeirer Müll aus dem Jahr 2005 im Museum „eingefroren“. Und ihm Passeirer Müll aus dem Jahr 2015 gegenübergestellt. Wie traditionell ist der Psairer Müll? Unterscheidet er sich vom Müll anderer Täler? Nein, oder? Und doch müssen wir uns eine weitere Frage stellen.

Was ist vom heutigen Psairer Müll morgen museumsreif? Alles können wir nicht sammeln, das ist klar. Jemand muss die schwierige Aufgabe übernehmen, den Müll zu filtern. Auswählen, interpretieren und damit historische Überlieferung gestalten. Wobei wir wieder beim genannten Dilemma wären. Übrigens: In diesen Regalen geben Besucher*innen gerne auch ihren Müll ab – das ist nicht beabsichtigt, aber nett. Zum Beispiel eine Fahrkarte der Hirzer-Seilbahn. Wer weiß, ob die mal ein wichtiges Zeitdokument wird?

Noch etwas zum Thema Müll: Beim Durchstöbern unseres Museumslagers haben wir einige neue Ausstellungsstücke gefunden, die wir längst gesammelt hatten, ohne es zu bemerken: Zum Beispiel den Karton, in dem die alten Objektbeschriftungen des ehemaligen Heimatmuseums aufbewahrt wurden. Eigentlich wären sie Müll, so wie man gelaufene Ausstellungen abbaut und entsorgt.

Jemand hat mal gesagt, sammeln hat auch mit Vergessen zu tun. Hier ist es wörtlich zu verstehen. Wir haben die alten Objektbeschriftungen nicht gesammelt, wir haben sie einfach nicht entsorgt. Und dann vergessen. Heute ist der Karton, so wie er 1995 in unserem Lager untergetaucht ist, im Schaudepot ausgestellt. Und da wir im Schaudepot bewusst keine Objekte beschriftet haben, macht der Karton mit den alten Objektbeschriftungen unter anderem auch das zum Thema. Objektbeschriftungen: Sind sie Hilfe, Pflichtübung oder Fantasiekiller?

Keine Ahnung, was das ist. Dieses Schild zeigt nicht nur, dass auch (gerade?) ein Museum nicht alles weiß. Es zeigt, dass ein Objekt auch den umgekehrten Weg gehen kann: Ein Museum sammelt einen Gegenstand und gibt ihm eine Bedeutung – und einige Jahrzehnte und Museumsdirektor*innen später, wird aus dem Museumsobjekt wieder ein Gegenstand, dessen Bedeutung man nicht kennt.

Wir sollten also nicht aufhören, Fragen an jene Dinge zu stellen, die uns im Alltag umgeben: Vielleicht ist das nächste tolle Museumsobjekt darunter. Und wir sollten nicht aufhören, Fragen an unsere bereits gesammelten Objekte zu stellen – die wir oder unsere Vorgänger*innen – warum auch immer – ins Museum gestellt haben.


Diesen Text hat Judith Schwarz ursprünglich im Rahmen des Südtiroler Museumstages am 12.11.2018 im Noi Techpark in Bozen vorgetragen. Für diesen Blogbeitrag hat sie ihn etwas verändert.

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nachgeforscht MuseumPasseier nachgeforscht MuseumPasseier

Wie viel sind 700 Jahre?

Viel Zeit zum Abschreiben, Zuschreiben, Umschreiben. Vielleicht haben wir deshalb die Hofgeschichten der Schildhöfe gezeichnet.

Illustration: Fabian Frötscher

Wir haben es als Text probiert, wir haben es mit Tabellen versucht, aber ganz ehrlich: Wir sind fast verzweifelt. Der Versuch, 700 Jahre Hofgeschichte für zehn nicht ganz gewöhnliche Höfe aufzuzeigen.

 

Text: Judith Schwarz. Bildergeschichten: Albert Pinggera

 
 

Im Grunde könnte jede einzelne Hofgeschichte ein ganzes Buch füllen. Unsere Aufgabe aber war, die Hofgeschichten von zehn Passeirer Schildhöfen in nur einem Buchkapitel darzustellen. Nun bleibt ein Hof ja nicht 700 Jahre lang derselbe, er bleibt auch nicht an derselben Stelle, er behält nicht ständig denselben Namen und er teilt sich – manchmal sogar mehrmals. Irgendwann begannen wir mit Skizzen und Zeichnungen, die design.buero in Grafiken ausarbeitete. Und allmählich bekamen wir etwas Durchblick.

Wenn die folgenden Illustrationen also linear und simpel daherkommen, dann täuscht das.
Diese Bildergeschichten haben uns unmöglich viele Umwege beschert, die wir uns hätten sparen können. Aber wir glauben, die stark vereinfachten “Comic”-Abfolgen machen sich bezahlt. Weil sie eine Unmenge an Informationen beinhalten, die wir als Text nie so spannend und platzsparend hätten bringen können.

Nichts ist interessanter, als die verstrickten Besitzverhältnisse der Anderen.
Somit gehe ich davon aus, dass sich auch Außenstehende für die Schildhofgeschichten interessieren. Im Folgenden ein paar Beispiele, um zu zeigen, wie man diese Bildergeschichten „lesen“ kann. Gleichzeitig erklärt sich dabei wunderbar die Entwicklung der Schildhöfe im Allgemeinen.

Die klassische Schildhofgeschichte verläuft so:

1317 haben wir einen Hof in Passeier, der nicht etwa 1317 neu erbaut wurde, sondern den es schon gibt.

Dieser Hof gehört dem Landesfürsten von Tirol, er ist der Eigentümer. Natürlich hat er das Land Tirol nur vom König erhalten und der wiederum von Gottes Gnaden sozusagen. Bei allen Schildhofgeschichten finden wir für kurze oder lange Zeit die Krone des Landesfürsten über den Höfen.

Der Landesfürst verleiht (nicht ohne Hintergedanken) seine Besitzrechte und Nutzrechte weiter. Der Landesfürst bleibt Eigentümer, der Privilegierte (der den Hof als Leihe, also als Lehen, erhält) wird Besitzer. Oder anders gesagt: Der Landesfürst ist Lehnsherr, derjenige mit dem Schlüssel in der Hand ist Lehnsträger.

Die Nachkommen dieser Privilegierten sterben aber nach einigen Generationen aus. Ab 1400, bei einigen Schildhöfen auch später, gibt es andere Familien als Lehnsträger auf den Höfen. Meist sind es nun Adlige, in der Bildgeschichte sind sie an Kleidung und Frisur erkennbar. Wenn wir also manchmal hören, die Schildhöfe hätten Adligen gehört, dann stimmt das zwar nicht für die erste Zeit um 1317, aber für das Spätmittelalter um 1500 sehr wohl. Diese Adligen leben meist nicht auf den Schildhöfen, sondern verpachten sie an Bauern. Wir haben also: Den Landesfürsten als Eigentümer, den Lehnsträger als Besitzer und den Bauern als Pächter auf einem Schildhof.

Irgendwann erhalten die Lehnsträger bzw. die Pächter die Höfe. Wir sehen, es steht nun kein Landesfürst oder Lehnsherr mehr drüber und der Bauer, der bislang nur Pächter war, hält nun die Urkunde in Händen und ist Eigentümer des Hofs. Bei einigen Schildhöfen passierte das früher, bei den meisten jedoch erst im 19. Jahrhundert. Das ist gar nicht so lange her.

Der nächste Schritt passiert ebenfalls im 19. Jahrhundert. Die Schildhofbauern treten mit Schild und Hellebarde auf und verwalten ab dem 20. Jahrhundert als Fischereiinteressentschaft gemeinschaftlich ihr Fischereirecht für die Passer und deren Nebenbäche.

Wieviel sind 700 Jahre? Viel Zeit, um sich seinen Hof imposant herzurichten.
Einen Turm dazu und man symbolisiert (den Wunsch nach) Macht. Rotbemalte Zinnen wirken mittelalterlich. Eine Stuckdecke erinnert an adelige Zeiten. Saltaus fällt zwar auf, ist aber untypisch für einen Schildhof. Den Tourismus störts nicht. Schildhof verpflichtet.

Saltaus kann mit einer beeindruckenden Liste aufwahrten: Bauernhof, Zollstätte, Schildhof, Gastwirtschaft, Schulhaus, Gemischtwarenhandlung, Seidenraupenzucht und heute Hotel **** Saltauserhof. Abgesehen davon wird der auffallende Schildhof, der erste am Eingang ins Passeier, mit Abstand am öftesten fotografiert.

Wieviel sind 700 Jahre? Viel Zeit, um auszusterben.
Von den Familien der ersten sieben Privilegierten ist das Geschlecht der Steinhauser Rekordhalter: Es überlebt bis um 1450. Mehr Ausdauer haben die Geschichten über Kreidefeuer, Verliese und Geheimtunnel gezeigt. Legenden leben länger!

Ein Hof. Ein Hofname. Ein Schildhof.
Das ist Steinhaus. Während andere Schildhöfe umherwandern, sich teilen, vierteln und ihre Namen wie Socken wechseln, bleibt Steinhaus.

Wieviel sind 700 Jahre? Viele Möglichkeiten der Veränderung.
Auch Landschaft muss sich verändern. 1317 lagen Puchach und Buchenegg wohl in Talmulden – bis die Kellerlahn kam. Die Höfe wurden neu aufgebaut auf sicheren Hügeln, die längst nicht mehr Hügel sind. Oubrpueche und Hoofner liegen heute – zwischen neuen Lawinenkegeln – wieder in einer Talmulde.

Bei Buchenegg ist es im Laufe von 700 Jahren zu etlichen Hofteilungen gekommen. Das neue Bauernhaus Hoofner führt nun die Bezeichnung Schildhof, besitzt aber keine Fischereirechte mehr. Dafür haben Gadenacker und Neu-Gadenacker je ein halbes Fischereirecht.

Wieviel sind 700 Jahre? Viel Zeit, um Namen zu ändern.
Zu groß die Eitelkeit neuer Besitzer, den eigenen Namen zum Hofnamen zu machen. Zu eingängig die Erfindungen und Verballhornungen der Umgangssprache. Haupold hingegen zeigt: Der Vorname des Privilegierten von 1317 hat sich 700 Jahre lang als Hofname gehalten. Im folgenden Beispiel allerdings wechselt nicht nur der Hof seinen Namen, sondern auch der Name den Hof.

Der Endhof. Gemeint ist der (von der Jaufenburg aus gesehen) derender ent gelegene Hof. Da kann man jetzt rätseln, welcher Schildhof das sein könnte.

Hier die Auflösung: 1508 haben die Gebrüder Happ den Hof als Lehen inne und nennen ihn Happerg. Nun kennen wir alle den Hof bzw. meinen ihn zu kennen.

Es folgen die Fuchs von Fuchsberg als Lehnsträger, die den Hof an einen gewissen Kolber verpachten. Und, man ahnt es, der Hof wird nun umgangssprachlich Kolber genannt. Der ursprüngliche Schildhof Happerg ist also beim heutigen Kolberhof zu suchen.

Eine neue Behausung wird gebaut, dort zieht der Pächter Kolber ein, auf diesen Hofteil geht der Namen Happerg über. Happerg ist also ein Ausbruch von Happerg.

Heute wird das alte Happerg Kolber und das neue Happerg (nach seinem neuen Besitzer) beim Fauner genannt. Und ist damit ein schönes Beispiel, wie kurzlebig Hofnamen sein können.

 

Mehr Bildergeschichten im Buch:
MuseumPasseier (Hrsg.): Die Schildhöfe in Passeier. verlag.Passeier 2017. 180 Seiten, 17 Euro. ISBN 978-88-89474-242.

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Die Schildhöfe: Richtig oder falsch?

Ihr Kennzeichen sind die Türme und Mussolinis Geliebte lebte auf einem. Stimmt das wirklich?

Anlässlich des Jubiläums 700 Jahre Schildhöfe Passeier arbeitete das Museum deren lange und verworrene Geschichte von 1317 bis 2017 in einer Publikation auf. Eine Auswahl an sieben Fragen und Antworten aus dem neuen Buch.

Von MuseumPasseier

 

Es war einmal die Idee zu einem Fragenbuch über die Schildhöfe in Passeier. Also haben wir die Leute gefragt „Was wollt ihr über die Schildhöfe wissen?“. Und wir haben die Schildhöfler gefragt „Was wisst ihr noch nicht über die Schildhöfler?“. Zusammengekommen sind 136 Fragen, von denen es knapp die Hälfte in die Publikation geschafft haben. Die haben es allerdings in sich, denn sie werden begleitet von Fotografien, Illustrationen oder sogar Bildergeschichten. Einige Fragen sind Richtig-oder-falsch-Fragen. Sieben davon gibt es hier zum Testen:

  • Falsch! Schildlehen und Schildhöfe sind im 14. und 15. Jahrhundert auch in anderen Landstrichen Tirols nachzuweisen: Schiltherrn zu Kunigsperg (Königsberg/Montereale, bei San Michele) bzw. acht oder zehen nachpawrn mit freyen schiltlehen bei der Burg Belasi im Nonsberg. In Kronmetz (Deutschmetz/ Mezzocorona) ist der Suntaghof mehrfach als Schildhof belegt.

  • Richtig! Wir dürfen uns allerdings von unserem modernen Wortverständnis nicht irreleiten lassen. Der Kellner oder Kellerer (lat. caniparius, von canipa = Keller) hatte nichts mit der Gastronomie zu tun. Vielmehr war er der Verwalter des landesfürstlichen Kellers und der dafür bestimmten Naturalabgaben.

  • Falsch, nicht alle hatten eine turmartige Baugestalt. Als mittelalterliche Wohntürme zeigten sich die Höfe am Eingang in das Passeier, nämlich Saltaus, Baumkirch und Lanthaler. Auch für Granstein und Gereut soll ein Turm überliefert sein. Der Rundturm von Steinhaus entstand erst in spätgotischer Zeit, vorher war Steinhaus nie turmförmig gestaltet, genauso wenig wie der Kolberhof und Gomion. Ihr mittelalterlicher Baukern hatte einen einfachen quadratischen oder rechteckigen Grundriss und reichte nur über zwei Geschoße. Somit unterschieden sie sich nicht von der restlichen dörflichen Bauweise. Die Frage kann also ganz klar mit nein beantwortet werden.

  • Falsch! Der Steuerkataster von 1694 führt die Jaufenburg ebensowenig als Schildhof wie der Grundsteuerkataster von 1777/78. Bereits ein im Marienberger Archiv verwahrtes Gutachten von 1598 vermerkt ausdrücklich: das schlosß Jaufenburg wirdet nit fir ain schilthof verlichen, sunder wirdet in lechen prieff genanndt de vessten am antrit des Jauffens, das ist nun merer als ain gemainer schilthoff. Lediglich eine Denkschrift des Passeirer Gerichtsanwalts Hans Kofler von 1723 rechnet Jauffenburg zu den Schildhöfen. Jaufenburg steht letztlich aber für den Schildhof Widersicht, wie sich einem Akt zum Fischereirecht der Schildhöfe von 1756 entnehmen lässt, wo vom Schild-Hof Widersicht oder Schloß Jaufenburg die Rede ist.

  • Dies ist zwar nicht auszuschließen, aber eher unwahrscheinlich. Auch scheint die topographische Lage einiger Schildhöfe hierfür wenig geeignet. In Tirol gab es bereits im 15. Jahrhundert Signalfeuer, um den militärischen Zuzug aufzubieten. Der Ausdruck Kreid(en)feuer hierfür taucht erstmals 1487 in Bozen aus. Der Begriff kommt wohl vom Lateinischen quiritare, einen Hilferuf erschallen lassen (vgl. ital. gridare). 1505 waren die Burgfrieder von Schloss Tirol angehalten, bei Kriegsgefahr mit Mannschaft bei den kreidfeurn zu sein. Nach dem Landlibell von 1511 erfolgte die Alarmierung nicht durch Feuersignale, sondern mittels Glockenstreich (gloggenstraich). Die gedruckte Tiroler Kreidfeuerordnung von 1647 kennt keinen Punkt in Passeier, an dem bei „gemeinem Landalarm“ ein Warnfeuer entzündet worden wäre. Diese waren vielmehr auf die am stärksten gefährdeten Einfalllinien konzentriert. Die Punkte, die Passeier räumlich am nächsten lagen, waren Rabland, Schloss Tirol und St. Hippolyt bei Tisens. Das Alarmsystem mittels Kreidfeuern wurde in Tirol mit der Zuzugsordnung von 1714 abgeschafft und durch Meldereiter ersetzt.

  • Richtig! Eine Gruppe von Fachleuten erstellte Anfang der 1940er Jahre im Auftrag der “Arbeitsgemeinschaft der Optanten” (AdO) Grundrisse, Schnitte und Ansichten von „nicht verpflanzbaren“ Bauernhöfen in Südtirol. Unter unvorstellbarem zeitlichem und personellem Arbeitsaufwand wurden vom Lageplan der Höfe bis hin zu aussagekräftigen Details zahllose bauliche Situationen festgehalten. Die Pläne waren gedacht als Basis für die Aufbauarbeit eines geschlossenen Siedlungsgebietes in der neuen Heimat, was sich aufgrund der politischen Ereignisse aber erübrigte. Auch der Bauzustand der Schildhöfe Baumkirch, Steinhaus und Psairer wurden zu diesem Zweck von der AdO dokumentiert.

  • Richtig, allerdings nicht in Passeier! Um 1907 ließ Gräfin Erdödy aus Ungarn in der Haslergasse (heute Naifweg) in Meran/Obermais einen Ansitz erbauen und nannte ihn Schildhof, wahrscheinlich in Anlehnung an die Passeirer Schildhöfe. 1943 erwarb Marcello Petacci die Villa und zog mit seiner Familie ein. Auch seine Schwester Claretta Petacci lebte kurzzeitig auf dem Schildhof, bevor sie - die Geliebte Benito Mussolinis - an den Gardasee übersiedelte und 1945 ermordet und neben der Leiche Mussolinis kopfüber aufgehängt wurde.

 

Mehr Fragen und Antworten im Buch:
MuseumPasseier (Hrsg.): Die Schildhöfe in Passeier. verlag.Passeier 2017. 180 Seiten, 17 Euro. ISBN 978-88-89474-242.

 
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Ein neues altes Gebäude

Einen alten Baum verpflanzt man nicht – ein altes Gebäude bisweilen schon.

Foto: MuseumPasseier

Einen alten Baum verpflanzt man nicht – ein altes Gebäude bisweilen schon. Schließlich ist die Versetzung oft die einzige Chance, es zu erhalten. Im Freilichtbereich des MuseumPasseier finden sich neun translozierte Gebäude. Das zehnte kam jetzt dazu.

 

Von Judith Schwarz

 
 

Das neue alte Objekt steht seit einigen Wochen im Museum: Es ist eine kleine Werkstatt, eine Paschglhitte oder – wie die ehemaligen Besitzer das Häuschen nennen – ein Werkl. Zuweilen fällt auch das Wort Miilele, obwohl der Holzbau außer dem Wasserrad nichts mit einer Mühle gemeinsam hat.

Ausgikopft und erbaut hat die 5m² kleine Hütte der Weger Gfrillner Franz unterhalb der Stroabmer-Säge im Grafeistal. Als jedoch in den 1950er Jahren eine Lawine dem Gebäude zu nahe kam, versetzte sie der Franz zum Soalerhof auf Kofl (Mörre). Vor 15 Jahren übertrug man das Gebäude dann zur Hofer-Säge in Quellenhof, wo sie noch von Luis und Alberich Weger für einige Arbeiten verwendet wurde. Als heuer die Erben Walter, Hubert und Erwin die Werkstatt samt Inhalt dem Museum schenkten und die Stiftung Südtiroler Sparkasse, die Gemeinden St. Leonhard und St. Martin sowie das Land Südtirol finanzielle Unterstützung zusicherten, trat die Hütte ihre dritte Reise an in das Freilichtmuseum am Sandhof.

Baulich könnten sich Architekten von Mehrzweckgebäuden viel von der Paschglhitte abschauen: So etwa den Ideenreichtum, um sich mit Fourtl (Know-How) Arbeiten zu erleichtern oder die optimale Platzausnutzung auf kleinstem Raum. Exakt 2,20 x 2,10 Meter im Grundriss misst der Bau und beherbergt eine Soalwinte (Seilwinde), zwei Schleifsteine, eine Puenderståmpfe (Knochenstampfe) und zu guter Letzt eine Draanpånk zum Drechseln, die auch zum Holzschneiden und Schmirggln verwendet werden kann. 

Etliche Hebel dienen zum „Ein- und Ausschalten“, verschiedene unförmige Holz- oder Eisenteile zum Regulieren, Fixieren oder Ookuppln und ein scheinbar achtlos an die Wand gelehntes Vierkantholz ist die unentbehrliche Bremse: Nachdem man Luis Weger einige Zeit beim Erklären und Vorführen zugesehen und zugehört hat, ahnt man, dass alle „Maschinen“ über Drähte oder Wellbäume oder Riemen miteinander verbunden sind.

Und dass an alles gedacht wurde – falls der Riemen bricht, gibt es eine Feder de zuicht die Bremse unter den Wällpaam innin, wenn der Wasserdruck zu gering ist, wird die Öffnung der Diise verkleinert, wenn am Drechselholz Maß genommen werden muss, wird auf die Leerscheibe gelenkt und um die Håschpl abzustellen, wird die Oolenkschaufl angelassen.

Um den Museumsbesucher*innen diese „bäuerliche Ingenieurskunst“, die auch eines der Kernthemen in der Ausstellung „Miër Psairer“ ist, näher zu bringen, braucht es mehr als Beschriftungen. Daher soll das Wasserrad in Zukunft ab und zu in Schwung gesetzt und die verschiedenen Arbeiten in der originellen Werkstatt vorgeführt werden. Damit man sich davon überzeugen kann, dass die Passeirer immer schon Tüftler und Paschgler waren.

Mit dem Kran hochgehievt und nach 10 Minuten Fahrt im Museumsgelände abgesetzt. Noch nie ist die Versetzung eines historischen Gebäudes ins MuseumPasseier so schnell vonstattengegangen.

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Zoderers Geschenk

Josef Zoderers Geschenk an das MuseumPasseier

Josef Zoderer: Einen schwarzen Hut auf dem Kopf – und einen verschenkt. Foto: MuseumPasseier

Der Schriftsteller Josef Zoderer feierte kürzlich seinen 80. Nun schenkt er uns etwas.

 

Von Albin Pixner

 
 

Ein mittelgroßer Mann mit schwarzem Hut öffnet die Eingangstür zur ehemaligen Direktorenvilla der Lodenmanufaktur Moessmer in Bruneck. Er wirkt freundlich, einladend, nicht so unnahbar-distanziert, wie ihn die Zeitungen und Zeitschriften zeigen, die sich in den letzten Wochen anlässlich seines 80. Geburtstages in zahlreichen belobigenden und kritischen Artikeln mit ihm und mit seinen Werken auseinander gesetzt haben. Mit ihm, dem wohl bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller aus Südtirol, Joseph Zoderer.

Bereitwillig-höflich und mit einem gewissen Stolz auf das Erreichte zeigt er die fünf Zimmer. Fünf Räume, in denen der Blick schnell auf die Wände gelenkt wird, die voll beklebt sind mit den ausgedruckten Blättern seiner wichtigsten geplanten Romane. Zoderer selbst schreibt ja alles noch mit einer Füllfeder und eine Studentin überträgt seine nicht unbedingt leicht lesbaren literarischen Ergüsse auf den Computer.

„Die Ideen fließen so leichter von der Hand“, behauptet der Autor und erst aus dem Wirrwar von Texten an der Wand wird die endgültige Fassung seiner Werke zusammenmontiert. Joseph Zoderer hat auf eine Anfrage des MuseumPasseier, das ja bekanntlich in seiner Dauerausstellung „Helden & Wir“ persönliche Objekte von zeitgenössischen Vorbildern sammelt, einige Gegenstände zur Verfügung gestellt: Sein Erkennungszeichen, einen schwarzen Hut, eine Füllfeder mit der er 28 Jahre lang seine wichtigsten Werke zu Papier gebracht hat samt dazugehöriges Tintenfässchen und ein handgeschriebenes kritisches Gedicht zu Andreas Hofer aus seinem einzigen Dialekt-Gedichtband „S`Maul auf der Erd“.

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Ein Himmel für Helden

Das Museum widmet sich einem für ein Talmuseum überraschenden Thema.

Foto: MuseumPasseier

Wie wird aus der Saga eines angestaubten Volkshelden des 19. Jahrhunderts ein Museum für das 21. Jahrhundert?

Von Josef Rohrer

 

Der Sandhof ist für Tiroler Patrioten ein ehrwürdiger Ort. Hier kam Andreas Hofer zur Welt. Hier zwang das Schicksal ihn in die Rolle des David, der dem Goliath Napoleon die Stirn bieten musste. Hier in der Nähe, von Gott, Kaiser und Vaterland verlassen, nahmen französische Soldaten ihn nach der gescheiterten Rebellion von 1809 gefangen. In der Folge entwickelte sich der Sandhof zur Pilgerstätte. In einem kleinen Gedenkraum waren einige Hofer-Objekte zu sehen. An seinem Todestag halten Schützen vor einer Hofer-Kapelle traditionsgemäß Gedenkfeiern ab.

Das museale Potenzial dieses Ortes blieb aber überraschend lange ungenützt.
Erst 1995 entstand ein Verein mit dem Ziel, am Sandhof ein Talmuseum einzurichten. Nebenan auf einer Wiese wurden historische Gebäude, anderswo vom Abriss bedroht, zu einem für Passeier typischen Haufenhof vereint. In der Scheune des Sandhofs fand 2001 eine Sammlung volkskundlicher Objekte ihren Platz, und im ehemaligen Stall eröffnete ein kleines Hofer-Museum, bestehend aus reich bestückten Vitrinen.

Ein erstes Zugeständnis an die sich ändernden Sehgewohnheiten: Ein Film von knapp 20 Minuten erzählt mit feiner Ironie und teils schräger Animationstechnik Hofers Leben. (Stramme Patrioten kritisierten den Film umgehend als Frechheit.) Zwei Außenstellen – ein kleines Almmuseum in einem Seitental und eine Ausstellung über die Talgeschichte in der oberhalb von St. Leonhard stehenden Jaufenburg – unterstrichen die auf das Tal konzentrierte Ausrichtung des Museums.

Dann kam 2009.
Tirol gedachte ein ganzes Jahr lang mit viel Tamtam der Rebellion 200 Jahren zuvor. Eine gute Gelegenheit, Politik und Wirtschaft außertourlich um Geld anzugehen. Der Museumsverein erreichte für seine Hofer-Sektion einen unterirdischen Zubau mit rund 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Darauf sollte laut Grobkonzept „frei von übertriebenem Patriotismus und auch aus der Sicht der ehemaligen Feinde“ aufgezeigt werden, wie es zu den Aufständen gekommen war. Die Basis lieferten Historiker*innen aus mehreren Ländern, die den neuesten Stand der Geschichtsforschung zusammenfassten. Für die Umsetzung ließ Albin Pixner, der überaus rührige Präsident des Museumsvereins, mutig einem kleinen Team freie Hand (dem Passeirer Grafiker Albert Pinggera, der Schweizerin Marina Morard und dem früheren Journalisten Josef Rohrer). Dieses nutzte den Freiraum und ging weit über das ursprüngliche Konzept einer Darstellung der geschichtlichen Ereignisse hinaus.

„Für Helden gilt die umgekehrte Perspektive: sie werden immer kleiner, je näher man ihnen kommt.“
Zitate wie dieses lassen bereits am Eingang erahnen, dass auf diesem Museumsparcours keine Huldigung an den bärtigen Volkshelden zu erwarten ist, sondern eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Heldenkult im Allgemeinen. Dass Andreas Hofer zwar im Zentrum steht, letztlich aber nur ein Beispiel ist (daher der Titel „Helden & Hofer“), zeigt am Eingang auch ein Videoclip mit Posen heutiger Helden, unterlegt mit einem Hit von David Bowie. „We can be heroes just for one day“, lautet eine Textzeile.

Der bereits erwähnte, mit einem neuen Schluss versehene Hofer-Film ist nun fester Bestandteil des Parcours und führt in die Vita Hofers ein. Wenn nach dem letzten Schuss des Exekutionskommandos zu Mantua die Projektionsfläche zur Seite rollt und den Weg freimacht für die folgenden Räume, fragt jetzt die Erzählstimme, was aus Hofer wohl geworden wäre, hätte Napoleon ihn damals begnadigt. Mit Sicherheit kein Held. Denn einer wie er musste dramatisch sterben, damit er als Held weiterleben konnte. Eine Relativierung seiner Rolle und Vorgriff auf den letzten Teil des Rundganges, der die posthume Herrichtung Hofers zum Heroen zeigt.

Die Besucher erleben erst einmal lebendig aufbereitete Geschichte. Auf einer interaktiven Karte können sie beobachten, wie sich als Folge der Napoleonischen Kriege die Grenzen verschoben, wie Tirol von Österreich abgetrennt und zu dem mit Napoleon verbündeten Bayern geschlagen wurde. Zwei Welten stießen in der Folge aneinander: Hier das bäuerliche, verschlossene, von Aberglauben durchzogene Tirol, dort das aufgeklärte Bayern, dessen König nach französischem Vorbild einen modernen Staat formen wollte. In einer Trennwand – helle, weiche Farben im Stil des Empire auf der einen Seite, dumpfes Halbdunkel einer Bauernstube auf der anderen – sind kleine Texttafeln integriert. Um ihre Achse drehbar, enthalten sie auf der einen Seite die Begründung für die bayerischen Reformen, auf der anderen Seite die Wirkung dieser Reformen auf die Tiroler. Das gegenseitige Unverständnis ist greifbar.

Die näselnde Stimme von Robert Palfrader (Wir sind Kaiser) lässt den Erzherzog Johann lebendig werden. Johann hatte leichtes Spiel, die wütenden Tiroler zur Rebellion gegen Napoleon und seine bayerischen Vasallen zu überreden. Die österreichische Armee, so versprach er in einem historisch belegten Aufruf, würde ihnen zu Hilfe kommen. Die gleiche Stimme ist später noch einmal zu hören: In einem inneren Monolog des Erzherzogs, als er den Tirolern schreiben muss, der Kaiser habe allen Beteuerungen zum Trotz mit Napoleon Frieden schließen und auf Tirol verzichten müssen. Trotz des schwierigen Umgangs mit gleich vier Sprachen nutzt das Museum intensiv das Audio. So kommen in Hörstationen entlang des Parcours vier zentrale Frauentypen zu Wort. Sie bringen eine weibliche Sichtweise in die fast nur maskuline Rezeption von Anno 1809 ein.

Eines der bekannteren Gemälde von Albin Egger-Lienz zeigt den voran stürmenden Pater Haspinger, ein Kreuz wie eine Gefechtsfahne emporgestreckt, Tiroler Bauern mit Beilen und Dreschflegeln hinterdrein. Für das Museum wurde es als raumfüllendes Holzrelief ausgearbeitet. Mit ihrer Guerrilla-Taktik, gestärkt von blindem Gottvertrauen, haben die Tiroler den ortsunkundigen Truppen Napoleons einige Zeit das Fürchten gelehrt. Den von Andreas Hofer kommandierten Rebellen gelangen einige spektakuläre Siege. Zuletzt am Bergisel. Hofer zog als Landeshauptmann in Innsbruck sein. Seine bizarre Regentschaft dauerte gerade mal zwei Monate.

Die Besucher finden sich in einem Labyrinth wieder und erleben, wie es Hofer zuletzt wohl ergangen sein muss.
Von Wien lange im Unklaren gelassen über den bereits vereinbarten Frieden, daher Opfer von sich widersprechenden Gerüchten, wusste er bald nicht mehr ein noch aus. Die einen versuchten, ihn zum Aufgeben zu überreden, andere zwangen ihn, den aussichtslosen Kampf weiterzuführen. Hofer, ein Zerrissener, ein Zweifler.

Trotz des Scheiterns wurde seine Rebellion später zur Heldengeschichte umgedeutet.
Das wachsende Nationalgefühl des 19. Jahrhunderts brauchte Symbole, und die Tiroler, aber auch deutsche und englische Romantiker, fanden sie in dem bärtigen einfachen Mann, der sich für seine Überzeugung mit einer Großmacht anlegte. Den Mechanismen der Heldenproduktion ist das letzte Drittel des Parcours gewidmet. Mit Hilfe der Medien, bei Hofer vor allem Literatur, Malerei, Musik und Bildhauerei, entstand eine heroische Figur, die sich für vielerlei gebrauchen ließ: als Werbung für Kriegsanleihen im Ersten Weltkrieg, als Testimonial für antiitalienische Kampagnen, als Logo für Schnaps und Speck. Helden werden übernatürliche Kräfte zugesprochen. Gegen ihre Vereinnahmung aber sind sie machtlos.

Andreas Hofer ist wenigstens eines erspart geblieben: Viele der Figuren aus der ständigen Heldenproduktion fallen, kaum auf dem Sockel angelangt, schon wieder in Vergessenheit. Hofer dagegen ist auch nach 200 Jahren noch erstaunlich präsent. Im letzten Raum des Museums, einem modernen Pantheon, steht er im Kreis mit Superman, Juri Gagarin, Nelson Mandela und anderen und versucht eine Antwort zu geben, warum jede Zeit und jede Region sich ihre Helden macht.

„Einfach fantastisch, wie aus einem abgedroschenen Thema etwas absolut Neues und Spektakuläres entsteht.“
Solche Kommentare stehen häufig im Gästebuch. Die Jury des European Museum Forum, für dessen Preis das MuseumPasseier 2012 nominiert war, lobte den interessanten Bogen von Hofer zu den Helden heutiger Zeit – „für die Besucher eine angenehme Überraschung am Ende eines abgelegenen Alpentales“.

Von den Reaktionen ermutigt, ging der Museumsverein 2013 noch einen großen Schritt weiter. Die Abteilung für Volkskunde wurde aus der Scheune des Sandhofs ausgelagert, um Platz zu schaffen für „Helden & Wir“, eine logische Ergänzung zu „Helden & Hofer“. Wir, das ist das Publikum im Allgemeinen in seiner Bewunderung für Helden, Stars und Vorbildern, die heute in scheinbar immer schnellerem Tempo von der Medienmaschinerie hervorgebracht werden. Wieder gab es außerordentlich viel Freiheit für das Gestalterteam (den grafischen Part bei diesem Projekt spielte Gruppe Gut, Bozen). Es nutzte die große Raumhöhe der ehemaligen Scheune und hängte sechs große Konusse in den Giebel – Symbol für die Lichtkegel, in denen Helden und Stars für gewöhnlich stehen. Ihre Position im Giebel zwingt zum Aufschauen.

Jeder Lichtkegel handelt von einer Facette des komplexen Themas der Heldenverehrung: Was unterscheidet Helden von Stars, und wer ist auch ein Vorbild? Woher rührt Courage? Und wofür stehen eigentlich diese Figuren, zu denen wir aufschauen? Philosophische Fragen, auf die „Helden & Wir“ keine Antworten präsentiert. Die wenigen Texte in der Ausstellung versuchen vielmehr, die Besucher zur Reflexion über ihre eigenen Helden- und Vorbilder anzuregen. Das Wesentliche soll im Kopf passieren. Passend dazu hat das Museum spezielle Materialien für Schulen aufgelegt, die das Hinterfragen von Vorbildern in den Unterricht einbauen.

Als Ausgleich zur Kopflastigkeit sammelt das Museum persönliche Objekte heutiger Stars und Helden.
Von Hermann Maier zum Beispiel ist bis auf Weiteres ein Ski zu sehen, den er bei seinem legendären Sturz in der Kombi-Abfahrt von Nagano getragen hat, vom Dalai Lama eine kleine Gebetsmühle und von dem in Südtirol als Sporthelden gefeierten Geher Alex Schwazer ein Paar Turnschuhe, in denen er in Peking olympisches Gold über 50 Kilometer gewann. Dass Schwazer dann vor den Spielen in London wegen Doping gesperrt wurde, zeigt die Brüchigkeit vieler Heldenbilder.

Als nächstes steht am Sandhof ein neues Konzept für die Volkskunde an. Damit dem Tal in diesem Talmuseum von all den Helden nicht ganz die Show gestohlen wird.


Der Artikel ist erschienen in:
Neues Museum 14-1, Graz: S. 14-18, Ein Himmel für Helden

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Abenteuer Jaufenstraße

Die Sonderausstellung erzählt vom strenghen Perg und über die Zeit der ersten Automobile im Passeier.

Bis vor kurzem war Besucher*innen der Zutritt in den Sandwirtskeller verwehrt. Seit Juni dieses Jahres präsentiert sich hier die Sonderausstellung „Abenteuer Jaufenstraße 1912-2012“.

Von Albin Pixner

 

Eingangs sehen wir, wie Reisende aus vergangenen Zeiten den Jaufen gesehen haben. So schreibt ein deutscher Maler, er habe auf Händen und Füßen kriechen müssen, ein Schriftsteller berichtet von einem Bärenwetter und wieder andere lamentieren über den schrecklichen Weg und die Riesenbollwerke aus Felsen. Übrigens: Während wir heute mit dem Auto bequem in 45 Minuten von St. Leonhard nach Sterzing gelangen, berichten diese Quellen von 7 bis 8 Stunden Gehzeit.

Ein Passeirer fährt nicht.
Seit Urzeiten führte nur ein Saumweg über den Pass und der Verkehr wurde von Säumern und Kraxenträgern bestimmt, die Waren transportierten. Wie der alte Jaufenweg verlief, liegt teilweise immer noch im Dunkeln. Auf alle Fälle spricht man von vier Varianten des alten Jaufenweges, was die Nordseite betrifft. Ab St. Leonhard führten vermutlich zwei Wege bis nach Walten.

Die Passeirer waren seit jeher als Wanderhändler unterwegs, passend dazu auch der Spruch: „Ein Passeirer geht und trägt, aber er fährt nicht.“ Eine naheliegende Notwendigkeit, denn das Tal bot für die ärmliche Bevölkerung nur bedingt Lebensmittel und Arbeitsmöglichkeiten, verbindet aber das Burggrafenamt mit dem Inn- und oberen Eisacktal. Und lange Zeit konnten Waren zu Fuß oder mit Saumpferden rascher über den Jaufen befördert werden, als es der Straßenverkehr über Bozen imstande war.

Bärenstarke Kraxenträger
Die Passeirer Kraxenträger waren im alten Tirol bekannt. Auf ihren Kopfkraxen trugen sie Waren vom Burggrafenamt über den Jaufen ins Inntal und bis nach Bayern. Es gibt kaum eine Ware mit der Kraxenträger und Säumer nicht hausierten, von Salz, Obst, Getreide, Wein und Schnaps bis zu Vogelkäfigen, Geschirr, Uhren, Bildern und verbotenen Büchern. Auch wenn die Zölle oft umgangen wurden, blieb ihr Verdienst mehr als bescheiden. Ihre Lasten waren aber umso höher: Frauen trugen durchschnittlich bis zu 65 kg, Männer bis zu 85 kg auf dem Rücken. In Erzählungen und Anekdoten sind sie bisweilen zu Bärenkräften gekommen: So soll der große Ultner über 280 kg  getragen und die Lasten der anderen Träger auf sich genommen haben, so dass diese keinen Zoll zu zahlen brauchten.

Die Passeirer Säumer hingegen lieferten mit ihren Pferden Waren über den Jaufen und besorgten auch den Transport von Lebensmittel, Holz und Erzen für und vom Bergwerk Schneeberg in Hinterpasseier. Im Mittelalter waren die Passeirer Säumer die offiziellen Hoflieferanten für die Landesfürsten auf Schloss Tirol bzw. in Innsbruck. Im Gegenzug erhielten sie zahlreiche Privilegien. Die Bedeutung des Saumwesens zeigt sich auch daran, dass es in Passeier teilweise über 300 Pferde gab. Weil der Jaufen so „streng“, will heißen so beschwerlich war, erhielten die Passeirer im Mittelalter sogar ein besonderes Privileg vom Landesfürsten: Für fünf geladene Pferde wurden ihnen am Zolll nur vier berechnet. Ebenfalls im Mittelalter wurde auf der Passhöhe das Jaufenhaus errichtet, das für die Verpflegung und Unterbringung von Pilgernden und Reisenden zuständig war. Der Wirt am Jaufenhaus hatte unter anderem die Verpflichtung, abends und bei schlechten Wetter von der Passhöhe aus dreimal zu schreien und abzuwarten, ob er Hilferufe hört. Einige illustre Gäste sind über den Jaufen gereist, so zog Kaiser Ludwig von Brandenburg mit zahlreichem Gefolge über den Jaufen nach Meran. Dort fand die Hochzeit seines Sohnes mit der Landesfürstin Margarethe „Maultasch“ von Tirol statt. Der Bischof von Freising, der die Trauung vollziehen sollte, stürzte dabei auf dem Jaufen vom Pferd und starb.

Ab dem 15. Jahrhundert ging der Verkehr über den Jaufen zurück. Der Kunterweg durch die Eisackschlucht war zum Fahrweg ausgebaut worden, die Jaufenroute konnte damit weder finanziell noch zeitlich mithalten.

Zeitweise gab es sogar einen eigenen Postbotenlauf über den Jaufen. Die Jaufenpost konnte sich aber nicht lange halten. Kurios auch die Vermessung des Jaufens aus dem Jahre 1725. Ein gewisser Amandus Platter hatte von Hand (!) sämtliche Entfernungen, Brücken, Schranken (Geländer) und Firlegbamb gemessen und sogar die Schneestangen gezählt. Im 17. Jahrhundert verfiel der Jaufenweg zunehmend. Selbst gut gepflasterte Abschnitte waren teilweise zerstört, dass sie nur noch mit Mühe zu Fuß zu passieren waren. Der Passeirer hält jedes Künsteln am Wege als verlorene Liebesmüh, schreibt ein Zeitgenosse dazu treffend. Um 1830 versiegte der Saumhandel über den Jaufen. In der Folge ging der Umsatz der Wirtshäuser stark zurück. Die Anzahl der Pferde in Passeier fiel von 230 Tieren im 18. Jahrhundert auf elf Pferde um 1850. Viele Passeirer verloren ihre Einnahmequelle und fanden im Tal keine Arbeit mehr. In diese Zeit fiel auch der stärkste Bevölkerungsrückgang im Passeier.

Bereits 200 Jahre vor dem Bau der Jaufenstraße tauchten die ersten Pläne für eine Wagenstraße über den Jaufen auf.
Alle Pläne scheiterten aber an den Passeirern selbst. Sie brachten stets zahlreiche Gegenargumente vor – der Nutzen sei  nicht von Belang, der Verkehr könnte die Wiesen schädigen, durch eine Straße würden sich  Sittenverderbnis und Unglaube einschmuggeln .... Ihr Hauptgrund für den Widerstand war aber stets die Sorge vor den Baukosten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts drängte vor allem die Stadt Meran auf die Errichtung der Jaufenstraße, um für die Touristen bequemer erreichbar zu sein sowie den Gästen ein neues Ausflugsziel in der Umgebung anbieten zu können. Als die Passeirer dann endlich die Vorteile einer Straße erkannten, begannen die Streitigkeiten über die Beteiligung der Kosten sowie über den Straßenverlauf.

Leider haben wir keinerlei Notizen, Tagebuchaufzeichnungen oder Pläne vom Bau der Jaufenstraße.
Die einzigen Quellen sind die zeitgenössischen kurzen Berichte in den Lokalzeitungen. Sie erzählen von Felssprengungen, von über 900 Arbeitern, von Problemen wie brüchiges Gestein, rauhes Klima und Schwierigkeiten bei der Verpflegung und Unterbringung der Arbeiter. 1907 wird sogar von einer Demonstration berichtet, bei der die Arbeiter eine Lohnerhöhung erreichten. Obwohl zu Beginn mit der Fertigstellung im Jahr 1909 gerechnet worden war, konnte erst 1911 die erste Probefahrt gemacht werden. In dreieinhalb Stunden fuhren 11 Automobile von Meran nach Sterzing (heute benötigt man hierfür 2 Stunden weniger). Im Jahr darauf, am 15. Juni 1912 erfolgte auf dem Jaufenpass die offizielle feierliche Eröffnung der Jaufenstraße. Der Bau der Straße – 35 km lang und 5 m breit – hatte also acht Jahre gedauert und über 3.000 Kronen (das sind zirka 10 Mio. Euro) gekostet (diese Summe entsprach zwei Drittel mehr als veranschlagt).

Im Anschluss an die Eröffnung der Jaufenstraße wurde das Automobilverbot auf der Strecke Meran – St. Leonhard aufgehoben. Dagegen protestierten die Passeirer vergeblich wegen der großen Gefahr für Mensch und Tier. Ein Jahr nach der Eröffnung erhielt die Jaufenstraße eine Postautolinie. In den Sommermonaten verkehrte zweimal täglich ein Postauto mit 13 Sitzplätzen von Meran nach Sterzing und retour.

Lange Zeit fuhren auf der neuen Jaufenstraße noch zahlreiche Kutschen und Fuhrwerke.
Auch die  Stellwagen des Theis- und Stroblwirtes von St. Leonhard waren anfangs neben den Postautos im Einsatz. Die Stadt Meran organisierte Gesellschaftsausflüge für Einheimische und Gäste. Zeitungen und Werbebroschüren beschrieben die Straße als eine der schönsten Hochalpenstraßen, als eine Kunststraße mitten über die Berge. Im ersten Sommer wurden knapp 570 Automobile über den Jaufen gezählt. Während des Ersten Weltkrieges war der Verkehr eingestellt. Nach dem Weltkrieg übernahm eine Trentiner Gesellschaft den Postautoverkehr über den Jaufen, auch das Privatbusunternehmen Johann Kofler besorgte diesen Dienst.

Ab 1931 fuhren die roten Busse der SAD und die gelben Autocars des Landesverkehrsamtes Innsbruck über den Jaufen.
Die Betreuung der Jaufenstraße unterstand ab 1919 dem Staatsbauamt („Genio civile“), ab 1928 der „Azienda Autonoma Statale della Strada“ (A.A.S.S. – von den Einheimischen mit „Avanti avanti senza soldi“ übersetzt), ab 1948 der „Azienda Nazionale Autonoma delle Strade“ (ANAS) und seit 1997 der Autonomen Provinz Bozen.

Im Winter wurde die Jaufenstraße auf Ratschingser Seite für Bobrennen (Rodelsport) genützt. Die Straße wurde täglich mehrere Stunden lang für diesen Sport (teilweise waren es internationale Rennen) reserviert. Das erweckte den Unmut der Bauern, die den verschneiten Weg auch für Holzfuhren und als Gehweg nutzen wollten.

Ab 1960 wurde die Jaufenstraße geteert.
Auch der Tunnel bei der Glaitner-Kehre wurde geschlossen, die Schutzgalerie beim Vermaltal und mehrere Kehren wurden ausgebaut. Im Laufe der Jahrzehnte spuken in einigen Köpfen auch verschiedene Gedanken wie Jaufentunnel, Luftkissen und sogar einer Autobahn herum, die jedoch nie konkret wurden. In den 80er Jahren kam es zu mehreren Überfällen auf bundesdeutsche Touristen am Jaufen. Die Tourismusvereine veröffentlichten hierzu Warnungen. Seit 1989 ist der Jaufenpass auch im Winter mit Nachtsperre geöffnet. Große Probleme verursacht der Wind mit seinen Verwehungen mit Schneehöhen von drei bis vier Metern. Schon kleine Lawinen können für die Arbeiter verhängnisvoll sein. Auch Autofahrer, welche die Lage unterschätzten, sind samt Auto schon eingeweht worden und mussten von den zuständigen Straßenarbeitern ausgeschaufelt werden. In den letzten Jahren wurden mehrere Lawinenschutzbauten errichtet. Bis 2015 sollen die Lawinen- und Steinschlagschutzbauten verbessert bzw. eine Galerie erbaut werden.

Interessantes aus der Zeit der Anfänge des Automobils.
Die Autokennzeichen waren bis 1920 mit dem Buchstaben „T“ (Trient)  versehen, danach galt die Kennzahl „73“. Die erste Fahrschule in Meran gab es ab 1925 (Puccini). Zu dieser Zeit gab es in St. Leonhard drei Lastwagen und zwei Motorräder, aber noch keine Autos. Erst 1928 musste jedes Kraftfahrzeug mit einer Hupe versehen sein. Das Automobil war für die Leute einerseits ein Wunder  („dass eppis ohne Ross fohren konn...?), andererseits aber ein Monster („Der Staab und der Höllenlärm! Hennen stiabm assnonder und die Resser  werden wilde“). Die Stellwagenkutscher verparkten ihnen auch teilweise absichtlich den Weg. Die Fußgänger liefen panisch in die falsche Richtung und überhaupt mussten sich die Leute an „beschleunigte Reaktionen“ auf dem Dorfplatz erst gewöhnen, wenn ein Automobil daherkam.

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Goaßerstolz & Huarnfiich

6.000 Ziegen und 9.000 Menschen leben im Passeier. Nun kriegen die eigensinnigen Tiere eine Sonderausstellung.

Ziegen gehören zum Passeier wie Andreas Hofer, Speck und Schildhöfe. Knapp 6.000 Gebirgsziegen leben hier – gemeinsam mit 9.000 Menschen. Und das in Zeiten, in denen niemand mehr eine Goaß braucht und die Ziegenhaltung keinen Gewinn bringt.

 

Text: Judith Schwarz
Zeichnungen: Albert Mair

 
 

Irgendetwas scheinen die Goaßer, die Goaßer sein wollen, von ihren Vätern und Großvätern, die es sein mussten, geerbt zu haben. Es ist nicht der wirtschaftliche Zwang, die "Kuh des armen Mannes" zu halten, sondern die Leidenschaft für dieses Huarnfiich. Eine Sonderausstellung des MuseumPasseier versuchte 2011, diese unerklärliche Begeisterung zu erklären.

Wir starten mit Almidylle und Hirtenromantik.
Furmente, Tånderpuschn und Tschurschlin-Stallile (Murmeltier, Alpenrose und ein von Kindern gebauter „Stall“ mit Tieren aus Baumzapfen) sind Klischees einer idealen Almwelt. Ihr Anblick verzückt Tourist*innen und Einheimische. Erinnerungen an „Sommerfrische“, Wanderurlaub und die gute alte Zeit lassen im Kopf eine Gegenwelt zur Alltagshektik entstehen. Am Liebsten möchte man auch Hirte sein inmitten einer herrlichen Alpenlandschaft und friedlich grasenden Ziegen – und den ganzen Tag auf einem Grashalm kauen.

Viele Erwachsene erzählen heute stolz vom Gefühl der Verantwortung und des Erwachsenseins, wenn sie als Sechsjährige alleine Ziegen hüten mussten.
Ein Gefühl, das vielen Kindern heute fehlt – der Stolz auf die Pflicht. Es ist eine einfache Welt, und dennoch (oder deswegen) ist sie Luxus. Ganz besonders die Welt der Goaßer: Gerade, weil man Ziegen nicht mehr braucht, weil sie keinen finanziellen Gewinn bringen, weil sie einfach nur schön sein sollen und weil sie wertvolle Zeit kosten, die heute angeblich niemand mehr hat. Die in Ruhe genossene Pfeife, das Fernrohr, mit dem stundenlang beobachtet wird, die geduldige Schnitzarbeit aus Steckhölzchen, in der Zeit versteckt ist. Sie stehen für die Kunst, die Hirten beherrschen und viele Manager vergeblich zu lernen versuchen: Die Kunst des in sich Hineinhörens und Genießens. Das Hirtentum ist ein Überbleibsel einer der ältesten Kulturformen und verkörpert eine eigene Lebenshaltung und Weltanschauung.

Hirten waren angesehen als Viehdoktoren, Pflanzenkenner, Wetterfrösche, Handwerker und mitunter Erfinder.
Viele waren über das Tal hinaus bekannt, aber selten gaben sie ihr Wissen schriftlich weiter. Aber alles hat eine Kehrseite. So wurden Hirten im Laufe der Zeit auch als ungepflegte Nichtstuer, sonderbare Einsiedler, unstete Gauner und einfältige Sonderlinge gesehen. Genauso war das Leben als Hütbub kein Honiglecken. Oft waren die Kinder sich selbst und dem Drwailång (Heimweh) überlassen. Der Goaßer-Alltag sieht auch anders aus als romantisch: Im Winter täglich die eintönige Stallarbeit mit Dreck und Gestank. Auf der Alm unterbrechen Unwetter und verschwundene Tiere die Routine. Mühsame Wege bei jedem Wetter und oft gefährliche Situationen. Karge Kost im Mittoogkandele, raue Arbeitskleidung aus Lodenstoff, Sorgen um die Existenz und den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert: Das gehört genauso zum Hirtendasein.

Auch um den Tod der Ziegen kommt der Goaßer nicht umhin: Totgeborene Kitze im Frühling, erfrorene oder unter Lawinen begrabene Ziegen im Winter, Abstürze und Schlachtungen.
Zum Thema Schlachtungen wird in der Ausstellung ein historischer Exkurs zum Handwerk des Struuzers aufgetan: Die Passeirer waren als Struuzer (Wandermetzger) bekannt. Sie handelten weithin mit Vieh und schlachteten es bei den Fleischmärkten in Meran und anderswo. Für die Struuzer war es ein guter Verdienst, für die Stadt Meran brachten die Fleischmärkte Gewinn, aber auch Beschwerden: Feuersgefahr, Schmutz, Gesundheitsgefährdung, Tierquälerei, Sittenverwilderung und lahmgelegte Geschäfte der Stadtmetzger. „Es ist eine schauderhafte Metzelei in der Stadt Meran, die im ganzen Kaiserstaate sonst gewiss nirgends vorkommt“, schreibt ein Zeitzeuge.

Während bei gefährlichen Ziegenkrankheiten heute der Tierarzt zur Stelle ist, hieß es für den Goaßer früher „Learning by doing“.
Behandlungen wie der Aderlass mit Fliëdn (Messer) und der Pansenstich mit dem Trokar (Eisenspitz) erfordern Fourtl und Schnaide (Know-how und Courage), da sie tödlich für die Tiere ausgehen können. Auf Abwehrzauber und alte Opferbräuche zurückgeführt wird der Glaube, ein alter lebender Ziegenbock im Stall (oder zumindest der Kopf oder die Hörner von einem geschlachteten Bock an der Stalltür) solle alle Krankheiten fernhalten. An besonderen Tagen wurde auch das Kraftfutter geweiht und den Tieren unters Heu gemischt, damit sie vor Krankheit und Unglück verschont blieben. Schwere Tierseuchen waren und sind auch heute noch Thema: Früher hatten sie harmlos klingende Namen wie Rausch und Trunk und waren Zauberwerk der Nörggeler. Heute heißen Ziegenkrankheiten CAE und Brucellose und werden mit „Ausmerzprogrammen“ bekämpft. Eine neue Sorge sind Bär und Wolf, die vermehrt auftauchen und für die ohne Aufsicht weidenden Ziegen gefährlich werden können.

Irgendwo zwischen diesen beiden Gegensätzen liegt die Realität.
In der Ausstellung ist dies der Film zwischen den Ausstellungsbereichen „Almidylle“ und „schauderhafte Metzeleien“. Die Aufnahmen zeigen die Gelassenheit der Hirten, die Stille, die unendliche Zeit und Muße, das Miteinander von Mensch und Tier, eine eigene Welt aber auch die tagtägliche Arbeit, den Dreck, den Gestank usw. Im zweiten Teil der Ausstellung wird es konkreter: Die Themen sind die „Psairer Goaß“, die „Goaßer-Kultur“ und „di schiane Goaß“. Seit einigen Jahren ist die "Passeirer Gebirgsziege" eine offizielle Rasse. Aber DIE Psairer Goaß gibt es nicht: Vielfältige Farbkombinationen machen verschiedene Abstammungen sichtbar. Das tut dem Stolz auf die Psairer Goaß keinen Abbruch. Zucht ist nicht nur Tierhaltung, sondern auch ein Stück Ideologie.

Passeier ist Südtirols Hochburg der Ziegen. Jede vierte Ziege lebt hier.
Sie sind der Stolz von über 300 Goaßern, die den Ziegenzuchtvereinen "Passeier" bzw. "Hinterpasseier" angehören. Auch Frauen halten Goaße. In Passeier sind es über 40. Die Frau auf der Spielkarte Schellsieben ist übrigens keine Goaßerin, sondern eine Karikatur auf die „Weiberherrschaft“.

Aber warum gab und gibt es gerade in Passeier so viele Ziegen?
Weil die schwer zugänglichen und kargen Passeirer Felsgegenden ideal für die Ziegenhaltung sind? Weil sich die vorwiegend armen Passeirer auf ihren kleinen Höfen dank Ziegen über Wasser halten konnten? Allein daraus lässt sich die Passeirer Ziegenleidenschaft nicht erklären, denn diese Voraussetzungen wären auch anderswo gegeben. Letztendlich ist die Goaß-Passion nicht reduzierbar auf bestimmte Faktoren und gehorcht keiner Logik.

Zur Frage, warum manche Menschen Tiere lieben und andere nicht, streiten Wissenschaftler*innen schon lange.
Ein Goaßer hat es simpel aber treffend erklärt: Entweder men isch a Goaßnårr oodr men isch kuander! Die Liebe der Goaßer zu den Tieren zeigt sich auch in den Ziegennamen. Viel mehr als Schafe werden Goaße als Individuen gesehen und erhalten traditionelle oder moderne Namen. Auch kennen Goaßer ihre Tiere auseinander, denn Goaßgesicht ist nicht Goaßgesicht! Trotzdem hat das Mårch – das Einzwicken von Kennzeichen in den Ohren Tradition. Mittlerweile sind Plastikplaketten und elektronische Magenkapseln Pflicht.

Es ist eine eigene Kultur – die Goaßerkultur.
Vor allem die Goaßer haben sich vieles von der Hirtenmentalität bewahrt: Die Bekleidung, die Gebärden, die Sprache. Höhepunkte im Goaßer-Jahr sind die Ziegenausstellungen, die wie Misswahlen ablaufen: Bärte biegen, Fell kämmen, Hörner polieren. Wie a schiane Goaß auszusehen hat, ist ein wandelnder Trend, den in Südtirol vor allem die Passeirer setzen.

Fatal für die Zucht ist es, wenn ein schiacher Pock mit einer schianen Goaß verkehrt.
Noch kurioser als es klingt, muss es ausgesehen haben, wenn Ziegenböcke zur Vermeidung solch einer unerwünschten Liasion „Bockhosen“ trugen. Sicherer war da das Ooziëchn (Kastrieren). Trotzdem bleibt die Zucht ein Glückspiel, und deshalb wahrscheinlich interessant. Der Goaßer weiß nie, werden die Kitze einfärbig, stroolit (Stahlenzeichnung am Kopf) oder gånsit (hell-dunkle Mantelfärbung) bzw. bloob (grau-bläulich), roat (rötlich), geel (gelblich), pråntlt (dunkelbraun), griislt (grau-braun), verbrennt (beige), schwarz oder liëcht (weiß). Die verschiedenen "Goaß-Typen", Untergruppen und Farbkombinationen, die die Goaßer-Sprache kennt, sind selbst für Einheimische mit gutem Dialektverständnis verwirrend.

Zur schönen Ziege gehört auch eine Schelle.
Schellen sind Schmuck, Signalinstrument, Besitzkennzeichen, Ehrengabe, Lärminstrument und Souvenir. Sie sind außerdem der Stolz der Goaßer und begehrtes Sammelobjekt. Schellen von alten bekannten Schmieden sind rar. Wenn bisweilen eine Kranzschelle oder Fakklschälle verkauft wird, erzielt sie fantastische Preise von 2.000 Euro oder mehr. Eine Besonderheit sind die alten Schellbögen aus Nussbaumholz mit Blechverzierungen. Heute sind Lederriemen gebräuchlich. Die älteste Passeirer Viehschelle ist übrigens über 1.000 Jahre alt. Archäologen vermuten, dass der Klang der Schellen ursprünglich vor bösen Almgeistern schützen sollte. Passend zu dieser Fülle an Goaßerliebe und Schellen-Sammelleidenschaft zeigt auch der zweite Film zu Beginn die innigen Momente der Goaß-Goaßer-Beziehung und die Miër-sein-Miër-Mentalität der Goaßer, die mitunter auch ins Folkloristische ausschlägt, alles untermalt von den Klängen von „Heidi“ (Wenn du uns Goaßer verstehen willst, schau dir einen Heidi-Film an, hat mir mal ein Goaßer empfohlen!). Und dann wechselt der Film vom „Goaßerstolz“ zu Huernfiich (voilà der Titel der Ausstellung) und zeigt die andere Seite der Goaß.

Anders als die friedfertigen Schafe, die geschlossene Herden bilden, haben die gewitzten Ziegen einen sehr individuellen und widerspenstigen Charakter.
Kein Goaßer, der nicht auf seine Lieblinge schimpft und sie verflucht. Schließlich sind sie immer dort, wo sie nicht sein sollen. Zäunt man die Goaß in ein Grundstück mit schönster Wiese ein, sucht sie nach einem Ausweg, um außerhalb des Zauns zu kommen. Zäunt man das selbe Stück Wiese ein und stellt die Goaß davor, versucht sie alles um innerhalb des Zaunes zu kommen. Verständlich, dass Huernfiich in Passeier so etwas wie ein zweiter Name ist (obwohl das Fluchwort mitunter von den Goaßern nicht so gemeint ist – sie sind ja auch stolz darauf, dass ihre Goaße einen eigenen Grint haben). Viele Ziegen, die den ganzen Sommer ohne Aufsicht auf der Alm verbracht haben und „verwildern“ sind im Herbst relativ schwer einzufangen. Deshalb melden die Passeirer Fundämter im Spätherbst nicht nur verlorene Schlüssel und Ohrringe, sondern informieren über zugelaufene Kitze und vermisste Böcke. So lustig, wie es sich anhört, ist es aber nicht: Vor allem das „Ausheben“ einer Goaß, die sich in einer Felswand verstiegen hat, ist eine immense körperliche und gefährliche Herausforderung für den Goaßer und fordert auch Todesopfer.

Willsche a Ggstriit, når richt der Goaße“, sagte stets mein Opa.
Vielleicht erzählen deshalb so viele Geschichtsquellen von den "Weidenei-Streite" in der Ziegenhochburg Passeier. Ob es wegen der Ziegen auch vermehrt „Ehe-Streite“ in Passeier gibt, lässt sich nicht sagen. Aber so manche Goaßer-Ehefrau wird mitunter über das Hobby ihres Mannes schimpfen. Vor allem wenn der Gatte Feierabend, Wochenende und Urlaub seinen Goaßen widmet und täglich den unverwechselbaren Ziegenduft nach Hause bringt.

Aber Ziegen sind zäh.
Wegen ein paar strafzettelschreibenden Förstern oder nudelholzschwingenden Ehefrauen lassen sie sich nicht unterkriegen. Und dass es Goaße auch weiterhin geben wird, prophezeit ein altes Passeirer Sprichwort:

„Goaße unt Huarn weern sii nit oodrschåffn!“
(Ziegen und Huren wird man nicht abschaffen können)

Sonderausstellung ab 15. Mai 2011
Goaßerstolz & Huarnfiich. Die Passeirer Gebirgsziege

Impressum der Ausstellung
Idee: Harald Haller
Konzept und Texte: Judith Schwarz
Inhaltliche Mitarbeit: Albin Pixner
Grafik: design.buero
Zeichnungen: Albert Mair
Filmschnitt: Stefan Holzknecht

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